Komitee für Grundrechte
und Demokratie



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INFORMATIONEN - Komitee-Rundbriefe 2001

 Informationen 4/2001 - September

"Ferien vom Krieg" - mitten im Krieg!

Kinderfreizeiten in Mazedonien

Helga Dieter

Von Ende Juni bis Anfang September erholen sich auch diesen Sommer wieder mehr als 1500 Kinder aus allen Kriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawien an vier Orten am Mittelmeer.

Glüchlicherweise ist es auch in diesem Sommer gelungen, trotzder kriegerischen Lage vier Freizeiten mit Kindern aus allen Bevölkerungsgruppen in Mazedonien zu veranstalten. Als ich Ende Juli nach Ohrid kam, tanzten albanische, slawische, serbische, türkische und Roma-Kinder Arm in Arm im Kreis. Am nächsten Morgen glitten sie jauchzend über eine Rutsche in den Ohrid-See.

Die Koordinatorin dieser Freizeiten, Ellen Glissmann, hat in Zusammenarbeit mit der Kinderbotschaft in Skopje und Amica Gostivar die Kinder ausgewählt. Einige kommen aus einem Dorf im Kampfgebiet (Romanovce), dessen Bewohner sich nicht durch die nationalistische Propaganda beider Seiten auseinander bringen ließen. Als Symbol dafür kamen die albanischen, slawischen und türkischen Kinder gemeinsam nach Ohrid. Einige Kinder wurden vor ca. 6 Wochen aus Araschinovo von der UÇK vertrieben und wurden nun in Sichtweite ihrer Häuser in Schulen in Skopje untergebracht. Aus einigen Dörfern sind albanische und slawische Nachbarn zusammen geflüchtet. Die Kinderbotschaft in Skopje hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie gebeten, für diese Flüchtlingskinder eine weitere gemeinsame Freizeit zu finanzieren.

Diese Beispiele zeigen, daß große Teile der Bevölkerung Mazedoniens weiterhin gemeinsam leben wollen. Die meisten Albaner lehnen die UÇK genauso entschieden ab wie die meisten slawischen Mazedonier die korrupte Regierung. Wütend sind alle Seiten auf die "Internationale Gemeinschaft", die auf der einen Seite die Nachschubwege der UÇK aus dem Kosovo duldet und auf der anderen Seite die Habgier der Regierenden füttert. Obwohl keine Kriegsbegeisterung zu spüren ist, spitzt sich die politische Lage täglich zu.

Vor zwei Jahren noch gab es bei der ersten Freizeit in Mazedonien feindselige Auseinandersetzungen zwischen den Betreuerinnen beider Seiten, denen sich die Kinder jedoch durch gemeinsame Aktivitäten subversiv entzogen. Im letzten Sommer wurde die multi-ethnische Gruppe von anderen Urlaubern provoziert, was unter den Kindern zu einem Solidarisierungsprozeß führte. Um so erstaunlicher ist es, daß jetzt, wo die Krise zu militärischen Auseinandersetzungen eskaliert ist, bei den Betreuerinnen und den Kindern keinerlei Feindseligkeiten zu beobachten oder zu spüren sind. Auch die Urlauber im Hotel und das Personal sind freundlich, neugierig, erfreut und erstaunt, daß so etwas in diesen Tagen in ihrem Land möglich ist.

Der drohende Krieg äußert sich nicht in wechselseitigen Anfeindungen, sondern eher in einer kollektiven Lähmung. Als Betreuer sind bei der Freizeit u.a. zwei junge Männer, einer davon Albaner. Gerade wurden die allgemeine Mobilmachung verfügt und Waffen an die Reservisten verteilt, beide fürchten nun ihre Einberufung. Sie wissen nicht, was sie dagegen tun können. In einem kleinen, öden Land von nicht einmal drei Millionen Einwohnern kann man sich nicht verstecken. Die Flucht ist unmöglich, denn die Festung Europa ist dicht. Es gibt kein Land, in das sie ohne Visum einreisen könnten.

Eine Betreuerin wurde bei den Nachrichten der letzten Tage panisch: Schießereien in den Dörfern bei Tetovo, Schüsse und Verletzte auf einem Privatwagen auf der Autobahn, Angriffe auf die amerikanische und deutsche Botschaft, Brandsätze im Wagenpark der OSZE, Schließung der Grenzen usw. Sie wollte die Freizeit abbrechen. Nach langen Diskussionen waren aber alle dafür, die "Ferien vom Krieg" fortzusetzen. Das überzeugendste Argument dafür war, daß seit der Eskalation der Krise in den letzten Tagen kaum noch Eltern anrufen und wenn doch, dann vorwiegend mit dem Tenor, die Kinder so lange wie möglich in Sicherheit zu lassen und ihnen gerade jetzt dieunbeschwerte Ferienfreude zu gönnen. Ob einige der Kinder wegen der glühenden Sonne oder der latenten Anspannung über Kopf- und Bauchschmerzen klagen und ein Junge ohnmächtig wurde, ist nicht einfach zu beurteilen. Die jungen BetreuerInnenbemühen sich dann rührend um sie. Sie erhalten Pflege und intensive Zuwendung. Den Wunsch, nach Hause zu fahren, hat bisher noch keines der Kinder geäußert. Die meisten springen nach ein paar Stunden wieder ausgelassen herum. Da das Kampfgebiet durch Umwege weiträumig umfahren werden kann, werden wohl auch die noch anstehenden beiden Freizeiten im Ferienparadies am Ohrid-See stattfinden können.

Ellen Glissmann meint: "Wir haben noch eine lange Warteliste. Es gibt noch hunderte von Familien, die ihre Kinder gerne gemeinsam in Ferien schicken würden, auch als eine Art symbolischen Protestes gegen die Hetze. Selbst Zeitungen, die sonst eher die nationalistischen Vorurteile schüren, waren schon hier und haben über diese friedenspolitische Aktion berichtet, seitdem gibt es noch mehr Anfragen. Warum werden nicht solche Projekte in großem Stil gefördert? Wenn alle diese Eltern ihre Kinder gemeinsam in Ferien schickten, könnten die Väter nicht gleichzeitig aufeinander schießen. Das wäre die schönste und billigste Prävention."



Ohrid, den 31. Juli 2001

E-Mail: ubihedi@t-online.de
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