Demos
13.10.2001


vom:
14.10.2001


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Demonstrationen 13.10.2001

 Echo / Presse

Pressespiegel zu dem Demonstrationen in Berlin und Stuttgart - 13./14.10

div. Tageszeitungen

13.10.2001

taz Eingeblockt in den Frieden

FR Krieg bleibt tabu

SZ "Die bürgerliche Mitte hat sich rar gemacht"

Berliner Zeitung Die schrille Friedensmutter Courage

Berliner Zeitung Zur Friedens-Demo werden Teilnehmer aus 19 Städten erwartet

Berliner Zeitung Interview - "Pazifismus ist nicht out"

Mainz online Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet - 15.000 Teilnehmer in Berlin

Kölner Rundschau Friedensbewegung ruft zu Großdemonstrationen auf

Stuttgarter Zeitung Heute Friedensdemo in der Stadtmitte

Stuttgarter Zeitung Zulauf für die Friedensbewegung

14.10.2001

Tagesspiegel Ein Ausflug gegen den Krieg

FAZ Sonntags Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet

Berliner Morgenpost Gegen den Gegenschlag





Quelle: taz, 13.10. - lokales -

Eingeblockt in den Frieden

Autonome Gruppen rufen zur Teilnahme an der heutigen Anti-Kriegs-Demo auf. Eine einheitliche Position zum US-Angriff auf Afghanistan haben die Linksradikalen aber nicht

Der US-Militärschlag gegen Afghanistan mobilisiert die Linksautonomen. Auf der heutigen Großdemonstration der Friedensbewegung soll es einen "Block unabhängiger, autonomer und linksradikaler Gruppen" geben. Eine gemeinsame Position zu den Luftangriffen auf Afghanistan gibt es bisher in der Szene aber nicht.

Entgegen den Befürchtungen von Innensenator Erhard Körting (SPD) scheinen die Autonomen weit davon entfernt, eine Gefahr für die Hauptstadt zu werden. Der Aufruf zum eigenen Block auf der Friedensdemo gleicht vielmehr einem verzweifelten Hilferuf: "Jetzt den Arsch hoch - oder für immer schweigen!" Ein deutlicher Seitenhieb an interne Kontrahenten, die sich bisher weder zugunsten der USA noch des Islamisten Ussama Bin Laden und der afghanischen Taliban positionieren wollen.

Anders als noch beim Golfkrieg gegen den Irak präsentieren sich die Linksradikalen uneinig. "Nein zum Terror, Nein zum Krieg" und "Antikapitalismus bedeutet nicht Antiamerikanismus" formulierte beispielsweise die als Szene-Instanz geltende Redaktion der Wochenzeitung Interim. Und handelte sich damit die Kritik einiger Aktivisten ein: Das Autonomen-Blatt habe sich "erst einmal auf Seiten der ,Zivilisation` und der ,Menschenrechte` gegen den globalen Süden" geschlagen, hieß es.

Demgegenüber formulieren einige linksradikale Gruppen Rechtfertigungen für den Anschlag auf das World-Trade-Center in New York. Mit den Flugzeug-Attentaten "ist die brutale und nackte Gewalt der kapitalistischen Globalisierung und imperialen Politik an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt", heißt es in einer Stellungnahme von "Organisierten Autonomen".

In der Mehrzahl jedoch verhalten sich linksradikale Gruppen gar nicht zu dem Konflikt. "Antiislamistische und antiamerikanische Positionen halten sich die Waage, deswegen sagt man nach Außen lieber nichts", berichtet ein Szene-Kenner. Verstärkt wird diese Haltung noch durch die deutliche Parteinahme der extremen Rechten - beispielsweise der NPD - für die Taliban. So ziehen es Berliner Antifa-Gruppen vor, heute zum Protest gegen den Lichtenberger NPD-Bezirksvorsitzenden Georg-Wilhelm Magnus zu mobilisieren - fast zeitgleich mit der Friedensdemo.

