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Laudatio für die Aachener Friedenspreisträger 2005

Liebe Freundinnen und Freunde

Bernhard Nolz (in Aachen)

- Sperrfrist: Redebegin, 1.9., 18 Uhr!

- Es gilt das gesprochene Wort! -



Im Jahre 2002 war ich Aachener Friedenspreisträger. Eine Vision vom ewigen Frieden bildet die Grundlage für meine politische Bildungsarbeit und für die Friedenserziehung. "Erziehung zum Frieden ist Erziehung zur Politik". So hat es der Pädagoge Hartmut von Hentig vor mehr als 20 Jahren formuliert. Als Friedenspädagoge und Pazifist setze ich mich dafür ein, dass in allen Bereichen der Gesellschaft eine Politik verwirklicht wird, die gewaltfreie Konfliktösungen ermöglicht. In den Friedensorganisationen, in denen ich Mitglied bin, bilden die Konzepte einer konstruktiven Konfliktbearbeitung, der Sozialen Verteidigung und der gewaltfreien Aktion den Kern der Arbeit. Mit diesem "Friedensgepäck" habe ich mich auf die Reise in die Welten der diesjährigen Friedenspreisträger begeben. Als Laudator bin ich des Lobes voll für diese beiden außergewöhnlichen Menschen.

Mit dem Aachener Friedenspreis werden heute Hanne Hiob und Roy Bourgeois ausgezeichnet. Ich habe beide sofort in mein friedenspädagogisches Herz geschlossen, weil sie einen Beitrag dazu leisten wollen, dass Menschen in Gemeinschaft mit anderen ein glücklich gelingendes Leben führen können, das frei ist von Krieg und Gewalt, von Ungerechtigkeit und Zwang. Für Hanne Hiob ist es klar, dass nazistisches und faschistisches Gedankengut den Menschen so viel Hass und Gewaltbereitschaft einpflanzt, dass sie zu keinem Frieden finden können.

Für Roy Bourgeois steht fest, dass das Erlernen brutaler Foltermethoden und das Abrichten zu willigen Gewaltvollstreckern allen demokratischen Grundsätzen und der christlichen Nächstenliebe widersprechen.

Hannes und Roys Eintreten für die Würde des Menschen geschieht seit Jahrzehnten kraftvoll und kreativ, liebevoll und eben lobenswert! Wovon bin ich fasziniert, wenn ich mich mit den beiden und mit ihrem Wirken beschäftige?

Ich beginne mit Hanne Hiob, der Brecht-Tochter. Eine große Dame des Theaters, die ihr festes Engagement Mitte der siebziger Jahre aufgibt, um frei arbeiten zu können, z.B. beim politischen Straßentheater. Sie gestaltet Brecht-Abende. "Brechts Literatur unliterarisch verwenden, so wie Brecht es immer wollte", sagt sie. Kultur des Friedens durch Literatur und Theater lautet aus meiner Sicht das ungeschriebene bildungspolitische Programm, mit dem Hanne zu den Menschen kommt.

Sowohl die Brechtschen Texte als auch Hannes Aktionstheater sind keine Seifenopern, sondern sie sind einer Ästhetik der Aufklärung verpflichtet. Indem ein neuer, ein anderer Blick auf die Welt möglich wird, können die Zuschauerinnen und Zuschauer Bezüge zum eigenen Leben und zur gesellschaftlichen Wirklichkeit herstellen, die oft meilenweit von einer Kultur des Friedens entfernt sind.

Unter Kultur des Friedens verstehe ich im Sinne der UNESCO die Werte, Verhaltens- und Lebensweisen, die auf der Achtung vor dem Leben, der menschlichen Würde und den Menschenrechten sowie auf der Ablehnung von Gewalt beruhen. Die Ablehnung von Gewalt ist ein Motiv für die antifaschistische Arbeit von Hanne Hiob. Und sie erhebt ihre Stimme und geht mit viel anderen auf die Straße, wenn die alten und die neuen Nazis in politische Ämter drängten und drängen. Und sie protestiert gegen die Gewalt von Neonazis, die selbst vor Mord nicht zurückschrecken.

Im Jahre 1947 schrieb Brecht das Gedicht "Der anachronistische Zug Oder Freiheit und Democracy. Schon damals zeichnete sich die Rückkehr der alten Nazis in ihre Ämter ab. Mit der Gestaltung des "Unzeitgemäßen Zuges", das bedeutet "anachronistisch", gelingt Hanne Hiob und ihren MitstreiterInnen eine aktuelle Interpretation des Textes. Selbst wer nur wenige Verse zu Gehör bekommt, wird die Kraft und Brisanz der politischen Aussage spüren, die die Fantasie anregt oder die Realität erträglich macht.

