Geschichte
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Friedens-
bewegung

update:
05.10.2004


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Geschichte der Friedensbewegung

 Geschichte im Detail

Frieden braucht Bewegung

Hasselbach: Über 180.000 Demonstranten vor Stationierungsort für Cruise Missiles

Reinhard Sczech

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Im Hunsrück liefen 1985 im Rahmen des NATO Doppelbeschlusses die Vorbereitungen zur Stationierung von 96 Cruise Missiles auf Hochtouren. Eine alte Raketenstellung bei Hasselbach wurde mit über 180 Millionen DM ausgebaut. Friedens- Kirchen- und Alternativgruppen organisierten Widerstand gegen diese Stationierung. Höhepunkt war am 10. Oktober 1986 in Hasselbach die mit ca. 180.000 TeilnehmerInnen größte politische Demonstration der rheinland-pfälzischen Geschichte.

Es war zugleich das erste Mal, dass außerhalb der großen Städte, direkt vor einem Stationierungsort für die Raketen demonstriert wurde.

So gab es innerhalb der Aktionsgruppen heftige Diskussionen über die Art und Weise der Demonstration. Letztendlich einigte man sich jedoch, organisierte die Sicherheit selbst, führte Gespräche mit der Polizei, die sich mit einer völlig neuen Taktik (Slogan: "Gewaltfrei im Hunsrück") auch erstaunlich moderat zeigte, so das es zu keinerlei Ausschreitungen kam.

Auch der Verlauf der Demonstration verlief völlig friedlich, obwohl die Gemeinde aus Angst vor Ausschreitungen die Demo nur unter 15 Auflagen genehmigte.

Andreas Zumach, der damalige Sprecher des Koordinationsausschusses der Friedensbewegung, bezeichnete die Demo schließlich als "riesigen Erfolg der Friedensbewegung", die klargemacht habe, dass das "Geunke die Friedensbewegung sei tot nicht stimmt".(TAZ Bericht vom 13.10.86)



Nachfolgend ein von uns gekürzter Zeitzeugenbericht von Reinhard Sczech, Hunsrück



Oktober 1986:

Frieden braucht Bewegung

Beschluss des Koordinationsausschusses der Friedensbewegung am 10.Januar 1986 in Bonn:

"Die gemeinsame Großaktion der Friedensbewegung im Herbst 1986 findet als Grossdemonstration am Samstag, dem 11. Oktober 1986, am Stationierungsort der Cruise Missiles (Hasselbach) im Raum Hunsrück statt. Im inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Grossdemonstration finden Aktionen des zivilen Ungehorsams statt; die Entscheidung über Ort und Zeit liegt bei den vorbereitenden Personen bzw. Gruppen. Bei Aktionen Zivilen Ungehorsams im Hunsrück ist die Zustimmung der `Friedensinitiative Rhein-Hunsrück-Mosel-Nahe`notwendig."

Bestätigt wurde dieser Beschluss beim "Grossen Ratschlag" der Friedensbewegung im Februar 1986 in Bonn. Gerhard Lorenz (Bell) stellte vor 700 `Friedensbewegten die Militärlandschaft Hunsrück vor. Doch der Beschluss verursachte auch Wirbel: Die "Blockadedebatten" begannen. Die Delegierten der Hunsrücker FI-Rhein-Hunsrück-Mosel-Nahe hatten ihre Positionen so formuliert:

"Die Hunsrücker Friedensinitiativen sind ausdrücklich Befürworter von Blockaden und anderen Aktionen zivilen Ungehorsams. Entsprechende Aktionen in den Tagen vor der Grossdemonstration halten wir jedoch nicht für sinnvoll, weil sie

1) von den Hunsrücker Initiativen auf Grund der großen Arbeitsbelastung für die Vorbereitung der Demo nicht verantwortlich mit vorbereitet werden können, was jedoch unerlässliche Voraussetzung wäre.

2) Blockaden vor der Demo durch massiven Polizeieinsatz zu einer Demobilisierung der Hunsrücker Bevölkerung führen könnte.

