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Oster-
marsch
2004


vom:
13.04.2004


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Ostermärsche und -aktionen 2004:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede bei der Abschlusskundgebung des Kasseler Ostermarsch 2004, 12. April

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Horst Schmitthenner (Kassel)

Wir hätten die jüngsten blutige Auseinandersetzungen im Kosovo nicht gebraucht, um zu wissen: mit militärischen Mitteln ist kein Frieden zu schaffen.

Wir hätten die Bombardierungen in Falludscha nicht gebraucht, die Hunderten von Toten im Irak in den letzten Tagen, die geschändeten Leichen nicht und auch die fürchterlichen Terroranschläge in Madrid nicht, um zu wissen: Krieg ist kein Mittel um Terrorismus zu verhindern.

Wir wußten es vorher und haben es immer wieder z.B. auch heute mit dem Ostermarsch hier in Kassel gesagt, Kriege lösen keine Probleme, sie sind Grund für die sich steigernde Gewalt in der Welt.

Aber immer mehr Menschen in den USA, in Spanien, in England, hier bei uns, ja überall in der Welt begreifen: der Krieg im Irak, der Bürgerkrieg, der sich als Folge des Krieges herausbildet, Not und Elend der Bevölkerung, die Zunahme von Gewalt und Gegengewalt im Irak " im Kosovo und anderswo zeigen, dass sich die Welt durch Militär und Kriege nicht befrieden läßt.

Bekämpft werden müssen nicht die Völker, bekämpft werden muß die soziale Ungleichheit in der Welt.

"Frieden schaffen ohne Waffen" ist die richtige Linie. Notwendig ist und bleibt eine Politik, die die soziale Spaltung aufhebt und damit militärische Aggressionen vermeidet.

Wer den Terror mörderischer Attentate bekämpfen will, muß den Terror der Ökonomie bekämpfen.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Doch anstatt sich die verheerenden Auswirkungen der Kriege einzugestehen und angesichts der Erfolglosigkeit militärischer Aktionen Schluß damit zu machen, wird von der Politik weiter aufgerüstet. Die Militärausgaben in der Bundesrepublik, die jetzt schon bei 25 Mrd. jährlich liegen werden aufgestockt. Ab dem Jahr 2007 wird der Militäretat um 800 Mio jährlich erhöht. Ein Skandal ist das angesichts der Zumutungen für die Bevölkerung durch die Streichungen und Zuzahlungen in den sozialen Sicherungssystemen.

Schon die vergangenen Kriege haben Volkswirtschaften in den Ruin getrieben. Jeder Marschflugkörper zum Stückpreis von einer Million Dollar entfernt uns ein Stück weiter von der Erfüllung notwendiger gesellschaftlicher Aufgaben.

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marsch
2004
Während das Geld für Militär zum Fenster rausgeworfen wird, bleibt die soziale Gerechtigkeit nicht nur in den so genannten Entwicklungsländern, sondern auch bei uns auf der Strecke.

Die geplante Abschaffung der Arbeitslosenhilfe verweist Arbeitslose zukünftig auf die Sozialhilfe.

Durch die Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes werden Menschen, die jahrelang gearbeitet und in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, innerhalb kürzester Zeit zu Sozialfällen degradiert.

Zudem werden ganze Leistungspakete der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen.

Allein schon die Herausnahme des Krankengeldes aus den Versicherungsleistungen bedeutet, dass der Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung von 4 Milliarden Euro zukünftig allein den Versicherten aufgebürdet wird. 20 Milliarden Euro müssen ab 2006 die Versicherten zusätzlich zahlen, wenn sie sich das jetzige Niveau der Krankenversicherung erhalten wollen.

Und die Einschnitte in die gesetzliche Rentenversicherung führen nicht nur zum Abhängen der jetzigen Rentnergeneration von der allgemeinen Einkommensentwicklung. In 25 Jahren wird das Rentenniveau nur noch 43 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens betragen.

Das verbreitert nicht nur die Spaltung in der Gesellschaft, weil sich immer weniger leisten können die Lücken durch private Altersvorsorge aus ihrem persönlichen Einkommen zu schließen. Es führt auch dazu, die Altersarmut in Deutschland massiv zu erhöhen.

CDU/CSU und FDP ist das alles noch zu wenig Sozialabbau. Sie wollen noch mehr finanziellen Spielraum für den Militärhaushalt. Sie wollen die Tarifautonomie kippen, damit nicht nur Arbeitslose nächstens Arbeit um jeden Preis annehmen müssen, sondern auch Beschäftigte. Und sie wollen, dass alle wieder länger arbeiten sollen.

Merz verlangt gar 42 Stunden wöchentlich, was bedeutet, dass mehrere 100.000 Beschäftigte arbeitslos würden und die verbleibenden mehr als 20 % weniger Einkommen hätten. Das ist kein Skandal mehr, das ist Amoklauf.

