Antikriegstag 2006


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Redebeitrag zum Antikriegstag am 1. September 2006 in Hamburg

Der vergessene Krieg

Karin Steinbrinker

Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

ich möchte euch von einem vergessenen Krieg berichten, vom Krieg Israels gegen die Palästinenser, und ich möchte euch aufrufen, auch gegen diesen Krieg zu protestieren!

In diesem Krieg gibt es auch nicht einmal das leiseste Zeichen von Friedens- und Verhandlungsbereitschaft Israels, und im UN-Sicherheitsrat wurde Palästina überhaupt nicht erwähnt. Es scheint, die vielbeschworene Weltgemeinschaft hat diesen höchst einseitigen Krieg völlig verdrängt und vergessen.

Seit der Wahl der Hamas zur Regierungspartei im Januar hatte Israel drastische Maßnahmen gegen die Palästinenser ergriffen: die sofortige Einstellung aller Zahlungen, Abriegelungen, besonders des Gazastreifens, ständiger Beschuss des Gazastreifens und gezielte Tötungen und Verhaftungen von Hamasmitgliedern. Allein im Juni starben 50 Menschen bei israelischen Raketenangriffen, überwiegend Frauen und Kinder. Am 24. Juni entführte eine israelische Undercovereinheit außerdem einen Arzt und seinen Bruder aus Gaza und verschleppte sie nach Israel - diese Entführung wurde fast nirgends in unseren Medien erwähnt oder gar kritisiert.

Aber als die Palästinenser ihrerseits beim Angriff auf einen israelischen Militärposten einen Soldaten gefangen nahmen und nach Gaza verbrachten, gab es einen Aufschrei der Empörung- und das nicht nur in Israel. Die ganze Welt regte sich über dieses "Kidnapping" auf, wie es in der allgemeinen Sprachregelung hieß, und bezeichnete den Vorfall als "schweres Verbrechen", "hinterhältig" und "feige". Die Palästinenser boten Israel sofort einen Gefangenenaustausch an, anfangs ging es dabei nur um die Hunderte palästinensischen Frauen und Kinder in den israelischen Gefängnissen- aber die israelische Regierung lehnte ab, denn "mit Terroristen" verhandele man nicht.

Am 27. Juni einigten sich die regierende Hamas und Präsident Abbas auf eine Vereinbarung, mit der die Hamas indirekt das Existenzrecht Israels anerkannte- eine Vorbedingung Israels für Verhandlungen. Aber auch dieses Entgegenkommen nützte nichts mehr- Israel nahm die Gefangennahme des einen Soldaten zum Vorwand, zum entscheidenden Schlag gegen die Hamasregierung auszuholen.

Am 28. Juni drang die israelische Armee mit 5 000 Soldaten und Dutzenden von Panzern und Bulldozern wieder in den letztes Jahr geräumten Gazastreifen ein, unterstützt von Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen, und seitdem wird Tag und Nacht geschossen, bombardiert, getötet und zerstört, der Gazastreifen ist praktisch wieder fast vollständig besetzt. Gleich zu Beginn zerstörte die israelische Armee das Hauptelektrizitätswerk im Süden des Gazastreifens, und 750 000 Menschen, die Hälfte der Bevölkerung, hatten wochenlang keinen Strom und auch kein Wasser mehr, da die Wasserpumpen mit Strom aus dem zerstörten Kraftwerk betrieben wurden. Bis heute gibt es für Zehntausende Haushalte, für Behörden, Geschäfte und Krankenhäuser nur einige Stunden am Tag Strom und das auch nur unregelmäßig. Bei 30-40 Grad ist das eine Katastrophe. Kühlschränke fallen aus, und Lebensmittel und Medikamente verderben.

Wie im Libanon zerstörte die israelische Armee auch im Gazastreifen wichtige Brücken und Straßen, außerdem eine Reihe öffentlicher Gebäude und zahlreiche Wohnhäuser. Seit Ende Juni wurden im Gazastreifen 240 Menschen getötet, der ganz überwiegende Teil Zivilisten und darunter viele Frauen und Kinder. Dazu kommen noch Hunderte von Verletzten.

