Oster-
märsche
2005


vom:
29.03.2005


 voriger

 nächster

Ostermarsch 2005

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede bei der Abschlussveranstaltung Ostermarsch an Rhein und Ruhr 2005 in Dortmund, 28. März

Liebe Friedensleute,

Wolfgang Richter (Dortmund)

als Mitglied des Rates der Stadt grüße ich Euch herzlich zum Abschluss des dreitägigen Ostermarsches Rhein und Ruhr in Dortmund. Ich kann das nicht im Auftrag des Rates tun, aber ich denke, dass viele Mitglieder des Rates und der Bezirksvertretung Nord - einige sind auch hier - im Stillen ganz froh sind, dass es den Ostermarsch gibt. Aber ihre Sache ist er nicht, ihre Gedanken kreisen um anderes, die Zusammenhänge, die wir sehen, sehen sie nicht, unsere Probleme sind nicht ihre, sie langweilen sie.

Es ist so - trotz all unserer politischen Arbeit, trotz aller Ostermarschkilometer herrscht in Stadt und Land eine Stimmung, in der weder die Aufrüstung noch der Sozialraubzug große Themen sind. Obwohl beides ein bisher nicht gekanntes Niveau erreicht hat - auf der einen Seite die prinzipielle Ermächtigung zur Kriegführung und auf der anderen Seite die prinzipielle Ausgrenzung von `nicht mehr funktionierenden` Menschen aus der Gesellschaft. Dies ist ein schwerer und schwer zu fassender Widerspruch, an dem wir gemeinsam gedanklich und praktisch zu arbeiten haben. Ein Widerspruch, der uns zu neuen Antworten und Arbeitsweisen herausfordert, wollen wir unsere Phase von Ohnmacht überwinden und politisch gegensteuern und gegen handeln. Um schließlich doch in eine Offensive für wirklichen Frieden und wirklichen Gemeinsinn zu münden. Das wollen wir und dazu wollen wir einen Beitrag leisten.

Ich habe von einer neuen Dimension der Friedlosigkeit und der Friedensunfähigkeit, von einer prinzipiellen Ermächtigung zur Kriegführung gesprochen. Was ist der Entwurf der EU-Verfassung anderes als die geplante Ermächtigung der Kriegslüsternen und was ist er anderes als die geplante Nötigung der Kriegszögerlichen in Europa, in Deutschland, Krieg vorzubereiten und ihn anzuzetteln, wo immer das nützlich erscheint? Nützlich erscheint der herrschenden Politik, die die Politik des Kapitals in Europa, in Deutschland ist? Was ist die monströse Aufrüstung anderes als die ersehnte Ermächtigung der europäischen, der deutschen Imperialisten, in der Welt auch zu ordnen, zu richten und zu strafen und sich anzueignen, was zu kriegen ist? Und was ist die neue Debatte über Wehrpflicht UND Freiwilligen-Armee anderes als das Vorbereiten auf einen neuen Bedarf an kriegsfähigem Menschenmaterial, das man wird einkaufen müssen? Das will man zu `zivilen` Preisen kriegen im Kopfgeld, im Sold und in den Entschädigungen für Eltern, Witwen und Kinder.

Ich habe von einer neuen Dimension der sozialen Kälte, von einer prinzipiellen Ausgrenzung von ökonomisch nicht mehr `funktionierenden` Menschen aus der Gesellschaft gesprochen. Aber in welchem Sinn `funktionieren` diese Menschen nicht mehr? Offenbar hat die kapitalistische Regie so abgewirtschaftet, dass ganze Teile der Bevölkerung nicht mehr ökonomisch sinnvoll ausgebeutet werden können und deshalb als nutzloser Kostenfaktor abgeschrieben werden müssen. Was ist der derzeitige Raubzug durch alle Sozialsysteme anderes als das systematische Verarmen und Aussortieren von Menschen, die im Sinn des Profitprinzips als überflüssig gelten? Was ist die Verweigerung von Ausbildung und Bildung für ganze Teile der Jugend anderes als das systematische handwerkliche und geistige Verelenden und Ausgrenzen von Menschen, für die eine Zukunft zu schaffen als nicht lohnend eingestuft wird? Was ist diese soziale Eiszeit anderes als das Abschneiden zu kostenträchtigen Lebens im Innern, vergleichbar dem Mord und Totschlag in Kriegen draußen, um die Kosten der kapitalistisch organisierten Lebenshaltung zu mindern?

