Ostermärsche und -aktionen 2009

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16.04.2009


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Ostermärsche und -aktionen 2009

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede gehalten auf dem Ostermarsch 2009 an der Gedenkstele der Synagoge Chemnitz am 13. April

Liebe Freunde des Friedens,

Carsten Rast (in Chemnitz)

Hier an diesem Mahnmal der inneren Zerrissenheit unserer eigenen Geschichte möchte ich heute nicht davon reden,

dass in unserem Land immer noch Menschen verfolgt werden: wegen einer anderen Hautfarbe oder einer anderen Religion oder einfach, weil sie anders leben.

Hier an diesem Mahnmal der inneren Zerrissenheit unserer eigenen Geschichte möchte ich heute nicht davon reden, dass in unserem Land immer noch Kinder geschlagen und misshandelt, Frauen, in ihren Ehen vergewaltigt und Alte abgeschoben werden.

Hier an diesem Mahnmal der inneren Zerrissenheit unserer eigenen Geschichte möchte ich heute nicht davon reden, dass in unserem Land immer noch zu viel Geld ausgegeben wird: für Waffen, anstatt für Bildung,, zu viel Geld für sinnlose Bauprojekte, anstatt für Orte wo Kinder und Jugendliche sich kreativer entfalten können, zu viel Geld für sinnlose Subventionen, wie dem Tabakanbau in Deutschland, anstatt für die, die an der Armutsgrenze leben und nicht wissen wie sie den Monat überstehen sollen.

Ich möchte davon nicht reden, weil wir das alles wissen und nicht nur wir sondern auch die Politiker und die Lobbyisten.

Ich möchte nicht von Erfurt oder von Winnenden reden, nicht davon das Jugendliche immer mehr Alkohol trinken oder immer mehr Neugeborene in unserem Land ausgesetzt werden.

Ich möchte nicht davon reden, dass immer mehr Menschen in der Schuldenfalle sitzen und das viele Menschen zur Zeit jeden Tag ihre Arbeit verlieren, Gerichtsvollzieher Hochkonjunktur haben; andererseits Millionen und Milliarden bezahlt werden, von denen Manager immer noch horrende Gehälter bekommen.

Hier an diesem Mahnmal der inneren Zerrissenheit unserer eigenen Geschichte möchte ich nicht davon reden, dass die Taten rechter Gewalt im vergangenen Jahr in unserem Land um 30 Prozent gestiegen sind und das viele Beifall klatschen, wenn es um die Anderen, die Fremden geht, die doch eigentlich keiner will.

Ich möchte davon nicht reden, weil wir das alles wissen, ja ich brauche nicht davon zu reden, weil wir es wissen und weil wir heute deswegen hier sind, um dafür einzutreten, dass es eine Veränderung geben muss.

Aber mir genügt nicht, was Camus 1951 in einem Essay schrieb: "Ich empöre mich also sind wir."

Wir sind empört, darum sind wir heute hier. Wir sind empört gegen die, die an ungerechten Strukturen verdienen, die mit ungerechten Strukturen ihre politische Macht stützen, die mit ungerechten Strukturen auf Kosten anderer ihr eigenes Leben führen.

Wir sind empört gegen die, die verantwortungslos handeln und sich das gut bezahlen lassen, wir sind empört gegen die, die mit juristischen Spitzfindigkeiten die Schuldigen laufen lassen und die Opfer strafen.

Wir sind empört mit vielen die heute nicht hier sind, weil sie immer noch nicht begriffen haben, dass der Friede in unserem Land gerade zu zerbrechen droht; der soziale, der innere Friede.

Ein Anzeichen dafür ist, dass die berühmte Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergeht, dass Menschen trotz täglich 8 Stunden Arbeit davon nicht Leben können, dass die Bereitschaft zur agressiven Gewalt angestiegen ist und weiter steigt und dass diese Taten von vielen geduldet werden oder sogar gerechtfertigt, weil die Wut in ihnen groß ist.

Wir sind empört, aber diese Empörung ist nur eine erste Bewegung, dieser Empörung muss etwas folgen, eine Veränderung, eine Verwandlung;

deswegen möchte ich heute vom Frieden reden, nicht um zu beruhigen, sondern um wachzurütteln. Ich rufe die Menschen und besonders die Christen in dieser Stadt auf sich zu solidarisieren mit den Schwachen und mit den Opfern, wie es christlicher Auftrag ist.

Ich rufe die Menschen und besonders die Christen in dieser Stadt auf, Ungerechtigkeit nicht länger zu dulden, zu prostestieren gegen alle todbringenden Strukturen.

Ich rufe die Menschen und besonders die Christen in dieser Stadt auf, aufzustehen für eine veränderte Welt.

So wie vor 20 Jahren.

Wir brauchen eine Wende.

