Komitee für Grundrechte
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Asyl ist Menschenrecht!

Jedermann hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.
(Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948)


Machen wir den Tag der Menschenrechte zu einem Protesttag für das unverkürzte Asylrecht.Wir rufen dazu auf, am 10. Dezember 1997 im Arbeitsalltag zu erkennen zu geben, daß wir gegen die asylfeindliche Politik opponieren und am Menschenrecht auf Asyl festhalten.

Seit dem 1.7.1993 gilt das neue deutsche Asylrecht. Der "Asylkompromiß" von CDU/CSU, SPD und FDP hat den bis dahin geltenden Art. 16 Abs. 2 GG bis zur Unkenntlichkeit verändert. Der grundgesetzlich garantierte Anspruch von Flüchtlingen auf Schutz wurde systematisch entsorgt. Verwaltung, Justiz, Polizei und BGS verwirklichten schnell diese Intention des Gesetzgebers und trugen übereifrig ihren je spezifischen Teil zur weitreichenden Aushöhlung des Grundrechts bei. Heute müssen wir bilanzieren: die alltägliche Realität übertrifft noch die Befürchtungen, die anläßlich des "Asylkompromisses" gehegt werden mußten.

Allen Bemühungen zahlreicher Engagierter zum Trotz scheint die Skala der organisierten Demütigung von Asylsuchenden nach oben offen. Als schlimme Folge dieser beständigen Eskalation von Unmenschlichkeiten gewöhnt man sich in Erwartung neuer Schrecken an den jeweils aktuellen Zustand. Es gibt seit Juli 1993 keinen einzigen Grund, sich mit dem asylpolitischen status quo zufriedenzugeben.

Dasgeltende Asylrecht soll Deutschland vor Flüchtlingen schützen, nicht aber die Flüchtlinge vor Verfolgung.

Der damalige Bundestagsbeschluß war so gesehen nur ein - allerdings vorläufiger - Schlußstrich unter eine von den Rechtsauslegern derbürgerlichen Parteien initiierte Diskussion, in der Ausländerfeindlichkeit politisch wieder hoffähig gemacht wurde. Flüchtlinge wurden "Scheinasylanten" genannt, Menschlichkeit "Humanitätsduselei".

Die bloße Inanspruchnahme von Grundrechten wurde zum "Mißbrauch" deklariert. Grundrechte waren nicht mehr Gebot, sondern bestenfalls ein Gnadenakt. Angesichts umfassender Fluchtbewegungen, die - mitverursacht durch die Globalpolitik der G 7-Staaten - zum großen Teil außerhalb Europas verbleiben, hier aber als unüberschaubare Bedrohung bezeichnet werden, wurde mit der Abschaffung des alten Asylrechts nach innen und außen deutlich gemacht: "Wer nach Deutschland kommt, bestimmen wir. Grundrechte und Mitleid sind nicht mehr angebracht."

Diese mittlerweile in zahllose Gesetze, Verordnungen und Erlasse gegossene Politik wird täglich exekutiert: von der Grenzpolizei, von den Ausländerbehörden und - mit wenigen Ausnahmen - von Gerichten. Das Bundesverfassungsgericht hat im Mai 1996 allen vorliegenden Klagen eine Abfuhr erteilt und damit die Praxis insgesamt gedeckt. Die Rechtswegegarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) ist faktisch außer Kraft gesetzt. Ein Sondergesetz wie das Asylbewerberleistungsgesetz unterwirft eine bestimmte Gruppe von Menschen einer entwürdigenden Sonderbehandlung und stigmatisiert sie zu unerwünschten Personen. Aus diesem Katalog der Unmenschlichkeiten hebt sich noch ein besonderer Skandal ab: die Abschiebehaft. Menschen, die nichts weiter getan haben, als in Deutschland Asyl oder Schutz vor Bürgerkriegen, wie beispielsweise im ehemaligen Jugoslawien, zu suchen und denen unterstellt wird, sich der Abschiebung zu entziehen, werden wie Schwerverbrecher zum Zweck ihrer Abschiebung eingegittert. Obwohl diese Praxis in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig ist, bleibt sie Bestandteil deutscher Asylpolitik.

