Ostermärsche und -aktionen 2012

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08.04.2012


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Ostermärsche und -aktionen 2012

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für den Ostermarsch Senne 2012 in Detmold am 7. April

Liebe Friedensfreundinnen,
liebe Friedensfreunde,

Hubert Kniesburges (in Detmold)



- Es gilt das gesprochene Wort -



"Iraner, wir lieben euch", mit diesen Worten hat die israelische Familie Edry eine ungeahnte Welle der Zustimmung und der Sympathie in Israel und dem Iran sowie darüber hinaus angestoßen. Mit ihrer Facebook-Aktion wollen Michal und Ronny Edry eine Diskussion über den drohenden Krieg gegen den Iran in ihrem Land beginnen. Die überwältigende Resonanz bestätigen sie in ihrem tiefen Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben mit allen Völkern der Region.

Anders dagegen die wütende Reaktion auf das Gedicht "Was gesagt werden muss" von Günter Grass. Schon reflexartig wird ihm von den Herrschenden im Land und von den führenden Medien Antisemitismus unterstellt, statt sich mit dem Text auseinanderzusetzen. Günter Grass hat Recht, wenn er davon spricht, "dass in einem demokratischen Staat, in dem Pressefreiheit herrscht, eine gewisse Gleichschaltung der Meinung im Vordergrund steht und eine Weigerung, auf den Inhalt, die Fragestellungen, ..., überhaupt einzugehen." (Tagesschau, 05.04.2012)

Und er hat recht, wenn er vor den atomaren Erstschlagsgelüste der israelischen Regierung und des israelischen Militärs eindringlich warnt. Die Kritik an der Kriegs- und Besatzungspolitik der israelischen Regierung bedeutet keine Sympathiebekundung mit dem iranischen Despoten Ahmadinedschad und seiner fundamentalistischen Machtclique. Vielmehr gilt es festzustellen, dass - wie alle anderen - auch dieser Konflikt nicht militärisch zu lösen ist.

Wir beteiligen uns heute hier am Ostermarsch OWL/Senne, weil wir der Eskalation im Nahen Osten entgegentreten. Gelingt es nicht, eine friedliche Lösung des Konflikts durchzusetzen, Vorschläge dazu liegen beispielsweise vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik auf dem Tisch, dann stehen die Zivilgesellschaften im Nahen Osten wieder mal als Verlierer da. Sie werden jeglicher Möglichkeiten beraubt, demokratische und soziale Fortschritte gegen die herrschenden Systeme durchzusetzen.



Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

unserer Ja zur zivilen Lösung der Zukunftsprobleme umfasst auch das Ja zur zivilen Nutzung der Senne. Seit bekannt ist, dass die britischen Truppen spätestens in acht Jahren aus der Region abziehen und damit auch den Truppenübungsplatz Senne räumen, ist der Ruf nach Einrichtung eines Nationalparks Senne, auch als Erweiterung eines Nationalparks Teutoburger Wald denkbar, wieder hörbar lauter geworden. Aber auch der Widerstand. Die Gegner führen einen erbitterten Widerstand gegen das Vorhaben. Oft genug wird die Grenze der Sachlichkeit überschritten. Vor allem ein Bild soll sich in die Köpfe der Menschen, die hier in der Region leben, festsetzen: BETRETEN VERBOTEN. Als wenn nicht heute schon der Schilderwald "Achtung Militärisches Sicherheitsgebiet - Betreten verboten" vorherrscht. Wer heute in den Wäldern des Fürsten zur Lippe wandert oder spazieren geht, ist gehalten, die vorgeschriebenen Wege nicht zu verlassen, sonst hat der Fürst das Recht, sie oder ihn des Waldes zu verweisen.

Die Wanderwege und andere Zuwegungen des Teutoburger Waldes werden auch im Nationalpark weiterhin begehbar sein. Der Truppenübungsplatz Senne wird bei einer zivilen Nutzung als Naturpark überhaupt erst mal im naturverträglichen Umfang zugänglich sein.

