Was die Ampel-Parteien versprochen hatten – und wo genau hingeschaut werden sollte

Friedenspolitische Perspektiven der neuen Bundesregierung

von Simon Bödecker
Hintergrund
Hintergrund

Friedenspolitische Perspektiven der neuen Bundesregierung
Was die Ampel-Parteien versprochen hatten – und wo genau hingeschaut werden sollte

Simon Bödecker

Es gehört zu den Spielregeln des politischen Geschäftes, dass nicht alles, was versprochen wurde, am Ende auch umgesetzt wird. Je nach Inhalt des Versprechens und politischer Einstellung sorgt dieser Umstand mal für Entsetzen – und mal für Erleichterung. Dennoch sollte die Zivilgesellschaft ein wachsames Auge haben, um im Zweifel mit Kampagnen- und Lobbyarbeit auf die Einhaltung wichtiger friedenspolitischer Zusagen zu pochen. Das gilt auch und insbesondere im Wahljahr 2021! Aber was haben die Ampel-Parteien vor der Wahl eigentlich genau versprochen?

Im Wahlkampf spielten außen- und friedenspolitische Fragen eine absolute Nebenrolle. Große Anstrengungen von Friedensorganisationen waren nötig, um so wichtige Zukunftsfragen wie das Atomwaffenverbot, die drohende Drohnenbewaffnung und die künftige Rüstungsexportpolitik überhaupt zum Thema zu machen. Zusätzlich konnte Ohne Rüstung Leben mit einer Analyse der Wahlprogramme und mit gezielten Wahlprüfstein-Fragen die friedenspolitischen Profile der Parteien analysieren und zusammenfassen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels (Anfang November 2021) begannen gerade die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, die Ampel-Koalition schien sehr wahrscheinlich. Im Folgenden werden daher die Versprechen und Positionen der Ampel-Parteien nebeneinandergestellt. Abzugleichen, welche Ankündigungen der Parteien es letztlich in den Koalitionsvertrag geschafft haben und wie viel davon übrigblieb, ist der Leserin oder dem Leser überlassen.

Rüstungsexportkontrolle: Beherrschendes Thema für die kommende Bundesregierung müsste eigentlich der Beschluss eines Rüstungsexportkontrollgesetzes sein – SPD und Grüne haben ein solches Gesetz explizit angekündigt, auch die FDP hat sich in der Vergangenheit positiv dazu geäußert. Offen ist die Frage, welche Inhalte es haben soll. Die Parteien lehnen Waffenexporte in Kriegs- und Krisengebiete ab, ein vollständiges Kleinwaffenexportverbot planen sie jedoch nicht. Und damit sind die wesentlichen Gemeinsamkeiten in der Ampel auch schon genannt. SPD und Grüne wollen sicherstellen, dass die künftige Rüstungsexportpolitik restriktiv und die Entscheidungskriterien für Rüstungsexporte verbindlich und nachvollziehbar sind. Die Grünen kündigten hierzu ein Verbandsklagerecht an, die SPD will dies erst prüfen. Die FDP hingegen fordert insbesondere eine „Harmonisierung der Rüstungsexportregeln in Europa“. Damit könnten jedoch im schlimmsten Fall die bestehenden Kriterien für deutsche Rüstungsexporte sogar aufgeweicht werden. Sollte das Rüstungsexportkontrollgesetz nicht zu einem zentralen Vorhaben der Ampel werden, wäre das angesichts der Versprechen der Parteien ein enormer Rückschritt. Die „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ hat während der Koalitionsverhandlungen noch einmal deutlich ihre Erwartungen an das Gesetz formuliert und die Umsetzung eingefordert.

Bewaffnete Drohnen:  Erhält die Bundeswehr bewaffnete Drohnen? Zunächst geht es in dieser Frage „nur“ darum, fünf geleaste Drohnen vom Typ Heron TP mit Luft-Boden-Raketen auszustatten. Die Entscheidung wird jedoch richtungsweisend sein mit Blick auf die Rüstungsprojekte Eurodrohne und FCAS. Die Haltung der FDP zu bewaffneten Drohnen ist eindeutig. Diese dienten „unmittelbar dem Schutz der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten in gefährlichen Einsatzgebieten“ und sollten daher schnellstmöglich beschafft werden. SPD und Grüne sind zurückhaltender, verweisen auf die Risiken und wollen zunächst mögliche Einsatzszenarien prüfen. Erstmals jedoch schließen selbst die Grünen eine Bewaffnung von Bundeswehr-Drohnen nicht mehr aus, was vor der Wahl für viel Protest sorgte. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn sich die Ampel auf die Anschaffung von bewaffneten Drohnen unter bestimmten Bedingungen einigt – als Zugeständnis an die FDP, das der eigenen Basis als Schutzmaßnahme für die Soldatinnen und Soldaten mit „strengen Einsatzkriterien“ und entsprechenden Kontrollen verkauft werden kann.

Militäretat und Friedensförderung: Erhöht Deutschland seine Militärausgaben wirklich auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes? Die Grünen bezeichnen das 2-Prozent-Ziel der NATO als unvernünftige Messgröße und lehnen es ab, wollen jedoch gleichzeitig die „bestmögliche“ Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten. Auch die SPD schlägt in diese Kerbe, verweist mit Stolz auf den eigenen Beitrag zu den zuletzt gestiegenen Rüstungsausgaben und bekennt sich zu einer „fairen Lastenteilung“ in der NATO. Die FDP schließlich trägt das 2-Prozent-Ziel der NATO in vollem Umfang mit. Bei der aktuellen Haushaltslage ist eine verbindliche Festlegung auf das 2-Prozent-Ziel zwar kaum vorstellbar – eine Senkung der Militärausgaben scheint allerdings ebenfalls in weiter Ferne. Hierfür sind wohl noch große Anstrengungen der Zivilgesellschaft nötig.