Ich möchte an diesem Mahnmal der inneren Zerrissenheit unserer Geschichte davon reden, dass Friede nur dort bestehen kann, wo es Gerechtigkeit gibt.

Aber nicht die Gerechtigkeit der Leistungsgesellschaft, nicht eine vergleichende Gerechtigkeit bringt den Frieden, denn dann hätten wir keine sozialen Probleme. Keiner zweifelt doch an, dass bei einer vergleichenden Gerechtigkeit unsere Harz IV Empfänger viel Geld bekommen.

Aber diese vergleichende Gerechtigkeit bringt eben keinen Frieden sondern nur eine ausgleichende Gerechtigkeit von der in der Bibel erzählt wird. Nur eine ausgleichende Gerechtigkeit lässt dem Menschen seine Würde und drückt ihn nicht an den Rand oder zu Boden.

Deswegen möchte ich heute vom Frieden reden, vom Frieden, der gemeinsam leben lässt, von einem Frieden im gegenseitigen Miteinander und Füreinander und nicht von einem Frieden der Macht des Gegeneinanders.

Ich möchte heute vom Frieden reden, der den anderen akzeptiert wie er ist aber der Toleranz eine Grenze setzt, wo sie missbraucht wird.

Deswegen möchte ich heute vom Frieden reden, in der Finanzpolitik, in der Waffenfrage, in der Frage, wie viel Geld ein Mensch zum Leben braucht, in der Frage, inwiefern Firmen mit Sanktionen rechnen müssen, wenn sie sich nicht an ihre Versprechen halten, zum Beispiel bei der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen.

Ich möchte heute vom Frieden reden, der für eine ausgleichende Gerechtigkeit sorgt, damit die Menschen glücklich leben, so wie es ihnen bestimmt ist.

Wie ist dieser Frieden zu erreichen?

Dazu eine kleine Geschichte:

John Wesley, der bekannte englische Erweckungsprediger und Begründer vieler sozialer Projekte für die Armen, hatte viele Freunde und Anhänger aber auch viele Feinde und Gegner. Seine griffigen Predigten waren einigen Zeitgenossen zu direkt und unangenehm denn John Wesley nannte die Missstände beim Namen und schonte die Verantwortlichen nicht. Als Wesley einmal auf einer schmalen Gasse unterwegs war, kam ihm ein Lord entgegen, der auf Wesley direkt zuhielt: "Ich gehe keinem Narren aus dem Weg", sagte er zornig. Wesley ging betont freundlich zur Seite und sagte lächelnd: "Aber ich tue es gerne."

Heute an Ostern, sind wir aufgestanden, um die Wege der Narren zu verlassen.

Heute an Ostern sind wir aufgestanden, um die Wege knechtender Wirtschaftsstrukturen zu verlassen.

Heute an Ostern sind wir aufgestanden, um die Wege todbringender Politik zu verlassen.

Denn wir glauben an das Leben und wir wissen, dass ohne Frieden das Leben in diesem Land keine Chance hat. Wir wissen das Frieden ein Geburtsrecht des Menschen ist, gottgegeben und dass deswegen das Ziel jeglicher Politik und jeglicher Gesellschaft das Wohlergehen der Gesamtheit und nicht das Wohlergehen Einzelner sein muss.

Heute sind wir aufgestanden nicht aus Empörung sondern aus dem Glauben an das Leben.

Und wir Christen stehen heute hier, weil wir wissen, dass Jesu Auferstehung, dass Leben, das gerechte gute Leben schon hier in dieser Welt realisiert wissen will und nicht erst in einer anderen.

Dafür sind wir heute aufgestanden, um die Wege der Narren zu verlassen und vom Frieden zu reden.

Wie ist dieser Frieden zu erreichen, natürlich durch Versöhnung, das heißt teilhaben lassen, am Wohlstand, teilhaben lassen an Entscheidungen, teilhaben lassen an Chancen sein Leben zu gestalten durch Bildung, Ausbildung und Arbeit.

Dafür sind wir heute aufgestanden, um die Wege der Narren zu verlassen und vom Frieden zu reden.

Vom Frieden, der entsteht wenn wir einander wahrnehmen und annehmen, wenn wir Zorn und Gier besiegen durch eine Vernunft ausgleichender Gerechtigkeit.

Und wenn wir statt Angst und Hass Versöhnung suchen.

"Wer denkt das die Feindesliebe unpraktisch ist

Der bedenkt nicht die praktischen folgen der Folgen des Feindeshasses." (Erich Fried)

Deswegen sind wir heute aufgestanden Christen an der Seite von Nichtchristen, gemeinsam um neue Wege zu gehen, gemeinsame Wege des Friedens für ein gutes und gerechtes Leben in dieser Stadt und in unserem Land.

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