Ängste in der Bevölkerung sind schon durch die

Berichterstattung über die Ereignisse in Wackersdorf und Brockdorf geschürt worden. Uns ist eine massenhafte Beteiligung der Hunsrücker Bevölkerung an der Demo sehr wichtig."

Obwohl diese Einschätzung schon sehr frühzeitig "Konsens" war, wurde die Diskussion bis zur Erschöpfung immer wieder angefacht.

Der "Grünen-Kreisverband" Rhein-Hunsrück stellte einen Antrag auf "Genehmigung von Aktionen zivilen Ungehorsams durch die FI". Jupp Trauth dazu:

"Die FI sitzt einem schwerem Irrtum auf, wenn sie den Widerstand auf wenige, allseits anerkannte Aktionen beschränken will. Mit welchem Recht schwingt sie sich auf zum einzig rechtmäßigen Vertreter des Widerstands gegen die Raketen."

Parteifreund Axel Weirich schrieb unter dem Titel Mitbegründer der Hunsrücker Friedensbewegung:

"Also werden wir im Hunsrück auch weiterhin für den Frieden beten und Kreuze aufstellen und darauf hoffen, dass sich die Militaristen eines Tages davon beeindrucken lassen."

Die Berliner taz höhnte mit der Schlagzeile:

"FRIEDENSBEWEGUNG BLOCKIERT NUR SICH".

Währenddessen rackerten sich viele unermüdlich ab: Die Friedensarbeit lief auf Hochtouren. Hunsrücker reisten zu Informationsveranstaltungen von Berlin bis Stuttgart. Tausende dicker Infos über die Aufrüstung im Hunsrück wurden verschickt. Der Lichtbildervortrag von Gerhard Lorenz war schnell vergriffen und wurde immer wieder aus dem ganzen Bundesgebiet angefragt. Jeden Sonntag kamen zahlreiche Kirchen- und Friedensgruppen zum Friedensgebet. Jedes Wochenende Diskussion, Gäste im Wohnzimmer, Rundfahrten zu den Militäreinrichtungen, Pressearbeit, Radio- und Fernsehinterviews ... so wurde nicht nur in der Friedensbewegung der "Hunsrück" zum Begriff.

Auch mit der Polizei wurden Gespräche geführt. Es wurde inhaltlich diskutiert.

Aus einem Flugblatt des Friedensstammtisch Viertälergebiet (Bacharach):

"Liebe Mitbürger in Uniform ! Für Sie bedeutet dieser Tag in erster Linie ein kaputtes Wochenende, lange Autofahrten, Herumsitzen und Warten, provisorische Nachtlager und auch Furcht vor Ausschreitungen. Für uns ist dies ein Tag, an dem mit uns viele Bürger aus unserer Republik am zukünftigen Stationierungsort der Cruise Missiles ihr Nein gegen eine menschenverachtende Aufrüstung zum Ausdruck bringen werden.

... Wem nutzt es, wenn es zu Krawallen kommt ? Die Grenzen zwischen Terroristen und Chaoten und Friedens - und Anti-AKW-Bewegung können verwischt werden. Es wird eine härtere Gangart der Polizei gefordert und die Gesetze werden verschärft. Die Menschen bekommen Angst, ihre Überzeugung demonstrativ zu zeigen. Wem passt das ins Konzept ?"

Anonyme Briefe wurden im Hunsrück an Kontaktadressen von Friedensstammtischen und Ortsbürgermeister geschickt:

"... schon sind einige Friedensbewegte dabei den gemeinsamen Kampf zu untergraben. Wir, Deutschlands Chaoten, warnen ausdrücklich davor sich vor den imperialistischen Karren spannen zu lassen. Deshalb werden wir am 11.Oktober in Hasselbach und Umgebung auftauchen und mit FEUER und FLAMME für diesen Staat sein."

