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Oster-
marsch
2003


vom:
30.04.2003


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Ostermärsche und -aktionen 2003:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede beim 12. Internat. Ostermarsch 2003 in Konstanz am 19. April

Beat Dietschy

Liebe Ostermarschierende,

warum sind wir eigentlich hier? Warum versammeln wir uns? Ist nicht alles vorbei? Sollen wir uns nicht freuen, über das Ende eines Diktators, der so viele Jahre Irak beherrscht hat, sein Volk brutal unterdrückt und seine Gegner eliminiert hat? Darunter waren Tausende von Kurden, die er in der Tat mit chemischen Waffen ermordet hat, (mit Gift-Gas, zu dem er mit Hilfe der USA, aber auch Deutschlands und der Schweiz u.a. gekommen ist). Dass sich die irakischen Kurden über Saddams Ende freuen, verstehe ich.

Trotzdem ist für mich die Freude getrübt und der Protest gegen diesen Krieg absolut notwendig. Dies aus einer Reihe von Gründen. Ich greife zwei heraus:

1.Es handelt sich um einen Krieg, der die Prinzipien des Völkerrechts massiv verletzt und dieses untergräbt. "Noch nie haben zwei Gründungsmitglieder der UNO und ständige Mitglieder des Sicherheitsrats .. das Völkerrecht auf so brutale Weise verletzt" (Ignacio Ramonet).

2.Ein solcher Krieg wird nicht dadurch plötzlich akzeptabel, dass er gewonnen wird.

Zunächst zu diesem Punkt. Erfolg - so scheint es - macht Unrecht zu Recht und verwandelt Lügen in Wahrheit. Die vollendeten Tatsachen, welche die Kriegskoalition geschaffen haben, geben offenbar jenen Auftrieb, die bisher nicht wagten, einen solchen Krieg zu befürworten. "War der Krieg gegen Irak am Ende nicht doch der richtige Weg?" ist nun in Zeitungen (wie dem St. Galler Tagblatt, aber sicher nicht nur dem) zu lesen.

Der Weg wohin? Zu welchem Ziel? Die Gründe, die die Bush-Regierung anführte, wechselten ja fast über Nacht und nahmen im gleichen Masse zu wie die Hitze in der irakischen Wüste und der internationale Protest gegen den Krieg.

Erst sollte es ja "einzig und allein" um die Entwaffnung Saddams gehen. Doch wo sind sie, diese Massenvernichtungswaffen? Ein US-Suchtrupp soll sie jetzt aufspüren. Dabei haben sie sie dauernd vor Augen, sagt Eduardo Galeano: denn die Invasoren selber benutzen tödliches Gift (uranhaltige Geschosse) und andere international geächtete Waffen wie Streumunition.

"Verbindungen zu Bin Laden" hiess eine andere Begründung für den Krieg. Auch die sind schwer zu finden. Und auch da gilt historisch betrachtet: die USA haben selber mit Bin Laden viel mehr zu tun als Saddam. Ausserdem geben sie mit ihrem Handeln gerade dem Terrorismus weltweit neue Nahrung.

Irak habe gegen 16 UN-Resolutionen verstossen, lautete eine weitere Begründung. Wieviele Male haben die USA selber oder enge Verbündete wie Israel genau dies getan?

Schliesslich wurde der Regimewechsel, die Demokratie ins Spiel gebracht. Ein sehr fadenscheiniges Argument: seit wann denn sind Generäle ausersehen, Demokratie und ein funktionierendes Gemeinwesen aufzubauen? Wurden sie etwa darauf vorbereitet? Das immer noch andauernde Chaos in Irak spricht nicht dafür, dass je ernsthaft daran gedacht wurde. (Auch wäre zu fragen, welche Wohltaten Bush den Kindern Iraks bringen will, wenn er den eigenen Kindern zu Hause das Geld für Schulen und Spitäler streicht.)