Übereinstimmend abgelehnt werden in der linken Szene lediglich die verschärften Sicherheitsmaßnahmen und das von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) geschnürte Anti-Terror-Paket. Hier setzt auch die autonome Mobilisierung für die heutige Demonstration an: "Gegen ihre sogenannte Sicherheit vorgehen" heißt es im Aufruf für einen linksradikalen Block. Der "de-facto-Ausnahmezustand" gilt den autonomen Kriegsgegnern als Indiz für den "Ausbau eines autoritären Polizeistaats" und als Versuch, jeglich Opposition auszuschalten. DIRK HEMPEL

Zum Sternmarsch "Kein Krieg! Aufstehen für den Frieden!" haben rund 60 Organisationen aufgerufen. Die Demonstrationen ziehen heute ab 13 Uhr vom Brandenburger Tor, dem S-Bahnhof Friedrichstraße und dem Rothaus Rathaus zum Gendarmenmarkt



Quelle: FR 13.10.

Krieg bleibt tabu

In Berlin und Stuttgart wollen Friedensinitiativen heute so viele Demonstranten auf die Straßen bringen wie bei der Golfkrise

Von Peter Henkel (Stuttgart)

In Stuttgart und Berlin demonstrieren Menschen heute gegen Bomben auf Afghanistan. Die Beteiligung an den Protesten wird zeigen, ob die häufig totgesagte Friedensbewegung in Deutschland noch lebt.

Tobias Pflüger ist ein alter Kämpfer. Gegen den Krieg, die Zerstörung der Umwelt, folgerichtig auch gegen diese schleichende Knochenerweichung der Grünen, denen er 1994 nach elf Jahren den Rücken kehrte. Widerstand hat er als Mitarbeiter eines baden-württembergischen Netzwerks von Initiativen für den Frieden zum Beruf gemacht. Für sich persönlich nimmt er in Anspruch, jedes Mal den Einzelfall zu prüfen, wenn es um den Einsatz kriegerischer Mittel geht. "Und immer", sagt Pflüger, "komme ich zu demselben Schluss: dass nämlich Militär eine Keule ist, die mehr kaputt macht als hilft."

Ähnlich Paul Russmann, Diplomtheologe und Motor von "Ohne Rüstung leben". Alle möglichen Mittel kann er sich vorstellen gegen bin Laden und seine Mitstreiter: Politik, Diplomatie, Geheimdienste, Geld, Polizei, nur eins nicht: Krieg. Der ist tabu. Er fordere einen viel zu hohen Preis durch zivile Tote und Flüchtlingselend und verletze insofern den elementaren Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Kinder, die Angst haben, Leute, die im Geiste des Antiamerikanismus groß geworden sind, die Russmanns und Pflügers - alle zusammen scheinen sie zahlreich genug, um der schon so oft totgesagten Friedensbewegung in Deutschland neues Leben einzuhauchen. Der Gradmesser für ihre Vitalität wird die Beteiligung bei den Demonstrationen am heutigen Samstag in Berlin und Stuttgart sein. Pflügers alter Weggefährte Jürgen Grässlin, auch er ein Ex-Grüner, sagt, in Stuttgart würden 5000 die Erwartungen erfüllen und wären 10 000 "ein voller Erfolg".

Vielleicht erreicht der Protest gegen die Bomben auf Kabul und Kandahar Dimensionen, die das Land beim Golfkrieg vor zehn Jahren erlebte. Neben den Einzelgängern ist wieder ein breites Bündnis von Organisationen auf dem Plan: Pax Christi und die Kriegsgegner der DFG/VK, die Ärzte gegen den Atomkrieg oder die Globalisierungskritiker der Attac. Und in Stuttgart hat sogar die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft zur Demo aufgerufen; Sibylle Stamm, die ver.di-Landesvorsitzende, spricht für die DGB-Linke.

Eine Allianz der Naiven, blind für die realpolitischen Notwendigkeiten im Kampf gegen das Böse? Einer wie Grässlin wird sich nicht gern blauäugig nennen lassen wollen. Er wirft den USA Rache und Vergeltung vor: "Großmächte und Terroristen tragen ihr grausames Machtgehabe auf dem Rücken Unschuldiger aus."

Christoph Strecker, Amtsrichter und einst Demonstrant gegen die Mittelstreckenraketen in Mutlangen, räumt seine Zerrissenheit ein. Betet aber zugleich auch das Sündenregister der USA herunter, von Vietnam bis zur Klimapolitik. Träumt kurz davon, wie es wäre, wenn Bush vom Krieg abließe und all das Geld in Entwicklung investierte. Austrocknen sei intelligenter als ausrotten, sagt er. Aber auch, dass ihm alle unheimlich sind, deren Meinung so schnell feststeht.



