Komitee für Grundrechte
und Demokratie



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INFORMATIONEN - Rundbriefe 2002

 Informationen 1/2002 - 05. März

Heraus zum politischen und polizeifreien 1. Mai

Peter Grottian, Elke Steven

Nach den langjährigen Erfahrungen mit dem 1. Mai in Berlin Kreuzberg - das Komitee beobachtete letztes Jahr die Vorgänge - hat sich dieses Jahr ein Bündnis von Personen für einen politischen 1. Mai 2002 gebildet. Sie - und wir - wollen einen politischen, gewaltfreien und eigenverantwortlich gestalteten 1. Mai 2002 realisieren. Für das Komitee für Grundrechte und Demokratie ist Peter Grottian zentral an dieser Vorbereitung beteiligt. Auch unsere anderen Berliner Wolf-DieterNarr und Roland Roth beteiligen sich an den Vorbereitungen. Das Komitee wird am 1. Mai - so dieser denn in diesem Sinn stattfinden kann - mit möglichst vielen Personen dabei sein, Veranstaltungen anbieten und unterstützen. Auch finanziellbeteiligen wir uns an den - immensen - Vorbereitungskosten.

Am 20. Februar 2002 veröffentlichte Peter Grottian für die Gruppe Denk Mai Neu!" folgende Presseerklärung:

Die Gewöhnung an die Gewalt zum 1. Mai in Berlin-Kreuzberg ist politisch bequem und ritualisiert. Die auch in dieser Woche spürbare Fixierung auf die Gewaltfrage in manchen Vorberichten zum 1. Mai 2002 ist verhängnisvoll und einäugig. Wir setzen deshalb auf das Politische des 1. Mai, auf die radikalen und demokratischen Wünsche der Menschen für eine andere Politik jenseits etablierter Politik, die gerade nicht mehr durch Gewalt überdeckt werden kann. Gewalterschöpfung ist eine gute Voraussetzung, die Courage zu Änderungen aufzubringen.

Deshalb stellen wir nach mehrmonatigen intensiven Vorbereitungen als ein Personen-Bündnis von autonomen Gruppierungen bis zu Parteien- und Gewerkschaftsvertretern ein Konzept für den 1. Mai 2002 vor, das überraschenderweise eine realistische Chance auf Verwirklichung hat. Den Anfang bildete ein programmatischer Aufruf, den inzwischen mehr als 60 Personen unterzeichnet haben. Viele Ziele sollen erreicht werden:



1)Eine Politisierung des 1. Mai, indem viele brisante gesellschaftspolitische Themen zu einem neuen qualitativen Selbstverständigungsprozess führen und zu radikalen und demokratischen Konflikt- und Veränderungsstrategien ermutigen.



2)Ein Massenmobilisierungsprozess für 40.000 bis 60.000 Berlinerinnen und Berliner, die sich mit einem attraktiven Angebot von politischen, kulturellen, musikalischen und festorientierten Veranstaltungen auseinandersetzen und vergnügen können.



3)Eine "freundliche Besetzung" eines Areals von Mariannenplatz, Lausitzer Platz, Kottbusser Tor und Oranienplatz, der neue politisch-kulturelle Räume und Kommunikationen eröffnet und Menschen zusammenführt (reclaim the streets).



4)Ein polizeifreies Berlin-Kreuzberg in dem benannten Areal, das zu einer Minimierung von Gewalt führen soll und die Voraussetzung dafür ist, den 1. Mai wieder neu zu denken.


Dazu haben wir ein Programm für den 30. April / 1. Mai 2002 thematisch (...) erarbeitet, das der Öffentlichkeit Anfang April vorgestellt wird. Die heute vorgelegten Grundzüge des Programms sollen die Bandbreite, inhaltlichen Schwerpunkte und eine gute Balance von Politik - Kultur - Musik - Sport - Spielen - Tanzen vermitteln. Das Mariannenplatzfest soll integraler Bestandteil bleiben.Auch die politischen Arbeits- und Kommunikationsformen sollen Vorträge, Streitgespräche, Planspiele, Podiumsdiskussionen, Demonstrationen, Anhörungen und Konfliktübungen enthalten.

Das Zeitbudget für den 1. Mai wollen wir ausdehnen. Bei möglichst offen gehaltenen Geschäften soll es am 30. April mit einem Open-Air-Konzert beginnen und am 1. Mai von 12.00 bis 23.00 Uhr mit Veranstaltungen fortgesetzt werden. Wer ein solches Konzept vor 4 bis 5 Monaten der Öffentlichkeit vorgestellt hätte, wäre der totalen politischen Blauäugigkeit bezichtigt worden. Es gibt indessen eine Reihe von Anhaltspunkten, die für das Projekt günstig wirken:



a)Angesichts der Globalisierungsprozesse und der damit einhergehenden Marginalisierung von Politik regt sich vielfältiger Protest, der gerade das Politische wieder einzuklagen versucht. Rot-Grünes / Rot-Rotes Sparen ist kein politisches Konzept, sondern die Bankrotterklärung des Politischen, die jetzt mit der Repression Innerer Sicherheit gepaart wird. Außerinstitutioneller Protest und Bewegungen sind die notwendige Folge.



b)Die bisherigen Vorverhandlungen mit Innensenator Ehrhart Körting (SPD), der Polizei und der Gewerkschaft der Polizei (GdP) verliefen vielversprechend. Der Senator will die alte Werthebachlinie (Demonstrationsverbot) nicht mehr und offenbar alles tun, um den ritualisierten politischen Aufheizungsprozess im Vorfeld des 1. Mai zu verhindern. Deshalb hat sich der Innensenator auf unser unterbreitetes Konzept überraschend eindeutig zubewegt. Die Polizeiführung steht jetzt unter Druck, sich dem anzuschließen, obwohl die Bedenken unübersehbar sind und sie sich noch immer alle Optionen offen hält. Die GdP stehtdem vorgeschlagenen Experiment aufgeschlossen gegenüber. Unsere Forderung nach einer polizeifreien Zone ist in dem Sinne akzeptiert, dass sich die polizeiliche Präsenz nur auf Notfallsituationen (z.B. Messerstecherei in einer Kneipe) beschränken soll und die betreffenden Fahrzeuge an diesem Tag spezifisch gekennzeichnet sein müssen. Ein sehr weiter polizeilicher Abstand zu den Veranstaltungen des 1. Mai ist akzeptiert. Deeskalation bedeutet also nicht abgerüstete Präsenz, sondern komplette Abwesenheit.



c)Vertreter verschiedener Parteien unterstützen das Konzept, auch wenn Zweifel bestehen, ob die alte Gewalt-spirale in dieser Weise zu unterbrechen ist. Auch von Personen aus den Ge-werkschaften gibt es Ermutigung (...). Die bisherigen Diskussionen in autonomen Gruppen, linken Organisationen und anderen politischen Zusammenhängen lassen eine Ambivalenz von abzulehnender Befriedungsstrategie und Chancen für eine Politisierung erkennen. Das Personen-Bündnis ist kein Zusammenschluss mit dem Verständnis, alle potentiellen Gewaltdynamiken innerhalb oder von außerhalb Berlins unter Kontrolle halten zu können. Das wäre eine Selbstüberschätzung.


Das Personen-Bündnis setzt jetzt nicht primär auf einen weiteren Aushandlungsprozess, sondern auf die Überzeugungskraft des Konzepts bei den Bürgerinnen und Bürgern Berlins und der öffentlichen Debatte um einen anderen 1. Mai. (...)



E-Mail: pgrottia@zedat.fu-berlin.de
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