Diese Briefe verfehlten ihre Wirkung nicht. Gemeinderäte hatten Angst um Ihre Gemeindehäuser. In zwei Schreiben an alle Gemeinderäte der Region erläuterte die Friedensinitiative Ziele und Ablauf der Demonstration. Vor der Demo standen dann viele Gemeindehäuser und private Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung - von den über 2.000 organisierten Schlafplätzen wurden nicht alle benötigt.

Inzwischen traf von der Kreisverwaltung die Genehmigung der Demonstration inklusive 15 Auflagen ein. Unter anderem:

Pro 50 Teilnehmer ist mindestens 1 Ordner zu stellen.

Die Länge von Fahnenstangen bzw Transparenten ist auf 2 m zu begrenzen. Metallstangen sind unzulässig. (Begründung: Könnten als Stoss- und/oder Schlagwaffen benutzt werden.)

Auf dem Beller Markt sind für die Abschlussveranstaltung sechs

fahrbare Toilettencontainer aufzustellen. (...)

Friedenstauben gegen den Rüstungswahn: 50.000 Demonstrationsaufrufe mit einer blauen Friedenstaube als Beilage wurden im Raum Rhein-Hunsrück-Mosel-Nahe verteilt.

In vielen Haushalten wird der Aufruf befolgt: "Machen Sie Ihren Protest sichtbar. Hängen Sie die beiliegende Friedenstaube in Ihr Fenster, Auto, an den Gartenzaun oder eine andere gut sichtbare Stelle."

Auch Geschäftsleute, die sich mit den Forderungen der Friedenbewegung kaum identifizieren, hängen am Demotag Friedenstauben in die Schaufenster. Damit sollen "die Chaoten" vor "Plünderungen" abgehalten werden. (...)

Der CDU-Landesverband Rheinland-Pfalz gab sich alle Mühe Angstgefühle zu verstärken. Aus einer Presseerklärung:

"solche Proteste und Demonstrationen, die erfahrungsgemäss durch die Anwesenheit von Chaoten ein hohes Risiko in sich bergen."

Das Bundesinnenministerium veröffentlichte am Donnerstag vor der Demo einen dicken Bericht über die "linksextremistische" Beeinflussung. Wörtlich: "Die Vorbereitungen vor Ort in Hasselbach werden von der DKP kontrolliert." Die dämliche Begründung von Zimmermanns Beamten: Jürgen Locher und Horst Petry sind Mitglieder der DKP.

Aber auch die Halbtagsangestellte im Hunsrücker Friedensbüro, Heidrun Zimmer-Wagner wird in dem Bericht in DKP Nähe gerückt. Sie "prangerte in einem Beitrag für die `DKP-Landrevue`die •ffensive, friedensgefährdende`Politik der USA an." Ein echter Klops aus dem Hause Zimmermann.

Natürlich ist auch das HUNSRÜCK-FORUM unter "kommunistisch unterwandert" abgelegt. Denn "bei der angegebenen Telefonnummer handelt es sich um den Anschluss des DKP-Funktionärs Horst Petry."

Sorgen machte die Finanzierung der Demo. Der Auftritt von Udo Lindberg stand bis zur letzten Minute auf der Kippe, weil ein Konzertmanager Geschäfte machen wollte. Alle Künstler traten kostenlos auf. `Uns Udo`Lindberg spendete sogar 5.000 Mark und Hannes Wader 1.000 Mark. Aber alleine die Musikanlage und Bühne kosteten schon 30.000 DM. Nach harten Verhandlungen kam es zum Schluss doch noch zur Einigung. Die Demonstration im Hunsrück war die erste Großdemo der Friedensbewegung ohne ein grosses finanzielles Defizit. (...)

Die Einsatzleitung der Polizei setzte Vertrauen in die Organisatoren und überlies ihnen voll die Ordneraufgabe während der Demo. Der Motorradclub "Kuhle Wampen" erledigte souverän diese schwierige Aufgabe. Lediglich die Verkehrslenkung wurde zur Aufgabe der Polizei.