Dennoch verspricht Präsident Bush ein "neues Regime im Irak, das ein inspirierendes Vorbild für Freiheit und Demokratie in der ganzen Region sein wird". Sein Berater Richard Perle konkretisiert diese Äusserung: nach Irak gehe es um Iran, Libyen und Syrien.1 Wer wird also der nächste sein? Und vor allem: Man muss nicht Pazifist sein, um zu fragen: Wie eigentlich kann man Frieden und Demokratie herbeibomben? Auch die "intelligentesten" Bomben schaffen das nicht. Krieg und Gewalt führt nicht zur Verminderung von Krieg und Gewalt. Wer Krieg sät, wird nicht Frieden ernten.

Weil das sehr vielen Leuten klar ist, lassen sie sich von keiner noch so gekonnten Medienlüge irreführen und gehen deshalb wie noch nie seit dem Vietnamkrieg auf die Strasse. Dieser Widerstand ist ein Hoffnungszeichen!

Zu fragen ist nun aber: wogegen ist Widerstand zu leisten? Worum geht es wirklich in diesem Krieg, von dem Bagdad offensichtlich nur der Anfang ist?

Oel sei es nicht, so wird gesagt. Allerdings: wäre Irak Produzent von Zuckerrüben oder Blumenzwiebeln, wäre es dann zur Invasion gekommen? In jedem Fall geht es aber tatsächlich noch um mehr als die Kontrolle über die zweitgrössten Oelreserven der Welt.

Innenpolitisch will sich der Bush-Clan die Wiederwahl sichern. Und zugleich wird damit durchgesetzt, dass inmitten einer Wirtschaftskrise und bei explodierender Staatsverschuldung den Grosskonzernen und den Reichen Steuergeschenke von einer halben Billion gemacht werden. Aussenpolitisch aber geht es um die Einführung einer neuen Doktrin, die über dem Völkerrecht steht.

(1.) Was beinhaltet die neue Doktrin?

Das Recht auf Präventivkrieg, so heisst es. Aber das ist in meinen Augen eine Verharmlosung. Das bezweckt ja auch diese Sprachregelung, die im September 2002 mit einem Strategiepapier des Weissen Hauses zur nationalen Sicherheit eingeführt und u.a. auch von zweifelhaften Predigern wie Jim Summerville willig verbreitet wurde: das Jesus-Wort zur aktiven Gewaltfreiheit, die andere Wange hinzuhalten, wenn einem auf die eine geschlagen wurde, hat er dafür solcherart aktualisiert: "wenn du denkst, einer könnte auf deine Backe hauen, dann hau du zuerst!"

Auf das Recht auf einen Präventivkrieg haben sich Hitler 1941 gegen die Sowjetunion und Japan 1942 gegen die USA berufen.

Suggeriert wird mit diesem Sprachgebrauch, dass ein Angriffskrieg kein Angriffskrieg, sondern ein Verteidigungskrieg gegen einen fremden Angriff sei. Wo aber ist dieser Angriff? Welche Bedrohung hätte von Saddam 2003 für die USA ausgehen können?

Genau darin besteht das Unerhörte der neuen Doktrin: irgendein Tatbestand, der den "legitimen" Interessen des Imperiums zuwiderläuft, kann von ihm zum Kriegsgrund gemacht werden. Washington muss nur diesen oder jenen Staat als "Bedrohung" bezeichnen, um das Recht zu haben, gegen ihn vorzugehen.

Noam Chomsky hat darauf hingewiesen: Dies führt ein komplett neues Prinzip ein in die internationalen Beziehungen der USA, und Irak wurde dafür als Testfall gewählt. Und es bot sich ja auch an, wegen der offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen des Regimes, aber auch seiner geostrategischen Lage und nicht zuletzt seiner geringen militärischen Stärke.