Mit Beginn dieses neuen Kriegs wurden alle Zugänge zum Gazastreifen hermetisch abgeriegelt, dazu gehörte auch wieder der einzige Zugang für Warenimporte, Karni. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln fiel wochenlang gänzlich aus, es kam zu einer akuten Versorgungskrise. Vielen Krankenhäusern gingen die Medikamente und medizinische Hilfsmittel aus, Operationen konnten nicht mehr durchgeführt werden, weil es zu wenig Strom gab und auch kein Diesel mehr für die Generatoren hereinkam. Das hat sich bis heute auch nicht wesentlich geändert, Karni ist nur sporadisch und völlig willkürlich geöffnet.

Später wurde von Israel als Grund für diese exzessive Militäraktion nachgeschoben, dass man damit den "ständigen Beschuss israelischer Dörfer und Städte durch die Qassemraketen aus dem Gazastreifen" unterbinden wolle. Solchen Beschuss gab es, aber diese selbstgebastelten Raketen richten fast nur Sachschaden an, und sie sind eine Reaktion auf die ständigen israelischen Übergriffe.

Nein, es geht Israel nicht um die Bekämpfung der Qassemraketen und auch nicht um die Befreiung des gefangenen Soldaten. Das Ausmaß dieser Militäraktion zeigt, dass dieser Krieg gegen Gaza schon längst geplant war, um die demokratisch gewählte Hamasregierung zu zerschlagen und die Palästinenser zur Kapitulation zu zwingen, d. .h. zur bedingungslosen Unterwerfung unter das israelische Unterdrückungs- und Apartheidsystem.

Auch im Westjordanland herrscht praktisch Krieg. In einem beispiellosen Akt von Völkerrechtsbruch kidnappte- hier passt das Wort wirklich!- die israelische Armee 64 Mitglieder der Regierungspartei Hamas, darunter ein Viertel der Mitglieder des palästinensischen Parlaments, acht Minister, den Parlamentssprecher und den stellvertretenden Ministerpräsidenten, um sie vor ein Militärgericht zu stellen. Das ist ein weiterer Beweis für das eigentliche Ziel Israels in diesem Krieg.

Gleichzeitig gehen der Bau der Mauer, Landnahme und Vertreibung von Palästinensern von ihrem Land weiter, im Schatten des Kriegs gegen Libanon und Gaza treibt die israelische Regierung die Annexion des halben Westjordanlands intensiv voran.

All das geschieht weitgehend unter dem Schweigen der Weltöffentlichkeit! Dabei müssten wir alle eigentlich schreien über soviel Unrecht! Amnesty international und der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen- und auch die israelischen Kriegsdienstverweigerer! - haben es beim Namen genannt: Dieser Krieg Israels gegen die Palästinenser ist eine völkerrechtswidrige kollektive Bestrafung eines ganzen Volkes.

Und ein besonderer Skandal : unsere deutsche Regierung schickt auch jetzt in dieser Situation Kriegswaffen nach Israel ! Deutsche Bauteile stecken in den Panzern, die in Palästina eingesetzt werden, und gerade eben hat der Bundessicherheitsrat der Lieferung zweier U-Boote an Israel zugestimmt. Zusätzlich hat Israel die Lieferung von 103 gepanzerten Truppen-Transportfahrzeugen vom Typ "Dingo 2 " beantragt, ein Testexemplar ist bereits vor Ort.

Wir fordern von der Bundesregierung, diese illegalen Waffenlieferungen an Israel sofort einzustellen! Sie widersprechen eklatant den deutschen und europäischen Richtlinien für Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete, und sie zeugen nicht von einer "besonderen Verantwortung" für Israel, die unsere Regierung immer wieder betont- im Gegenteil sie führen letztlich auch zum Tod von Bürgern Israels!

Und wir fordern von der Bundesregierung: Sie muss sich dafür einsetzen dass Israel auch in Palästina alle Angriffshandlungen und Menschenrechtsverletzungen sofort einstellt und endlich die gewählte palästinensische Regierung, die immer wieder Verhandlungsangebote gemacht hat, als Verhandlungspartner anerkennt.

Vor ein paar Tagen hat Bundeskanzlerin Merkel verkündet, das Palästinaproblem müsse wieder auf die Tagesordnung, denn das sei das zentrale Problem im Nahen Osten. Bravo, Frau Merkel, aber solche Lippenbekenntnisse genügen nicht, es gilt zu handeln!

Der Weg zum Frieden besteht in der Anerkennung der Rechte des palästinensischen Volkes- nicht mehr und nicht weniger!



Karin Steinbrinker ist aktiv beim Deutsch-Palästinensischer Frauenverein e.V.

E-Mail: Karin.Steinbrinker@t-online.de
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