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Erstellt:
01.10.1999


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FriedensForum 5/1999


Verelendung wird ordnungsrechtlich verboten

Udo Behrendes

Seit dem Sommer 1997 kennt jeder kommunale Ordnungspolitiker, der was auf sich hält, die "broken-windows-Theorie" und die "zero-tolerance-doctrin". Von Amerika (und insbesondere New York) lernen, heißt siegen lernen - im Kampf gegen Kriminalität und Verslumung.

Die kommunale Renaissance des Obrigkeitsstaates

"Wehret den Anfängen" heißt das herrlich einfache Konzept und gerne glaubt man dem großen Saubermann William Bratton (von 1994 - 1996 Chef der New Yorker Polizei), der heute als Wanderguru durch Europa reist, dass man durch die gnadenlose Jagd auf Schwarzfahrer, Stadtstreicher und andere "unerwünschte Personen" automatisch auch Raub, Vergewaltigung und Mord eliminiert.

Als wichtiges Scheuermittel für die deutschen Innenstädte hat man das Kommunalrecht wiederentdeckt. Per Straßensatzung oder Gefahrenabwehrverordnung werden "unerwünschte Verhaltensweisen" verboten und im Rahmen gemeinsamer "Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften" durch kommunale und staatliche Ordnungshüter sanktioniert.

Besonders pikant ist die Betrachtung der kommunalen Verbote, wenn man sich vor Augen führt, dass der Bundesgesetzgeber im Jahr 1974 viele der heute diskutierten "unerwünschten Verhaltensweisen" ausdrücklich entkriminalisiert hat. Damals wurden u. a. die aus dem Jahre 1871 stammenden Paragraphen über "Bettelei" und "Landstreicherei" ersatzlos gestrichen! Es stellt sich die Frage, ob diese bundesgesetzliche Entscheidung nun nach Belieben "vor Ort" konterkariert werden darf. Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof hat vor kurzem solchen Rückfällen in die Methoden des Obrigkeitsstaates erstmals rechtliche Schranken gesetzt und entsprechendes Ortsrecht aus Stuttgart und Ravensburg für nichtig erklärt.

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Bei kommunalen Verboten "öffentlichen Alkoholgenusses" geht es um die Vertreibung von "Stadtstreichern" und "Punks", die ihre Bierdosen in der Fußgängerzone leeren (und dabei den Genuss der Biertrinker in der Außengastronomie der Schankwirtschaften stören). In den entsprechenden kommunalen Verordnungen bzw. Satzungen erscheint in diesem Zusammenhang immer der entlarvende Zusatz "außerhalb zugelassener Freischankflächen". Diese Unterscheidung zwischen erlaubtem und verbotenem öffentlichen Alkoholkonsum ist verfassungsrechtlich unhaltbar. Das Oberlandesgericht Saarbrücken und der Verwaltungsgerichtshof Mannheim haben in aktuellen Urteilen sowohl unter straßenrechtlichen als auch ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten deutlich gemacht, dass das "Niederlassen zum Genuss von Alkohol außerhalb der genehmigten Außenschankflächen" weder als "Sondernutzung öffentlichen Straßenraumes" noch als "abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" angesehen werden darf und daher entsprechende kommunale Regelungen rechtswidrig sind.

Die obergerichtliche Rechtsprechung bescheinigt somit einhellig den kommunalen Ordnungsstrategien gegen Bettelei und unerwünschten Alkoholkonsum die Rechts- und Verfassungswidrigkeit; außer in den konkret verurteilten Städten schert sich jedoch kaum jemand darum. Zwischen München und Flensburg bestehen nach wie vor in den meisten Städten und Gemeinden gleichlautende Satzungen bzw. Gefahrenabwehrverordnungen, die die Grundlage für örtliche Repressionen bilden.

"Sicherheitsnetze" und "Ordnungspartnerschaften"

Am 2.2.1998 kam es zu einem Beschluss der Innenministerkonferenz, in dem eine denkwürdige große Koalition in Sachen "Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften" besiegelt wurde. Auf Initiative von Bundesinnenminister Kanther unterschrieben damals alle 16 Landes-Innenminister und -senatoren folgende Übereinkunft (Auszug):

"Die öffentliche Ordnung ist ein schützenswertes Gut. Im Rahmen des partnerschaftlichen Zusammenwirkens ist durch alle Beteiligten darauf zu achten, dass alltägliche stark belästigende Verhaltensweisen (....) differenziert und angemessen unterbunden sowie konsequent verfolgt werden. Das Überhandnehmen solcher Verhaltensweisen würde die subjektive Einstellung der Bürgerinnen und Bürger zur Sicherheit des Alltagslebens negativ prägen. Dem ist durch eine niedrigere Einschreitschwelle entgegenzuwirken."

Trotz Einbettung in moderate Formulierungen ist die Zielvorgabe für jeden mit der polizeilichen Terminologie Vertrauten klar: "konsequente Verfolgung - niedrige Einschreitschwelle".