Die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik ist ein Mittel zur systematischen Abschottung derreichen Welt vor den Ansprüchen der Armen. Dieses wird nirgendwo so deutlich wie an der deutschen Ostgrenze. Sie hat - weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit - längst die Hermetik altbekannter Demarkationslinien erreicht. Mit gewaltigem Personal- und Technikeinsatz und fast militärischer Ausrüstung soll die Bundesrepublik - und damit auch das europäische Hinterland - vor unerwünschtem Zutritt geschützt werden. Genauso wie spanisches Militär die Strände bei Gibraltar oder die amerikanische Grenzpolizei den Wüstenstreifen vor Mexiko verteidigen, so trägt auch die Bundesrepublik Deutschland ihren Anteil zu der Verteidigung eines ungerechten, aber höchstprofitablen Weltwirtschaftssystems bei. Seit Anfang der 90er Jahre haben allein die europäischen Staaten sich diesen Schutz etwa 4 Milliarden DM kosten lassen. Mehr als 800 Flüchtlinge bezahlten das mit ihrem Leben.

Doch es kommen weiterhin Flüchtlinge nach EU-Europa. Dieselben kommen nur häufiger als früher heimlich und halten sich dann illegal in den jeweiligen Ländern auf. Im gesamten EU-Europa leben ca. 4 Millionen Flüchtlinge auf diese Weise. Weniger als von der Bundesregierung behauptet hat die Asylrechtsänderung etwas an der Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge geändert. Seit 1993 stellen manche Flüchtlinge lediglich keinen Asylantrag mehr, wenn sie nach Deutschland kommen. Sie suchen nach Nischen des Überlebens und sind auf jedes Angebot" von Gelderwerb und Unterstützung angewiesen. So sind diese Flüchtlinge ungeachtet ihres nicht legalen Aufenthalts eng verwoben mit der Gesellschaft, in der sie nicht erscheinen dürfen. Seitens der deutschen Politik wird diese Menschengruppe einerseits noch wie in einer Grauzone toleriert. Andererseits aber machen Razzien, willkürliche Kontrollen und Herausgreifen ausländisch aussehender Menschen deutlich, wie die Zukunft aussehen wird. So dienen diese Flüchtlinge als Projektionsfläche von Ausländerhaß und Rassismus. An ihnen läßt sich die Verletzung und Abschaffung von Grundrechten offensichtlich besonders gut" durchsetzen. Das trifft parallel und zunehmend auch andere Bevölkerungsgruppen: Obdachlose, Arme, Jugendlichemit anderem Aussehen.

Heute, mehr als vier Jahre nach dem "Asylkompromiß", ist absehbar, in welchem Ausmaß "diese Grundgesetzänderung greift" und was dieselbe weiterhin bewirken wird: eine Gesellschaft, die nicht mehr auf Integration setzt, sondern auf Aussonderung und Diskriminierung. Grundrechte können beinahe willkürlich zur Disposition gestellt werden. Wer seine Rechte einklagt, macht sich verdächtig: wer in der Bundesrepublik zu leben verdient, hat das nämlich nicht nötig. Wer es dennoch tut, mißbraucht sein Recht. Diese perfide Stimmungsmache war und ist politisch gesteuert und in ihrer Wirkung gewollt. Sie führt in eine Gesellschaft, in der Demokratie und Solidarität stören. Sie trifft alle, die sich diesem Druck nicht anpassen wollen oder können, zuerst - wie immer - die Schwächsten.

