OM 2014

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17.04.2014


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Ostermärsche und -aktionen 2014

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Redebeitrag für den Internationalen Bodensee Ostermarsch 2014 in Lindau am 21. April

Gerechtigkeit schaft Frieden

Arne Engeli (in Lindau)



- Sperrfrist: 21.04.14, Redebeginn: ca 15 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -



Liebe Weggenossinnen und Weggenossen,

Danke, dass ihr da seid.

Danke dem Toggenburger-Trio für das Musizieren + Singen.

Danke den Lindauern für den Stationenweg. Die Geschichte lehrt: Mit Krieg ist kein Frieden zu schaffen.

I.

Aber wie schaffen wir es, dass die Welt friedlicher wird?

Für mich beginnt der Friedensweg mit Empörung.

Empörung über den schrecklichen Zustand der Welt,

Fassungslosigkeit über die Gleichgültigkeit dem Elend gegenüber,

Entsetzen und Trauer über den Raubbau an der Natur.

Wann immer wir die Zeitung aufschlagen, Radio hören, Tagesschau sehen, springen uns Nachrichten an über Unfrieden, Unrecht, Zerstörung.

Wir alle haben uns in den letzten Wochen darüber entsetzt, wie Putin, der neue Zar, die Krim annektiert hat, entgegen der abgegebenen Garantie von Russland, die Integrität der Ukraine zu wahren. Aber auch Kopfschütteln darüber, dass nach dem Sturz von Janukowitsch das ukrainische Parlament als erstes Russisch als Amtssprache absetzen wollte. Antisemitische Kräfte und Ultra Nationalisten mischen mit. Und dem Frieden nicht dienlich war das Verhalten von EU und NATO, die versuchten, die Ukraine in ihr Lager hinüber zu ziehen. Schlimm jetzt der Ruf bei uns: wir müssten wieder aufrüsten!

Am nächsten Tag begegnen wir schrecklichen Bildern des Hungers in der Welt. Wir wissen, es könnte für alle genügend Lebensmittel produziert werden. "Wir lassen sie verhungern" schreibt Jean Ziegler. Er nennt unsere Weltordnung eine kannibalische, die es mit Spekulationen auf Nahrungsmitteln und Rohstoffen gelassen in Kauf nimmt, dass alle 5 Sekunden ein Kind verhungert, oder in der Sprache Zieglers, "ermordet" wird.

täglich empörende Nachrichten über Abzocker! Die OECD warnt, in keinem anderen Industrieland gehe die Schere zwischen Arm und Reich schneller auseinander als in der BRD. Weltweit besitzen die 85 reichsten Männer gleich viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit, wie 3,5 Milliarden Menschen zusammen. Das ist ein Verhältnis 1:40 Millionen. Der Reichtum der Welt ist skandalös ungerecht verteilt. Wir wissen: Auch wir leben auf zu grossem Fuss. Wenn alle in der Welt einen solchen Fussabdruck in Anspruch nehmen wollten, dann müssten wir drei oder fünf Planeten Erde haben.

Und dann das Entsetzen über das Los der Bootsflüchtlinge, die in Lampedusa landen. Knapp dem Tode entronnen, stranden sie an der Festung Europa. 600`000 warten in Libyen auf die Überfahrt. Ihr Los schreit zum Himmel. Ich lernte einen von ihnen näher kennen, einen Nubier aus dem Sudan, desertiert aus der Armee des Kriegsverbrechers Umar al-Baschir. In Rorschach war er als abgewiesener Asylsuchender nachts in einer unterirdischen Zivilschutzanlage untergebracht, tagsüber, auch im Winter, auf die Strasse verwiesen, mit 8 Franken pro Tag als Nothilfe. Als ich ihn in meine Wohnung aufnehmen wollte, legten Mieter und Eigentümer des Hauses ihr Veto ein. Wer könne wissen, ob er nicht ein Krimineller sei - und wenn sie von der Arbeit heimkämen, wollten sie bitte ihre Ruhe haben. - Zum Glück gibt es für Asylsuchende das Solidaritätsnetz Ostschweiz. Die drohende Abschiebung (oder, wie wir sagen: Uusschaffig), konnte abgewendet werden.

