60 Jahre
Hiroshima


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Hiroshima- und Nagasaki-Tag 2005

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60. Jahrestages der Befehlsauslösung der Atombombenabwürfe, 24. Juli 2005, 12 Uhr, Karl-Marx-Str., gegenüber der Truman-Villa, Potsdam

Benennung des Hiroshima-Platzes

Stepahn Hohmann (Potsdam)

Albert Einstein, der dieses Jahr in vielen Zusammenhängen gefeiert wird, hat einmal das Zitat geprägt:

"Ich weiß nicht, welche Waffen im nächsten Krieg zur Anwendung kommen, aber ich weiß, welche im übernächsten: Pfeil und Bogen."

Nun ist dieser Aphorismus, so treffend er sein mag, auch schon wieder über 50 Jahre alt, und man mag sich fragen: Ist das nicht längst Geschichte? Welche Bedrohung stellen Atomwaffen denn heute noch dar? Der Kalte Krieg ist vorbei, das Wettrüsten zwischen USA und Sowjetunion auch. Ist die Welt, 60 Jahre nach Hiroshima, nicht ein gutes Stück sicherer geworden?

Mohammed El Baradei, der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde sagt selbst: "Noch nie war die Gefahr eines Atomkrieges so groß wie heute. Ein Atomkrieg rückt näher, wenn wir uns nicht auf ein neues internationales Kontrollsystem besinnen."

Und nach einem solchen Kontrollsystem sieht es zur Zeit nicht aus, ganz im Gegenteil:

Gerade erst, im Mai diesen Jahres, ist in New York die Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Eigentlich ist vereinbart, dass sich die Vertragsstaaten alle 5 Jahre treffen, um weitere Abrüstungsschritte zu vereinbaren. Der Vertrag ist in diesem Punkt eindeutig: Artikel 6 verpflichtet auch die jetzigen Atomwaffenmächte zu einer völligen Abrüstung.

Allerdings fühlen sich gerade die USA, denen viele die Schuld am Scheitern des Gipfels geben, daran nicht mehr gebunden. Ganz im Gegenteil, in der aktuellen Militärdoktrin der Vereinigten Staaten spielen Nuklearwaffen eine wichtige Rolle: Zum einen als Bunker brechende Raketen, aber auch als so genannte "Mini Nukes": Kleine, "handliche" Atombomben, die wie konventionelle Granaten auf dem Schlachtfeld eingesetzt werden können. Die unglaubliche Zerstörungskraft und die atomare Verseuchung bestehen natürlich trotzdem, aber die Hemmschwelle zum Einsatz sinkt immens.

Auch das frühere Tabu, dass es niemals einen atomaren Erstschlag geben wird, gilt so nicht mehr. Die US-Atomwaffendoktrin spricht ganz offen davon, im Falle "überraschender militärischer Entwicklungen" auch mit Atomwaffen anzugreifen. Natürlich reagieren auch die anderen Atomwaffenmächte darauf, das Klima scheint allgemein rauer zu werden: Erst vor zwei Wochen hat ein chinesischer General auf einer Pressekonferenz offen damit gedroht, die USA atomar anzugreifen, falls der Konflikt um Taiwan eskalieren sollte.

Was bei aller hohen Politik oft in den Hintergrund gerät, sind die Folgen eines solchen Angriffs für die Menschen. Wenn mich jemand fragt, warum ich mich als Medizinstudent gegen Nuklearwaffen engagiere, kann ich nur sagen:

"Weil wir euch im Falle eines solchen Angriffs nicht helfen können!" Tatsächlich hat eine Studie in den USA das Szenario eines Atombombenabwurfs über einer mittelgroßen Stadt untersucht. Das Ergebnis: Selbst, wenn man nur die schwersten Verbrennungen betrachtet und keine anderen Patienten im Krankenhaus lägen, könnte nur einer von 142 Patienten behandelt werden.

In Hiroshima waren von 245.000 Einwohnern etwa 100.000 auf der Stelle tot. Die übrigen wurden schwerst verbrannt oder durch die Druckwelle verletzt. Viele, die man hätte retten können, starben einfach, weil ihnen niemand zu Hilfe kommen konnte.

Es gab einfach keine Feuerwehrleute mehr, die sie hätten retten können, genauso wenig wie Ärzte und Krankenschwestern. Von 150 Ärzten in Hiroshima waren 65 tot, die meisten anderen verletzt. Die wenigen Krankenhäuser, die noch standen, waren völlig überfordert, und es fehlte an den einfachsten Verbandsmaterialien und Medikamenten.

Ohne ins Detail zu gehen, ist völlig klar: Ein Atomwaffenangriff ist nicht zu beherrschen und nicht zu behandeln!

Dazu kommen die Spätfolgen. Ein Arzt aus Hiroshima, der zu dem Zeitpunkt einige Kilometer außerhalb der Stadt war, beschreibt seine Erlebnisse: "Es war am vierten oder fünften Tag nach dem Atombombenabwurf, als Patienten mit merkwürdigen Krankheiten auftauchten. Bisher waren es meist Brandwunden und äußere Verletzungen gewesen.

Nun aber kamen Patienten mit hohem Fieber, Blutungen aus Nase und Augen oder schlagartigem Haarausfall. Einem Patient, der eben noch aussah, als wäre er auf dem Weg der Besserung, sprudelte plötzlich Blut aus dem Mund. In beiden Händen, die er schmerzerfüllt an den Kopf legte hielt er plötzlich ein Büschel von Haaren, als wären sie abrasiert. Er brach zusammen und war innerhalb von 24 Stunden tot."

Was der Arzt beschreibt und damals natürlich noch nicht kannte, sind die typischen Folgen radioaktiver Strahlung.

Eine Behandlung gibt es bis heute nicht, das heißt, die einzige Möglichkeit liegt in der Prävention!

Dazu gehört zum einen, die Erinnerung wach zu halten. Wer sich der katastrophalen Auswirkungen von Atomwaffen auf die Zivilbevölkerung bewusst ist, wird alles tun, ihren Einsatz zu verhindern.

Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir heute hier mit der Benennung des Hiroshima-Platzes und der Enthüllung dieser Gedenktafel ein Zeichen setzen. Von dort, wo vor genau 60 Jahren der Befehl zum Massenmord ausging, kommt heute ein klares "Nie wieder!"

Noch immer lagern in Deutschland 150 amerikanische Atomsprengköpfe, die im Kriegsfall von Bundeswehr-Tornados abgeworfen werden. Diese "nukleare Teilhabe" verstößt nicht nur gegen internationales Völkerrecht, sondern wird auch von 89% der deutschen Bevölkerung abgelehnt.

Zunächst diese 150 Atomwaffen zu verschrotten, wäre nicht nur ein Symbol, sondern ein ganz wichtiger erster Schritt.

Eine deutsche Regierung, die dieses Thema weiterhin totschweigt, stellt sich nicht nur gegen den erklärten Wählerwillen, sondern auch gegen elementare Gesetze der Menschlichkeit.

60 Jahre nukleares Zeitalter sind mehr als genug, es wird Zeit, dass diese Episode zu Ende geht.

Wir gedenken in diesen Tagen der vielen unschuldigen Opfer von damals, die ohne Unterschied in einer Sekunde ausgelöscht wurden, aber wir fordern auch die Verantwortlichen von heute auf: Die einzige wirksame Prävention ist und bleibt eine konsequente nukleare Abrüstung!



Stepahn Hohmann ist Mitglied im Vorstand der Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs - Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) und aktiv bei der IPPNW-Studierendengruppe Berlin.

E-Mail: ippnw@ippnw.de

Website: www.ippnw.de
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