Quelle: Süddeutsche Zeitung, 13.10.

"Die bürgerliche Mitte hat sich rar gemacht"

Friedenstauben vom alten Schlag

Die pazifistische Bewegung ist kleiner geworden, stimmt aber unverdrossen die alten Losungen an

Von Matthias Drobinski und Cathrin Kahlweit

Und wieder einmal haben sie die blauweiße Friedenstaube auf ein Transparent gemalt. Wie 1984, als Gerta Manz zum ersten Mal für Abrüstung demonstrierte. Wie später vor dem Raketendepot in Mutlangen und noch später in Wackersdorf. Gerta Manz und sechs Mitstreiter vom Münchner Friedensbündnis haben ihre Tapeziertische auf dem Münchner Stachus aufgestellt; ein Button mit der Friedenstaube kostet eine Mark fünfzig. "Krieg ist kein Mittel gegen Terror", steht auf dem Transparent, und: "Krieg ist Terror".

Seit Montag steht die hochgewachsene alte Dame täglich hier - seit die USA und Großbritannien die Taliban und Osama bin Laden bombardieren. "Was würden Sie denn machen?", fragt ein Passant. "Bin Laden zu bestrafen, ist eine Polizeiaufgabe", antwortet Gerta Manz. Wozu es denn Geheimdienste gebe? Ob man wegen der Terrorakte auch Zivilisten töten müsse? Ihre Argumente entspringen der Routine von zwei Jahrzehnten Friedensarbeit: Erst weltweite Gerechtigkeit werde den Terror beenden. Und verhandeln sei immer besser als Schießen.

Zu alt für eine Großdemo

Am Samstag finden in Stuttgart und Berlin Demonstrationen gegen den Krieg statt. Aber "wir haben unsere eigene Veranstaltung", sagt Gerta Manz - eine Demo gegen Weltraumrüstung, schon lange geplant. Überdies, sagt die 71-Jährige, seien viele Aktivisten zu alt für eine Großdemo. Aber es gibt auch tiefere Gründe für die Abstinenz. Als sie nach den ersten Angriffen auf dem Marienplatz sprach, sei sie erschrocken, sagt sie: "Da sah ich nur rote Fahnen." Nicht, dass sie prinzipiell etwas gegen sozialistische Gruppen und Grüppchen habe - "aber von den anderen war nichts mehr zu sehen". Die SPD: die Seite gewechselt. Die Grünen: vereinzelt vorhanden, aber ohne Transparente. "Die bürgerliche Mitte hat sich rar gemacht", sagt Frau Manz.

Das steht auch für die beiden Demonstrationen am Samstag in Stuttgart und Berlin zu erwarten. Unter den Bundestagsparteien unterstützt nur die PDS die Pazifisten. Es wird der sozialdemokratisch-grüne Mainstream der Lehrer, Beamten, der Angestellten fehlen; ebenso die mittlere Generation. Die Frauen hinter dem Tisch am Stachus sind jenseits der 60. Und zum Unterschreiben für den Frieden kommen die Jugendlichen, die zum erstenmal erleben, wie grausam die Welt ist, die unterschreiben gegen die Angst - und gehen wieder.

Wie weit entfernt ist das von jenen hohen Jahren der Friedensbewegung, als mehr als 300000 Menschen 1981 im Bonner Hofgarten gegen die Aufstellung von Pershings demonstrierten, gemäß der alten Definition des Pazifismus als "Ablehnung des Krieges aus religiösen oder ethischen Grünen" (Duden). An diesem Wochenende werden die Veranstalter froh sein, wenn sich bundesweit 50000 Menschen versammeln, realistisch wird mit der Hälfte gerechnet. Die Umfragen zeigen ein gespaltenes Land: Eine knappe Mehrheit der Bundesbürger gibt an, sie sei für Angriffe auf die Taliban, eine große Minderheit von mehr als 40 Prozent ist dagegen. Die Friedensgruppen merken davon wenig. Der Leiter der "Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung", Harald Müller, führt das auf eine innere Ambivalenz der Deutschen zurück: "Niemand möchte, dass die Bedrohung durch die Angriffe auf Afghanistan näherrückt. Andererseits möchte jeder vor dem Terror geschützt werden." Krieg und Frieden, so Müller, seien bei der Bekämpfung des Terrors nicht mit herkömmlichen Mitteln zu bewerten. Wer als Pazifist gegen den Einsatz militärischer Mittel votiere, müsse sich fragen lassen, wie er mit bin Laden zu einem Konsens kommen wolle.