Die Theologin Dorothee Sölle schrieb: "Die Realität wahrnehmen heisst, die weitergehende Kreuzigung Jesu in unserer Welt sehen. Aufrüstung und Hunger sind die beiden Balken des Kreuzes, an dem die Armen hängen." Soviel Unrecht jeden Tag, wie ist das nur auszuhalten!

Indem wir der Opfer gedenken. Im ehemaligen Kolonial-Gefängnis in Manila habe ich eine Inschrift gelesen: "Ihr, die ihr den neuen Tag dämmern seht, denkt an die, welche vor dem Morgengrauen umgekommen sind."

indem wir sagen, so darf es nicht weitergehen! Unrecht muss benannt und offen gelegt werden. Mechanismen sind transparent zu machen. Mächtige sind zu demaskieren, ihnen ist die Gefolgschaft zu verweigern. Dazu braucht es Zivilcourage. Wut macht Mut!

II.

Woher aber nehmen wir die Zuversicht, dass eine andere Welt möglich ist?

Gibt es Gegenkräfte? Ja es gibt sie. Ich erinnere an Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Nelson Mandela, Paul Grüninger. Sie zeugen dafür, dass eine andere Welt möglich ist. Ohne Gewalt anzuwenden haben sie eine neue Realität geschaffen. Auch wir sind Zeugen solcher Entwicklungen.

Ich denke an die sanfte Revolution in der DDR. Ich war dort am 9. Oktober 1989 und habe mit erlebt, wie in Leipzig Zehntausende für ihre Überzeugung, trotz angedrohter Gewalt, auf die Strasse gingen mit dem Ruf: "Wir sind das Volk!" Sie haben damit einen tiefgreifenden Wandel ausgelöst. Der ist nicht einfach so vom Himmel gefallen. Er wurde jahrelang unter dem Dach der Kirchen vorbereitet. Nur so - und, zugegeben, auch dank Gorbatschew - war diese sanfte Revolution möglich. Die gesteckten Ziele wurden zwar, wie sich bald zeigte, nur teilweise erreicht. Zwei Schritte vor und einer zurück, so läuft es halt in dieser Welt. Langer Atem ist nötig.

Oder ich denke an meine Erfahrungen in der humanitären Hilfe und Friedensarbeit während und nach den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien. Da habe ich Hass und Grausamkeit erlebt. Schlimmer als die Ruinen sind aber die tiefen Wunden, die der Krieg den Menschen zugefügt hat, von denen sie sich kaum erholen. Mein Fazit: Was ein Krieg anrichtet, ist so grauenvoll, dass er nie und nimmer gerechtfertigt werden kann. Zum Glück gibt es auch Menschen, vor allem Frauen, die der Kriegslogik widerstanden haben und sich für den Frieden einsetzen. So haben z.B. in Bosnien junge Psychologie-studentinnen sich der kriegstraumatisierten Kinder angenommen. Heute, 20 Jahre später, sind sie noch immer in der Versöhnungsarbeit in den Dörfern dies- und jenseits der ehemaligen Frontlinien tätig. Es entstehen Brücken der Freundschaft zwischen den verschiedenen Ethnien. Das liegt quer zur aktuellen politischen Situation in Bosnien, die auf Spaltung hinarbeitet - aber sie zeigen, es ist möglich, ein Stück Frieden zu schaffen.

Und selbst im Scheitern kann Hoffnung wachsen. Mitte der 80er Jahre, an einer internationalen Konferenz, stellten mich Afrikaner an den Pranger, weil die Schweiz ein Zufluchtsort für die dem Volk gestohlene Gelder sei. Ich erzählte, wie wir 1984 mit einer Volksinitiative versucht hatten, das Bankgeheimnis abzuschaffen, und wie wir landauf landab mit Argumenten kämpften und trotzdem unterlegen sind. Eine Frau aus Ghana hat mich darauf hin umarmt. Erst jetzt realisiere sie, dass es auch bei uns Menschen gebe, die sich für eine Änderung engagierten. Das gebe ihr Hoffnung. "Gebt nicht auf. Kämpft weiter." - Heute, genau 30 Jahre später, ist unter dem Druck von aussen das Bankgeheimnis in der Schweiz endlich eingebrochen - wie die Mauern von Jericho nach einer siebenmaligen Umrundung unter dem Schall der Posaunen.

