Ostermärsche und -aktionen 2010

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02.04.2010


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Ostermärsche und -aktionen 2010

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für den Ostermarsch 2010 in Landstuhl am 3. April

Liebe Friedensfreundinnen und - freunde,

Detlev Besier (in Landstuhl)



- Sperrfrist: 3. April 2010, Redebeginn: ca. 12 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort! -



wieder sammeln sich Menschen am Ostersamstag, um für ihre Überzeugungen für eine friedliche Welt ein Zeichen zu setzen. Sie tun dies unter anderem auch, wenn man etwa Thomas Mann zitiert, der sagte: "Krieg ist nichts anderes als Drückebergerei vor den Aufgaben des Friedens", um gerade diese Friedensaufgabe nicht aus dem Blick zu verlieren.

Aber angesichts der momentanen Entwicklung hat der Ausspruch von Thomas Mann mehr als nur einfach Recht:

Ein aufgestocktes Kontingent deutscher Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan

Keine wirkliche Strategie, um Frieden ohne Waffen zu schaffen

Kaum bis keine Unterstützung von NGOs durch staatliche Stellen

Wenige diplomatische Aktivitäten z.B. mit den Taliban

Unterstützung der sehr merkwürdigen Regierung Karsais

Haben wir im 21. Jhdt. wirklich Angst vor der Aufgabe des Friedens oder drücken wir uns gar vor ihr?

In Europa sieht es sehr stabil aus, wenn man den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien vergisst, die sozialen Unruhen in Frankreich, die wirtschaftliche Gleichgültigkeit in europäischen Staaten. Ist das schon dem geschuldet, dass die Aufgabe des Friedens wahrgenommen wird?

Vor einiger Zeit schrieben katholischen Bischöfe in den USA in einem Pastoralbrief: "Wir betonen, dass gute Ziele nicht den Einsatz ethisch unvertretbarer Mittel rechtfertigen. So rechtfertigt zum Beispiel die Verteidigung des eigenen Landes oder der Schutz der Freiheit nicht den Einsatz von Waffen, weil sie wahllos töten und ganze Gesellschaften bedrohen. Wir fürchten, dass unsere Nation und die Welt die falsche Richtung eingeschlagen haben."

Lassen wir die aktuelle Diskussion um die Kirchen mal außer Acht, dann zeigen diese Worte recht deutlich, dass die Stimme des Weltgewissens, möchte ich einmal sagen, immer noch hörbar ist.

Aber es gilt mehr denn je die Frage: Wer, wenn nicht Ostermarschierer müssen dieses Weltgewissen wach halten, um diesem ganzen militärischen und wirtschaftlichen Wahnsinn etwas entgegen zu halten. Wir sind nicht auf Waffengewalt angewiesen. Wir benutzen unsere Stimme, unsere Anwesenheit, um am Leben zu halten, dass es noch andere Wege gibt, um in konfliktträchtigen Situationen miteinander umzugehen.

Es ist die falsche Richtung, die die Politiker unserer Tage eingeschlagen haben, sei es Obama, Brown, Merkel, Putin, seien es Staaten wie China im Tibetkonflikt, Indien, Pakistan, Nordkorea, sei es in den Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent, bei denen die sonst so eingreiflustige westliche Militärmaschinerie äußerst zurück haltend reagiert (klar sagen Spötter, da geht es nicht um energetische Ressourcen). Es ist die falsche Richtung, dass militärische Aufbauhilfe mit Waffengewalt geleistet wird.

Vor Kurzem wurde im Fernsehen gezeigt, wie der ehemalige Militärarzt Erös in Afghanistan mit den Mittel von Gesprächen Schulen und Krankenstationen selbst im so genannten Talibangebiet aufbaut, unterstützt und in die Selbstverwaltung überführt.

NGO - Vertreter schreiben in ihren Rundbriefen, von den extremen Schwierigkeiten, Zu- und Vertrauen der einheimischen Bevölkerung zu gewinnen, da hinter jeder Häuserecke Bewaffnete lauern und nach wenigen Wochen Aufgebautes wieder zerstören.

Stolz erzählen mir Afghanistanrückkehrer von Schulen, die sie wieder aufgebaut haben, denen sie als deutsche Soldaten Materialien zur Verfügung gestellt haben.

Es ist der falsche Weg, ein Land mit Waffengewalt befrieden zu wollen, ohne die Mentalität, ohne die innere gewachsene Struktur einer Gesellschaft und Kultur zu verstehen.

Das Eingreifen der Alliierten damals gegen Hitler - Deutschland als Beispiel oder Argument sozusagen ins Feld zu führen, um den sinnlosen Kampf gegen den Terror der Welt zu vergleichen, ist mehr als nur geschmacklos.

Im Kampf gegen Terrorismus helfen am wenigsten waffenstrotzende Militärs. Es sind die Menschen, die versuchen zu verstehen, die glaubwürdig Hilfe bieten. Denn ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Terrorismus und auch Fanatismus oftmals hausgemacht ist, wenn in bestimmten politischen Konstellationen die eine politische Seite militärisch aufgerüstet und die andere Seite schlecht geredet wird. Die Geschichte verzeiht solche Fehler nicht und irgendwann schlägt die eigene falsche Sicht der Dinge auf einen selber zurück.

