Ostermärsche und -aktionen 2012

update:
05.04.2012


 voriger

 nächster

Ostermärsche und -aktionen 2012

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für den Bodensse Ostermarsch 2012 in Arbon, Schweiz am 9. April

Liebe Freundinnen und Freunde,

Walter Frei (in Arbon, CH)



- Sperrfrist: 9. April, Redebeginn: ca 10 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -



Um 610 kam eine fremde Gruppe von christlichen Asketen hierher. Sie hatten unter der Führung von Abt Columban aus Irland am Oberen Zürichsee einen Missionsversuch gemacht, sie zeigten sich dort gewalttätig, und das scheiterte total: sie mussten um ihr Leben fliehen. Hier in Arbon wurden die fremden und befremdenden Flüchtlinge von der einheimischen Christengemeinde aber erstaunlich gastfreundlich aufgenommen. Man war hier toleranter. Arbon war bereits seit dem 5. und 6. Jh. christlich. Die Christengemeinde besass damals im Inneren des Kastells drei Gebäude: die Kirche (heutige Martinskirche, auf dem ehem. römischen Bad), das Pfarrhaus und ein Gästehaus.

Als nach einer Woche die Gruppe um Columban per Schiff über den See nach Bregenz weiterzog, blieb man miteinander in Kontakt, und so hörte man bestimmt auch, mit welcher Härte die Gruppe dort in Bregenz neuerdings wieder vorging.

Es war erstens eine unglaubliche Härte unter den Mönchen selber, der Abt galt für sie absolut wie Gott hier auf Erden.

Originalton: "Auf das erste Wort des Vorgesetzten müssen alle, sobald sie es hören, aufstehen um zu gehorchen." "Der wichtigste Teil der Regel ist für Mönche die Abtötung des Eigenwillens. Die einzige Pflicht ist es zu gehorchen. Wer das weiss, darf nicht wagen, selber zu urteilen. Deshalb müssen die Mönche sich vor jeder eigenen Freiheit hüten und wahre Demut lernen, indem sie gehorchen - ohne Murren, ohne Zögern. Nie anders denken. Nicht sagen, was einem gefällt. Nicht gehen, wohin man will. Man darf nichts verweigern, mag es noch so hart und schwierig sein, es muss eifrig und freudig angegangen werden." Ich denke, ein solches Leben kann für manche Leute auch attraktiv sein, jedenfalls eine Zeitlang.

Es war zweitens auch eine unglaubliche Härte gegenüber den Einheimischen in Bregenz. Auch dort wohnte eine alteingesessene romanisch-christliche Bevölkerung: diese sei ins teuflische Heidentum zurückgefallen - so interpretierte es Columban. Daneben lebten dort bereits auch Alemannen, in der Völkerwanderung vom Norden bis zum Bodensee gekommen, welche noch ihre althergebrachte germanisch-römische Religion praktizierten und vielleicht auch vom Christentum bereits selektiv einiges ihnen Nutzbringendes übernahmen.

Gallus wirkte voll im Sinn und Auftrag von Columban, er bekämpfte auf alte irische Art mit heiliger Gewalt alles "Heidnische". Aber ich frage: ist Gewalt je heilig? Für Columban und Gallus jedenfalls gab es nur ein entweder ganz Christ Sein, oder dann ein Heidentum, das vom Teufel ist. Und so zerschlugen sie auch Bregenz wieder die Kultgegenstände der Einheimischen. Einzelne (nonnulli) bekehrten sich zu diesem neuen Christentum, weil es oder trotzdem es so rigid und exklusiv war. Aber viel Erfolg hatte Columbans Gruppe nicht.

Im Gegenteil, Beschwerden gingen an den Repräsentanten der fränkischen Staatsherrschaft in Alemannien, den christlichen Herzog Cunzo in Überlingen. Diese absolut kompromisslose, rücksichtslose, fanatische zweijährige Missionsarbeit von Abt Columban war an ihre Grenze gekommen. Die Asketengruppe um den siebzigjährigen Columban, schwer enttäuscht, entschied sich, weiterzuwandern. Sie zogen im Sommer 612 über die Alpen und kamen in die Poebene. In Bobbio im Apennin gründete Abt Columban dann um 614 noch einmal ein Kloster.

Gallus jedoch war in Bregenz geblieben, der Fünfzigjährige durchlebte eine schwere Krise. Was ihn mit Columban stets verband, vorher und nachher, war das Beten. Aber das Beten führte ihn anders. Er wagte, Gehorsam zu verweigern. Zivilen Ungehorsam. Zivilcourage.

Nach 20 oder mehr Jahren sich wieder trennen von Columban. Dieser donnerte "Wenn du an meinen Mühen nicht teilhaben willst, sollst du, solange ich lebe, keine Messe mehr feiern!" Aber Gallus, der jahrzehntelang herangebildet worden war, sich führen zu lassen, dem Oberen gehorsam zu sein - er übernahm eigene Verantwortung.

In Arbon hier wurde Gallus von den Einheimischen wieder herzlich aufgenommen. Es gab Gesprächspartner, die sich Zeit nahmen für ihn, und er brauchte Zeit. Er fand hier Heilung und neuen Mut. Der Arboner Diakon Hiltibod begleitete ihn (wohl im Herbst 612) in die Gegend zwischen Bodensee und Säntis, um nahe bei der Steinach einen passenden trockenen Platz zu finden - der Anfang für alle Entwicklungen in St. Gallen und der Grund für das Gallusjubiläum 612 - 2012. Gallus blieb nie allein. Mit ihm lebten weitere Leute aus der Bodenseegegend mit wenig Schlaf und kargem Essen, aber im Dreiklang von Psalmengebet, Lesungen, Handarbeit.

Bei allem Gegensätzlichen blieben Gallus und Columban doch im Gebet miteinander verbunden. Drei Jahre nach der Trennung starb Abt Columban am 23. November 615 dort im italienischen Bobbio, Es ist wichtig zu wissen: er hinterliess für Gallus seinen eigenen Abtstab mit einem Verzeihbrief - eindrückliche Zeichen der Versöhnung.

Übrigens, zufällig oder nicht, Gallus ist 30 Jahre später, im hohen Alter, an einem 16. Oktober als Gast hier in Arbon gestorben, inmitten der Menschen, denen er so viel verdankte.

Sie damals und wir heute sind unsererseits gefragt, wie wir es mit der Zivilcourage halten, mit der Übernahme von Selbstverantwortung. Und mit dem Beten.

Danke fürs Zuhören.



Walter Frei ist Theologe und lebt in der Schweiz.

E-Mail: ewfrei (at) bluewin (Punkt) ch

Website: www.stgaller-geschichten.org
 voriger

 nächster




       


Bereich:

Netzwerk
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
        
Themen   FriedensForum Termine   AktuellesHome