Komitee für Grundrechte
und Demokratie



Kritik des Strafrechts und Gefangenenhilfe


 voriger

 nächster

Kritik des Strafrechts und Gefangenenhilfe

 Stellungnahmen/Aufrufe

Presseerklärung, Frankfurt/Köln, den 22. Februar 2001

Monika Haas muß vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde einlegen

Helga Dieter, Wolf-Dieter Narr, Roland Roth

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nahm die Verfassungsbeschwerde von Monika Haas nicht an, obwohl "das Tatgericht im Grenzbereich einer von Verfassungs wegen erlaubten Verfahrensgestaltung" entschieden habe.

Das höchste deutsche Gericht hat heute in einer Presseerklärung bekannt gegeben, daß es den Prozeß gegen Monika Haas vor dem OLG Frankfurt zwar nicht so ganz korrekt fand, aber dennoch keinen Grund für eine Revision sieht. Wie das Gericht zu der Aussage kommen kann, daß das Verfahren als gerade noch fair betrachtet werden kann, ist für diejenigen, die das Verfahren beobachtet haben, nicht nachvollziehbar. Der schriftlichen Begründung sehen wir gespannt entgegen.

Für das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat dessen Vorstandsmitglied Helga Dieter den Prozeß gegen Monika Haas von Januar 96 bis November 98 regelmäßig beobachtet.

Die Anklage, Frau Haas habe 1977 im Zusammenhang mit der Schleyer-Entführung die Waffen zur Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" nach Mallorca transportiert, stützte sich zunächst auf eine Stasi-Akte und die unter erpresserischem Druck zustande gekommene Aussage der vermeintlichen Kronzeugin Andrawes. Trotz aufwendiger Prozeßführung fielen beide "Säulen" der Anklage zusammen. Der Stasi-"Wolf", der den "Hasen" jagen wollte, entpuppte sich als skrupelloser DDR-Fanatiker und die Kronzeugin als Not-Lügnerin. Beide Belastungs-Komplexe spielten in dem Urteil gegen Frau Haas keine Rolle mehr, d. h. die unmittelbare Beweisführung ist in sich zusammengebrochen.

Zwei Tage nach dem Andrawes-Prozeß zauberte die Bundesanwaltschaft einen neuen Belastungszeugen aus dem Hut, einen Herrn Slim, der wegen Kollaboration mit Israel in einem libanesischen Gefängnis saß, und dessen 10jährige Freiheitsstrafe auf wundersame Weise auf vier Jahre reduziert worden war, kurz bevor er gegen Monika Haas aussagte. Zwar hat auch Herr Slim gelogen, und das steht so auch im OLG und BGH-Urteil, doch erscheint dies den Richtern als läßliche Sünde, da er Frau Haas belastet hat. Auch konnte er als Zeuge nicht vor Gericht erscheinen, und die Verteidigung war über seine Vernehmung im Libanon nicht informiert. BKA-Beamte verhörten den "Zeugen" (übrigens wegen eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn als Angeklagten, ohne Belehrung über sein Recht zur Aussageverweigerung) vor einem libanesischen Militärgericht. Sie schilderten dem "Zeugen" detailliert den mutmaßlichen Tathergang, den dieser nur bestätigte. Die Aussage dieses Zeugen wurde dann mittels der BKA-Beamten in die Hauptverhandlung eingeführt, so daß sich keiner der Prozeßbeteiligten ein eigenes Bild vom Zeugen Slim machen konnte.

OLG und BGH sehen diese mittelbare Zeugenaussage (Die Pressemitteilung des BVerfG spricht von "so genannten Zeugen vom Hörensagen") durch anderes, mehrfach mittelbares Belastungsmaterial gestützt. Eine solche "Beweisführung" ist nicht zulässig, nimmt man das Strafprozeßrecht und das Wahrheitsprinzip des deutschen Strafrechts ernst. Außerhalb dieser Rechtsgrundlagen urteilt das Gericht: Die anonyme Quelle eines ungenannten Agenten deutscher Geheimdienste habe vor über 20 Jahren einem heute noch zu schützenden Quellenführer Belastendes zu Frau Haas mitgeteilt. Ein ansonsten nicht damit befaßter Verfassungsschützer hat angeblich die Akte eingesehen. Er trat als Zeuge im Prozeß auf. Näheres dürfe er nicht sagen. Daß es sich um dieselbe Quelle wie die der Stasi handeln könnte, könne er nicht ausschließen.

Wegen dieser offensichtlichen Schwäche des Urteils wertet das BVerfG nun die Aussage des einzigen unmittelbaren Zeugen P.J. Boock aus, der als führendes RAF-Mitglied an der Schleyer-Entführung beteiligt war. Dieser hielt sich damals zur Rekonvaleszenz seines exzessiven Drogenkonsums mit Halluzinationen und schweren Entzugserscheinungen in Bagdad auf. Er galt in der RAF als nicht zurechnungsfähig und als Sicherheitsrisiko. Er will dort Monika Haas, die er nicht persönlich kannte, über einen Flur huschen gesehen haben. Zwar ist es ziemlich unwahrscheinlich, daß Monika Haas, die als Verräterin und westliche Agentin galt und auch von Boock so eingeschätzt wurde, mit totkrankem Baby zur Vorbereitung einer Aktion anreiste, an deren Ausführung sie quasi nur als Kanonenfutter hätte beteiligt werden sollen, denn als Motiv für den unterstellten Waffentransport hat dasGericht gedeutet, sie habe beweisen wollen, daß sie keine westliche Agentin sei. Monika Haas gibt an, etwa drei Monate später mit Kind in Bagdad gewesen zu sein. Da habe Boock sie vielleicht gesehen. Diese Angabe wurde von zwei Ex-RAF-Zeuginnen bestätigt.

Boock, der wegen seiner Halluzinationen von deutschen Gerichten schon als notorischer Lügner bezeichnet wurde, und dessen Aussage im Urteil gegen Monika Haas auch nur am Rande gewertet wurde, wird wegen der Schwäche der mittelbaren Aussagen vom BVerfG nun zum "unmittelbaren" Zeugen geadelt.

Ein mittels solch fragwürdiger Zeugenaussagen konstruiertes Urteil wurde in der Revision vom BGH am 11.2.2000 bestätigt und nun vom BVerfG legitimiert.

Die Ablehnung der Beschwerde durch das BVerfG ist rechtsstaatlich ein Skandal. Erneut hat es den Anschein, daß bei "Terroristen-Prozessen" rechtsstaatliche Maßstäbe beliebig abgesenkt werden können. Indem das Verfasungsgericht dies zuläßt, sind Konsequenzen für künftige Strafverfahren zu befürchten.

Daß die Aussage eines mittelbaren Zeugen durch andere, mehrfach mittelbare Zeugen gestützt wird, ist nicht zulässig!

Um Monika Haas finanziell die Möglichkeit der Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu geben, hat das Komitee zu Spenden aufgerufen, denn dafür gibt es keine Pflichtverteidigung oder Prozeßkostenhilfe.

Eine Zusammenfassung der Prozeß-Protokolle kann angefordert werden.



Helga Dieter, Wolf-Dieter Narr, Roland Roth (im Vorstand und Geschäftsführenden Vorstand des Komitees)

E-Mail: narrwd@zedat.fu-berlin.de
 voriger

 nächster




       
Bereich:

Komitee
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
            
Netzwerk  Themen   FriedensForum Ex-Jugo Termine   Aktuelles