Dann wird von den Naturparkgegner die Angst vor Arbeitsplatz- und Kaufkraftverlust geschürt. Da sind die Waldbesitzer, allen voran das Adelsgeschlecht derer zur Lippe und die Holzindustrie, die mit unseriösen Argumenten existenzielle Befürchtungen schüren. Einer moderierten Schichtung stehen sie jedoch ablehnend gegenüber.

Unterstützung finden sie bei Politikern und Politikerinnen der CDU und der in die Bedeutungslosigkeit versinkenden FDP, auf allen Ebenen, vom Kommunal- bis zum Europaparlament. Besonders eifrig tut sich der erfahrene Bertelsmann-Lobbyist und CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok hervor. Der selbsternannte Sennejunge versteigt sich in schöner Regelmäßigkeit in das Argument, die Natur in der Senne gedeiht am Besten, wenn das Miltär bleibt. Die Argumentation ist dann auch in vielen Stellungnahmen von CDU-Gliederungen der Region wieder zu finden.

Sie tun gerade so, als wenn seit annähernd 120 Jahren Kriegsspiele, Kanonendonner, Panzerketten und Schießübungen die reinste Wohltat für den Senneboden seien. Aus gutem Grund bleiben Herr Brok und alle anderen Vertreter dieses Argumentes die Antwort schuldig, woher sie ihre Weisheit haben. Bislang gibt es so gut wie keine Informationen über die Umweltgefahren, die seit annähernd 120 Jahren von den Hinterlassenschaften an den "Lernorten des Tötens" in der Senne ausgehen. Als regelmäßige Besucher der Senne stelle ich fest, dass es Flächen gibt, die selbst von Militärs nicht betreten werden dürfen. Dazu gehört z.B. ein Bereich in der Nähe des Wassergewinnungsgeländes am Diebesweg gegenüber den Kasernen in Sennelager. Das Areal diente zu Blütezeiten des Kalten Krieges als Lagerstätte für Atomgranaten. Das Waffenarsenal soll heute zwar geräumt sein, aber offensichtlich will niemand die Verantwortung dafür übernehmen, dass nicht doch Rückstände den Boden verseucht haben.

Ein Bericht des Internationalen Konversionszentrums in Bonn (BICC) zur Konversion früherer deutscher und britischer Militäranlagen in Nordrhein-Westfalen kommt zu der Feststellung, dass erhebliche Gefährdungen von zahlreich vorgefundenen Bodenbelastungen durch militärchemische Substanzen ausgehen. Ursache dafür sind die unzähligen Geschoßreste und die Rückstände aus dem Einsatz von pyrotechnischer Erzeugnisse, Nebel- sowie Brand- und Löschmittel auf Übungsgeländen.

Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass insbesondere die sogenannten Neutralbereiche von Schießbahnen erhöhte Belastungen von Schwermetallen aufweisen. Hier tickt ein Gefährdungpotential für das Trinkwasserreservoir der Senne. Das militärchemische Stoffe umwelt- und gesundheitsgefährdende Eigenschaften besitzen, hat der von der Bundesregierung eingesetzte Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) in einem Sondergutachten bereits 1995 festgestellt. (Sondergutachten Altlasten II, Stuttgart 1995, S. 171) Diese Eigenschaften sind aber vor allem relevant für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen in der Region. Denn die Beurteilung der von militärchemischen Altlasten ausgehenden Umwelt- und Gesundheitsgefährdung hängt nach Auffassung selbst der Bundesregierung weniger von der in den Böden enthaltenen Schadstofflast ab, sondern wesentlich von der Exposition über die fünf wichtigsten Gefährdungspfade, also Luft, Oberflächen- und Grundwasser, Boden sowie Nahrungsmittelkette. (Deutscher Bundestag, 1990, S. 23)

Über solche toxikologischen Wirkungspfade in der Region wissen wir noch immer zu wenig - und Herr Brok und die Seinen offensichtlich gar nichts.



Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

geht es um die Entmilitarisierung der Senne und den Abzug der britischen Streitkräfte in der Region, so wird versucht, in dramatischen Zahlen den wirtschaftlichen Niedergang der Anrainerkommunen der Senne zu beschwören. Auch hier sind Arbeitsplatzabbau und Kaufkraftverlust die Standardargumente.

Zunächst sei erst mal gesagt, Rüstung, Militär und Truppenübungsplätze sind die schlechtesten Arbeitsplatz- und Wohlstandsgaranten. In den Kriegsregionen dieser Welt zerstören in Deutschland hergestellte Waffen und auf Truppenübungsplätzen ausgebildete Soldaten Wohnungen, Arbeitsplätze und Menschen. Hierzulande sind die Arbeitsplätzen in den Kasernen und in militärischen Verwaltungen unproduktiv, weil sie weder Dienstleistungen noch Waren für den Gebrauch herstellen. Welche Chancen in der Umwandlung, der sogenannten Konversion, von militärisch genutzten Flächen und den dort ansässigen Arbeitsplätzen liegen, können wir hier in Detmold sehen. Mitte der 1990-iger wurde der von der britischen Armee genutzte Fliegerhorst Hohenloh geschlossen. In Detmold kann dargelegt werden, wie in einem kontinuierlichen Konversionsprozess zivile Nutzung in ein ehemaliges Militärgelände Einzug gehalten hat. Weitere Beispiele von gelungenen Konversionsprojekte sind in anderen Städten zu finden.

Die Region Ostwestfalen-Lippe gehört zu den stärksten Wirtschaftsräumen in Deutschland. Es ist kaum vorstellbar, welche räumlichen, ökonomischen und ökologischen Entwicklungschancen sich eröffnen, wenn die Militärstandorte in der Region einer zivilen Nutzung zugeführt werden. Ich meine damit auch und gerade die Bundeswehrstandorte wie Augustdorf, Höxter und Minden, um nur die großen zu nennen. Durch die militärische Ressourcennutzung werden zivile Ansprüche beschnitten, ganz deutlich am Truppenübungsplatz Senne zu belegen. Der hier aufgezeigte Strukturkonflikt zwischen Militär, nachhaltiger Regionalentwicklung, Ökologie und Frieden kann nicht durch ein "sowohl als auch", wie es der grüne NRW-Umweltminister Remmel oder der eine oder andere heimische Sozialdemokrat gerne hätte, gelöst werden. Hier muss - wie es so schön polit-kämpferisch heißt - klare Kante gezeigt werden. Hier heißt es "entweder - oder".

Erinnern wir uns an die "Rio-Deklaration" der UN von 1992. Bekanntlich folgte daraus die Agenda 21 als Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert. Drei der insgesamt 27 Grundsätze der Deklaration unterstreichen, dass es kein dazwischen gibt:

Grundsatz 1: Die Menschen stehen im Mittelpunkt der Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung. Sie haben das Recht auf ein gesundes und produktives Leben im Einklang mit der Natur.

Grundsatz 8: Um nachhaltige Entwicklung und eine höhere Lebensqualität für alle Menschen herbeizuführen, sollten die Staaten nicht nachhaltige Produktionsweisen und Konsumgewohnheiten abbauen und beseitigen und eine geeignete Bevölkerungspolitik fördern.

Grundsatz 25: Frieden, Entwicklung und Umweltschutz bedingen einander und sind unteilbar.

Deshalb dürfen Frieden, Regionalentwicklung und Ökologie nicht länger gegeneinander ausgespielt werden. Planung und Übung von Kriegen gehören zu den notwendige Bestandteilen des militär-industriellen Komplexes aus Staatsbürokratie, Rüstungskapital, Streitkräften, Wissenschaftsbetrieb und Massenmedien. Sie dürfte wohl außer der herrschenden Klasse niemand zu den tragfähigen Strukturen in Produktion und Verbrauch für die Region rechnen. Das ist nicht unser Interesse.

Vor diesem Hintergrund liegt noch eine Menge kritisch aufklärerische Arbeit vor uns.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.



E-Mail: h (Punkt) kniesburges (at) kniesburges (Punkt) net
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