Ostermärsche und -aktionen 2010

update:
06.04.2010


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Ostermärsche und -aktionen 2010

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede auf der Abschlusskundgebung des Ostermarsches 2010 auf dem Frankfurter Römerberg (Kurzfassung), 5. April

Liebe Freundinnen und Freunde,

Andreas Buro (in Frankfurt)



- Es gilt das gesprochene Wort! -



Hätte mir vor einem halben Jahrhundert, als wir den ersten Ostermarsch in Norddeutschland vorbereiteten, jemand gesagt, dass daraus die westdeutsche außerparlamentarische Opposition hervorgehen würde, ich hätte wahrscheinlich nicht recht begriffen oder es für Spott gehalten. Der erste >Ostermarsch gegen Atomwaffen in Ost und West< war alles andere als eine Massenbewegung.

Der deutsche Quäker Konrad Tempel hatte in England den London-Aldermaston-Marsch der Campaign for Nuclear Disarmament (CND) miterlebt und brachte die Idee nach Deutschland.

Zentral war die Aussage: "Gegen Atomwaffen in West und Ost." Für uns gab es keine Friedensbombe! Die Märsche standen unter dem runenartigen Zeichen des sterbenden römischen Kriegers oder wie andere das Zeichen deuteten als über einander kopiertes N und D aus der Flaggensignalsprache. ND steht für Nuclear Disarmament. Dieses Zeichen hat sich in der ganzen Welt verbreitet und fast einen Kult-Status als Oppositionszeichen der Zivilgesellschaft erreicht.

In Deutschland des Jahres 1960 Ostermärsche zu veranstalten, das war alles andere als Zucker schlecken. Es herrschte die hohe Zeit des Kalten Krieges, die auf beiden Seiten verbunden war mit der drohenden Aussage: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich! Da wollte es bei solcher West-Ost-Feindschaft schon etwas heißen, wenn normale Menschen es wagten, gegen Atomwaffen auf beiden Seiten zu protestieren. Zwar hatte es in der zweiten Hälfte der 50 er Jahre bereits die Aktion "Kampf dem Atomtod" gegeben. Die Großorganisationen, SPD und Gewerkschaften, hatten dabei politisch, finanziell und organisatorisch das Sagen. Doch 1959 machte die SPD eine Kehrtwendung.

An dieses verlassene Erbe knüpfte der erste Oster-Sternmarsch von 3 bis 4 Tagen nach Bergen-Hohne 1960 an. Mit einer gewissen Berechtigung kann man sagen, die außerparlamentarische Opposition als unabhängige Friedensbewegung wurde auch durch die SPD bewirkt.

Kriegsdienstverweigerung und Pazifismus waren zu dieser Zeit in der deutschen Gesellschaft marginal. So wurde der erste Ostermarsch von Ost und West mit Häme und Spott überschüttet. Naive Sektierer und idealistische Spinner waren noch die freundlichsten Bezeichnungen. Heute würde man darüber nur lachen - auch ein deutliches Zeichen für den Wandel gesellschaftlichen Bewusstseins nicht zuletzt durch die bald aufblühenden sozialen Bewegungen.

1961 fanden bereits in allen Regionen Westdeutschlands Ostermärsche statt. Viele politische und religiöse Gruppen entdeckten den Ostermarsch als eine Möglichkeit, mit vielen auch unterschiedlich Gesinnten gegen Atomwaffen zu protestieren. So konnten damals eigentlich randständige Gruppen von Pazifisten zu einem Fokus werden für die erste von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und anderen Großorganisationen unabhängige außerparlamentarische Opposition. Sie breitete sich nicht nur in Windeseile über die ganze Bundesrepublik aus, arbeitete während des ganzen Jahres und nicht nur zu Ostern, erweiterte ihre Thematik, so dass sie sich später über viele soziale Lernprozesse in die "Kampagne für Demokratie und Abrüstung" verwandelte, eine Art Urmutter der "neuen sozialen Bewegungen".

Die Ostermarsch-Kampagne wurde zu einem breiten Bündnis aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus und politischen Lagern.

