Antikriegstag 2007


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Antikriegstag 2007

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag auf der Demo am 2.9.2007 in Büren

Kriege beenden - Abschiebung abschaffen - Menschenrechte durchsetzen
Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht - weltweit!

Felix Oekentorp (in Büren)

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich rede hier als Vertreter der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen. Die DFG-VK setzt sich nicht nur ein für KDVer hier in Deutschland, wir sind mit unserem internationalen Dachverband WRI verknüpft mit Friedensorganisationen und FriedensaktivistInnen aus vielen Ländern. Ein besonderes Augenmerk haben wir dabei auf die Situation in der Türkei.

Osman Murat Ülke ist hierzulande sicher der bekannteste türkischer KDVer.

Er hat gestern vor 12 Jahren, am Antikriegstag 1995 in einer Pressekonferenz in Izmir seinen Wehrpass verbrannt, kurz nachdem sein Prozess wegen Verstoß gegen den türkischen Artikel 155 (Distanzierung des Volkes vom Militär) abgeschlossen war. Seitdem ist Ossi eine Art vogelfreier in der Türkei, er war seitdem viele Monate im Gefängnis, und ähnlich wie es manchem TKDVer in Deutschland geschehen ist und immer wieder geschieht, wird seine Gewissensentscheidung vom Staat nicht respektiert.

Nach Verbüßung der einen Strafe wegen der Weigerung, seiner Einberufung zum Militär Folge zu leisten folgt die nächste Einberufung, eine weitere Verurteilung wegen der gleichen Gewissensentscheidung droht. Die letzte dieser Einberufungen erfolgte im Juni dieses Jahres. Dies obwohl der Europäische Menschengerichtshof im Januar 2006 einstimmig entschied, dass die wiederholte Strafverfolgung und die Schuldsprüche gegen die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstoßen. Das Leben im Verborgenen, das Ossi führen muss, kommt fast einem "zivilen Tod" gleich und ist unvereinbar mit den Strafmaßnahmen einer demokratischen Gesellschaft, heißt es in dem Urteil weiter. Ossi sind wegen der ständigen Strafverfolgung die Hände gebunden, er kann nicht einmal ein Konto eröffnen, nicht einmal irgendwelche Behördengänge erledigen, keine demokratischen Rechte wahrnehmen, rein gar nichts. Er ist vollständig von internationaler Solidarität abhängig.

Distanzierung des Volkes vom Militär [1]

ist nach wie vor ein Straftatbestand in der Türkei. Das türkische Strafgesetzbuch ist inzwischen geändert worden, nun ist aus dem alten Artikel 155 der Artikel 318 geworden, in dem es wörtlich heißt:

"(1) Aktivitäten, Aufforderungen und Empfehlungen, die das Volk vom Militärdienst distanzieren oder entsprechende Propaganda werden mit sechs Monaten bis zu zwei Jahren Haftstrafe bestraft.

(2) Falls diese Straftat durch Medien oder Presse begangen wurde, wird die Strafzumessung um die Hälfte erhöht."

Der Sachgehalt hat sich durch das neue Strafgesetzbuch absolut nicht geändert, eine öffentliche Erklärung der eigenen Verweigerung wird weiterhin als Distanzierung des Volkes vom Militär gewertet. Dennoch ist Ossi mit seiner Entscheidung nicht alleine, andere sind inzwischen seinem Beispiel gefolgt.

Weitere KDVer in der Türkei [2]

sind u.a. Mehmet Tarhan (2001), Mustafa Seyhoglu, Erkan Ersöz, Sertac Girgin, Emir Üner, Ugur Yorulmaz, Yavuz Atan, Timücin Kizilay, Erdem Yalcinkaya, Hasan Cimen und Erkan Calpur (2003), Ersan Ugur Gor (2004), Halil Savda (2004). Das sind konsequente Verweigerer aus Gewissensgründen, die sich ganz bewusst entschieden haben.

Sie tragen mit ihrer Verweigerung dazu bei, das Grundrecht auf KDV auch in der Türkei durchzusetzen. Sie nehmen die gleichen Repressionen für sich in Kauf, die Ossi seit 1995 erleidet. Viele andere vermeiden die Folgen einer offenen Konfrontation mit dem türkischen Staat. Für türkische Staatsangehörige im Ausland gibt es die Möglichkeit des Freikaufs vom Militär. Für eine Summe von einigen Tausend Euro Kopfgeld und dem Ableisten eines dreiwöchigen Wehrdienstes gehen sie den Weg des geringsten Widerstandes und ersparen sich diese Situation. Damit tragen sie dazu bei, dass sich an dem System der Wehrpflicht nichts ändert.