Mit allem was wir können werden wir das verhindern. Es muß Schluß sein mit einer nationalen und internationalen Politik, die der neoliberalen Theorie folgt, wonach soziale Mindeststandards und soziale Gerechtigkeit die wirtschaftliche Entwicklung behindern.

Das Gegenteil ist der Fall: Ein funktionierender und ausgleichender Sozialstaat, eine ausgebaute Infrastruktur und eine möglichst gleichmäßige Einkommensverteilung sind Voraussetzungen für sozialen Frieden, hohe Beschäftigung und befriedigendes Wachstum.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Hinter dieser Politik, die kurzgefaßt heißt: Bei der Rüstung sind sie fix, für den Sozialstaat tun sie nix, stehen Interessen. Deutschland soll nicht weiterhin ein ökonomischer Riese in der Welt und ein militärischer Zwerg sein. Deutschland soll auch militärisch mit entscheiden, was in der Welt zu geschehen hat. Deutschlands ökonomischen und politischen Interessen sollen überall in der Welt auch militärisch verteidigt und durchgesetzt werden.

Die Bundeswehr, wie die Nato auch, wird umgebaut. Weg von einer Armee zur ausschließlichen Landesverteidigung, wie es das Grundgesetz einschränkend und zwingend vorschreibt. Hin zu einer Interventionsarmee, die überall in der Welt eingreifen kann und soll. Angeblich weil die "Sicherheit der Bundesrepublik (wird) auch am Hindukusch verteidigt wird."

Nein, lieber Herr Struck: Am Hindukusch kann die Sicherheit nur mit friedlichen Mitteln verteidigt werden, indem soziale Spaltung, Unterversorgung und Ausbeutung bekämpft werden.

Es geht vielmehr um deutsche Interessen in der Welt die auch militärisch durchgesetzt werden sollen. Darum heißt es in den für die Ausrichtung der Bundeswehr verbindlichen "Verteidigungspolitischen Richtlinien": künftig ließen sich die Einsätze der Bundeswehr "... weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen"; und an anderer Stelle: "Um seine Interessen und seine internationalen Einfluß zu wahren ... stellt Deutschland ... Streitkräfte bereit."

Und bei der Bundestagssitzung vor zwei Wochen, bei der es um die Neuausrichtung der Bundeswehr ging, sagte Struck: "Die Bundeswehr ist zu einem wichtigen Botschafter Deutschlands geworden."

Damit hat Stuck - wahrscheinlich ohne es zu wollen - den Nagel auf den Kopf getroffen: Außenpolitik wird mehr und mehr zur Militärpolitik in dem Sinne, dass sie militärisch abgestützt ist. Wir nennen das Militarisierung.

Und da es sich bei der Rede Strucks um eine Regierungserklärung handelte und nicht nur um einen Beitrag des Verteidigungsministers, wird eine Zentralkompetenz der Außenpolitik, die Vertretung der Bundesrepublik im Ausland durch Botschafter, Diplomaten, Kulturinstitute usw. dem Verteigungs-ministerium untergeordnet. So findet denn auch eine Verlagerung der Finanzmittel statt.

Gesine Lötzsch von der (PDS) hat in ihrer Bundestagsrede darauf aufmerksam gemacht, dass die Goethe-Institute - so zu sagen diejenigen, die deutsche Kulturbotschaften in der Welt verbreiten - im Jahr 2004 100 Millionen Euro einsparen müssen. "Geben Sie aus Ihrem Rüstungshaushalt, der für das Jahr 2004 sage und schreibe 24 Milliarden Euro beträgt, die 100 Millionen Euro einfach an die Goethe-Institute ab", sagte sie. "Für die Bundeswehr wäre das ein kleiner Betrag, für das Ansehen unseres Landes in der Welt wäre das ein unschätzbar großer Beitrag." So ist es richtig, kann ich da nur sagen.

Und wem das als Beleg für die Zielsetzung ökonomische und politische Interessen auch militärisch durchzusetzen noch nicht reicht, wer gar der Meinung ist, in den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" stände kaum etwas über die Aufgaben der Bundeswehr für wirtschaftliche Interessen Deutschlands eingesetzt zu werden, der wird in der übergeordneten Militärdoktrin der europäischen Union fündig, die Gültigkeit für die nationalen Mitgliedsstaaten hat. Dort heißt es: "Die Energieabhängigkeit gibt Europa in besonderem Maße Anlass zur Besorgnis. Europa ist der größte Erdöl- und Erdgasimporteur der Welt. Unser derzeitiger Energieverbrauch wird zu 50 % durch Einfuhren gedeckt. Im Jahr 2030 wird dieser Anteil 70 % erreicht haben. Die Energieeinfuhren stammen zum größten Teil aus der Golfregion, aus Russland und Nordafrika."

