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Oster-
marsch
2003


vom:
23.04.2003


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  Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede bei der Auftaktkundgebung des Ulmer Ostermarsches, 21.04.2003, zum Ulmer Deserteursdenkmal

Markus Kiefer

Liebe Freundinnen und Freunde

Hier am Münsterplatz sind wir in unmittelbarer Nähe des Denkmals versammelt, das an den Widerstand der Weißen Rose gegen die Nationalsozialistische Diktatur erinnert. Es ist gut und wichtig, daß es hier in Ulm einen Ort gibt, der an das Wirken und an die Ermordung dieser Widerstandskämpfer erinnert.

Der Widerstand anderer Menschen gegen Gewalt und Krieg hat bislang keine entsprechende Würdigung an einer prominenten Stelle in Ulm erfahren. Ich rede insbesondere von denjenigen, die sich weigerten auf andere Menschen zu schießen, den Deserteuren. Während der Widerstand der Weißen Rose mittlerweile von mehr oder weniger allen gesellschaftlichen Gruppierungen in Deutschland anerkannt wird, werden Deserteure des Zweiten Weltkrieges auch heute noch häufig als Vaterlandsverräter, Feiglinge oder Kameradenschweine beschimpft.

Wir vom Friedensnetzwerk haben beschlossen, hier an diesem zentralen Ort an die Deserteure aller Kriege zu erinnern und ihren Widerstand zu würdigen. So haben wir für die Dauer dieser Kundgebung das Ulmer Deserteursdenkmal in virtueller Form als Poster wieder aufgestellt. Das Ulmer Deserteursdenkmal, das hier auf dem Poster dargestellt ist, wurde von der Ulmer Künstlerin Hanna Stütz-Menzel gestaltet und 1989 von einer Kriegsdienstverweigerergruppe vor dem Roxy eingeweiht. Auf Beschluß des Ulmer Gemeinderates mußte das Denkmal jedoch abgebaut werden. Es wurde von der Kriegsdienstverweigergruppe mit einem Tieflader nach Ludwigsfeld transportiert, wo es heute noch in einem Vorgarten ein Schattendasein führt.

Es ist eine Schande, dass es in Ulm, der Heimatstadt von Sophie und Hans Scholl, und von Inge Aicher-Scholl, die hier die Volkshochschule viele Jahre geleitet und bereits in den 60er Jahren die Ostermärsche mitorganisiert hat, daß es in dieser Stadt zwar Raum für viele kriegsverherrlichende Denkmäler gibt, daß aber ein Deserteursdenkmal anscheinend unerwünscht ist. Dieses Deserteursdenkmal würde der Stadt Ulm, die Stolz auf das Andenken an die Geschwister Scholl und an den Pazifisten Albert Einstein ist, gut zu Gesicht stehen.

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2003
Die Debatte um das Ulmer Deserteursdenkmal zeigt, dass offensichtlich Menschen, die auf ganz konsequente Art und Weise dem Krieg den Nährboden entziehen, und zwar gleichgültig aus welchen Motiven, in unserer Gesellschaft massiven Anstoß erregen.

Das ist auch daran zu sehen, dass Deserteure aus dem zweiten Weltkrieg immer noch nicht vollständig von der Bundesregierung rehabilitiert und nie als Widerstandkämpfer anerkannt wurden. Gegen Deserteure verhängte Todesurteile und Gefängnisstrafen wurden bislang nicht pauschal aufgehoben. Dies ist ein unglaublicher Missstand, der die Deserteure und ihre Angehörigen auch heute noch diffamiert und der beseitigt gehört.

Aber nicht nur den Deserteuren aus dem zweiten Weltkrieg wird die Würdigung ihres Widerstandes gegen Krieg und Gewalt versagt. Im Gegenteil. Deserteure aus gegenwärtigen Kriegen sind immer noch massiven Repressionen ausgesetzt, auch in der Bundesrepublik Deutschland.

So haben ausländische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer in unserem Land in der Regel kein Anspruch auf politisches Asyl. Türkischen Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren, die nicht in dem Krieg gegen die Kurden in der Türkei eingesetzt werden wollten, wurde immer wieder das politische Asyl in Deutschland verweigert und an die Türkei ausgeliefert. Dort erwartete sie Gefängnis und Folter.

Kein irakischer, amerikanischer oder britischer Soldat, der sich weigerte in dem jetzigen Golfkrieg zu kämpfen, könnte darauf hoffen, bei uns in Deutschland als Asylbewerber anerkannt zu werden. Amerikanische Soldaten, die im letzten Golfkrieg in Deutschland untergetaucht sind und unter anderem von dem Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens aufgenommen wurden, wurden von der deutschen Polizei systematisch aufgespürt und an die Amerikanischen Streitkräfte ausgeliefert. Walter Jens wurde wegen Beihilfe zur Desertion von deutschen Gerichten verurteilt.

Aber nicht nur die direkte Unterstützung von Deserteuren wird in Deutschland strafrechtlich verfolgt. Die bloße Aufforderung an Soldaten, ihre Streitkräfte zu verlassen, zieht strafrechtliche Konsequenzen nach sich. Gegen Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen und gegen Konstantin Wecker, die im Februar bei einer Antikriegsdemonstration in München, Bundeswehrsoldaten zum Verlassen der in der Türkei stationierten AWACS-Aufklärungsflugzeuge aufgerufen haben, wird von der Staatsanwaltschaft wegen Aufrufs zu einer Straftat ermittelt. Tobias Pflüger wurde nach der Demonstration sogar von der Polizei für einige Stunden festgenommen. Dies alles obwohl der Einsatz der Bundeswehrsoldaten in der Türkei im Rahmen des Irak-Krieges grundgesetzwidrig war.

Die Brisanz dieses Themas zeigt, dass sich das Militär durch Desertion in seiner Substanz bedroht fühlt. Wir fordern, dass Menschen, die sich weigern, am organisierten Töten teilzunehmen, unterstützt und gewürdigt werden. Auf dem heutigen Ostermarsch möchten wir daher mit dieser Aktion den Deserteuren aller Kriege ein, wenn auch vorübergehendes Denkmal setzen.

Und vielleicht hat auch ein Offizieller von der Stadt Ulm, vielleicht hat ja Oberbürgermeister Ivo Gönner, man weiss es ja nie, dieser Rede zugehört. Vielleicht findet sich bald für das Deserteursdenkmal ein Standort in Ulm.


Internet: http://www.friedensnetzwerk-ulm.de
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