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Ostermärsche und -aktionen 2006

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Redebeitrag für den ostermarsch 2006 in Oldenburg, 15. April

Liebe Friedensbewegte, liebe Ostermarschiererinnen und Ostermarschierer!

Ingo Harms (in Oldenburg)

Wir stehen heute fassungslos vor dem Leid der weißrussischen und ukrainischen Atomopfer, deren Zahl an die Opfer von Hiroshima und Nagasaki heranreicht und sie vielleicht sogar übersteigt. Tschernobyl und Hiroshima sind Fanale, die jedem Menschen vor Augen führen sollten, welche Bedrohung die Atomtechnologie darstellt und wie unauflöslich die militärische mit der zivilen Nutzung der Atomenergie verquickt ist.

Tschernobyl war ein SuperGau. Ein SuperGAU ist definitionsgemäß ein Ereignis größer als der größte anzunehmende Unfall. Das bedeutet, der Unfall war nicht vorgesehen, und folglich existierten auch keine Pläne zum Schutz der Bevölkerung vor diesem Unfall. Da ein SuperGAU für die deutschen Atomkraftwerke immer noch als ausgeschlossen gilt, befinden wir uns hier und heute in der Situation der damaligen Bewohner Weißrussland und der Ukraine kurz vor dem Reaktorunfall.

Bis zum 26. April 1986 behauptete die Atompropaganda, dass ein solcher Unfall niemals und nirgendwo eintreten kann. Wie oft konnte man damals lesen, dass ein Reaktor nicht explodieren kann, und man wurde für eine solche Aussage als Angstmacher beschimpft. Nach dem 26. April 1986 hieß es plötzlich, dass eben nur sowjetischen Atomkraftwerken explodieren können. Peinlich nur, dass genau diese Atomkraftwerken vorher gelobt worden waren. Ja, deutsche Atomingenieure betonten sogar, dass der Reaktor vom Typ Tschernobyl besonders zuverlässig ist. Für die weltweite Atomindustrie war der SuperGAU von Tschernobyl also zunächst mal ein sprachliches Problem, das man der Werbeabteilung überlassen konnte.

Die Werbeabteilung der Atomindustrie hat einen Namen: Sie heißt Internationale Atomenergie-Agentur, abgekürzt IAEA. Sie sitzt in Wien und hat die Aufgabe, die Welt von der Harmlosigkeit der Atomenergie zu überzeugen. Außerdem soll sie im Auftrag der UNO aufpassen, dass niemand außer den USA und den anderen Atommächten ein bisschen Uran und Plutonium zum Bau von Atomwaffen abzweigt.

In den letzten Monaten ist diese Agentur zum Medienliebling geworden. Mit Hochachtung spricht man von dem nimmermüden Einsatz der Kontrolleure gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen, insbesondere im Iran. Der Direktor El Baradei wird geradezu als Friedensengel gefeiert, und folglich wurde ihm und seiner Agentur kürzlich der Friedensnobelpreis verliehen. Damit ist erstmals die Werbeabteilung einer multinationalen Industrie mit dieser höchsten Auszeichnung der Zivilgesellschaft geehrt worden. Die Friedensbewegung hat also starke Konkurrenz bekommen.

Jedoch der Friedensdienst von El Baradei ist nichts als der Versuch, das Übel zu begrenzen, das er selbst im Auftrag der Atomindustrie verursacht hat. Das Übel heißt Atomkraft und ist untrennbar mit der Herstellung von Atomsprengstoff verknüpft. Wer Ja zur Atomenergie sagt, befürwortet nicht nur die Verbreitung von Radioaktivität im Kreislauf des Lebens, sondern sagt auch Ja zur atomaren Aufrüstung.

Beide Seiten der nuklearen Medaille bedrohen die Zivilgesellschaft in ihrem Kern. Die Aufgabe der IAEA, für Atomenergie zu werben und gleichzeitig Atomwaffen zu verhindern, ist nicht nur unlösbar, sondern treibt auch makabre Blüten, wie zum Beispiel die Verharmlosung von Tschernobyl und seinen Folgen.

Hans Blix, so der Name des früheren Agenturdirektors, war der erste westliche Experte, der Tschernobyl besichtigen durfte. Nur wenige Tage nach dem Unglück flog er mit dem Hubschrauber über dem offenen Reaktor hin und her. Anschließend ließ er verlauten, dass der Schaden begrenzt sei. Eine weitgehende Evakuierung der Bevölkerung hielt er für unnötig. So erlebte die Welt erstmals westliche und sowjetische Propaganda Hand in Hand ? zum Nutzen der Atomindustrie und zum Schaden der Menschen von Tschernobyl. Das Blut der Strahlenopfer klebt an dieser Agentur und ihren Direktoren Blix und El Baradei, und auch ein Michael Gorbatschow, ebenfalls Friedensnobelpreisträger, hat sich schuldig gemacht.

