Komitee für Grundrechte
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Soziale Bürger- und Menschenrechte - Inhalt


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Kurz-Dokumentation:

Das Zukunftsloch - Loccumer Manifest für eine Politik im Interesse von Jugendlichen

Im folgenden sind die Leitsätze sowie (in Auszügen) die jugendpolitischen Forderungen des Loccumer Manifestes dokumentiert:

I. Leitsätze

1. Politik ist daran zu messen, ob sie Kindern und Jugendlichen eine ihnen gemäße Gegenwart sowie eine offene und gestaltbare Zukunft ermöglicht. Ob Politik ihre Verpflichtung auf die Grund-und Menschenrechte einlöst, ist nicht zuletzt danach zu beurteilen, wie mit den Bedürfnissen und Interessen von Kindern und Jugend lichen in allenPolitikbereichen umgegangen wird.

2. Politik wird von Erwachsenen gemacht. Und doch lebt die Politik der Erwachsenen davon, daß Kinder und Jugendliche nachdrängen und kraft ihrer noch nicht gefesselten Phantasie Konventionen in Frage stellen, daß sie neue Wege im Umgang mit alten und neuen Problemen entdecken. Sollen Kinder und Jugendliche für eine demokratische Politik, für den Prozeß einer notwendigen Demokratisierung der bundesdeutschen Gesellschaft gewonnen werden, dann genügt es nicht, ihnen bloß formale Beteiligungs chancen anzubieten. Vielmehr muß eine Situation herbeigeführt werden, in der eine substantielle Gestaltbarkeit der Gegenwart und Zukunft möglich ist.

3. Von Politik kann man nur dann sprechen, wenn eine Gesell schaft sich der diskontinuierlichen Kontinuität aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft jederzeit bewußt ist. Politik hat sich nicht nur im Verhältnis zu den jeweils aktuellen Erfordernissen, sondern auch im Verhältnis zur Vergangenheit und zur Zukunft zu verantworten. In diesem Sinne gilt ein anderer kategorischer Imperativ: Handele jederzeit so, daß du deine Handlungen vor den Kindern und Enkeln ausweisen könntest.

4. Gegenwärtige Politik zeichnetsich dadurch aus, daß sie schon die Forderungen des Tages versäumt. Bedenklicher noch: Sie wird den aus der Gegenwart erwachsenden zukünftigen Erfordernissen nicht gerecht. Zwar lautet das Schlüsselwort der Gegenwart Innovation". Aber das,was unter Innovation verstanden und praktiziert wird, läuft vor allem darauf hinaus, alle zukünftigen Gestaltungschancen durch die Folgeprobleme dieser Innovationen zu erdrücken.

Lemmingsgleich dankt Politik gegenüber den vermeintlichen Sachzwängen einer am Prinzip Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit über alles orientierten Wirtschaft ab. (...) Eine auf solchen Wachstumsfetischismus ausgerichtete Politik ist emphatisch zukunftslos.

5. Soll Politik an gegenwärtiger und zugleich zukünftiger Gestal tungsfähigkeit gewinnen, dann muß sie sowohl ihre Ziele als auch ihre Verfahren ändern. Sie muß vor allem in der Tat mehr Demokratie wagen. Und dies ist prinzipiell in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch in den Bereichen Ökonomie und Entwicklung neuer Technologien notwendig. Mehr Demokratie wagen heißt auch: Politik muß sich Kindern und Jugendlichen gegenüber öffnen. Diesbezüglich genügen symbolische Akte wie die Vor verlagerung des Wahlalters nicht. Vielmehr muß der gesamte Prozeß des Heranwachsens auf jeweils größtmöglichste Selb ständigkeit, auf die besten Chancen, selbstbewußt handlungsfähig zu werden, angelegt werden. Die Menschen- und Bürgerrechte von Kindern und Jugendlichen sind endlich ernst zu nehmen.

II. Widersprüche kennzeichnen die gegenwärtige Situation Jugendlicher

(...)

III. Der Ausverkauf der Zukunft ist das zentrale Problem

(...)

IV. Jugend in einer zukunftsunfähigen Gesellschaft. Einige analytische Beobachtungen

(...)

V. Verantwortliche Jugendpolitik - einige Forderungen

Eine neue öffentliche Jugenddebatte ist geboten. Diese muß sich von der gängigen Fixierung auf das falsche Bild einer angeblich immer gewalttätigeren brutaleren" und fremdenfeindlichen" Generation lösen. Ihre zentrale Frage muß vielmehr lauten: Was ist zu tun, damit allen Kindern und Jugendlichen eine lebbare Gegenwart und eine gestaltbare Zukunft ermöglicht wird?

Die Erwachsenen sind der erste Adressat dieser Debatte, denn sie verspielen die Zukunft der Jugendlichen. Eine solche Jugenddebatte ist aber nicht nur im Kreis der Jugendexperten, sondern auch dort anzuregen, wo sie Jugendliche erreicht: In Jugendzeitschriften, Jugendtreffpunkten, Jugendsendungen des Hörfunks und Fernsehens. (...)

Jugendpolitisch kommt es gegenwärtig darauf an, längst erkannte Notwendigkeiten endlich in politisches Handeln umzusetzen. In diesem Sinne sind die folgenden Forderungen vorrangig:

1. Angesichts komplexer werdender Verhältnisse und tiefgreifender Veränderungen in der Arbeitsgesellschaft müssen Schulen grundle gend verändert werden. Schulen sind als demokratisch organisierte Lebens- und Lernorte eigener Qualität zu entdecken und zu gestalten. Anders können angemessene schulische Sozialisationsprozesse heute nicht mehr stattfinden. Anders drohen liberale Demokratien ohne Bürgerinnen und Bürger zu bleiben, die mitwirken können.

