Komitee für Grundrechte
und Demokratie



INFORMA-
TIONEN 2001


 voriger

 nächster

INFORMATIONEN - Komitee-Rundbriefe 2001

 Informationen 4/2001 - September

Genua 2001

Elke Steven

Mit Entsetzen mußte man die Berichte über den politischen und polizeilichen Umgang mit den Protesten gegen den G7/G8-Gipfel in Genua verfolgen. Nach und nach erst wurde das ganze Ausmaß des undemokratischen, rechtsstaatswidrigen und die Menschenrechte mißachtenden Umgangs mit Kritikern der globalen, die Macht der wenigen und die eigenen Wirtschaftsinteressen absichernden Politik der größten und mächtigsten Staaten enthüllt.

Der Protest gegen diese Weltwirtschaftspolitik ist alt, älter auch als die Bezugnahme auf Seattle deutlich macht. Auch wenn die Quantität und Internationalität des Protestes seitdem eine andere Dimension erreicht hat. Als im Juni 1999 die Sitzung des Europäischen Rats und der G7/G8-Gipfelin Köln stattfanden, organisierte das Komitee Demonstrationsbeobachtungen. Klein war die Gruppe der Protestierenden im Verhältnis zu dem machtvollen Protest in Seattle im Dezember 1999 und in Genua im Juli 2001. Aber auch damals waren Abschreckung, Androhung des Einsatzes der ganzen Härte der polizeilichen Möglichkeiten, Drohungen und die vorauseilende Besetzung der Stadt durch die Polizei die wesentlichen Mittel des Umgangs mit den Protesten. Auch hier gab es ungerechtfertigte Ingewahrsamnahmen, unverhältnimäßiges Einschließen eines Teils des Demonstrationszuges. Angesichts der Schilderungen aus Genua könnte man jedoch über diese sublimeren Formen der Gewaltanwendung fast froh sein. Die Kölner Polizei hatte sich zur Aufgabe gemacht, sich abzugrenzen von dem Vorgehen der bayerischen Polizei anläßlich des Weltwirtschaftsgipfels 1992 in München, bei dem die Ordnungsmacht brutal auf Demonstranten einprügelte. Von Polizeifestspielen war nachher die Rede.

Wie üblich - ist man versucht zu sagen - begann die Diffamierung des Protestes von Genua und die Einschüchterung potentieller Demonstrierender schon früh. Mit der völlig unzulänglichen Bezeichnung "Globalisierungsgegner" fängt es schon an. Diese scheinen von gestern zu sein, rückwärtsgewandt den einzig möglichen Weg der Globalisierung der Zusammenarbeit zu leugnen. Als Streiter für eine Globalisierung von unten lassen sie sich treffender kennzeichnen. Würde man schonin der Bezeichnung akzeptieren, daß hier eine vielfältige, auch widersprüchliche und teilweise mehr Fragen aufwerfende als Antworten gebende, massive Kritik an der herrschenden Politik der Mächtigen geübt wird, dann müßte man sich mit dieser Kritik auseinandersetzen. Die notwendige Auseinandersetzung mit der Kritik geschieht jedoch nicht, indem Schröder und Co jetzt, nach den Ereignissen von Genua und einem Zulauf zu den Protestbewegungen, diese umarmend erdrücken, ihre Ziele scheinbar zu den eigenen machen und ansonsten glauben, so weitermachen zu können wie bisher.

Bundesdeutsch wurden Grundrechte schon ausgehebelt, bevor es überhaupt zu den Protesten in Genua kommen konnte. Mit Hausbesuchen, Ausreiseverboten und Meldeauflagen geht die Polizei schon seit der Änderung des Paßgesetzes 2000 gegen vermutete Fußball-Hooligans vor. Eigens für diese Gruppe war das Gesetz geändert worden. Schnell wurden nun neue Gruppen gefunden, auf die dieses Gesetz klammheimlich ausgedehnt wurde. Im Juni 2001 erhielten die ersten Bürger polizeiliche Meldeauflagen, weil ein Castor-Transport durch die Bundesrepublik Deutschland rollen sollte. Und dann ging
s gleich so weiter. Ausreiseverbote und Meldeauflagen erhielten für die Zeit der Proteste in Genua eine ganze Menge Bundesbürger. Manche erfuhren erst an der Grenze, daß für sie die in der EU garantierte Freizügigkeit aufgehoben sei: Ausreiseverbot. Freizügigkeit nur noch für Waren, nicht für Menschen. So wurde nach und nach deutlich, welche Folgen die Einrichtung der im November 2000 beschlossenen Errichtung neuer Dateien "Gewalttäter Rechts" und "Gewalttäter Links" beim Bundeskriminalamt hat. Um in diese Dateien aufgenommen zu werden, bedarf es keiner strafrechtlichen Verurteilungen. Allein eine Feststellung der Personalien reicht als Grundlage aus. Und so konnte man nach und nach die vielen Geschichten derer hören, die irgendwann - und dies kann Jahrezurückliegen - an einer Demonstration teilgenommen haben und deren Personalien festgestellt wurden. Der Sinn der sich häufenden Einkesselungen von Demonstrierenden mit Personalienfeststellungen enthüllt sich hier. Der Verdacht, daß sie in Genua demonstrieren wollten, lag nahe, und so reichte tatsächlich dieser Verdacht - und nicht der, gewalttätig werden zu wollen - zur Einschränkung der Grundrechte aus. Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit, Recht auf Assoziation, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, all diese Rechte gelten angesichts einer globalen Wirtschaftsmachtpolitik nichts.