Beides hängt eng miteinander zusammen - wir haben das immer gesagt. Es wird aber für die soziale und Friedensbewegung immer notwendiger, dies auch wirklich zu begreifen. Und es zu praktizieren und auch zu propagieren. Es gibt tausend Beispiele. Ich will nur zwei herausheben.

Die sozial ausgegrenzten jungen Menschen - die natürlich längst nicht mehr nur `underclass boys and girls` sind, sondern auch aus den sogenannten Mittelschichten kommen - sie werden der ideale Fundus für die modernen Soldatenhäscher sein. Sie werden `zu zivilen Preisen zu haben` sein, sie müssen sich auf Gedeih und Verderb disziplinieren lassen und sie werden entsprechend kriegstauglich und mordsmäßig einsetzbar sein. Dieser Ring schließt sich aufs Günstigste für die herrschenden Prinzipien. Wer das eine will - Kriegsfähigkeit, der wird das andere herstellen - soziales Elend. Wer das nicht will, muss diesen Zusammenhang gedanklich und praktisch durchbrechen.

Als es im Dortmunder Stadtrat letztens darum ging, den Arbeitslosen, den Armen und Ausgegrenzten in der Stadt ein ÖPNV-Ticket zum Null-Tarif zu geben, damit sie ihr Grundrecht auf Teilnahme am gesellschaftlichen Leben wahrnehmen können - da wurde verschreckt eine Summe genannt: 7 Millionen könne das kosten, wenn die alle es bekämen! Es war ausgerechnet ein Grüner, der sich für dieses `Argument` hergab - es hätte aber aus jeder anderen Fraktion kommen können. Es sind die gleichen Parteien, die in Berlin die Militär- und Rüstungshaushalte offen und verdeckt mit Milliarden anfüllen. Da sind 7 Millionen nur Peanuts. Hier schließt sich wieder ein Ring für die herrschenden Prinzipien. Wer das eine herstellt und erträgt - soziales Elend, der will das andere - Kriegsfähigkeit. Wer das nicht will, muss diesen Zusammenhang gedanklich und praktisch durchbrechen.

Lokale Politik will das in aller Regel nicht. Sie ist verstrickt in den Nahkampf der Standortlogik, buhlt um privates Kapital und streitet für öffentliche Finanzen aus Düsseldorf, Berlin, Brüssel. Im mörderischen und selbstmörderischen Tanz ums aktuelle Goldene Kalb `Neoliberalismus` will und muss auch die lokale Politik gewinnen, gegen die anderen, gegen die Nachbarn - egal, wenn die nur verlieren. Dieser Alltagskrieg und Nahkampf prägt ihre Köpfe, da verliert ein großer Krieg in der Ferne seinen Schrecken. Gemeinsinn ist für sie Unsinn, da verliert das Elend vor der Haustür seinen Schrecken.

Wir wollen uns für eine Umkehr dieses Denkens und Handelns vor Ort einsetzen. Kommunale Politik soll ihre hilflose Abwehr der Verantwortung für das Ganze beenden, sie soll ihre bequeme Selbstaufgabe gegenüber dem großen Kapital und gegenüber der großen Politik in Berlin und Brüssel beenden, sie soll die heillose Akzeptanz des Kapitalismus auch in seiner neuesten Fassung beenden. Wir wollen die Unfähigkeit zu Alternativen bekämpfen. Wir wollen uns die Fähigkeit zur Alternative erarbeiten. Ich nenne sie schon mal Sozialismus, aber alle können sich ihre eigenen Namen dafür ausdenken - für ein Leben in sozialer Solidarität und in Frieden lohnt es, gemeinsam politisch zu kämpfen.



Wolfgang Richter ist aktiv beim "Linken Bündnis Dortmund".
 voriger

 nächster




       
Bereich:

Netzwerk
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
          
Themen   FriedensForum Ex-Jugo Termine   Aktuelles