60 Jahre
Hiroshima


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Hiroshima- und Nagasaki-Tag 2005

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Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche Berlin, am 6. August 2005

Rede zur IPPNW-Gedächtnisveranstaltung und Hiroshimakonzert zum 60. Jahrestag des Atombombenabwurfs

Ulrich Gottstein (in Berlin)

- Sperrfrist: 05.08.05 -

- Es gilt das gesprochen Wort! -



Sehr gehrte Damen und Herren,

Vor 60 Jahren am 8. Mai endete für Deutschland und Europa der 2. Weltkrieg. Millionen Menschen waren gefallen, in Konzentrationslagern umgebracht, durch Bomben oder in Gefangenschaft gestorben, verwundet, vertrieben. Zeitzeugen aus der damaligen schrecklichen Zeit gibt es jetzt immer weniger, aber die Erinnerungen bleiben. Gott sei Dank ist jetzt ein Angriffskrieg zwischen Europäischen Ländern nicht mehr vorstellbar, wie er Jahrhunderte stattgefunden hatte. Ein abgeschlossenes Kapitel deutscher und europäischer Geschichte?

Kein abgeschlossenes Kapitel unserer Geschichte und aller Menschen dieser Erde bedeutet der 6. August 1945, als die US-amerikanische Regierung die japanische Zivilistenstadt Hiroshima mit der Uran-Atombombe "little boy" auslöschen ließ und drei Tage danach mit der Plutonium Atombombe "fat man" die Stadt Nagasaki. Mit diesen zynisch- grausamen Demonstrations- und Physikerexperimenten, von Präsident Truman und den Militärs verlangt, wurden Hunderttausende japanischer Kinder, Frauen und Männer, darunter nahezu alle Ärzte und Krankenschwestern, entweder sofort getötet, oder sie erlagen qualvoll in den folgenden Stunden, Tagen, Wochen und Monaten ihren massiven Trümmerfrakturen, Verbrennungen und Verstrahlungen. Tausende der Überlebenden erkrankten später an Leukämien und anderen Krebsarten, alle hatten schwerste seelische Schäden erlitten.

Die Atombomben hatten ein neues Kapitel der Kriegsführung eröffnet, und die Menschheit erkennen lassen, dass die gottlos gewordene Hybris sich in die Lage geforscht hat, die Menschheit und die Natur zerstören zu können. Massenvernichtungswaffen waren gebaut und eingesetzt worden, die sich nicht mehr nur gegen feindliche Soldaten richten, sondern undifferenziert gegen alle Menschen.

Während die meisten US-Amerikaner nach wie vor der auch von der Bush-Administration propagandistisch verbreiteten Meinung sind, die Atombombenabwürfe seien ausschließlich zur Beendigung des Krieges erfolgt, beginnen jetzt amerikanische Autoren einzugestehen, dass Japan, dessen Waffenindustrie zu 80% zerstört war, ohnehin kurz vor der Kapitulation stand, nachdem nun auch die Sowjetunion den Krieg gegen Japan erklärt hatte und mit dem Einmarsch in die Mandschurei begonnen hatte. Präsident Truman kam es aber darauf an, mit der Demonstration der grausamen Massenvernichtungen mit jeweils nur einer Bombe neuen Typs Stalin und die sowjetische Regierung zu beeindrucken, die in Zukunft den Führungsanspruch Amerikas anerkennen müssten. Die Atombombenabwürfe mussten also vor der in wenigen Tagen erwarteten japanischen Kapitulation erfolgen !

Mit der Einschüchterung der Sowjetunion und anderer Staaten hatte sich die US-Regierung jedoch getäuscht, denn nun begann ein Wettlauf bei der Entwicklung der Atombombentechnologie. Bereits 1949 hatte auch die Sowjetunion Atombomben, 1953 auch Großbritannien, 1964 auch Frankreich und China, 1967 angeblich auch Israel und schließlich 1998 auch Indien und Pakistan, seit ca. einem Jahr sehr wahrscheinlich auch Nord-Korea, und weitere Länder werden folgen.