Von Berufs wegen habe ich Strophe 13 ausgesucht:

Gleichen Tritts marschiern die Lehrer / Machtverehrer, Hirnverheerer / Für das Recht, die deutsche 2 Jugend / Zu erziehn zur Schlächtertugend.

In der Tat haben führende Nazi-Pädagogen nach 1945 schnell wieder Fuß gefasst. Zu viele Lehrer wurden - wie ich - in der BRD diszipliniert, weil sie sich gegen Faschismus und Militarismus gewandt haben. Hanne Hiobs Theaterprojekte verfehlen ihre Wirkung auf die Menschen nicht. Das Theater macht klar, wie die Machthaber - auch in der Demokratie - die Lehrerinnen und Lehrer auf ihre politischen Ziele einzuschwören versuchen und wie sich die meisten PädagogInnen - auch heute - ohne nennenswerten Widerstand den Gegebenheiten anpassen. Hanne Hiob hat bei ihrer Friedensarbeit sowohl den Einzelnen als auch das politische System im Blick. In ihren Projekten zeigt sie, wie eine ganze Gesellschaft den Verführungen der Gewalt erliegen kann. Das staatliche Erziehungssystem beispielsweise zielt zu allen Zeiten auf Angepasstheit der Menschen an die vorgegebenen Normen. Hanne Hiob und viele Friedenspädagogen setzen dagegen auf die Entwicklung stabiler Subjektstrukturen, die den einzelnen befähigen, selbst zu entscheiden, was gut ist. Eine persönliche Stabilität und die Stabilität in den Beziehungen sind das beste Mittel, sich den Unterdrückungsmechanismen des kapitalistischen Systems zu entziehen.

Wie sich alter Faschismus, Militarismus und Kapitalismus nach 1945 verbinden, zeigen Bertolt Brecht und seine Tochter in Strophe 32 des Anachronistischen Zuges:

Knochenhand am Peitschenknauf / Fährt die Unterdrückung auf. / In nem Panzerkarrn fährt sie / Dem Geschenk der Industrie.

Wenn ich in Hannes Straßentheater diese Szene sehe, wird mir klar, wie die Knochenhand des Todes die Werkzeuge des Folteres führt, wie die Wirtschaft das Militär sponsort, wie die Unterdrückung perfekt wird. Es ist die Unkultur des Kapitalismus. Eine Kultur des Friedens aber kann sich nur ausbreiten durch die Beseitigung der neoliberalen Auswüchse des kapitalistischen Denkens und Handelns, durch die Rückkehr der Poltik zur Menschlichkeit, durch die Beseitigung der Armut, durch eine gerechte Verteilung des Wohlstandes, durch soziale Integration und durch eine gute Bildung für alle. Hanne Hiobs Wirken ist den Zielen dieser Friedenskultur verpflichtet. Mutig haben sie und ihre MitstreiterInnen allen Angriffen gegen den Anachronistischen Zug und gegen das antifaschistische Straßentheater widerstanden.

Widerstand gegen Krieg, Gewalt und Folter kennzeichnen das Leben von Roy Bourgeois seit mehr als 30 Jahren. Seine Erfahrungen als Marineoffizier im Vietnamkrieg (1963 - 67) haben ihm die Augen geöffnet für das Verbrechen, das der Krieg ist. Noch von Vietnam aus organisiert er zum Weihnachtsfest eine Geschenkaktion für vietnamesische Kinder, die als Opfer des Krieges verletzt und verstümmelt worden waren oder als Kriegswaisen lebten. Die überwältigende Spendenbereitschaft von US-Bürgern trifft auf ein großes Medienecho, das die Kritik an der USamerikanischen Vietnam-Politik verstärkt. Am beeindruckendsten sind die Bilder von den Opfern des Krieges, die Roy auch bei Vortragsreisen in den USA zeigt. Indem er den Opfern Gesichter gibt und den Krieg mit ihren Augen zeigt, ist seine Botschaft wirkungsvoll.

Roy Bourgeois entwickelt in diesem Projekt eine wichtige Friedenskompetenz, die Empathie, das Mitgefühl mit anderen. Die Mitmenschlichkeit verbindet sich bei Roy mit der Zivilcourage. Dann kann er zu Unrecht und Gewalt, die andere erleiden müssen, nicht schweigen. Schweigen empfände er als Mittäterschaft oder gar als stillschweigende Zustimmung. Nach dem Militärdienst tritt Roy Bourgeois dem Maryknoll Missions Orden bei und wird als katholischer Priester ordiniert.