Die Berichte über die Eskalationspraxis der italienischen Polizei konnte man nur noch schockiert verfolgen. Angefangen von der generellen Verunglimpfung des Protestes als gewaltbereit, über die Festnahme einiger deutscher Frauen, die - haltlos - in die Nähe von Terroristinnen gerückt wurden bis hin zur bekannten Stilisierung des Schwarzen Blocks als gemeingefährliche Chaotengruppe und der Zusammenarbeit der Polizei mit italienischen Neofaschisten. Nachrichten ist nicht zu trauen. Glaubhafte Berichte bezeugen, daß gegen diejenigen, die außerhalb der Innenstadt Genuas Krawall machten, polizeilich nicht vorgegangen wurde. Eher noch wurden solche Gruppen in die friedliche Demonstration hineingetrieben. So schafft man Eskalation und die Möglichkeit, mit Gewalt gegen friedlich Demonstrierende vorzugehen. Viele der Gefangenen - noch immer sitzen Anfang September einige wenige in italienischen Gefängnissen - sind jedoch erst nach Abschluß der Demonstrationen festgenommen worden. Die Stürmung der Schule, in der viele übernachteten, offenbarte unfaßbaren Haßund Gewalt auf Seiten der Polizei. Die Berichte der Überfallenen und anderer Gefangener über ihre Erfahrungen mit der Polizeigewalt und in der Haft sind schier unglaublich für einen demokratischen Rechtsstaat. Nicht umsonst wurde von "chilenischen Verhältnissen" gesprochen. Viele der beschriebenen Praktiken von Gewalt und Demütigung können nur als Folter bezeichnet werden. In einigen Medien konnten die Gefangenen inzwischen selbst berichten. Es ist zu hoffen, daß sie noch vielfältige Möglichkeiten nutzen können, über die Vorgänge aufzuklären.

Um einen Toten - Carlo Guiliani - ist zu trauern. Es ist zu hoffen, daß die Umstände seines Todes gründlich aufgeklärt werden - wenn auch zu befürchten ist, daß die Hintergründe, die den polizeilichen Todesschuß möglich machten, nicht vollständig aufgeklärt werden. Zu recht erinnert WRI (War Resisters` International) jedoch auch daran, daß dieser erste Tote, den der reiche Westen beklagt, nicht der ersteim Zusammenhang der Proteste gegen die Armut verursachende und die Welt ausbeutende Wirtschaft ist. Mindestens vier Anti-Globalisierungs-DemonstrantInnen wurden während einer Demonstration in Port Moresby in Papua-Neu Guinea am 25./26. Juni erschossen.

Militarisierung geht einher mit der Globalisierung und dient der Absicherung der bestehenden Verhältnisse. Geschaffen werden die Fluchtursachen, die zur immer weiteren Abschottung und zu immer rigideren Grenzkontrollen führen. Die Toten sind ungezählt.

Welche Konsequenzen sind aus diesen Erfahrungen zu ziehen? Jedenfalls völlig andere als die, die Politiker daraus zu ziehen gewillt sind. Der Ruf nach noch größerer Kontrolle, nach Aufbau von noch weitergehenden Überwachungsmöglichkeiten, nach intensiverer Zusammenarbeit der Polizeibehörden, die Verlegung von Konferenzen in undemokratische Staaten - damit belegen die Politiker nur ihre zutiefst undemokratische Haltung. Radikale Demokratisierung, Kontrolle des Staates und seiner Organe durch den Bürger und die Bürgerin, Entmilitarisierung sind die Wege, die beschritten werden müssen. "Nur mit mehr gelebter Demokratie werden die europäischen und die weltweiten Probleme allein und besser zu lösen sein. Transparenz und nachvollziehbare Willensbildung und Entscheidungsfindung auf europäischer und globaler Ebene stehen als Nr. 1 auf der Tagesordnung." So schließt eine Presseerklärung der Humanistischen Union, der Internationalen Liga für Menschenrechte und des Komitees für Grundrechte und Demokratie vom 22. Juli 2001 zu den Vorgängen in Genua.



E-Mail: info@grundrechtekomitee.de
 voriger

 nächster




       
Bereich:

Komitee
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
            
Netzwerk  Themen   FriedensForum Ex-Jugo Termine   Aktuelles