Müller zielt mit solchen Fragen auf einige Veteranen der Friedensbewegung, auf den Gießener Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter etwa oder den Sprecher des "Komitees für Grundrechte und Demokratie", Andreas Buro. Denn er ist davon überzeugt, dass die "kontextfreie Friedensideologie im Kampf gegen den Terror an ihre Grenzen stößt". Richter sieht das anders. Die Stoßrichtung der Friedensbewegung sei die alte: die Suche nach gewaltfreien Lösungen in Krisenfällen. Die aktuelle Krise wäre in seinen Augen eine Chance gewesen, zu verstehen, einen Grundkonsens zu suchen mit den islamischen Ländern, eine Lösung für den Palästina-Konflikt zu finden. "Derzeit ist diese Haltung nicht sehr populär", sagt Richter. "Aber wenn bald die Bilder von verhungernden Kindern im Schnee zu sehen sind, wird die Stimmung kippen."

Buro, emeritierter Politikprofessor aus Frankfurt und Nestor der Ostermarschbewegung, findet, man müsse als Pazifist sehr weit in die Vergangenheit blicken, um Antworten auf aktuelle Fragen zu finden: "Die Terroristen repräsentieren im Extrem das, was als Widerhall des Kolonialismus in der islamischen Welt zu finden ist." Die Globalisierung als westliches Modellverbaue der arabisch-islamischen Welt den Weg zu einer eigenständigen Entwicklung. Damit ist der 73-Jährige dort, wo die Friedensbewegung des Jahres 2001 sich mit den Globalisierungsgegnern rund um die Gruppe "Attac" vereint: Frieden, sagt Buro, kann nur entstehen, wenn die Demütigung der Schwachen ein Ende findet.

Diese Argumentation klingt altvertraut. Ist also nach dem 11. September doch nicht alles anders? Nein, sagt Felix Kolb, Sprecher von Attac, dem Dach der Globalisierungsgegner. "Es wird neue Antworten geben müssen", und dazu macht Attac am übernächsten Wochenende einen Kongress. "Die USA haben auf die neue Bedrohung die alte Antwort gegeben: Bomben drauf - wir müssen klügere Antworten finden."

Attac versteht sich nicht als Teil der Friedensbewegung, aber die jungen Globalisierungsgegner hätten den Friedensgruppen "manchmal auf die Sprünge geholfen", so der 27-jährige Politikwissenschaftler Kolb. Sie haben die Demo-Homepage gebastelt, die Anzeigen entworfen, Technik-Anfänger in die Geheimnisse des e-mail-Versandes eingeweiht - weil Frieden und Globalisierung schließlich zusammenhängen.

Einheitlicher Dreiklang

Attac und die Friedensgruppen, auch dieses Verhältnis erzählt vom Verlust der Mitte. Die jungen Wilden, aktions- und projektorientiert, organisatorisch und inhaltlich noch ungefestigt - und die alten Mahner, ein halbes Menschenleben lang treu dem Kampf um Frieden und Abrüstung, den Freunden und Feinden, den Argumenten und Methoden. Die nicht verstehen, wenn junge Leute sich ein Jahr lang für eine Idee begeistern und dann wieder weg sind. Deren Erklärungen frappierend einheitlich den Dreiklang haben: Betroffenheit über die Anschläge in den USA; den Hinweis darauf, dass die Gewalt nicht mit Gegengewalt zu bekämpfen sei, und am Ende: "Nato auflösen, Bundeswehr abschaffen!" oder "Gegen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Ausgrenzung!" Als hätte einer auf den alten Flugblättern nur einen neuen Anfang geschrieben.