Seit Mitte der 1960er Jahre spielte das Thema Vietnam bei den Aktivitäten der Ostermarsch-Kampagne eine zunehmende Rolle. Die Bedeutung des Vietnam-Krieges für die Politisierung der Friedensbewegung kann gar nicht überschätzt werden, wurde doch durch ihn bei vielen das für Demokratie und Menschenrechte stehende Vorbild der USA zutiefst in Frage gestellt. Die Außen- und Militärpolitik der USA und darüber hinaus des "Westens" wurde unter dem Gesichtspunkt imperialistischer Machtausübung kritisiert und die Kritik der politischen Ökonomie des Kapitalismus auf die Tagesordnung gesetzt.

1968 marschierten Ostblock-Staaten in die CSSR ein, was die Zusammenarbeit der heterogenen Teile der Kampagne außerordentlich belastete. Der Mordanschlag auf Rudi Dutschke 1968 verwies auf starke rechte Tendenzen in der Gesellschaft. Themen wie die Notstandsgesetzgebung traten in den Vordergrund. Ende der 1960er Jahre war die Kampagne derart politisiert - auch die StudentInnenbewegung hatte durch ihre Verselbständigung dazu beigetragen - dass sie sich zugunsten vieler Reformprojekte in fast allen gesellschaftlichen Bereichen de facto auflöste.

Die Ostermärsche der späteren Zeit hatten und haben einen anderen Charakter. Sie sind eine der vielen Aktionsformen der Friedensbewegung, die sich im Protest gegen den NATO-Doppelbeschluss in den 80er Jahren wieder voll entfaltete.

In der schwierigen politischen Landschaft des Kalten Krieges der 60er Jahre hat die Kampagne große Teile der Bundesrepublik erfassen und eine breite öffentliche Diskussion entfalten können. Viele Menschen wurden ermutigt, öffentlich für ihre friedenspolitische Haltung einzustehen. Die Diskussion über Gewalt und Gewaltfreiheit in der Politik erhielt in den 70er Jahren neue Impulse aus der Auseinandersetzung mit den Gewaltstrategien der RAF. Sie erstreckt sich bis in die Gegenwart, wo insbesondere die Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung als Kontrapunkt zum militärischen Konfliktaustrag im Vordergrund stehen.

Viel gelernt wurde im Sinne einer zivilgesellschaftlichen Kompetenz über militärisches Denken und Strategien, aber auch dass man sich wehren kann und dass es möglich ist, viele Menschen in der Gesellschaft zu erreichen. Es war trotz unterschiedlicher Meinungen in einzelnen Fragen möglich, sich in zentralen Punkten zu einigen und gemeinsam koordiniert zu handeln. Die "Kampagne` erweiterte auch den Boden für die gesellschaftliche Akzeptanz der Kriegsdienst-verweigerung.

Die Ostermarsch-Bewegung hat vielfältige, lebens-bejahende, fröhliche Formen der Demonstration und der Kommunikation entwickelt. Kulturell-politische Veranstaltungen und Lieder spielten eine große Rolle. Sie hat internationale Arbeit intensiv betrieben: Demonstrationen und Redneraustausch über Grenzen hinweg.

In diesem halben Jahrhundert hat die Friedensbewegung sehr unterschiedliche Arbeitsphasen und ein Auf und Ab der Motivation und Beteiligung durchlaufen. Unabhängig davon ist das gesellschaftliche Bewusstsein weit verbreitet, dass die militärischen weltweiten Interventionen eine Politik zum Schaden unseren eigenen Gesellschaft sind. Die Ablehnung der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan zeigt dies nur allzu deutlich, obwohl vielen BürgerInnen die soziale Frage viel dichter auf den Nägeln brennt..

Inzwischen sind die Märsche zu Ostern ein fester Bestandteil der Protestkultur der Zivilgesellschaft in Deutschland. In zahllosen Kundgebungen und Veranstaltungen um Ostern wie auch während des Jahres werden die jeweils aktuellen Probleme von Krieg und Frieden aufgearbeitet. Das soll auch weiterhin so bleiben.

Ich schließe deshalb mit den Forderungen:

Kooperation statt Aufrüstung

soziale Gerechtigkeit statt Rüstungsexport

Friedenspolitik statt Kriegspolitik

Die Friedensbewegung wird noch weitere 50 Jahre gebraucht werden!



E-Mail: andreas (Punkt) buro (at) gmx (Punkt) de
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