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Hiroshima-/Nagasakitag 2007

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Redebeitrag für die Hiroshima-Kundgenung am 6.8.2007 auf der Domplatte in Köln

Liebe Freundinnen und Freunde,

Bernd Hahnfeld (in Köln)

- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: Redebeginn: 6.8., 17 Uhr -

Hiroshima - der Name bleibt für alle Zeiten verbunden mit dem ersten Atombombenabwurf auf Menschen und ihre Stadt. Mit der nuklearen Explosion wurden im Bruchteil einer Sekunde zehntausende Männer, Frauen und Kinder getötet, zahllose weitere litten unbeschreibliche Qualen, bis nach Stunden, Tagen oder Wochen der Tod sie erlöste. Noch heute sterben Strahlenopfer an den Folgen der Explosionen.

Militärisch war der Abwurf der Atombomben überflüssig. Es war eine mörderische politische Demonstration der Großmacht USA, die sich gezielt gegen die japanische Zivilbevölkerung richtete. Dasselbe gilt für den zweiten Atombombenabwurf über Nagasaki drei Tage später. Das militärisch schon besiegte Japan kapitulierte, und der Rest der Welt hatte die militärische Überlegenheit und auch die Skrupellosigkeit der USA kennen gelernt.

Japans Kapitulation gab zahlreichen Spezialisten der Siegermacht USA Gelegenheit, kurz nach den Bombenabwürfen vor Ort die fürchterlichen Auswirkungen der Explosionen zu studieren. Die Auswertungen müssen positiv gewesen sein, denn trotz des Endes des Weltkrieges begannen die USA mit der Fortentwicklung und dem Bau zahlloser atomarer Massenvernichtungswaffen.

Der kalte Krieg begann. 1949 hatte auch die Sowjetunion Atomwaffen entwickelt. Es folgte eine maßloser und zwanghafter atomarer Rüstungswettlauf, wobei sich beide Supermächte und ihre Verbündeten wechselseitig unterstellten, das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem der anderen Seite gewaltsam beseitigen zu wollen. 1986 auf dem Höhepunkt des Irrsinnes existierten auf der Welt schließlich 70.000 Atomsprengköpfe. Die Testexplosionen vergifteten und verstrahlten die Erdatmosphäre derart, dass sich die Atomwaffenstaaten 1963 notgedrungen auf ein Verbot oberirdischer Atomwaffentests einigen mussten. Fortan testeten sie unterirdisch, bis sie 1996 einen umfassenden Teststopp (CTBT) vereinbarten. Dieser Teststoppvertrag zeigt den Wunsch der meisten Staaten nach dem Ende des nuklearen Wettrüstens.

Von den 167 Unterzeichner-Staaten haben ihn immerhin 104 Staaten ratifiziert, darunter Frankreich, Großbritannien und Russland. In Kraft tritt der Vertrag jedoch erst, nachdem alle 44 so genannten Staaten mit "nuklearer Kapazität" ratifiziert haben. 13 Staaten haben das noch nicht getan, darunter die USA und China.

Die Frage nach der ethischen, moralischen oder auch nur rechtlichen Berechtigung ihres Handelns haben sich die für die nukleare Rüstung verantwortlichen Politiker nicht gestellt. Die Drohung mit der gegenseitigen Vernichtung bestimmte die Militärstrategien. Der Einsatz der Atomwaffen wurde geplant und militärisch geübt. Dabei glaubte man ernsthaft an ein Überleben nach dem Atomkrieg. Zahllose atombombensichere Bunker - vor allem für die Führungseliten - zeugen von dieser Verblendung. Die Bundesregierung hat in einer maßlosen Geldvernichtungsaktion die seinerzeit größte Baustelle Deutschlands finanziert und ein gewaltiges Bunkersystem an der Ahr gebaut. Notregierung, Notparlament und Notpräsident sollten zusammen mit 3000 Überlebenden die Geschicke des verwüsteten Deutschlands regeln.

Landesregierungen waren von demselben Virus infiziert:

In Hamburg gehe ich bei jeder Benutzung des U- und S-Bahnhofs Jungfernstieg - direkt neben dem Rathaus - an den gewaltigen Eisentoren vorbei, mit denen die riesige Station im Falle des Atomkrieges verriegelt werden sollte, nachdem die Auserwählten darin Schutz gesucht hatten.

Selbst der kleine U-Bahnhof in Hamburg-Ohlsdorf hat unter der Leitstelle einen atombombensicheren Keller. Den Bauverlauf konnte ich monatelang auf meinem Weg zur Arbeit beobachten. Eine Handvoll Eisenbahner hätte darin Platz gefunden. Oft habe ich mir vorgestellt, wie sich diese Überlebenden beim Verlassen ihrer Maulwurfhöhle gefühlt haben würden.