Zwei Dutzend Leute haben sich gemeldet, die jetzt irgendetwas für den Frieden tun wollen, erzählt Greta Manz. Am Dienstag gibt es ein Treffen mit den Neuen, mal sehen, wer wirklich kommt. Ein Aufstieg von weit unten; ein Neuanfang als außerparlamentarische Opposition, sagt Franz Iberz, der einzige Mann am Stand. "Wir dürfen uns nicht mehr an Parteien oder Regierungen halten. " Und: "Wir müssen uns jetzt selbst genügen."



Quelle: Berliner Zeitung 13.10.

ANTIKRIEGSDEMO

Die schrille Friedensmutter Courage

Eigentlich wäre es nur eine Meldung wert, wenn es nicht so wäre: Auf der Berliner Demonstration gegen das US-Bombardement in Afghanistan, zu der am heutigen Sonnabend bis zu 100 000 Kriegsgegner aus der Bundesrepublik erwartet werden, will die Schauspielerin Käthe Reichel eine der Rednerinnen sein. In den 140 zumeist linksgerichteten Initiativen und Organisationen, die die Aktion tragen, sorgt man sich, wie die "nicht willkommenen" Marschgenossen der rechtsextremen NPD mit ihrem nationalistischen Antiamerikanismus fern gehalten werden. Staatsschützer befürchten, dass es zu Ausschreitungen kommt. Der Schriftsteller Stefan Heym hat seine ursprünglich geplante Teilnahme abgesagt.

Die 75-jährige Käthe Reichel indes fühlt sich Friedensmutter Courage genug, ihrem uneingeschränkten Pazifismus gegen Ritter, Tod und Teufel Stimme zu verleihen. Sie wird es tun, wie man es von ihr gewöhnt ist: unbequem und trotzig, aus leidenschaftlicher Überzeugung, furios und schrill.

Die Reichel konnte nie anders. Große Rollen, die sie unter ihren Lehrmeistern Brecht, Buckwitz, Besson, Langhoff spielte, prägten ihr Credo des Streitens für eine soziale, menschenfreundliche Welt: Gretchen und Grusche, die Johanna Dark und der gute Mensch Shen Te - auch auf der Lebensbühne sollte deren Würde, Mütterlichkeit und Mut gelten. 1976 sammelte die Künstlerin Unterschriften gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR. Demonstrativ las sie Mitte der 80er-Jahre im Deutschen Theater aus Christa Wolfs "Kassandra": Wehe, wenn ihr euch nicht ändert. Am 4. November 1989 stand sie auf dem Alexanderplatz ganz vorn bei denen, die dem "Maulkorb-Sozialismus" ein Ende machten. Später sah man sie an der Seite der Verlierer der Einheit, sie hungerte mit den streikenden Kalikumpeln von Bischofferode. Käthe Reichel ist es auch nicht gegeben, irgendeinen Krieg zu heiligen: Sie litt mit den zivilen Opfern des ersten und zweiten Golfkrieges. "Versteckt eure Söhne" appellierte sie während des Tschetschenienkriegs an die russischen Soldatenmütter. Ihr wilder Zorn vermag sich zu grotesken Untergangsprophetien zu steigern, die jetzt wenig Rat spendeten: Da geriet die Schließung des Schiller Theaters schon mal auf eine Ebene mit Neofaschismus und Somaliakrieg oder bei einer Schlingensief-Aktion in der Volksbühne die rot-grün regierte Bundesrepublik in die Nähe des Dritten Reiches.

Von der katholischen Bewegung Pax Christi bis zur Sozialistischen Jugend, von der Ärztevereinigung IPPNW bis zur Ökumenischen Aktion Ohne Rüstung Leben treibt es heute Menschen auf die Straße. Ihre Motive sind verschieden. Aber es wäre auch Klarheit gefragt: Die Anklage, dass Bushs Krieg Unschuldige treffe und an der Hassspirale drehe, verlangt nach präzisen Gegenvorschlägen, den Terror zu besiegen.



Quelle: Berliner Zeitung 13.10. - lokales

Zur Friedens-Demo werden Teilnehmer aus 19 Städten erwartet

Von den etablierten Berliner Parteien hat nur die PDS dazu aufgerufen, am Sonnabend an der Demonstration "Kein Krieg! Aufstehen für den Frieden!" teilzunehmen. Die Initiative, die bundesweit von mehr als 140 Friedensgruppen- und -organisationen getragen wird, fordert das sofortige Ende der US-Angriffe auf Afghanistan. Die Landesverbände der Grünen und der SPD lehnten die Veranstaltung ab, weil sie die Politik der rot-grünen Bundesregierung und damit die US-Militärschläge unterstützen. Allerdings haben sich die Jugendorganisationen beider Parteien dem Aufruf angeschlossen.