In Lateinamerika findet er ein Betätigungsfeld, das ihn erneut mit Gewalt und Unmenschlichkeit konfrontiert. Immer klarer tritt für ihn hervor, dass die Vereinigten Staaten von Amerika in Lateinamerika ein Unterdrückungssystem etabliert haben, das die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht. Unter solchen Umständen ergibt sich für Friedensarbeiter die Frage nicht, auf welcher Seite sie stehen. Ihr Handeln im Dienste des Friedens ist getragen von einer fundamentalen praktischen Solidarität der Gleichen. Sie befähigt zu einer Verständigungsbereitschaft mit allen Menschen, mit den Gleichaltrigen und über alle Grenzen der Generationen und Kulturen hinweg. Damit meine ich die Fähigkeit zur Kooperation und Verständigung, die sich zur Menschlichkeit und zum Leben bekennt und zum Abbau von Gewalt bereit ist.

Seit 25 Jahren liegt Roy Bourgeois`Schwerpunkt in der Orgaisation von Protestaktionen gegen das Training lateinamerikanischer Soldaten und Polizisten an der US-Militärschule in Fort Benning, der "School of the Americas" (SOA). Das Trainingsprogramm besteht vor allem aus dem Erlernen von Folter- und Terrormethoden.

"Was wir hier haben, ist ein Ausbildungslager für Terroristen", sagt Roy Bourgeois. Roys zivilcouragierter und gewaltfreier Kampf gegen diese Schule des Terrors und der Folter hat ihm bereits vier Jahre Gefängnis eingebracht. Dafür dass er imer wieder ein militärisches Sperrgebiet betritt. Ist das noch ein demokratischer Staat, fragt man sich, der den gewaltfreien Protest gegen eine Folterschule mit Gefängnis bestraft, die Kriegsverbrecher und Folterer bei Polizei und Militär aber unbehelligt lässt. Und man erschrickt angesichts der Unerbittlichkeit und Unmenschlichkeit der Vertreter des Staates, der doch eigentlich nichts Anderes sein will, als der friedliche Zusammenschluss mündiger Bürgerinnen und Bürger.

Sie werden immer mehr. Im letzten Jahr protestierten mehr als 16.000 Menschen vor den Toren von Fort Benning. Es war die bisher größte Protestaktion und an der Spitze stand Roy Bourgeois.

Immer wieder stellt Roy kritische Fragen und bringt staatliche Gewalttaten ans Licht der Öffentlichkeit. Kritik von Gewalt und Willkür ist eine demokratische Tugend. Z.B. fragt Roy, wie man Demokratie in einer nicht-demokratischen Einrichtung wie der Militärschule in Fort Benning lehren könne. Und er stellt fest: "Demokratie und Menschenrechte lernt man nicht beim Militär."

Mit Freunden zusammen hatte Roy vor 15 Jahren die geniale Idee, die "School of Americas Watch" (SOAW) zu gründen. Sie ist eine Einrichtung der amerikaischen Friedensbewegung und der Gewaltlosigkeit verpflichtet. Sie recherchiert und veröffentlicht die Aktivitäten der Folter-Schule "School of the Americas" (SOA), die inzwischen umbenannt wurde, um nicht mit Roys Organisation verwechselt zu werden.

Die in den USA gepflegte Theorie vom Kampf der Kulturen findet in der US-amerikanischen Friedensbewegung keine Resonanz. In wie vielen Kulturen kann ein Mensch sich auskennen, wäre für Roy eine genauso unsinnige Frage wie die nach der Anzahl der Sprachen, die einer sprechen sollte. Frieden gibt es in jeder Sprache. Gewaltfrei zu kommunizieren lernt man in jeder Sprache und Kultur. Auch ohne Sprache kann man gewaltfrei handeln. Die Sprache des Hasses kennt Roy nicht. Der Respekt gegenüber dem Anderen stärkt den Wunsch, mit ihm in seiner Sprache zu reden, damit man sich in seiner Kultur auskennt und sie mit den bisherigen Erfahrungen vergleichen kann. Friedensarbeit hat die Humanisierung der Gesellschaft zum Ziel. Wie weit aber die Transformation des Sozialen bereits gediehen ist, zeigt sich in der deutschen und der amerikanischen Gesellschaft, in der sich die Individuen lieber einzeln gewaltsam verändern lassen, als dass sie gemeinsam die Verhältnisse verändern. Für die Veränderung werden Menschen wie Hanne Hiob und Roy Bourgeois gebraucht.