Der Wahnsinn hatte Methode, und es ist ein großes Glück, dass trotz mancher falschen Angriffsmeldung es nicht zum Einsatz der Atomwaffen gekommen ist. Ich finde es das vielleicht größte Wunder des 20. Jahrhunderts, dass die Ost-West-Konfrontation ohne Krieg beendet worden ist. Die bis an die Zähne bewaffneten Militärblöcke begannen mit der Reduzierung ihrer gewaltigen Atomwaffenarsenale. Ein Sieg der Vernunft?

Daran muss gezweifelt werden, denn nach dem 11.9.2001 endete diese Entwicklung. Seitdem ist ein klarer Trend zur nuklearen Aufrüstung festzustellen. Die USA haben die Rolle der Atomwaffen in ihrer Militärdoktrin verstärkt und arbeiten an der Entwicklung neuartiger Atomwaffen. Seit 2004 produziert die USA wieder Tritium für den Bau neuer Atomwaffen. Russland kündigt seit dem Jahre 2003 die Modernisierung seiner nuklearen Waffen an und stellt jährlich zehn hochpräzise neue Topol-M-Interkontinentalraketen in Dienst.

Wie sehen die Bestände der Atomwaffen derzeit aus?

Die USA haben heute noch etwa 10.000 nukleare Waffenköpfe verfügbar, von denen 5.163 unmittelbar operativ einsetzbar sind. Bis zum Jahre 2012 ist eine Zahl von insgesamt 5.047 angestrebt, davon 2.192 operativ verfügbar. Das entspricht dann der Zerstörungskraft von 126.000 Hiroshima-Bomben. Fachleute sprechen von einer quantitativen Abrüstung.

Russland wird im Jahre 2010 nur noch 16.000 nukleare Waffenköpfe haben, von denen knapp 6.000 operativ einsetzbar sein sollen. Bis 2012 soll die Obergrenze bei 2.200 operativ stationierten strategischen Waffenköpfen liegen.

Weitere 200 atomare Waffenköpfe hat Großbritannien, 350 Frankreich, 200 China, 110 Indien und Pakistan und zwischen 60 und 200 Israel. Frankreich und Großbritannien bauen neue Trägersysteme für ihre Atomwaffen.

Erschreckend ist, dass die USA dabei sind, eine nukleare Erstschlagsfähigkeit zu erwerben, also keine nuklearen Gegenschläge mehr fürchten müssen. Vor diesem Hintergrund bekommt die politische Diskussion über die von den USA in Polen und Tschechien geplante Raketenabwehr eine völlig neue Bedeutung. US-Planer begreifen zudem ihre Atomwaffen mehr und mehr als konventionelle Waffen. Wir beobachten auch mit Sorge, dass die Verantwortlichen der USA in der internationalen Politik immer mehr autistisch agieren, d.h. nicht mehr die tatsächlichen Bedrohungslagen analysieren, sondern ihrem politischen und militärischen Handeln fiktive abstrakte Konflikt-Scenarien zu Grunde legen. Dieter Senghaas hat das in den Blättern für deutsche und internationale Politik, Ausgabe 7/07, näher belegt.

Das sind keine guten Aussichten für die Zukunft!

Wie ist die Situation bei uns in Deutschland? Bis vor kurzem waren noch 150 US-Atombomben im Hunsrück und in der Eifel stationiert, 130 in Ramstein und 20 in Büchel. Es gibt Hinweise darauf, dass die USA ihre Atomwaffen aus Ramstein ersatzlos abgezogen haben. Die Militärbasis Ramstein wird in US-Veröffentlichungen nicht mehr als Atomwaffenstandort geführt. Die für Atomwaffenstandorte vorgeschriebenen Inspektionen durch Wartungsspezialisten finden nicht mehr statt. Wenn die Meldungen wahr sind, können wir einen großen Erfolg auf dem Weg zu einem atomwaffenfreien Deutschland feiern.

Es bleiben jedoch noch die 20 atomaren B 61-Fliegerbomben in Büchel, für die variable nukleare Sprengköpfe vorgesehen sind, alle mit einer Zerstörungskraft von jeweils mehreren Hiroshima-Bomben. Ein Teil der Atombomben sind übrigens die umgebauten alten Pershing II-Sprengköpfe, deren Abzug seinerzeit die Friedensbewegung maßgeblich befördert hat. Die Atombomben in Büchel sollen im NATO-Einsatzfall von deutschen Soldaten mit Tornados der Bundeswehr zu den Zielorten gebracht und abgeworfen werden. Nukleare Teilhabe Deutschlands nennt man das. Ein grober Verstoß gegen deutsches und internationales Recht, denn Deutschland hat mit dem Atomwaffensperrvertrag und mit dem 2+4-Vertrag auf jegliche Verfügungsgewalt über Atomwaffen verzichtet.