Nicht die Grundrechte, nicht die Freiheit, nicht die Sicherheit, sondern die öffentliche Ordnung steht im Mittelpunkt der neuen Interventionsstrategien. Es geht eben nicht um Straftaten, Gewalt und Bedrohung - das "konsequente Einschreiten" gegen solche Erscheinungen gehörte und gehört schon immer selbstverständlich zum Berufsbild jedes Polizeibeamten. Es geht auch nicht um real existierende Sicherheitsprobleme, sondern um das diffuse Sicherheitsgefühl der Mehrheitsgesellschaft.

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In amtlichen Verlautbarungen verschmelzen Bundespolizei, Landespolizei, kommunale Ordnungskräfte und "Schwarze Sheriffs" immer häufiger zur generellen Bezeichnung "Sicherheitskräfte". Für die BürgerInnen wird immer undurchsichtiger, wer an welcher Stelle, auf welcher Rechtsgrundlage und für welchen Auftraggeber den Aufenthalt im öffentlichen Raum reglementiert.

Für die staatlichen Ordnungshüter forderte Bundesinnenminister Kanther in seiner Erklärung zur "Aktion Sicherheitsnetz" die "Schaffung modernster Polizeigesetze" in den Ländern. Mit "modern" sind u. a. weitergehende Eingriffsbefugnisse der Polizei gemeint, um langfristige und großräumige Aufenthaltsverbote und Freiheitsentziehungen für "Stadtstreicher- Punk- und Junkieszenen" anordnen zu können. Im niedersächsischen Polizeirecht ist bereits 1996 eine solche Verschärfung erfolgt ("lex chaos-Tage"), Berlin schuf im Frühjahr 1999 eine ähnliche Regelung. In anderen Bundesländern liegen entsprechende Novellierungen "in der Schublade".

Lokale Verdrängungkampagnen werden aber auch ohne spezielle gesetzliche Befugnis bereits vielerorts praktiziert und in rechtlich fragwürdiger Weise auf die sog. Generalklausel der Polizei- bzw. Ordnungsbehördengesetze gestützt.

Auch hier besteht aufgrund einer aktuellen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bremen die Hoffnung, dass die Rechtsprechung diese gravierenden Grundrechtseingriffe nicht mehr vorbehaltlos "absegnet". Das Gericht erkannte zwar entgegen kritischer Stimmen in der juristischen Fachliteratur die unspezifische Generalklausel des Polizeirechts als ausreichende Rechtsgrundlage für solche gravierenden Grundrechtseingriffe an, machte aber unmissverständlich deutlich, dass langfristige Aufenthaltsverbote Eingriffe in das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) darstellen, zu denen Polizei- und Ordnungsbehörden zumindest in einigen Bundesländern nicht berechtigt sind.

Unabhängig von den rechtlichen Bedenken sind die Vertreibungen per "Platzverweis" und "Aufenthaltsverbot" jedoch auch aus fachpraktischer Sicht ein äußerst fragwürdiges Unterfangen. Das häufig benutzte Schlagwort von der "Auflösung offener Drogenszenen" suggeriert, das mit entsprechenden Kampagnen Sucht und Kriminalität eliminiert werden. In aller Regel erzeugen Verdrängungskonzepte jedoch lediglich Scheinlösungen und stellen allenfalls das Behandeln von Symptomen dar. Durch Aufenthaltsverbote für "Junkies" wird weder ihre Drogenabhängigkeit noch ihre Beschaffungskriminalität beseitigt oder minimiert. Im Gegenteil werden durch eine "Atomisierung" der Szene sowohl die Kontrolle seitens der Polizei als auch der Zugang für Streetwork erschwert.

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Privatisierung des öffentlichen Raumes

Neben den "Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften", die sich flächendeckend über die Bundesrepublik ausbreiten, wird in Anlehung an amerikanische Vorbilder eine zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raumes betrieben. Einkaufszentren auf der "grünen Wiese" (z.B. Centro Oberhausen) aber auch Fußgängerpassagen in den Herzen der Innenstädte (z.B. Passarelle Hannover) werden nicht mehr dem öffentlichen (Fußgänger-)Verkehr gewidmet, sondern privatrechtlich organisiert. "Schwarze Sheriffs" sorgen per Hausrecht dafür, dass nur das in bezug auf Optik und Kaufkraft gewünschte Klientel die Konsummeilen betritt.

Was ist zu tun?

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer. Die Winner-Looser-Gesellschaft hat den Kampf um den öffentlichen Raum begonnen. Gibt es nur die Alternativen Vertreibung oder Verslumung? Wem gehört die Straße?

Es gibt keinen Königsweg. Aber es gibt Wege zwischen Aktionismus und laissez-faire. Dazu abschließend einige Grundüberlegungen für Konzeptionen im Schnittfeld von Sozialarbeit, Sicherheits- und Ordnungsrecht.