Vor wenigen Tagen hat ein Chinesischer General, sicher nicht von seiner Regierung beauftragt, aber mit ihrer offensichtlichen Zustimmung, gesagt, China werde Atomwaffen gegen die USA einsetzen, sollte Amerika auf Seiten Taiwans in den Konflikt eingreifen. Amerika wird sich nun hüten, dies zu tun. Auch Nord Korea hat mit dem Einsatz von Atomwaffen gegen die USA gedroht, sollten die USA feindliche Aktionen gegen ihr Land beginnen wollen. Seither haben die USA mildere Töne angeschlagen und sogar mit direkten Verhandlungen begonnen. Da ist es logisch, dass die USA und der Westen befürchten, auch Iran und andere Länder möchten über Atomwaffen verfügen, um nicht von den militärisch massiv überlegenen Ländern, wie USA und Russland, erpresst werden zu können.

Leider treiben die USA das offizielle und geheime nukleare Wettrüsten dadurch weiter, dass die Bush-Administration in ihrer vor zwei Jahren beschlossenen neuen Atomwaffenstrategie, im "nuclear posture review " festgelegt hat, sie werde sich wegen des Terrorattentats vom 11. September 2001 nicht mehr an den Artikel VI des "Atomwaffensperrvertrages" von 1970 halten. In diesem hatten sich die USA zum Abbau der Atomwaffen verpflichtet, mit dem Ziel der totalen nuklearen Abrüstung. Nun aber beschloss die Bush-Administration, die USA werde auch weiterhin Atomwaffen modernisieren und neue entwickeln, die zum Einsatz als Gefechtsfeldwaffe gebraucht würden. Die Auswirkung dieser neuen amerikanischen Atomwaffendoktrin ist, dass alle anderen Atomwaffenstaaten und solche, die es werden wollen, dem schändlichen Treiben der USA folgen werden.. Die größenwahnsinnige US-Administration - nicht das amerikanische Volk, dem wir uns eng verbunden fühlen - will der Welt weismachen, dass man terroristische Attacken von Fundamentalisten mit militärischer Macht und einer neuen Atomwaffenangriffsstrategie bekämpfen könne. Die USA sehen nicht, dass mit dem größer werdenden Potential an kleinen Atomwaffen das Risiko steil ansteigt, dass eines Tages auch Terroristen solche Atomwaffen in ihre Hände bekommen werden.

Wir Ärzte erkennen in der Geisteshaltung der Bush-Administration eine Psychose. Der Britische Atomphysiker und Friedensnobelpreisträger Sir Joseph Rotblat sagte in einer Rede vor internationalen Naturwissenschaftlern (53. Pugwash Conference on Science and World Affairs in Halifax/Canada): Nicht wir sind antiamerikanisch, wenn wir die Politik der US-Administration kritisieren, sondern sie selber ist antiamerikanisch. Die Haltung der US-Regierung zum Artikel VI des Atomwaffensperrvertrags ist ungeheuerlich. Sie hat einen völkerrechtlichen Vertrag unterzeichnet und ratifiziert, in dem sie sich zur Abschaffung von Atomwaffen verpflichtete und verfolgt nun eine entgegengesetzte Politik.

Es gibt Optimisten die glauben, die US-Regierung wolle mit ihrer Atomwaffenstrategie nur beeindrucken, aber ihre Kriegsführung weiterhin" konventionell" betreiben. Sie übersehen jedoch, dass die US-Kriegsschiffe im 2. Golfkrieg 1991 an die hundert Atomraketen und -bomben an Bord hatten, und dass nach wie vor über hundert Atomwaffen in Deutschland und einigen anderen Europäischen Ländern einsatzbereit lagern. Unvergessen bleibt auch, dass von 1957 bis 1984 jede einzige Woche 1-3Atombomben-Explosionen stattfanden, vorwiegend in den USA und der Sowjetunion, insgesamt damals über 1.692 ! Bis 1962 fanden all diese Testexplosionen überirdisch statt, also mit riesiger Wolke und radioaktivem fall-out. Für diese Verbrechen, die bei Millionen Menschen wahrscheinlich zu Krebserkrankungen geführt haben, waren kluge Physiker, Militärs und Politiker verantwortlich, klug, aber ohne Ethik und "Ehrfurcht vor dem Leben" (Albert Schweitzer). Albert Einstein schrieb schon 1931 (in einem Brief an den "Bund der Kriegsdienstgegner") : " Technik und Wissenschaft gedeihen dem Menschen zum Verderben, wenn die moralischen Kräfte verkümmert sind". Nach den Atombombenabwürfen sagte Einstein: "Wir brauchen eine neue Art des Denkens, wenn die Menschheit überleben will" ("We shall require a substantially new manner of thinking if mankind is to survive"). Der US-amerikanische Chef der Vereinigten Stabschefs der USA, General Omar Bradley, Zeuge der Atombombenabwürfe, sagte in einer berühmt gewordenen Rede anlässlich seiner Pensionierung: "Wir leben im Zeitalter der nuklearen Riesen und der ethischen Zwerge, in einer Welt, die Brillanz ohne Weisheit und Macht ohne Gewissen erreicht hat".