"Ich trage einzelne Forderungen der Friedensdemonstration mit, denn ich habe große Angst vor einer humanitären Katastrophe in Afghanistan", sagte Antje Witting, Vorstandsmitglied der Berliner Grünen und Mitglied bei der Grünen-Jugend. Andere führende Grünen-Politiker wollen sich dagegen nicht beteiligen. Auch die SPD-Spitze wird sich nicht unter die Demonstranten mischen. Es sei aber jedem Mitglied überlassen, sich an der Veranstaltung zu beteiligen, hieß es in den Parteizentralen.

Erwartet werden "mindestens 25 000" Teilnehmer aus mehr als 19 Städten, sagte Hans-Peter Richter vom Organisationsbüro. Mit voraussichtlich mehr als 100 Bussen werden die Demonstranten unter anderem aus Hamburg, Köln, Duisburg, Hannover, Fulda und Bremen nach Berlin kommen. Die Veranstaltung beginnt um 13 Uhr mit Kundgebungen am Brandenburger Tor, am S-Bahnhof Friedrichstraße und vor dem Roten Rathaus. Danach wird zum Gendarmenmarkt marschiert, wo um 14.30 Uhr die Abschlusskundgebung beginnt. Unter anderem wird die Schauspielerin Käthe Reichel sprechen.

Die Organisatoren sind nach den Worten Richters selbst über die große Resonanz überrascht. "Das liegt wohl an der Bemerkung des Bundeskanzlers über die ,uneingeschränkte Solidarität`", vermutet Richter. Da sei vielen Menschen klar geworden, dass es auch um eine Beteiligung des deutschen Militärs gehe. Deutschland werde der Kriegsmacht USA immer ähnlicher. Das schaffe nicht mehr Sicherheit, sondern Unsicherheit, sagte er.

Die Demonstration wird von rund 2.000 Polizisten geschützt. Bislang gebe es keine Hinweise, dass sich die NPD, die den Kriegseinsatz ebenfalls ablehnt, an der Demo beteiligen werde. Sollte es doch geschehen, werde sich die Polizei "in angemessener Form einbringen", sagte ein Polizeisprecher. Es sei vereinbart, einen Aufmarsch der Rechten zu verhindern, sagte Richter. Die Polizei erwartet aber eher, dass die Anhänger der rechtsextremistischen Szene zu einer Gegendemonstration nach Lichtenberg fahren. Denn dort ist um 13 Uhr in der Magdalenenstraße ein Protestzug unter dem Titel "Gegen Nazistrukturen in Lichtenberg" angemeldet. Die Polizei schließt Ausschreitungen nicht aus.

Als unproblematisch wird dagegen am Sonnabend die Demonstration von Tierschützern zwischen 11 und 14 Uhr mit rund 2.000 Teilnehmern auf dem Alexanderplatz eingestuft. Sie fordern die "Abschaffung der Jagd". (cri., ls., tom.)



Quelle: Berliner Zeitung 13.10. -lokales

"Pazifismus ist nicht out"

Die Friedensbewegung wird vor allem von jungen Leuten unterstützt. Deshalb hat sie eine Zukunft, sagt Professor Elmar Altvater, Politologe an der Freien Universität.

Frage: Das Motto der Demonstration lautet "Aufstehen für den Frieden". Hat die Friedensbewegung etwa geschlafen ?

Altvater: Natürlich hat sie nicht geschlafen, aber man muss berücksichtigen, dass nach dem 11. September erst einmal der Schock überwog. Erst später wurde klar, dass der Terrorismus mit einem Krieg bekämpft werden würde. Das rief die Friedensbewegung auf den Plan. Die Schwierigkeit besteht jedoch zurzeit darin, sich so gegen diesen Krieg zu wehren, dass zwar eine Kritik an der US-Regierung, aber keine generelle Gegnerschaft zur USA herauszulesen ist. Da ist nicht nur die Friedensbewegung unsicher, das müssten wir, wenn wir ehrlich sind, alle zugeben.