Interessant wird die Frage nach einer stärkeren Förderung und einem Ausbau von Strukturen und Maßnahmen für  Friedensförderung und zivile Konfliktbearbeitung. Die FDP setzt hier auf den „Vernetzten Ansatz“, der Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik verbindet, und will entsprechend drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in „Verteidigung, Entwicklung und Diplomatie“ investieren. Dieser Ansatz birgt u.a. die große Gefahr, dass zivile Krisenprävention dem Ziel „nationaler Sicherheit“ untergeordnet wird. SPD und Grüne hingegen bekennen sich zum Primat des Zivilen und wollen zivile Maßnahmen der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung durch die bessere Finanzierung entsprechender Programme und Institutionen langfristig sichern und ausbauen. Die Grünen wollen zudem die "Menschliche Sicherheit" in den Fokus der Sicherheitspolitik rücken. Um diese unverbindlichen Bekundungen zügig umsetzbar zu machen, schlägt das „Forum Ziviler Friedensdienst“ (forumZFD) einen planvollen Ausbau des Zivilen Friedensdienstes mit 10 Millionen Euro mehr pro Jahr vor. Daran muss sich die Ampel messen lassen.

Aufarbeitung des Afghanistan-Desasters: In ihrem Sondierungspapier haben die Ampel-Parteien festgehalten, dass sie „die Evakuierungsmission des Afghanistan-Einsatzes in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufarbeiten“ und den „Gesamteinsatz in einer Enquete mit wissenschaftlicher Expertise evaluieren“ wollen. Die Erkenntnisse daraus müssten „in die Gestaltung zukünftiger deutscher Auslandseinsätze einfließen“. Dieses Vorhaben wurde aus der Zivilgesellschaft verhalten positiv aufgenommen. Einerseits ist eine ehrliche Aufarbeitung des Afghanistan-Krieges dringend nötig, andererseits jedoch fehlt eine fortlaufende, von unabhängigen Fachleuten durchgeführte Evaluierung aller Auslandseinsätze – derzeit insbesondere dem in Mali. Zudem ist völlig offen, wie die künftige Bundesregierung mit den Ergebnissen der Evaluierung umgehen wird: Geht es nur darum, „bessere“ Militäreinsätze zu erreichen? Oder wird die Regierung im Zweifel bereit sein, die bisherige, militärbasierte Sicherheitspolitik in Frage zu stellen und zivile Instrumente der Konfliktbearbeitung und Krisenprävention ins Zentrum der Außen- und Sicherheitspolitik zu stellen?

Atomare Abrüstung: Bei den US-Atomwaffen in Deutschland sind die Differenzen innerhalb der Ampel so stark wie in kaum einer anderen friedenspolitischen Frage. Und der Druck für eine Einigung ist groß: In der kommenden Legislaturperiode muss die Bundesregierung sich zum UN-Atomwaffenverbot positionieren und eine Entscheidung darüber herbeiführen, ob die Nachfolger des Tornado-Kampfflugzeugs noch atomwaffenfähig sein sollen. Die Grünen sprechen sich für ein Ende der nuklearen Teilhabe und einen Beitritt zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) aus – allerdings mit der Einschränkung, dass die Umsetzung von (erfolgreichen) Verhandlungen mit den NATO-Bündnispartnern abhänge. Die SPD lehnt einen Beitritt zum AVV zwar ab, will jedoch seine Intentionen unterstützen – zunächst mit einem Beobachterstatus bei der ersten Staatenkonferenz 2022 in Wien. Gleichzeitig kündigt sie eine umfassende politische Debatte über die nukleare Teilhabe an, bevor über neue Atomwaffen-Trägerflugzeuge entschieden werden könne. Die FDP schließlich will dem AVV nur beitreten, wenn dies „als gemeinsame Entscheidung der NATO-Partner erfolgen kann“ – ein völlig unrealistisches Szenario. Folglich ist sie eindeutig für einen Beibehalt der nuklearen Teilhabe und für die Beschaffung neuer atomwaffenfähiger Bundeswehr-Flugzeuge. Es kann mit Spannung erwartet werden, ob es der Ampel gelingt, ihre inneren Gegensätze in dieser weltweit beobachteten Frage aufzulösen. Zu erwarten ist in jedem Fall ein Bekenntnis zum Ziel einer atomwaffenfreien Welt – bliebe es nur dabei, wäre das jedoch eine Bankrotterklärung. Eventuell ist auch der Beobachterstatus bei der AVV-Staatenkonferenz in Wien umsetzbar. Völlig offen ist derzeit die Frage der Tornado-Nachfolge. Es gibt also weiterhin viel zu tun für die deutschen ICAN-Partner und die Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“.

Mit der Aktionspostkarte „Wort halten. Mitgestalten. Atomwaffen verbieten“, die Ohne Rüstung Leben gemeinsam mit weiteren Organisationen anbietet, können Sie jetzt die Parteien an ihre Versprechen erinnern und fordern, dass den Worten auch Taten folgen. Konkret erwarten wir von SPD und Grünen, tatsächlich eine deutsche Delegation mit Beobachterstatus zur AVV-Staatenkonferenz in Wien zu senden und Verhandlungen zu starten, mit dem Ziel, die letzten Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen und dem UN-Atomwaffenverbot beizutreten. Aktionspostkarten können Sie kostenlos bestellen unter www.ohne-ruestung-leben.de/mitmachen.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund
Simon Bödecker koordiniert als hauptamtlicher Mitarbeiter die Öffentlichkeitsarbeit von Ohne Rüstung Leben und ist verantwortlicher Redakteur der Website unter www.ohne-ruestung-leben.de.