Ohne Weisheit und Gewissen ging und geht das nukleare Wettrüsten weiter. Bis zum Jahr 2004 waren 2.099 Atomwaffen zur Explosion gebracht worden, obgleich schon 1970 in New York der 1. "Nuklearwaffensperrvertrag" in Kraft getreten und von der großen Mehrheit der Länderregierungen unterschrieben worden war. Dem Vertrag zufolge sollte nicht nur die Weiterverbreitung von Atomwaffentechnologie verboten sein, sondern vor allem verpflichteten sich die Atomwaffenstaaten zu einer kontinuierlichen Verminderung ihres Atomwaffenpotentials, mit dem Ziel der endgültigen Abschaffung.

Dieser Vertrag war kaum sein eigenes Papier wert, denn die Atommächte konstruierten und testeten weiter. Allein die USA gaben zur Herstellung ihrer 70.000 Atomsprengköpfe, mit denen sie ganz allein die gesamte Erdoberfläche vielfach vernichten könnten, 5,5 Billiarden Dollar aus.

Im Mai dieses Jahres fand die "7. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags" in New York statt. Durch eine durchsichtige Hinhaltetaktik und fehlende Kooperation der amerikanischen Delegation wurde die Konferenz zur großen Enttäuschung fast aller beteiligten Regierungen sowie der Bürgermeister von Hiroshima und Nagasaki und der weltweiten Bewegung " Mayors for Peace " sowie der 2.000 Anti-Atomwaffen-Nichtregierungsorganisationen erfolglos beendet.

Sollen wir nun heute nur um die Opfer von Hiroshima und Nagasaki trauern ? Nein, unsere Aktivität gegen Krieg und für Frieden und Gerechtigkeit und Abschaffung aller Atomwaffen muss weitergehen.

Nach Ende des 2.Weltkriegs wurde der deutschen Bevölkerung mit Recht vorgeworfen, nicht gegen die Nazibarbarei aufgestanden zu sein, als es noch möglich gewesen wäre. Daher habe das deutsche Volk eine Mitschuld oder doch Mitverantwortung für den verbrecherischen Angriffskrieg und für den Holocaust zu tragen. Meine Damen und Herren, heute kann sich niemand mehr damit entschuldigen, er oder sie habe ja von den Atomwaffen nichts gewusst. Wir wissen heute, dass die NATO- Doktrin den Einsatz auch von Atomwaffen unter bestimmten Bedingungen vorsieht, obgleich die Androhung und Anwendung von Atomwaffen ein Verbrechen darstellen, wie vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag geurteilt worden ist. Die Gefahr eines nuklearen Holocaust besteht.

Von unserer Regierung und all den Parteien, die sich jetzt um unsere Stimmen bei der Bundestagswahl bemühen, müssen wir fordern, dass sie den sofortigen und totalen Abtransport der auf deutschem Boden liegenden amerikanischen Atomwaffen verlangen und eindeutig jede Beteiligung an Einsätzen deutscher Flugzeuge und Truppen mit Atomwaffen ablehnen. Deutschland will keine "nukleare Teilhabe", also auch nicht unter einem NATO-Kommando Atomwaffen bewachen, transportieren oder abfeuern, auf welche Art auch immer.

Die Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki und die weitergehende weltweite Atomwaffenrüstung haben uns gelehrt, dass Menschen ohne Ethik und Moral zu jeder Waffe greifen, über die sie verfügen. Das gilt für Regierungen, für fatalistische Kriegsführer und natürlich auch für Terroristen. Daher kann es nur eine Forderung geben: Die totale Abschaffung und Vernichtung aller Atomsprengköpfe weltweit ! Das sind wir den Opfern von Hiroshima und Nagasaki, aber auch unseren Kindern und Kindeskindern schuldig.



Prof. Dr.med. Ulrich Gottstein Gründungs- und Ehrenvorstandsmitglied der IPPNW

E-Mail: gottstein@vff.uni-frankfurt.de

Website: www.ippnw.de/index.php?/s,1,198/o,article,1033/
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