Folgerichtig verlangt die Militärdoktrin "mehr Mittel für die Verteidigung", um den Aufbau flexibler mobiler Truppen zu finanzieren, die zu "Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen" (Artikel III-210) einesetzt werden sollen. Und Aufrüstung soll in Europa sogar Verfassungsrang erlangen - weltweit einzigartig und skandalös zugleich: "Die Mitgliedsländer verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" lautet ein Artikel im Entwurf der "Verfassung für Europa" (Artikel I-40, Absatz 3).

Um die regelmäßige Aufrüstung zu kontrollieren und teilweise durchzuführen, wird ein "europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten" eingerichtet.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Das ist nicht unsere Politik. Wir wollen etwas anderes, um Frieden in der Welt zu schaffen. Wir wollen Abrüstung statt Aufrüstung. Wir wollen Abrüstung statt Sozialabbau.

Als Gewerkschafter werde ich immer wieder gefragt: Was bedeutet diese antimilitaristische auf Frieden und Ausgleich gerichtete Politik für die Belegschaften in der Rüstungsindustrie?

Ich antworte darauf: Wer eine aggressive Außenpolitik befürwortet, weil dies angeblich Arbeitsplätze schaffe, der handelt unredlich. Selbstverständlich muss es darum gehen, den Rüstungshaushalt zu senken! Selbstverständlich ist aber auch: Einen Großteil der eingesparten Gelder brauchen wir für Konversionsprogramme. Damit müssen wir Beschäftigung sichern und neue Beschäftigung entwickeln.

Dabei geht es nicht darum, mit Hilfe von ABM subventioniert den Wald zu fegen. Und es geht auch nicht darum, die Beschäftigten zu zwingen Soldatenhelme in die sprichwörtlichen Kochtöpfe umzustanzen ... Nein: Es geht darum, Arbeitskräfte - vielfach im Hochtechnologiebereich - durch Rüstungskonversionsprogramme sinnvoll zu beschäftigen.

Das Geld, das bisher in die Rüstungsindustrie gestopft wurde, wollen wir

 für den Ausbau des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs,

 für ökologische Energieerzeugung,

 für Energiesparkonzepte

 für die Erneuerung der Trinkwasserleitungen

 aber auch für den Ausbau des Gesundheits- und des Pflegesystems sowie des Bildungsbereiches und der Infrastruktur verwenden.

So eine Umwidmung von Geld kostet keine Arbeitsplätze, sondern das schafft Arbeitsplätze! Mehr als in der Rüstungsindustrie vorhanden sind.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Ich will den Knopf dran machen.

"Abrüstung statt Sozialabbau" bleibt unverändert unsere Forderung an die politisch Verantwortlichen. Wir verlangen eine drastische Reduzierung der Rüstungsausgaben und die Streichung aller Rüstungsvorhaben, die für Auslandseinsätze der Bundeswehr vorgesehen sind.

Wir wollen Frieden und Abrüstung jetzt.

Wir wollen den Sozialstaat erhalten und eine gerechte und solidarische Gesellschaft dauerhaft gestalten.

Wir verlangen eine grundsätzliche Abkehr von der sich ausbreitenden internationalen Kriegspolitik, mit der die Mächtigen versuchen, ihre Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen.

Angriffskriege müssen verhindert, die deutsche Beteiligung an den weltweiten Kriegen muss gestoppt werden.

Unser Widerstand gilt der Militarisierung der Europäischen Union, wie sie im Entwurf der Europaischen Verfassung vorgesehen ist. Damit soll Europa zur Führung von Angriffskriegen ermächtigt werden. Aufrüstung wird demnach zur Pflicht.

Wir dagegen wollen ein Europa das umfassend abrüstet. Ein Europa, das seine Ressourcen, das Wissen und das Engagement seiner Menschen nutzt für die Herstellung sozialer Gerechtigkeit, die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Armut, Hunger und Krankheit zu Hause und in aller Welt. Wir wollen eine friedliche Welt, globale Gerechtigkeit statt militärischer Vorherrschaft, wir wollen zivile Prävention statt Präventivkriege.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Es gilt zu erreichen, was Albert Einstein an Sigmund Freud schrieb:

"Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau einsetzten! Ein Zehntel der Energien, die die kriegführenden Nationen im Krieg verbrauchen, ein Bruchteil des Geldes, das sie mit Handgranaten und Giftgasen verpulvert haben, wäre hinreichend, um den Menschen aller Länder zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen sowie die Katastrophe der Arbeitslosigkeit in der Welt zu verhindern. (...) Es gäbe genug Geld, genug Arbeit, genug zu essen, wenn wir die Reichtümer der Welt richtig verteilen würden, statt uns zu Sklaven starrer Wirtschaftsdoktrinen oder Wirtschaftstraditionen zu machen."

Dafür, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, werden wir unsere Friedensaktivitäten und die Ostermärsche fortsetzen, hier in Kassel und anderswo!


Horst Schmitthenner ist Beauftragter der IG Metall für die sozialen Bewegungen

E-Mail:   horst.schmitthenner@igmetall.de
Internet: http://www.igmetall.de
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