Fast 2.000 Demonstranten reisten schon am Freitag an und übernachteten in Gemeindehäusern oder waren privat in den verschiedenen Dörfern untergebracht. Hotels und Pensionen waren schon Monate vorher ausgebucht. Als dann am Samstagmorgen die ersten Sonderzüge einrollten, standen einigen Hunsrückern Freudentränen in den Augen.

"KONSTANZ-BELL-UND-ZURÜCK" oder "STUTTGART-KASTELLAUN-UND-ZURÜCK" stand auf den großen Eisenbahnwaggons. Der Jubel beim Einlauf in Kastellaun war unbeschreiblich. Die angereisten Friedensfreunde hatten schon viele Strapazen hinter sich. Der Zug in Hamburg war beispielsweise um 1.00 Uhr nachts überfüllt abgefahren.

In strahlendem Sonnenschein ging die Demonstration über Spesenroth nach Hasselbach und dann vorbei an der Cruise Missile Baustelle. Soldaten der Bundeswehr waren ebenso dabei wie Kirchen-, Friedensgruppen, amerikanische Staatsbürger, Mönche aus Japan, eine dänische Friedensgruppe, Sozialdemokraten, Christen, Grüne, Kommunisten und ganz wichtig: Fast zehntausend Hunsrücker !

Auf dem Beller Marktplatz moderierte August Dahl die Hauptkundgebung. Gehard Lorenz sprach als 1.Beigeordneter der Gemeinde Bell auch im Namen der Bürgermeister von Bell und Hasselbach die Begrüßung. Er wies darauf hin, wie ohnmächtig die Gemeinden der Staatsmacht gegenüberstehen.

"Ein hochrangiger Politiker erklärte uns im Gasthaus in Bell anlässlich einer CDU-Wahlveranstaltung `Hier oben werden Garagen gebaut`. Liebe Freunde, so geht man mit uns um! Hier wird die größte Atomraketen-Basis in Mitteleuropa gebaut, mit einer Zerstörungskraft von mehr als tausend Hiroshima Bomben."

180.000 Menschen demonstrierten im Hunsrück.

Die Polizei "musste" in der abendlichen Pressekonferenz auf politische Weisung diese Zahl auf "über 100.000" hinunterdrücken. In der Zeitschrift "DEUTSCHE POLIZEI" Nr 11/86 wundert man sich dann: "Wer hätte das gedacht ? Keine Ausschreitungen, keine Festnahmen, keine Stahlkugeln, kein Wasserwerfereinsatz, kein Demonstrant der nicht den Kundgebungsort erreicht hätte, keine verletzten Polizeibeamten und keine verletzten

Demonstrationsteilnehmer. Die Großkundgebung, an der rund 180.000 Menschen teilnahmen ....".

Die Raketenmauer bot nach der Demo ein äußerst buntes Bild. Sprüche wie: "Helmut jetzt reichts, Hannelore"... "Wir brauchen kein SDI, wir haben schon eine Teflonpfanne"...

"Wer fährt denn da noch nach Berlin"... "Ein freies Land braucht keine Mauern"... "Wir grüßen die Bundesregierung mit einem dreifachen: hau ab !" und viele mehr waren da zu lesen. Eine "geballte" Ladung Phantasie gegen die Hochrüstung. (...)

Diese Demonstration hat Zeichen gesetzt. Die Berichterstattung in den Massenmedien ist leider wegen der "Friedlichkeit" nur sehr kurz gekommen. über Krawalle hätte man lange berichtet. Aber trotzdem, der Protest wurde zur Kenntnis genommen. Zeitungen aus aller Welt berichteten.

Im Beller Pfarrhaus und dem Hunsrücker Friedensbüro trafen zahlreiche Dankschreiben ein. Die Menschen zeigten sich überwältigt von der eindrucksvollen Demonstration und vor allen Dingen von der Gastfreundschaft und Freundlichkeit der Menschen im Hunsrück.



E-Mail: reinhard (at) sczech (Punkt) de
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