Frage: Hat die Bewegung es verpasst, ihre Rhetorik und ihre Symbolik den neuen Anforderungen anzupassen?

Altvater: Vielleicht haben Sie Recht. Die Friedenstaube beispielsweise, die lange eine große Symbolkraft für die Bewegung besaß, hat Pablo Picasso in den vierziger Jahren gemalt. Möglicherweise hat sich ihre Ausstrahlung ein bisschen erschöpft.

Frage: Ist Pazifismus nicht mehr zeitgemäß?

Altvater: Pazifismus ist niemals out, denn wer will denn Krieg? Doch Pazifist sein im Jahre 2001 bedeutet etwas Anderes als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Auf die vielen unterschiedlichen Kriege in den neunziger Jahren Antworten parat zu haben, hat die Bewegung überfordert. Wer heute Frieden will, muss sich gegen das globale Ungleichgewicht in der Welt wehren, denn das destabilisiert. Ich habe dennoch den Eindruck, dass mit den vielen Jugendlichen, die in den letzten Wochen auf die Straße gegangen sind, eine neue Friedensbewegung heranwächst.

Frage: Wie geht man mit den rechten Parteien um, die ebenfalls an der Demonstration teilnehmen wollen?

Altvater: Denen dient der Krieg oft genug als Mittel in der Politik. Davon muss sich die Bewegung stark abgrenzen.

Das Gespräch führte Silke Stuck.



Quelle: Mainz online (Mainzer Zeitung ) 13.10.

Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet - 15.000 Teilnehmer in Berlin:

Demonstrationen gegen US-Militärschläge

Berlin - Rund 25.000 Menschen haben am Samstag in Berlin und Stuttgart gegen die amerikanischen Luftangriffe auf Afghanistan demonstriert. Zu den Veranstaltungen hatten 36 Gewerkschaften, Friedensinitiativen, kirchliche und andere Organisationen aus dem ganzen Bundesgebiet aufgerufen. Sie wurden von 100 weiteren Gruppen unterstützt. Von einem "breiten Bündnis gegen den Krieg" sprach der Organisator der Berliner Kundgebung, Reiner Braun, von der Initiative "Wissenschaftler für den Frieden".

Die Kriegsgegner warnten vor einer Eskalation der Gewalt in der Krisenregion. Sie forderten eine bessere Entwicklungspolitik, um dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen. Mariam Notten vom afghanischen Kulturzentrum sagte auf der Abschlusskundgebung auf dem Berliner Gendarmenmarkt: "Aus den Städten wie Kandahar sind die Taliban längst in die Berge verschwunden. Opfer der Militärschläge in diesen Gebieten werden die Schwächsten: Frauen, Alte und Kinder, die nicht fliehen können." Allein in der Hauptstadt versammelten sich nach Polizeiangaben 15.000 Demonstranten. 2.000 Polizisten waren im Einsatz.

"Gerechtere Weltwirtschaftsordnung"

Die Demonstranten kritisierten auch die Einschränkung von Grundrechten im Zuge der angespannten Sicherheitslage in Deutschland. In Stuttgart, wo 10.000 Menschen auf die Straße gingen, sagte die ver.di-Landesvorsitzende Sybille Stamm: "Was der Sicherheitsstaat ausgibt, wird dem Sozialstaat genommen." Die Gewerkschafterin sprach sich für eine "gerechtere Weltwirtschaftsordnung" aus. "Wir dürfen uns nicht mit Lohndumping und Sozialabbau auf eine weltweite Standortkonkurrenz einlassen, bei der die ärmsten Länder keinen Platz mehr haben."

Vor der Kundgebung in der Stuttgarter Innenstadt beteiligten sich nach Angaben der Polizei rund 80 Personen an einer Mahnwache in der Nähe der Kommandozentrale der US-Streitkräfte in Europa im Stadtteil Vaihingen. Die Aktion verlief friedlich. Das EUCOM ist seit den Luftangriffen auf Afghanistan weiträumig abgesperrt.