Man muss von Imperium sprechen. Und die mit ihm gehen, sind keine Bündnispartner, sondern Vasallen. Denn das neue Prinzip gibt nicht nur den USA das Recht auf Krieg und widerspricht damit der Charta der Vereinten Nationen. Es degradiert diese zum Erfüllungsgehilfen der US-definierten Politik. Weigert sich der Sicherheitsrat, diese Rolle zu spielen, so wird ihm Versagen attestiert.

Das führt erstens zu einer Aushöhlung der Instrumente der kollektiven, gemeinsamen Sicherheit, wie sie im Völkerrecht geschaffen wurden. Und zweitens zu einer massiven Militarisierung der internationalen Beziehungen und der bestehenden inner- und zwischenstaatlichen Konflikte.

3. Schluss

Es kommt also nichts Gutes auf uns zu. Trotz all dem gibt es starke Zeichen der Hoffnung:

Unzählige Menschen empören sich darüber, dass Menschen und Kulturgüter in diesem Krieg als einfache Kollateralschäden abgebucht werden. Sie empören sich über den Zynismus des Imperiums, das von "den humansten Kämpfen der Menschheit"2 flötet. Darüber, dass Rumsfeld die Plünderungen als Preis für den Übergang zu einer freien Gesellschaft bezeichnet. Es spricht für sich selber und zeigt die Verachtung anderer überdeutlich, wenn zwar das Oelministerium geschützt - die Museen mit 7000 Jahren Kulturgeschichte aber genauso vergessen werden wie die Spitäler. Was dieser Krieg zeigt, ist nicht ein "clash of civilisations", sondern ein Triumph der Barbarei über die Zivilisation, und dies im Namen der Freiheit!

Jungen und auch älteren Menschen gehen die Augen auf. Ein Geschäftsmann, der einmal sogar Gemeindepräsident für die SVP war, kein linker also, schreibt mir in diesen Tagen: "Stell dir vor, im Alter von 62 Jahren habe ich zum ersten Mal an einer Demo teilgenommen." Und: "eine absolute Schande, was sich die Herren Bush und Co. leisten."

Und auch die Kirchen haben in seltener Einmütigkeit und Klarheit weltweit den Versuch verurteilt, Krieg zu einem akzeptablen Mittel der Aussenpolitik zu machen. Sie haben sich auch sehr klar von jeder religiösen Bemäntelung und Rechtfertigung distanziert, wie sie Bush mit seinem Krieg gegen das Böse unternimmt.

Das ist neu, zumindest für die Kirchen und Gläubigen des Nordens. Die im Süden haben es schon länger erkannt: sie haben seit 500 und mehr Jahren erlebt, wie selbsternannte Befreier im Namen von Christentum, Freiheit oder Eigentum Kreuzzüge und Conquistas durchführen. Sie haben erlebt, dass ganze "Völker gekreuzigt werden" (Las Casas), im Namen der unheiligen Allianz von Thron und Altar.

Heute erleben wir die Fortsetzung dieser Geschichte im Namen von Bush und Börse, Sicherheitsdoktrin und göttlicher Segnung. Und im Gewand einer erneuten perversen Opfertheologie, die denen das Heil verspricht, die dafür geopfert werden. Kriege kreuzigen die Wahrheit, schrieb der amerikanische Schriststeller John Reed (1917).

Ostern bedeutet gerade das Nein dazu, zu dieser Todesmystik. Ostern ist der Aufstand des Lebens gegen den Tod. Oder, wie es ein einmal treffend gesagt wurde: als Christen sind wir Protestleute gegen den Tod in allen den Formen, wie er organisiert oder gerechtfertigt wird. Das ist auch immer ein wenig der Sinn (oder Hintersinn) der Ostermärsche gewesen: Einspruch zu erheben zum Beispiel gegen atomare Aufrüstung und die zivile Atomkraft, gegen Krieg in allen Varianten: gegen Staaten, gegen die Armen und gegen die Mitwelt. Wir brauchen dazu Ostermärsche - eigentlich durchs ganze Jahr!