Wie sagte Thomas Mann doch: "Krieg sei Drückebergerei vor den Aufgaben des Friedens"?

Was haben wir also im Sinne dieses Zitates über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende gelernt:

Krieg führen,

Militärische Güter produzieren

Bundeswehr als Friedensvertreter in den Schulen

Kollateral Schäden als gegeben hinzunehmen

Man könnte zu dem Schluss kommen, betrachtet man das alles, tatsächlich zum Frieden unfähig zu sein. Und schauen wir auf die momentane Spirale der alltäglichen Gewalt, scheint sich dies zu bewahrheiten.

Wenn es politisch angesagt ist, lieber ein Land mit Bombenteppichen zu überziehen und zivile Opfer billigend in Kauf zu nehmen bei den diversen soldatischen Angriffsszenarien, dann ist es nicht verwunderlich, wenn der ganz normale Alltag dieses Angebot der Konfliktlösung aufnimmt.

Unser Friedensmarsch fordert die Bundesregierung auf, die Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen. Ein Aufbau des Landes unter demokratischen Strukturen unter Einbeziehung der dort lebenden Menschen kann nicht mit Waffengewalt her gestellt werden. Die logistische und ggf. auch finanzielle Unterstützung von NGO
s als Träger des Wiederaufbaus und Befriedung des Landes hilft, die falsche Richtung militärischer Präsenz und Politik zu korrigieren.

2010 endet die Dekade für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung mit dem deutlichen Appell, das so genannte Böse nicht mit Gewalt zu überwinden.

Was in dieser Kampagne mit einem Zitat aus dem Römerbrief versucht wurde in die Welt zu tragen, kann nur dann weiter Früchte tragen, wenn es Menschen wie uns hier gibt, die bereit sind, gegen allen Militarismus und eine kampfbetonte Politik aufzustehen und ein deutliches NEIN zu rufen.

Es gelingt nur dann, den falschen Weg zu verlassen, wenn wir uns eingestehen, dass wir das Kriegshandwerk verlernen und Friedensarbeit erlernen müssen.

Was heißt das konkret für die nächsten Schritte in unserer Welt? Wobei es jetzt vermessen wäre zu behaupten, unser kleines Häuflein hier wäre die Meinungsbildungsgruppe für diesen Strategie- und Perspektivwandel. Und dennoch, Impulse und Denkanstösse kommen mitunter aus den verborgensten Winkeln unserer Welt.

Schon vor Jahren brachte z.B. Kurt Beck ins Spiel, dass man in Afghanistan auch mit Taliban Gespräche führen müsse, um das Land zu befrieden. Zurzeit der russischen Bemühungen im Afghanistankrieg wurden die Taliban militärisch aufgebaut, heute schlägt das wieder zurück, was da politisch falsch gemacht wurde.

Religiöser Fundamentalismus sollte durch eine Theologie des Gespräches aufgefangen werden. Statt Hetz- und Hasspredigten sollten religiöse Inhalte vermittelt werden, die mitnichten in den unterschiedlichen Religionen nur auf Kriegstreibereien beruhen. Auch wenn jede Religion ihre militärischen Schattenseiten hat und unsägliche Fehler auf diesem Gebiet begangen wurden, ist der Kern jeder Religion das friedliche Miteinander zwischen Mensch und Natur und untereinander. Nur dort, wo Machtinteressen korrumpieren, bleibt der Frieden auf der Strecke.

Sind wir Menschen wirklich unfähig zum Frieden?

Betrachtet man die biblische Geschichte von Adam und Eva, dem Rauswurf aus dem Paradies, dem Brudermord zwischen Kain und Abel, legt sich dieser Verdacht nahe. Zieht man die jahrhunderte lange Verstrickung der Kirche in die militärischen Auseinandersetzungen hinzu, wird das Bild immer düsterer. Und gemessen an den christlich geprägten Kämpfen in Nordirland und den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern ist es nicht verwunderlich, dass Christen in arabischen Ländern verfolgt werden, der Dalai Lama und die tibetanischen Buddhisten angefeindet und entrechtet werden.

Ich hätte mir Jahrhunderte früher schon gewünscht, dass jegliche Religion sich aus den Machtspielchen der jeweils Regierenden heraus gehalten hätte. Heute würde das Wort solcher Religion Gehör finden und dem Frieden dienen.

Und dennoch glaube ich, dass wir zum Frieden fähig sind.

Es gibt sie immer noch, jene Menschen, die wie wir diesem Frieden ein Gesicht geben, die für friedliches Zusammenleben einstehen, die Schritte des Friedens zwischen und mit Streitenden aufeinander zu gehen.