Wieder einmal hat der Aachener Friedenspreis eine gute Wahl getroffen, für die ich alle daran Beteiligten loben möchte.

Bei den Überlegungen zu meiner Laudatio war ich selber über zwei Dinge überrascht:

Wenn ich jetzt aber darüber rede und die Stimmung in diesem Raume aufnehme, kommen sie mir allerddings ganz selbstverständlich vor. Über das Verbundenheitsgefühl mit den Preisträgern zum Einen und zum Anderen über die Harmonie in ihrer Ausstrahlung und in ihren Wirkungsfeldern.

Dieses Harmonieempfinden hat mich veranlasst, in dieser Laudatio zum Schluss von den Gemeinsamkeiten von Hannes und Roys Arbeit zu sprechen.

In der Friedensarbeit interessiert vor allem das Verbindende und nicht, was trennt. Wenn zur Gewalt - auch verbal - gegriffen wird, sind die Grenzen von Toleranz und Respekt überschritten. Wer das Verbindende sucht, lässt sich Misserfolge nicht so einfach selbst zuschreiben, sondern erkennt bzw. spürt die Abhängigkeiten vom System, in dem er lebt und arbeitet.

Wie das geht, machen uns Hanne und Roy seit Jahrzehnten vor. Der Kapitalismus aber ist seit Jahrhunderten der gleiche Imperialismus, Militarismus und Nationalismus. Als Neoliberalismus tritt er seit Jahren immer gewalthaltiger auf. Solidaritätsprojekte in der heutigen Zeit erzielen ihre größte Wirkung, wenn gleichzeitig am Ort, wo das Unrecht geschieht, und im "Solidaritätsland" öffentlichkeitswirksame Aktionen durchgeführt werden können. Das geschieht auf der Basis einer wechselseitigen Kommunikation der Anerkennung. Wenn die Integrationskraft der Friedensarbeit wirksam werden soll, werden Menschen wie Hanne und Roy gebraucht, die sich auf beiden Seiten auskennen. Immer wieder ist Versöhnungsarbeit angesagt, aber die geht nicht ohne Kritik und Selbstkritik und auch nicht ohne eine klare Analyse der Verhältnisse.

Die Weiterentwicklung einer Kultur des Friedens im 21. Jahrhundert kann ich mir in Form eines Revolutionären Pazifismus vorstellen. Das revolutionäre Element eines solchen Pazifismus steckt in der gewaltfreien Veränderung unserer Gesellschaften von unten. Dann geht es darum, kontinuierlich und selbstorganisiert gewaltfreie Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu entwickeln.

Auf diese Weise entstehen alternative Inseln in den Gewaltwelten des Neoliberalismus. Dort leben wir, wie wir leben wollen und machen uns dran, Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit wirklich zu leben. Der Ausgangspunkt ist unsere Vison, etwas Besseres zu machen, als wir jetzt haben. Auf dem Weg dorthin lassen wir nicht nach in unserem Widerstand gegen Unrecht und Gewalt. Die Menschen, die sich daran beteiligen, sind Pioniere einer friedlichen Welt und bilden die Keimzellen eines Revolutionären Pazifismus.

In Aachen ist im Jahre 1988 eine solche Keimzelle entstanden. Alljährlich lobt sie Menschen, die - wie Hanne und Roy - Frieden gestiftet haben. Hannes und Roys Friedensarbeit ist auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit angelegt. Ihr uneigennütziges Handeln macht den Erfolg ihres Wirkens möglich.

Roy Bourgeois, der Chronist des Unrechts in Amerika, könnte ein Verzeichnis der Millionen von Menschen anlegen, denen der Reichtum dieser Welt übertragen werden müsste, weil sie in Hunger und Armut leben oder unter Folter und Gewalt leiden.

Hanne Hiob, die Aufklärerin und Warnerin in Brechtscher Tradition, wird nicht nachlassen dürfen, die Auswüchse und Apologeten des Neo-Faschismus zu benennen, auch wenn sie sich in der Mitte der Gesellschaft bewegen und sich andere Namen gegeben haben. Loben Sie nun die Aachener Friedenspreisträgerin Hanne Hiob und loben Sie den Aachener Friedenspreisträger Roy Bourgeois mit Ihrem Beifall. Dafür dankt Laudator Bernhard Nolz.



Bernhard Nolz erhilet den Aachener Friedenspreis 2002.

E-Mail: nolzpopp@web.de

Website: www.friedenskultur.de
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