Ich hatte Besuch diese Woche von einer Frau aus Chiapas. Sie arbeitet dort - mitten im militarisierten Gebiet am Widerstand von Frauen gegen Gewalt. Sie hat mich noch einmal darin bestärkt, wie wichtig es ist, dass wir uns empören. Wir dürfen uns nicht abfinden mit dem Zynismus der Machthaber, die über Leichen gehen und Menschenopfer rechtfertigen mit wirtschaftlichen Zwängen, Sicherheitsdoktrinen oder gar dem Sieg des Guten über die Bösen. Der Zorn übers Unrecht und den Zynismus ist lebenswichtig.

Wir brauchen ihn für unsere Würde und unseren aufrechten Gang, doch auch für unsre Regierenden, damit sie nicht kuschen vor Wirtschafts- und Handelsinteressen und dem Imperium. In diesem Sinn will ich schliessen mit 3 konkreten Forderungen und Zuspitzungen aus Schweizer Sicht.

1. Der Bundesrat hat zwar eine erfreuliche klare Haltung gegen den Krieg eingenommen. Gerade darum ist es unverständlich, dass er das Waffenausfuhrverbot an kriegführende Länder völlig übereilt wieder aufgehoben hat, um das Tiger-Kampfflugzeug-Geschäft mit den USA nicht zu gefährden.

Die grösste Gefahr für die Menschheit geht aus von der Konzentration von Massenvernichtungswaffen in den Händen einer einzigen Nation. Alle Regierungen müssen daher dafür sorgen, dass sich das Bush-Feuer nicht zu einem globalen Flächenbrand entwickelt. Die Kriegsmaschinerie muss gestoppt werden, und dies ist nicht möglich ohne konsequentes Einstellen von Rüstungsproduktion und Rüstungsexport.

Auch wir sind, um noch einmal Galeano zu zitieren, gegen den Terrorismus. Beginnen wir damit, so schlug er am Weltsozialforum in Porto Alegre vor, überall auf dem Planeten Plakate anzuschlagen:

"Gesucht werden:

 Waffenhändler, welche den Krieg brauchen wie die Mantelfabrikaten den Winter

 Gesucht wird die internationale Bande, die Länder entführt und ihre Geiseln niemals freilässt, obwohl sie als sog. Schuldzinsen Milliarden an Lösegeld von ihnen erpresst haben

 Gesucht werden Kriminelle, welche weltweit Nahrung klauen, Saläre erwürgen und Arbeitsplätze umbringen."

2. Das Nein zum Krieg heisst konkret: Nein sagen zu den Kriegsherren. Wir fordern darum Bundesrat Couchepin auf: Sagen Sie die Einladung an Präsident Bush für den 1. Juni ab!

3. Seit 40 Jahren nun setzen sich Ostermärsche in der Schweiz für atomare Abrüstung ein. Am 28. April beginnt in Genf die Vorbereitung für die Konferenz zur Überprüfung des Atomsperrvertrags. Das ist der Moment, von den Atommächten die Einlösung ihres Versprechens zu fordern: Rüsten Sie effektiv ab! Und selber können wir in der Schweiz am 18. Mai Ja sagen zu den beiden Initiativen "Strom ohne Atom" und "Moratorium plus" zum Ausstieg aus der Atomenergie.

Noch etwas zum Schluss: erstmals finden diesmal in der Schweiz drei Ostermärsche statt! Und sie sind Teil einer weltumspannenden Bewegung für globale Gerechtigkeit und Frieden, die entstanden ist und weitergeht. Vergessen wir darum eins nicht gegenüber den Herren von Geld und Krieg - die indische Autorin Arundhati Roy hat es in Porto Alegre gesagt: "Wir sind viele und sie sind es nicht. Sie brauchen uns mehr als wir sie."


Beat Dietschy ist Präsident der Erklärung von Bern


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