Weil Grund- und Menschenrechte, regierungsamtlich und mehrheitsparlamentarisch erwünscht, täglich von bundesdeutschen Behörden und ihren Vertretern verletztwerden - bei den Asylsuchenden heben diese Verletzungen an -, rufen wir alle Institutionen und ihre Vertreterinnen und Vertreter, ihre Arbeiter und Arbeiterinnen, Angestellten und Beamten und Beamtinnen, die die Grund- und Menschenrechte auch in ihrem eigenen Interesse ernstnehmen, dazu auf, sich diesen Verletzungen erkenntlich zu widersetzen. Insbesondere am Tag der Menschenrechte, am 10. Dezember dieses Jahres sollten alle in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen zu erkennen geben, daß sie diese asylfeindliche Politik, diese Politik, die immer zuerst sozialstaatlich und polizeilich repressiv die Ärmsten der Armen trifft, nicht mitmachen. Wenigstens eine Stunde des Schulunterrichts sollte an diesem Tag zur Information über die Lage des Asylrechts und seiner Praxis in dieser Republik gewidmet sein. Vorlesungen im Rahmen der Universität sollten darauf aufmerksam machen und sonstige Normalität unterbrechen. Kirchliche Verkündigungen und Diskussionen sollten sich der Lage der Asylsuchenden, genauer der in diesem Lande geltenden oder nicht geltenden Grund- und Menschenrechte widmen. Wohlfahrtsverbände, Beratungsstellen, Institutionen aller couleur und Arbeitsrichtung sollten an diesem Tagihre Arbeit zeitweilig zur Diskussion um Asylrecht und Asylpraxis umfunktionieren auch und gerade, indem sie Gegenstimmen ernstnehmen. In diesem Sinne sollte dieser Tag inmitten der Berufe und ihrer Arbeit genutzt werden, um ein Zeichen zusetzen, daß die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in ihren Berufsrollen die unmittelbare Geltung der Menschenrechte ernstnehmen, auch indem sie anders Denkende zu überzeugen suchen. Keine dogmatischen Teach-ins sind angemessen. Der Zustand des Asylrechts und der davon symptomatisch gekennzeichnete grundrechtsfaule Zustand des Staats der Bundesrepublik müssen jedoch gegenwärtig und gemeinsam erinnert werden.

Am 10. Dezember 1997 werden wir im Rahmen unserer alltäglichen Arbeit auf die ständige Verletzung des Menschenrechts auf Asyl aufmerksam machen:

ErstunterzeichnerInnen: Arbeitskreis der Stadt Wedel gegen Ausländerfeindlichkeit (c/o Konrad Lübbert), Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen (c/o Marei Pelzer, Freiburg), Andreas Buro (Grävenwiesbach), Theo Christiansen (Hamburg), Helga Dieter (Frankfurt), Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen der Fachhochschule Magdeburg, Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (Berlin), Pastor Helmut Frenz (Flüchtlingsbeauftragter, Hamburg), Ursula Ganßauge (Darmstadt), Harald Glöde (Berlin), Peter Grottian (Berlin), Ulrich Hahn (Villingen), Wolfgang Hertle (Hamburg), Hans-Dieter Hüsch (Köln), Hubertus Janssen (Limburg), Dr. Wolf-Dieter Just (Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche", Mülheim a.d. Ruhr), Elisa Kauffeld (Sillenstede), Heiko Kauffmann (Sprecher von PRO ASYL, Mülheim), Prof. Dr. Gernot Koneffke (Modautal), Ingrid Lowin (Düsseldorf), Konrad Lübbert (Präsident des Versöhnungsbundes, Uetersen), Volker Mergner (Frankfurt), Wolf-Dieter Narr (Berlin), Dr. Ute Osterkamp (Berlin), Jörg Passoth (Berlin), Dr. Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung, München), Roland Roth (Berlin), Prof. Horst-Eberhard Richter (Gießen), RA Claus Rosenkranz (Berlin), Prof. Dr. Albert Scherr (Darmstadt), Martin Singe (Bonn), Dorothee Sölle (Hamburg), Eckart Spoo (Hannover), Elke Steven (Köln), Hanne und Klaus Vack (Sensbachtal), Edgar Weick, (Liederbach)



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