Niemanden dürfte es wundern, dass die Tschernobyl-Bilanz der IAEA lediglich 50 Todesopfer anerkennt. Die Tausenden von elend an der Strahlenkrankheit und an Krebs zugrunde gegangenen Menschen in der Ukraine und Weißrussland existieren für sie einfach nicht ? ganz zu schweigen von den Hunderttausenden von Strahlenkranken und Erbgutgeschädigten.

El Baradei, der Friedensengel, ist bekanntlich ein Reisender in Sachen Iran, um mit der dortigen Regierung über die Atomwaffenbegrenzung zu verhandeln. Soweit ist es also gekommen: Die Reklameabteilung der Atomindustrie genießt diplomatischen Status Der ungeheure Einfluss der Atomindustrie auf die Politik ist ein Selbstläufer. Nachdem Milliarden Steuergelder in die Entwicklung und den Bau von kerntechnischen Anlagen geflossen sind, gebiert der Komplex immer neue Reichtümer. Damit lässt sich hervorragende Lobbyarbeit machen, so dass die Einnahmen gesichert sind. Jedes zusätzliche Jahr an Laufzeit für die deutschen Atommeiler bringt der Atomindustrie zusätzliche eine Milliarde Euro Reingewinn. Mit dieser Politik macht sich der Staat zur Geisel der Atomindustrie.

Seit neuestem fordert die Atomindustrie eine Laufzeitverlängerung ihrer alten, abgeschriebenen Dreckschleudern und sogar den Neubau von AKWs. Dabei sind ihr die absurdesten Begründungen gerade recht. Atomenergie hilft beim Klimaschutz, heißt es. Die Wahrheit ist: Der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Energieerzeugung beträgt nur 2,5 %. Damit kann Atomkraft die Welt nicht vor der Klimakatastrophe retten. Wollte man den Anteil der Atomkraft auf 50 % erhöhen, müssten statt der heutigen 400 Reaktoren kurzfristig zwanzig mal soviel gebaut werden, das wären 8000 Atommeiler. Die Uranvorräte, die unter den heutigen Bedingungen gerade noch 60 Jahre reichen, wären innerhalb von 3 Jahren verbraucht.

Erneuerbare Energien sind um ein Vielfaches effektiver. Steckt man einen Geldbetrag in Windenergie, dann ist dies 5mal klimawirksamer, als wenn man ihn in Atomkraft investiert.

Trotz dieser Tatsachen bekommt die Atomindustrie mehr Geld als die erneuerbaren Energiequellen, Steuergelder, versteht sich. Damit werden dem Klimaschutz nicht nur Mittel entzogen, sondern Macht und Einfluss der Atomindustrie wachsen, und sie kann ihre falschen Behauptungen ungehindert in den Zeitungen und Talkshows verbreiten.

Ein Paradebeispiel ist die Oldenburger EWE. Fast 50 % ihres Stroms stammen aus Atomkraftwerken, damit liegt sie deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 30 %. Mit falschen Behauptungen wird der Einsatz von Blockheizkraftwerken verhindert. Jahrelang prozessierte man gegen Windenergie. Wer Photovoltaik betreiben wollte, wurde mit unmöglichen Vertragsbedingungen geknebelt. Wider besseres Wissen wird Erdgas als alternativer Kraftstoff angeboten. Dabei steht es dem Erdöl in punkto Versiegbarkeit in nichts nach. Außerdem schädigt Erdgas das Klima, und nicht nur bei der Verbrennung. Unverbrannt hat ein Erdgasteilchen den vielfachen Treibhauseffekt eines Kohlendioxid-Teilchens. Wer um die Leckagen der sibirischen Erdgaspipelines weiß, kann nicht im guten Glauben Erdgas tanken. Die Bewohner der überfluteten Städte an der Unterelbe bedanken sich herzlich bei der EWE.

Wir alle sind Kunden dieser Konzerne, und wenn wir unsere Macht als Konsumenten nutzen, dann können wir etwas erreichen. Stromkunden können jederzeit den Anbieter wechseln und auf atomfreien Strom umsteigen. Gaskunden können die Gaspreiserhöhungen verweigern.

Die Energiekonzerne werden niemals aus Gründen höherer Einsicht von der Atomenergie ablassen, solange sich damit Geld verdienen lässt. Moral hilft hier nicht, nur entschlossenes politisches Verhalten.

Von den Energiekonzernen und von der Politik ist zu fordern



dass die Erneuerbaren Energiequellen mit Vorrang ausgebaut werden



dass die wirksame Einsparung von Energie für jeden erschwinglich wird



dass die Atomkraftwerke stillgelegt werden.


Nie wieder Tschernobyl, nie wieder die Angst vor dem SuperGAU.

Ich danke Ihnen.



E-Mail: Harms@energierat.org
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