Komitee für Grundrechte
und Demokratie



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 Dokumente / frühere Stellungnahmen

"Nicht David ist das Problem, sondern Goliath"

Hubertus Janssen

Skandalöse Ausgrenzungen

Man sieht sie überall in unseren Städten, und es scheinen jedes Jahr mehr zu werden. Sie werden in bestimmten Kreisen einfach Nichtseßhafte, Obdachlose, Stadtstreicher, Penner, Clochards genannt, und dazu werden auch diejenigen gerechnet, die eine andere Form des Wohnens und Arbeitens verwirklichen möchten. Die Bewohner und Bewohnerinnen einer Wagenburg. In unser Bild einer bürgerlichen, geordneten Existenz passen sie nicht. Manche würden das Gesindel" (eine menschenverachtende aber leider landläufige Bezeichnung) am liebsten aus der Stadt vertreiben und basteln an Vorschriften und Verordnungen, um es auch tatsächlich tun zu dürfen. Legal soll es selbstverständlich sein. Aber auch ohne neue Verordnungen wird gegen diese anders Lebenden bereits mit Polizeigewalt vorgegangen. Obdachlose werden aus Bahnhöfen, Einkaufsmeilen, von Domplätzen verjagt, Wagenburgler "geräumt" und aus der Stadt vertrieben. Der Riß zwischen Arm und Reich wird immer unerträglicher.

Immer elender die Armut, immer frecher der Reichtum: Schlemmerlokale neben Hungerküchen, Luxushotels neben Elendsquartieren. Wirtschaft und offizielle Politik heizen die Stimmung mit Mißbrauchsdebatten" und Kriminalisierungen" weiter an und sorgen für die Ausgrenzungen. Deutlich wurde einiges davon vor kurzem in der Stadt Ostfildern. Im Scharnhäuser Park hatte eine Gruppe sich in einer Wagenburg zusammengefunden. Die Stadt aber hat andere Pläne mit dem königlichen" Park, in dem die Fohlen des Hausees Württemberg" heranwuchsen.

Wagenburg-Räumung in Ostfildern

Im Januar 1990 gründete sich in Stuttgart die Wagenburg "Wilder Süden". Mit 10 Leuten, die in Zirkus- oder Bauwagenund umgebauten LKWs wohnen, fing es an. Zuerst standen sie im Industriegebiet Stuttgart-Degerloch (Tränke), wo sie mit Duldung der Stadt und des Grundstückseigentümers bis Baubeginn bleiben konnten. Nach einem halben Jahr zogen sie nach Stuttgart-Vaihingen an die Uni, auf einen ungenutzten Parkplatz, der dem Land gehört. Ab da wurde gegen die WagenburgbewohnerInnen vorgegangen. Es war seitdem eine richtige Odyssee, die dann im Mai 1996 dazu führte, daß der Wilde Süden" sich auflöste und ein Teil der Leute unter dem Namen "Planlos" weitermachte, indem sie ein geeignetes Stück im alten Kasernengelände "Scharnhäuser Park" - gezwungenermaßen widerrechtlich, wie sie es selbst bezeichnen - besetzten. So landeten siein Ostfildern, wo sie unerwünscht waren. Mit der Begründung, in Ostfildern sei eine Wagenburg aus baurechtlichen Gründen nicht möglich, wurde ihnen die Räumung und Beschlagnahmung ihrer Wohnungen angedroht. Nach gerichtlichen Auseinandersetzungen wurden die 20 BewohnerInnen am 5. Mai 1997 in einer großen Polizeiaktion mit über 200 PolizeibeamtInnen geräumt. Die Räumung wurde nach den Berichten der Betroffenen zumindest teilweise mit unnötiger Härte durchgeführt, was nicht zurechtfertigen ist.

Bündnis 90/Die Grünen haben inzwischen im Landtag um Auskunft darüber gebeten, warum bei der Räumung das Sondereinsatzkommando der Landespolizei zum Einsatz kam, eine Einheit, die eigentlich zur Bekämpfung von Terrorismus und Geiselbefreiung bestimmt sei. Auch die "Verwüstungen", die in Folge der Räumung an den Wagen angerichtet worden seien, werfen nach Ansicht der Parlamentarier einen Schatten auf den Polizeieinsatz.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie protestierte am 6. Mai 1997 in einem Offenen Brief an den Oberbürgermeister Herbert Rösch gegen diese Räumung und forderte zum notwendigen Dialog auf. In diesem Brief betonten wir, daß die WagenburglerInnen, die BewohnerInnen dieser Stadt seien, durch eine solche rechts- und ordnungsamtliche Maßnahme obdachlos gemacht würden. Durch das Vorgehen würde das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) außer Kraft gesetzt. Darüber hinaus protestierten wir dagegen, daß angedroht worden war, den Wohnraum unbefristet zu beschlagnahmen.

Was wir für festes Land im Sinne gemeinsamer Grundüberzeugungen hielten, die Verfassung, das Rechtsbewußtsein, zerfällt vor unseren Augen." (Dorothee Sölle) In Ostfildern, mit Bürgermeister Herbert Rösch und dem Leiter des Rechts- und Ordnungsamtes, Hans-Ulrich Steinhilber, als Vorreiter, trat die Gewalt "von oben" erschreckend deutlich ans Tageslicht. Der Bürgermeister erklärte: "Der Widerstand der Wagenburg war Auslöser für die Auseinandersetzungen."

Mit Krokodilstränen bedauerte er die Entwicklung und erklärte, man hätte natürlich eine "friedliche" Lösung lieber gehabt. Als aber nun eine Bürgerin aus Ostfildern den ehemaligen WagenburgbewohnerInnen ein Gartengrundstück zum Abstellen ihrer Wagen anbot, lehnte der Bürgermeister auch dieses Angebot ab.

Wo Menschen an der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse (z.B. Wohnen) gehindert werden, da wohnt kein Friede, da herrschtGewalt.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. begreift als seine Hauptaufgaben, einerseits aktuelle Verletzungen von Menschenrechten kundzutun und sich für diejenigen einzusetzen, deren Rechte verletzt worden sind, andererseits aber auch Verletzungen aufzuspüren, die nicht unmittelbar zutage treten und in den gesellschaftlichen Strukturen und Entwicklungen angelegt sind. Darum werden wir uns bald in einer Broschüre am Beispiel der "Räumungsaktionen der Polizei in Ostfildern" mit der Ausgrenzung und Diskriminierung von Bürgern und Bürgerinnen, die eine andere Form des Lebens und Wohnens praktizieren, auseinandersetzen. Es gilt, sich konsequent und beharrlich für die Wahrung der Grund- und Menschenrechte einzusetzen.



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