Ich erinnere an Oscar Romero, dessen 30. Todestag sich dieser Tage jährte. Ich erinnere an Mahatma Ghandi, Martin Luther King. Und da sind jene Zeitgenossen wie Sr. Maria Delci Franzen, die unlängst eines unserer Friedensgebete an der Air Base mit gestaltete. Sie tritt für Gerechtigkeit im Umgang mit der Natur in Brasilien ein oder an Pater Wolfgang Schonecke, der als so genannter "weißer Vater" in den Konflikten in Ost- und Zentralafrika Programme zum gegenseitigen Verstehen der verschiedensten Volksgruppen auflegt und begleitet. Und ich sehe unsere kleinen Schritte des Friedens, wo es gelingt, das Gegenüber zu verstehen und alltägliche Konflikte zu befrieden.

Die Schule des Friedens ist unser Leben.

Die Lehrkräfte für diesen Frieden sind wir selber, in dem wir unsere Mittel und Wege zum Frieden nicht nur bereden, sondern auch umsetzen und gehen.

Für die Regierenden heißt dies, die ganzen Milliarden, die in den Militärhaushalt gepumpt werden dafür zu nutzen, Schulen zu bauen, Krankenhäuser einzurichten, Infrastruktur zu schaffen, die Kultur z.B. in Afghanistan auszubauen, und zwar nicht westliche Kultur, sondern die Kultur, die dort seit alters her lebt.

Waffen bringen nur Tod, wie den Tod von Roman Schmidt und all den anderen ungezählten Opfern.

Kultur verbindet und machtfreie religiöse Gespräche helfen, einander zu verstehen.

So gesehen gibt es nur diesen einen Weg des Militärs: Raus aus Afghanistan und für alle Soldatinnen und Soldaten: Raus aus der Uniform rein ins richtige Leben ohne Waffen hin zur Friedenserziehung und bitte im eigenen Leben anfangen.

Die logische Konsequenz daraus ist, dass jeglicher Militärlobbyismus sofort beendet werden muss.

Denn wir steuern auf eine Zukunft zu, in der die Menschen nicht mehr lernen Krieg zu führen, sondern Frieden zu üben. Das ist das Ende aller Bombodrome, die Verschrottung aller Atomwaffen, die Konversion aller militärischer Liegenschaften und militärischer Rüstung.

Aber es auch eine Vision, die davon lebt, dass die Menschen nicht mehr den kriegstreibenden und - unterstützenden politischen Reden zu hören und solche Politiker auch nicht mehr wählen. Solche Menschen entwickeln Friedensphantasie, wie so vor Jahrtausenden die Propheten des alten Israels schon träumten "Schwerter werden zu Pflugscharen".

Ich habe keine Angst vor dem Frieden, vor einer Welt ohne Atomwaffen, vor einer Gesellschaft ohne Militär.

Ich habe auch keine Angst vor uns Menschen, dass wir es nicht lernen könnten, friedlich miteinander zu lernen.

Ich habe Angst vor all denen, die diese Aufbrüche schlecht reden, ihnen anarchistische Züge andichten.

Ich habe Angst vor Politiker, die nur auf Wählbarkeit achten.

Ich habe Angst vor Medien, die nur darauf aus sind bluttriefende und konfliktschürende Artikel abzusetzen.

Und ich habe Angst vor Resignation, die in gnadenlose Beliebigkeit und eine menschenverachtende Gleichgültigkeit führt.

Angst habe ich davor, dass der Krieg in Afghanistan in Vergessenheit gerät und wir alles einfach laufen lassen.

Deswegen stehen wir hier und heute vor der Landstuhler Stadthalle in Hör- und Sichtweite der militärischen Luftdrehscheibe Air Base Ramstein und protestieren gegen diesen Krieg, den Einsatz deutscher Truppen, die politische Ignoranz gegenüber Andersdenkender und das Herunterspielen der zivilen Opfer.

Wir sind im Krieg und das darf laut unserem Grundgesetz nicht sein, das darf nicht schön geredet werden und sollte auch gerichtliche Konsequenzen haben.

Am Ende möchte ich noch einmal klar und deutlich unsere Forderungen formulieren, die uns mit allen Ostermarschierenden dieser Tage verbinden:

Deutsche Soldatinnen und Soldaten raus aus Afghanistan

Fortschreibung des Atomwaffensperrvertrages von 1968 auf der Konferenz im Mai 2010

Konkrete Schritte zu einer globalen und nationalen Abrüstung, damit die frei werdenden Ressourcen z.B. in der Katastrophenhilfe (aktuell für Haiti) eingesetzt werden können

Unterstützung der weltweit tätigen Friedensdienste und NGOs beim Aufbau gerechterer Strukturen und Lebensmöglichkeiten in einer bewahrten Schöpfung.

Ich danke euch/Ihnen, dass ihr/Sie heute dieser Vision des Friedens in der Welt mit eurem/Ihrem Gesicht ein sichtbares Gesicht geben hab(t)en.



Detlev Besier ist Gemeindepfarrer und ein Sprecher der "Friedensinitiative Westpfalz" (FIW). Vita siehe hier

E-Mail: Besier (at) prot-kirche-landstuhl (Punkt) de

Website: www.friedensinitiative-westpfalz.de
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