Ja, für Änderungen braucht es einen langen Atem. Und überdies, so die Stimme meines Vaters: Ich engagiere mich nicht, weil ich dem Erfolg nachrenne, sondern weil ich das tue, was ich als recht und gerecht empfinde.

Ohne Gerechtigkeit kein Friede. Frieden ergibt sich, wenn Gerechtigkeit hergestellt ist. Das haben die Delegierten aus Afrika und Lateinamerika an der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1984 in Vancouver durchgesetzt, als es darum ging, den Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung als dringenden Auftrag der Kirchen und Christen zu formulieren.

1984: damals also vor genau 30 Jahren, in der Zeit der atomaren Nachrüstung, wurde auch unser erster Bodensee-Friedensmarsch durchgeführt, "Radeln für den Frieden" hiess er, er führte uns auch damals nach Lindau. Es gab eine Kundgebung zu einem atomfreien Bodensee. Es sprachen der österreichische Zukunftsforscher Robert Jungk, der deutsche Arzt gegen den Atomkrieg Till Bastian und die Thurgauer Bananenfrau. Ursula Brunner, eine Drittweltaktivistin. Die folgenden Bodensee-Ostermärsche führten uns nach Bregenz, Konstanz, Arbon, wieder Lindau und Bregenz, Rorschach. Nach einigen Jahren Pause haben wir die Tradition 2009 wieder aufgenommen mit dem Bodensee-Friedensweg.

III.

Eine andere Welt ist möglich. Dafür gilt es, sich einzusetzen. Frieden schaffen heisst: sich jenen Kräften anzuschliessen, die sich hier und jetzt für eine andere Welt engagieren. Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten! So wie damals in Leipzig und Dresden. Lange hiess es und es wird noch heute geglaubt: Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor. "Si vis pacem, para bellum". Wir aber sagen - nach all den Erfahrungen der letzten 100 Jahre - Kriegsvorbereitung führt zu Krieg. Konflikte müssen gewaltfrei gelöst werden. Krieg ist zu ächten.

Wenn du den Frieden willst, musst du den Frieden vorbereiten, d.h. sorge für Gerechtigkeit, für Schutz und Recht der Schwachen, für Chancengleichheit, das jeder das bekommt, was er zum Leben braucht, auch zukünftige Generationen. Gerechtigkeit ist immer wieder neu zu verhandeln.

Darum fordern wir

Gerechtigkeit in Europa. Die EU hat den Friedens-Nobelpreis bekommen, weil ihre Gründer durch Zusammenarbeit in Europa eine Voraussetzung dafür geschaffen haben, dass heute ein Krieg zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern undenkbar geworden ist. Aber noch führen die Ungleichheiten zwischen dem Süden und dem Norden zu tiefen Krisen, die den Frieden bedrohen. Wir wissen um die prekäre Situation in Griechenland. Das Europäische Netzwerk der Menschenrechtsinstitutionen hat die Europäische Kommission zu dringenden Massnahmen aufgefordert. Die soziale Sicherheit sei durch die verordneten drastischen Kürzungen von Löhnen und Renten und die Entlassungen unterminiert worden. Das Recht auf Gesundheit sei ausgehebelt, bereits ein Drittel der Bevölkerung habe keine Krankenversicherung und damit keine Chance auf Behandlung. Das sei Nährboden für das Aufkommen der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte. Dass dabei die BRD auf milliardenschwere Rüstungskäufe durch Griechenland besteht, ist unverständlich.

Wir fordern Gerechtigkeit weltweit: Die Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln muss bekämpft werden. Heute wird z. B. 6 x mehr Weizen als überhaupt zu ernten ist an den Börsen gehandelt. Diese Spekulation treibt die Preise in die Höhe. Viele können sich ihre Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten und hungern. Dem müssen wir durch ein Spekulationsverbot den Riegel vorschieben, wie es in der Schweiz eine Volksinitiative jetzt durchsetzen will.