(...)

2. Im Unterschied zur herrschenden Tendenz, Hochschulbildung möglichst einzuengen und mit neuen sozialen Barrieren zu versehen, halten wir daran fest, daß möglichst viele Jugendliche die Chance zum Studieren erhalten sollten - unabhängig von konjunkturellen Arbeitsmarktargumenten. Dies setzt eine entsprechend egalitäre soziale Sicherung der Studierenden voraus.

Prinzipiell sind alle Einrichtungen des tertiären Bildungswesens gleichzustellen. Ihr gemeinsames Bildungsziel ist bei allen Unterschieden die kompetente Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Universitäre Autonomie, die heute nur noch symbolisch existiert, gilt es neu und demokratisch zu begründen. (...) Eine Gesellschaft, die am Ende des 20. Jahrhunderts die Forderung Bildung ist Menschenrecht" nicht verwirklicht, hat ihre Chance vertan.

3. Die Wiederherstellung der vertrauten Arbeitsgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts ist weder realistisch noch wünschbar. Die Entkoppelung von gesellschaftlich sinnvoller Arbeit und kapitalisti schem Arbeitsmarkt steht auf der Tagesordnung. Da individuelles Selbstbewußtsein und gesellschaftliche Wertschätzung an gesell schaftliche Tätigkeit geknüpft sind, ist diese prinzipiell allen zu gewähren. Angesichts der Fülle notwendiger sozialer und politischer Aktivitäten dürfte dies in komplexen Gesellschaften kein Problem - es sei denn ein Verteilungsproblem - darstellen. (...) Programme, die Massenarbeitslosigkeit und Abhängigkeit von Sozialhilfe bei Jugendlichen abbauen könnten, sind nach dem Strukturprinzip zu entwickeln, daß gesellschaftlich sinnvolle Arbeit auch gesellschaftlich finanziert werden sollte: Öffentliche Mittel wären in einem hohen Maß an selbstdefinierte Arbeitsplätze zu binden, die tatsächlich Arbeitsplätze jenseits von Macht und Staat ermöglichen. Der "Arbeitsmarkt von unten" ist das Gebot in der Not und ein unkonventioneller Ausweg aus der arbeitsmarktpoliti schen Phantasielosigkeit.

4. Alle Probleme dieser Welt lassen sich militärisch nur verschär fen, aber nicht lösen. Darum ist es kein "deutscher Sonderweg", eine Bundesrepublik ohne Armee anzustreben und die Schule der Nation" so bald wie möglich zu schließen. Vernünftige und verantwortungsvolle Aufgaben für Jugendliche könnten stattdessen im Bereich der internationalen Friedensdienste liegen. Hierbei ist allerdings darauf zu achten, daß die Länder, die solche Hilfen benötigen, selbst definieren, was sie brauchen.

5. Allen "ausländischen" Jugendlichen, die hier geboren oder aufgewachsen sind, ist vorbehaltlos die volle Staatsbürgerschaft einschließlich aller politischen Rechte zu gewähren. Ihre politische und rechtliche Diskriminierung ist zu beenden.

6. Im Bereich der außerschulischen Jugendarbeit ist es erforderlich, die bestehenden Jugendtreffs und Jugendbildungsstätten zu erhalten sowie Jugendverbände und Jugendinitiativen unbürokratisch zu unterstützen. Ebenso wie im Bereich der Bildungspolitik gilt es hier, Sparmaßnahmen zurückzunehmen und Bedingungen dafür zu schaffen, daß in Richtung auf Selbsthilfe und Selbstorganisation zielende Projekte entstehen und sich entwickeln können.

Diese Forderungen, die konkreter ausgestaltet werden können und müssen, wirken zum Teil unvermeidlich utopisch, d.h. sie werden auf absehbare Zeit aller Wahrscheinlichkeit nach in dieser Gesellschaft nicht verwirklicht. Wem jedoch an der so oft pathetisch beschworenen Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder" im demokratischen und friedenspolitischen Sinne gelegen ist, sollte alles dafür tun, daß diese Utopien wirklich werden.

Es genügt nicht, bloß an die etablierte Politik zu appellieren. Denn daß eine qualitativ andere und nicht auf das Ressort eines Ministeriums begrenzte Jugendpolitik erforderlich ist, ist seit langem bekannt. Eine Veränderung ist nur in Sicht, wenn Jugendli che und Erwachsene sich organisatorisch, inhaltlich und konflikt strategisch neu formieren, um eine provozierende und konstruktive Auseinandersetzung herbeizuführen. Die in den Institutionen der Politik, Bildung, Ökonomie, Medien und Kultur etablierten Erwachsenen werden so lange wenig Glaubwürdigkeit entwickeln, wie sie nicht bereit sind, aus ihrer privilegierten Situationen heraus ihre Privilegien in Frage zu stellen. Ein vermutlich neuralgischer Punkt ist, ob sie bereit sind, glaubwürdig eigene eingefahrene Bahnen und Lebensstile, die zukunftsgefährdende Auswirkungen haben, zu verändern. (...)

Daß einige Jugendliche Produkte und Dienstleistun gen im Ansatz boykottieren, wo essentielle Verstöße gegen Demokratie und Ökologie vorhanden sind, ist ein hoffnungsvolles Konfliktsignal. Zugleich gilt es, möglichst mit Jugendlichen zusammen, zukunftsträchtige und exemplarische Projekte zu entwickeln und zu realisieren, die in den genannten Politikbereichen erfolgreiche Veränderungen anstoßen können. Inhaltliche Forderungen sollten mit Konfliktstrategien kombiniert werden - sonst bleibt es ein papierner Protest.



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