Eine konsequente Gewissensentscheidung für KDV als türkischer Staatsbürger findet auch hier in Deutschland immer wieder statt, aber wer glaubt, dass unser Grundgesetz für die hier lebenden Menschen ernsthaft von Bedeutung ist, der irrt leider. Schutz für KDVer wird nicht gewährt. Ich möchte dazu von vielen möglichen ein konkretes Beispiel benennen:

Mehmet Cetiner

ist Kurde mit türkischem Pass, er lebt zusammen mit seiner Familie seit 1995 in Deutschland. Den türkischen Staat musste er verlassen, um dem drohenden Dienst in der dortigen Armee zu entgehen. Mehmet hat hier in Deutschland lebend seine Gewissensentscheidung für KDV öffentlich gemacht, er war u.a. im Landesvorstand der DFG-VK und hat bei diversen Veranstaltungen öffentlich für das Grundrecht auch in seinem Heimatland geworben.

Trotzdem hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Asylanträge von Mehmet Cetiner und seiner Familie abgelehnt. Seine Klage dagegen führte zur Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf. Mit einem Monat Verzug erging das Urteil. Darin wurde er sinngemäß als "Politzwerg" gewertet. Es hieß, er sei für die türkischen Behörden zu unwichtig für eine Verfolgung und habe keine Repressionen zu befürchten. Kein Wort steht in der Urteilsbegründung über die unweigerlich drohende Einberufung zum Militär. Nichts über die daraus unweigerlich resultierende Befehlsweigerung und Dienstflucht mit den Konsequenzen Verfolgung und Haft ist im Urteil zu finden.

Dass Mehmet Cetiner als Pazifist und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe mit einer Einziehung zum Wehrdienst zu rechnen hat und dort möglicherweise gegen kurdische Widerstandskämpfer eingesetzt werden könnte, war für das Gericht offensichtlich nicht Grund genug, Asyl zu gewähren.

Nur dem schlechten Gesundheitszustand seiner Frau verdankt er es, dass die Familie noch nicht abgeschoben worden ist und weiterhin in Deutschland lebt. Dass ihm das Leben als Vogelfreier erspart bleibt, er nicht wie Ossi ein "ziviler Toter" geworden ist.

Im Grundgesetz Artikel 4 Absatz 3

heißt es wörtlich

"Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz."

Da steht nichts von Einschränkungen, dass dieses Grundrecht vielleicht nur für Deutsche gelten soll.

Die UN-Menschenrechtskommission [3] hat 1998 einstimmig eine Resolution zur Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen verabschiedet. Darin heißt es u.a. "Die UN-Menschenrechtskommission erinnert Staaten mit Wehrpflichtsystem, wo solche Vorkehrungen noch nicht getroffen wurden, an ihre Empfehlung, dass sie für Kriegsdienstverweigerer verschiedene Formen von Alternativdienst vorsehen, die mit den Begründungen von Kriegsdienstverweigerern im Einklang stehen, einen nicht-kombattanten oder zivilen Charakter tragen, im öffentlichen Interesse sind und nicht von bestrafender Natur sind." Und im deutschen Grundgesetz heißt es im Artikel 16a: (1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

Liebe Freundinnen und Freunde,

es ist beschämend, wie in diesem Land einerseits in Sonntagsreden auf die tollen Grundrechte eingegangen wird, die hier niedergeschrieben sind, und andererseits in der Praxis genau diese Rechte mit Füßen getreten werden.



Wer die Friedenspflicht in der Präambel seiner Verfassung stehen hat, der muss gegen Militarismus aktiv werden



Wer gegen Kriege aktiv werden will, der muss Kriegsdienstverweigerer schützen



KDV ist ein besonders schützenswerter Fluchtgrund


Niemand verlässt freiwillig seine Heimat ohne Grund. Wer dies aus welchen Gründen auch immer auf sich genommen hat, der/die hat damit schon dargelegt, dass es ihm/ihr Ernst ist mit dieser Entscheidung.

Das System von Abschiebung ist unmenschlich, Abschiebegefängnisse sind eine Schande für unsere Gesellschaft.



Quellen



1.Hülya Ücpinar in "KDV im Krieg", Januar 2005, Hrsg: Connection eV, Offenbach



2.http://www.wri-irg.org/co/turkcampaign-de.htm



3.http://www.unhchr.ch/Huridocda/Huridoca.nsf/TestFrame/5bc5759a
53f36ab380256671004b643a?Opendocument



KDV ist die gebräuchliche Abkürzung für Kriegsdienstverweigerung

TKDV ist die totale KDV, also die Weigerung des Ableistens auch von Zivildienst. KDVer können nach geltender Gesetzeslage im Kriegsfall beispielsweise zu kriegswichtigen Diensten wie Bombenentschärfen oder Brückenbauen verpflichtet werden



Felix Oekentorp ist aktiv beim Landesverband NRW der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen.(DFG-VK)

E-Mail: felix (at) dfg-vk (Punkt) de

Website: www.dfg-vk.de/nrw/
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