Eine andere Gefahr droht von den Großkonzernen Monsanto, Syngenta, Bayer. Die Freihandelsabkommen mit den USA und der EU verlangen, dass alle nicht offiziell zertifizierten Saatgut-Sorten zu verbieten sind und die Bauern so gezwungen werden, Jahr für Jahr Hybrid-Saatgut der Grosskonzerne zu kaufen. Ihr eigenes Saatgut dürfen sie nicht mehr verwenden. Die kolumbianische Polizei ist kürzlich in Lagerhallen für einheimisches Saatgut eingedrungen und hat es zerstört. Millionen Bauern weltweit werden so in den Ruin getrieben. Auch den Bauern in der EU drohte dasselbe, nun hat aber das Europäische Parlament die vorgeschlagene Saatgutverordnung … la Grosskonzerne erfreulicherweise abgelehnt. Das muss jetzt auch weltweit angegangen werden.

Aber es geht auch um Gerechtigkeit in unserem persönlichen Umfeld: Wir werden daran gemessen, ob wir in unserem eigenen Leben und Haushalt so handeln, wie wir wünschen, es würden sich alle so verhalten. Dazu gehört auch, dass wir uns mit unseren Schattenseiten, die ja in jedem von uns sind, auseinandersetzen, damit sie keine Macht über uns haben. Wer bei uns einkehrt, soll sehen und erfahren, was gerecht ist, was dem Frieden dient, was es heisst, der Natur Sorge zu tragen. Denn was wir tun, ist unüberhörbar, wirkt mehr als Worte es je können. Was wir hier bei uns verändern, ist ein Baustein dazu, die ganze Welt zu verändern.

Wir haben uns im Vorbereitungskreis auf sieben Forderungen geeinigt. Wir gehen davon aus, dass ihr sie mittragen könnt:

Wir verurteilen die Annektierung der Krim durch Russland und ebenso die imperiale Politik der Westmächte. Wir befürworten die Bestrebungen der OSZE, eine gerechte und friedliche Lösung des Konfliktes in der Ukraine zu finden.

Wir lehnen Rüstungsexporte ab. Wir treten ein für eine rüstungsfreie Zone Bodensee.

Wir sagen nein zu einer Asylpolitik, die Flüchtlinge an der Festung Europa stranden lässt. Wir fordern eine grosszügigere Aufnahme und höhere Beiträge an das Flüchtlingswerk UNHCR.

Wir verurteilen die Spekulation mit Nahrungsmitteln. Wir unterstützen Massnahmen dagegen, wie sie eine Volksinitiative in der Schweiz verlangt.

Wir lehnen das geplante transatlantische Freihandelsabkommen ab. Wir fordern, dass die national gesetzten Bedingungen nicht verschlechtert werden.

Wir protestieren gegen die wachsende Kluft zwischen bettelarm und steinreich. Wir fordern den sozialen Ausgleich durch stärkere Besteuerung der Reichen und die Verwirklichung der von der UNO beschlossenen Entwicklungsziele.

Wir sagen nein zum Fracking am Bodensee. Wir fordern das EU-Parlament auf, die Lockerung der Umweltauflagen zurückzunehmen.

Und ganz zum Schluss noch dies: Dom Helder Camara rief uns einst in Erinnerung: "Eine Minderheit kann die Welt verändern". Wir wissen, Frieden schaffen bedeutet viel mühselige Kleinarbeit, wir brauchen dazu einen langen Atem. Wir haben einander heute Mut dazu gegeben. Wir wollen die Glut warm halten, damit sie eines Tages aufflammen kann. Wir bleiben dran!

Eine andere Welt ist möglich. Von dieser Vision, die Realität werden kann, gehen wir aus. So wie es in einem Kanon heisst: "Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum, wenn viele gemeinsam träumen, dann ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit. Träumt unsern Traum!"



Arne Engeli ist aktive beim SchweizerFriedensrat.

E-Mail: a (Punkt) engeli (at) sunrise (Punkt) ch

Website: www.friedensrat.ch
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