Umgang mit dem (Un-)Sicherheitsgefühl der Mehrheitsgesellschaft

Das Sicherheitsgefühl von Menschen determiniert ihr Bewusstsein und Verhalten. Ängste breiter Bevölkerungsteile sind daher sehr ernst zu nehmen. Man darf aber dabei nicht in Aktionismus verfallen und die Realität den Ängsten anpassen! Es muss im Gegenteil darum gehen, die Schere zwischen objektiv bestehender (Un-)Sicherheit und subjektiv wahrgenommener (Un-)Sicherheit zu minimieren. Es besteht hier das sog. Kriminalitäts-Furcht-Paradox: Salopp gesagt, fürchten sich die falschen Leute an den falschen Orten. Alte Frauen weisen die geringste Viktimisierungsrate bei Gewaltdelikten auf - und fürchten sich am meisten. Junge Männer haben demgegenüber nur vergleichsweise geringe Ängste, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten - sie sind jedoch die häufigsten Opfer von Gewalttaten (gleichzeitig stellen sie aber auch den größten Täteranteil!).

Es muss bei Konzeptionen für den öffentlichen Raum prinzipiell immer um beides gehen - die Stabilisierung bzw. Optimierung der objektiven und der subjektiven Sicherheitslage - im Kollisionsfalle muss jedoch der objektiven der Vorrang eingeräumt werden. Der gesetzliche Auftrag lautet nämlich Gefahrenabwehr und nicht Angsttherapie.

Analyse statt Aktionismus

Vor jeder Konzeption im öffentlichen Raum muss eine gründliche Bestandsaufnahme im Hinblick auf alle Faktoren erfolgen, die die Sicherheits- und Ordnungslage, aber auch die damit immer korrespondierende soziale Lage beeinflussen. Es ist also u. a. konkret zu fragen: "Wer gefährdet wo, wen, in welcher Qualität und Quantität? "Wer belästigt wo, wen, in welcher Qualität und Quantität? Wer ängstigt sich wo, vor wem und warum? Wie sieht die soziale Infrastruktur aus?"

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Eine solche Problemidentifizierung unter Beteiligung aller relevanten Gruppen (Behörden, freie Träger der Sozialarbeit, Kirchen, Schulen, Verbänden, Einzelhandel, Interessenvertretern der betroffenen Personengruppen, Parteien etc.) kann im übrigen nachhaltig von amerikanischen Erfahrungen profitieren. Community Policing (in seiner ursprünglichen Idee - nicht in der New Yorker Fassung!) basiert genau auf einer solchen Vorgehensweise.

Konzeptionen statt Kampagnen

Nach der Analysephase müssen möglichst zwischen allen Beteiligten konkrete Ziele vereinbart (nicht polizeilich oder ordnungsbehördlich angeordnet) werden. Vernetzung darf jedoch nicht zur Vermischung führen, Kooperation nicht zur Kollaboration! Sowenig die Polizei innerhalb integrativer Konzeptionen ihr strafprozessrechtliches Legalitätsprinzip verleugnen darf, dürfen soziale Träger ihre Anwaltsrolle für ihr Klientel vergessen. Wenn diese Rahmenbedingungen "abgesteckt" und wechselseitig akzeptiert werden, kann die gemeinsame "Schnittmenge" definiert werden - die je nach konkreter Problemlage unterschiedlich groß ausfallen wird.

"Kleine Schritte" statt "Großer Würfe"

Es gibt keine "einfachen Lösungen" beim Umgang mit den sozialen, ordnungs- und sicherheitsrelevanten Problemlagen auf unseren Straßen. Generell muss es um einen sozialverträglichen Umgang mit den nicht per Gesetz oder ordnungsbehördlicher Verordnung wegzudefinierenden Konflikten zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten gehen.

Ergibt die Problemanalyse, dass in bestimmten Bereichen einer Stadt unbegründete Angst vorherrscht, muss Aufklärung im Mittelpunkt stehen. Darüber hinaus kann die dosierte Steigerung der sichtbaren Präsenz der Polizei Ängste minimieren.

Liegen die Probleme in der zunehmenden Anonymisierung eines Innenstadtbereichs und der Abnahme informeller sozialer Kontrolle, müssen komplexe Überlegungen zur Wiederbelebung einer sozialen Infrastruktur angestellt werden.

Gibt es an einigen neuralgischen Punkten Häufungen konkreter Belästigungen, Bedrohungen und Übergriffe, sind Polizei und Ordnungsbehörde zur Steigerung ihrer Präsenz "vor Ort" verpflichtet, um durch angemessene Reaktionen die "Spielregeln" im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit zu überwachen.

Nicht Polarisierung und Ausgrenzung, sondern Integration; nicht einseitige Konfliktlösung durch Machtintervention, sondern differenziertes Konfliktmanagement sind die professionellen Herausforderungen an die Träger der Sozial- und Sicherheitsarbeit.

Zielbild darf nicht der Klassenkampf um den öffentlichen Raum, sondern muss die gewalt- und angstfreie Koexistenz aller Bevölkerungsgruppen sein.



Polizeidirektor Udo Behrendes ist Sprecher der "Polizeiseite" des Bonner Forums BürgerInnen und Polizei e.V..





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Übergeordnetes Thema:

Bürgerrechte/Innenpolitik
Innere (Un-) Sicherheit

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