Fahren Sie mit Ihrer Familie am ersten Sonntag im September nach Büchel und umrunden Sie zusammen mit den Pastoren, Schülern, Winzern, Lehrern, Apothekern und den anderen Mitgliedern der örtlichen Friedensinitiative den Standort. Es ist ein beschaulicher Spaziergang in einer wunderschönen Landschaft und gleichzeitig eine notwendige Demonstration gegen die letzten Atomwaffen in unserem Lande.

Auch sonst sollten Sie bei jeder passenden Gelegenheit Partei gegen die Atomwaffen ergreifen. Rechtlich sind Sie auf der sicheren Seite. Das höchste Gericht der Welt, der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat schon vor elf Jahren entschieden, dass die Drohung mit und der Einsatz von Atomwaffen grundsätzlich völkerrechtswidrig sind. Das Gericht hat hervorgehoben, dass die Atomwaffenstaaten verpflichtet sind, unverzüglich Verhandlungen über die vollständige atomare Abrüstung zu führen und erfolgreich abzuschließen. Gegen diese Verpflichtung verstoßen die Atomwaffenstaaten seit Jahrzehnten bewusst. Sie bestehen auf der Zweiteilung der Welt in Atomwaffenstaaten, die anderen ihren Willen aufzwingen können, und in Nichtatomwaffenstaaten. Die Nichtatomwaffenstaaten haben den Atomwaffensperrvertrag aber nur deswegen unterschrieben, weil sich damit gleichzeitig die Atomwaffenstaaten zur vollständigen atomaren Abrüstung verpflichtet haben. Wen wundert es, wenn mehr und mehr Staaten nach eigenen Atomwaffen streben? So finden sie international Gehör und sind vor Angriffen sicher.

Der Atomwaffensperrvertrag steht auf dem Spiel. Eine Aushöhlung dieses Vertrages und des Überprüfungssystems wäre fatal. Denn der Atomwaffensperrvertrag ist das einzige weltweite Vertragswerk, mit dem die Ausbreitung der Atomwaffen verhindert werden kann und mit dem die Atommächte zur nuklearen Abrüstung verpflichtet werden können. Die große Mehrheit der Staaten hält an dem Vertrag fest. Sie lehnen Atomwaffen strikt ab. Wiederholt und zuletzt 2006 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Atomstaaten zur atomaren Abrüstung aufgefordert. Im September 2006 hat die Konferenz der 118 Nicht-Paktgebundenen Staaten in Havanna die Abschaffung aller Atomwaffen gefordert. Ebenfalls im September 2006 haben Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan den Vertrag über eine kernwaffenfreie Zone in Zentralasien unterzeichnet. Zusammen mit den bereits existierenden atomwaffenfreien Zonen sind damit zwei Drittel unseres Planeten frei von Atomwaffen. Das sind die guten Nachrichten, die Mut machen.

Wir gedenken hier der Opfer der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki. Ihr Leiden und Sterben sollen nicht vergeblich gewesen sein. Es soll uns Mahnung sein, unsere Stimmen zu erheben gegen den Irrsinn atomarer Waffen und gegen Politiker, die verantwortungslos und gewissenlos an solchen Massenvernichtungswaffen festhalten. Von unserer Regierung verlangen wir, dass sie die US-Regierung zum sofortigen und ersatzlosen Abzug der restlichen Atomwaffen auffordert, dass sie die Atomwaffenfreiheit Deutschlands unwiderruflich erklärt und auch rechtlich absichert. Andernfalls wären die USA nicht gehindert, bei Bedarf wieder Massenvernichtungswaffen in Deutschland zu stationieren.

Überlegen Sie, ob Sie auch als Verbraucher und Konsument gegen Atomwaffen protestieren. Zögern Sie, bevor Sie Produkte von Firmen kaufen, die auch an der Entwicklung und Produktion atomarer Waffen beteiligt sind oder daran verdienen.

Überlegen Sie, bevor Sie in Länder fahren, die atomar aufrüsten oder an Atomwaffen festhalten. Wer in solche Länder fährt, sollte dort mit den Menschen darüber sprechen.

Vor allem sollten wir uns von unseren Politikern und auch von den Medien nicht belügen und beschwichtigen lassen. Entweder wir schaffen die Atomwaffen ab oder sie werden eines Tages uns abschaffen.



Bernd Hahnfeld ist stellv. Vorsitzender der IALANA. Vita siehe hier.

E-Mail: bernd (Punkt) hahnfeld (at) t-online (Punkt) de
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