Buchbesprechung

„Hiroshima – Menschen nach dem Atomkrieg“

von Marvin Mendyka

Von der pazifischen Insel Tinian starteten am Morgen des 6. August 1945 sieben Bomber. Darunter die „Enola Gay“, ausgestattet mit der Atombombe „Little Boy“. 3 Meter Länge, 70 Zentimeter im Durchmesser, 4 Tonen schwer - Die Bombe besitzt eine Sprengkraft von etwa 13 Kilotonnen. Um 8:15 Uhr erfolgte der Abwurf der Bombe in einer Höhe von ca. 10.000 Metern. 43 Sekunden später explodierte sie 580 Meter über der japanischen Stadt Hiroshima. 92.000 Menschen sterben sofort bei den Angriffen auf Hiroshima und Nagasaki.

Elke und Jannes Kazuomi Tashiro veröffentlichten 1982 das Buch „Hiroshima - Menschen nach dem Atomkrieg“. Darin schildern die AutorInnen anhand zahlreicher Zeugnisse und Augenzeugenberichte das Leid der Überlebenden und ihrer Nachkommen.

Die Atombombe wird abgeworfen
„Der Himmel verschwindet hinter dem glutweißen Licht eines Feuerballs. Seine Temperatur entspricht in diesem Moment der Oberfläche der Sonne. Tosendes Brüllen begleitet die sich ausbreitende Druckwelle. Sekunden später erhebt sich eine pilzförmige Rauchwolke von 90.000 Metern Höhe.“ So beschreiben die AutorInnen die Explosion der Atombombe über Hiroshima. „In einem Umkreis bis zu 3,5 Kilometern Entfernung trugen sie [die Menschen im Freien, Anm. d. Autors] Verbrennungen davon, Verbrennungen der Haut und Haare oder, wenn sie in den Lichtblitz geschaut hatten, Verbrennungen der Netzhaut.“

Das Ausmaß der Schäden ist kaum vorstellbar. „Kleidung und (...) Holzhäuser fingen dort augenblicklich Feuer.“ 80% der Häuser der Stadt gingen in Flammen auf. Der Druck der Explosion schleudert Menschen durch die Luft, ließ die Augen aus ihren Höhlen treten und führte noch im Umkreis von vielen Kilometern zu Trommelfellverletzungen.

Eine Augenzeugin, die die Explosion über Hiroshima aus 18 Kilometern Entfernung miterlebte, berichtet: „Erstarrt vor Schreck blickte ich zum Himmel und sah eine wellig aufsteigende, unheimliche Wolke, wie ich sie nie zuvor gesehen hatte.“ In Panik machte sie sich auf nach Hiroshima, um Angehörige zu finden. „Fünf Stunden, nachdem ich das Haus meiner Schwester verlassen hatte, kam ich in die Stadt. Sie war überall ein Flammenmeer. (…) Alle Straßen waren von Leichen und Verletzten verstopft. (…) Den Sterbenden gab ich Wasser aus meiner Flasche. Eine Frau war darunter, die meiner jüngeren Schwester ähnlich sah. Ich rief ihren Namen, aber sie konnte nichts mehr sagen – sie schüttelte ein wenig den Kopf und starb.“

Nur eines von unzähligen Schicksalen, die in dem Buch wiedergegeben werden. Insgesamt hielten sich in Hiroshima ungefähr 400.000 Menschen zum Zeitpunkt der Explosion auf. In Nagasaki, auf das am 9. August die zweite Bombe „Fat Man“ abgeworfen wurde, waren es etwa 360.000 Menschen.

Die folgenden Wochen
Neben den unzähligen Toten durch die unmittelbaren Folgen der Explosion stellte die Radioaktivität im Atomkrieg eine bis dato völlig neue Dimension dar. Durch die Strahlenkrankheit starben im folgenden Jahr annähernd so viele Menschen wie am 6. bzw. 9. August 1945 durch die direkten Folgen.

Menschen, die glaubten der Katastrophe mit leichten Verletzungen entronnen zu sein, erkrankten innerhalb der nächsten Tage und Wochen.

„Sie litten unter Durst, Übelkeit und Erbrechen, lähmenden Schwächegefühl“, heißt es an einer Stelle. „Einige Tage später stellten sich, neben Fieber und Durchfall, durch die radioaktive Zerstörung ihrer blutbildenden Gewebe auch Zeichen für das Versagen ihres Blutgerinnungssystems ein: Bluthusten, Bluterbrechen, unstillbare Blutungen aus Nase und Mund, Blutungen aus Scheide und Darm, Blut im Urin.“

Durch die erschütternden Berichte von Opfern rücken die nüchternen Beschreibungen der medizinischen Folgen in greifbare Nähe des Lesers. Ein damals zehnjähriges Kind berichtet vom Tod seines Bruders durch die Strahlenkrankheit: „In der Stunde vor seinem Tod wand er sich hin und her, drehte vor Schmerz den Kopf von einer auf die andere Seite. Ich konnte es kaum ertragen, bei ihm zu bleiben. Ich sah ihn so etwas herauswürgen wie die Innereien von einem großen Fisch oder Blutklumpen ..., es war so qualvoll. Dann starb er. Da hatte er kein Haar mehr auf dem Kopf, sondern eine totale Glatze ... Es war am 25. August morgens um zwei Uhr ... Er war 14 Jahre alt.“

Hibakusha: Die Überlebenden der Atombombenabwürfe
Hibakusha werden in Japan die Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki genannt. „Manche Kinder kamen aus der Evakuierung zurück – sie waren glücklich, Familienangehörige lebend vorzufinden – und mussten dann miterleben, wie diese nach und nach alle an Strahlenkrankheit starben.“ Anders als bei Überlebenden anderer Katastrophen (genannt Seizonsha = Überlebender oder Higaisha = Opfer) wird das Leben durch die Folgeschäden unvergleichlich tiefer beeinflusst, denn „die Auswirkungen einer Atomwaffe beziehen die Zukunft in die Zerstörung mit ein“.

Neben körperlichen Beeinträchtigungen (Blutkrankheiten, Krebs, ...) waren und sind Hibakusha von Ausgrenzung betroffen. Durch die Zurückhaltung von Informationen durch die Zensurbehörde der Besatzungsmacht – selbst in medizinischen Fachzeitschriften  – entwickelten sich schnell Gerüchte über sie. Man erkannte sie u.a. an der wuchernden Narbenbildung. „Sie trügen etwas Unheimliches in sich, (…) seien schwach, krank und könnten plötzlich sterben, (…) auf jeden Fall sollte man sie wohl besser meiden ...“.

Fazit
Das Buch „Hiroshima – Menschen nach dem Atomkrieg“, erschienen bei dtv (ISBN 978-342 310 0984), schildert anhand seiner zahlreichen Augenzeugenberichte das enorme Leid, welches mit den Bombenabwürfen auf Japan in die Welt kam. Auch 33 Jahre nach seinem Erscheinen ist es äußerst lesenswert. Leider ist es im Buchhandel nicht mehr erhältlich, jedoch gibt es über das Internet noch zahlreiche Möglichkeiten, das Buch gebraucht zu beziehen.

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Referent für Social-Media und Öffentlichkeitsarbeit beim Netzwerk Friedenskooperative.