Kleinere Kundgebungen in vielen Städten

Auch in anderen Städten Deutschlands fanden am Samstag nach Angaben der Polizei Friedenskundgebungen statt. An einer Veranstaltung der Ärzte gegen den Atomkrieg in Bonn nahmen am Mittag etwa 350 Teilnehmer teil; dem Aufruf des Bündnisses gegen Militarismus und Krieg zu einer Demonstration gegen die US-Angriffe auf Afghanistan folgten etwa 200 Menschen. Jeweils etwa 100 Personen beteiligten sich an Veranstaltungen in München und Gera. In Jena wurde vor der Stadtkirche eine Mahnwache mit 25 Menschen organisiert.



Quelle: Kölner Rundschau: 13.10.

Berlin und Stuttgart:

Friedensbewegung ruft zu Großdemonstrationen auf

Berlin (AP) Unter dem Motto "Kein Krieg! Aufstehen für den Frieden! Für Solidarität und soziale Gerechtigkeit!" haben Friedensinitiativen für den Samstag zu Demonstrationen in mehreren deutschen Städten aufgerufen. Großveranstaltungen waren um 13.00 Uhr in Berlin und um 14.00 Uhr in Stuttgart geplant.

Der "Trägerkreis der Demonstration 13.10.2001" sprach sich in Berlin in einer am Freitag verbreiteten Erklärung gegen "Vergeltung, Krieg und Militäreinsätze" aus. Weiter hieß es: "Wir sagen Nein zu militärischen Einsätzen der Bundeswehr und zur Aufrüstung der Bundeswehr als Interventionsarmee."

Zugleich warnten die Veranstalter vor einer "Demontage von Grund- und Freiheitsrechten". Nationalistische, rassistische und chauvinistische Kräfte seien bei den Veranstaltungen ausdrücklich nicht erwünscht. Der Trägerkreis setzt sich nach eigenen Angaben aus etwa 25 Organisationen zusammen und hat mehr als 60 Unterstützer.

In Thüringen rief der Fachbereichsvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di dazu auf, sich an den geplanten Demonstrationen in Jena, Gera und Berlin zu beteiligen. "Krieg ist kein geeignetes Mittel der Politik", hieß es in einer Erklärung am Freitagabend.



Quelle: Stuttgarter Zeitung 13.10. - lokales

Heute Friedensdemo in der Stadtmitte

Das Friedensnetz Baden-Württemberg und neun weitere Organisationen haben für heute, Samstag, zu einer Demonstration gegen die US-Militäraktion in Afghanistan aufgerufen. Zwischen 3000 und 5000 Teilnehmer werden erwartet.

Polizei und Ordnungsamt gehen von einem friedlichen Verlauf aus. Die Polizei, die mit mehreren hundert Beamten im Einsatz ist, rechnet im Bereich des Cityrings zwischen 12.30 und 14.30 Uhr mit Behinderungen. Auftakt der Proteste wird eine Mahnwache um 10 Uhr bei der Vaihinger Eucom-Zentrale, dem Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa, sein. Das Gros der Demonstranten wird sich wohl erst nach 12 Uhr in der Lautenschlagerstraße beim Hauptbahnhof einfinden. Dort beginnt um 12.30 Uhr die erste Kundgebung, wo unter anderen Martin Klumpp, Prälat der evangelischen Kirche für Stuttgart, sprechen wird. Danach bewegt sich der Demonstrationszug über die Friedrichstraße, die Theodor-Heuss-Straße, den Rotebühlplatz und die Eberhardstraße auf den Marktplatz. Feste Straßensperren werde es nicht geben, erklärte Alfons Nastold vom Ordnungsamt, die Polizei werde den Zug "mobil begleiten".

Die Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz wird voraussichtlich bis 17 Uhr dauern. Es spricht unter anderen die Verdi-Landesvorsitzende Sybille Stamm.ury



Quelle: Stuttgarter Zeitung 13.10. - lokales

Zulauf für die Friedensbewegung

Konfessionelle Gruppen wehren sich gegen Kriminalisierung - Prälat Klumpp Redner auf der Demo

Mehr als 30 Initiativen rufen am heutigen Samstag zu einer Demonstration für Frieden auf. Darunter finden sich auch konfessionelle Gruppen aus Stuttgart, die seit den Terrorakten gegen die USA wieder größeres Interesse bei der Bevölkerung feststellen.

VON BARBARA CZIMMER-GAUSS

Während die meisten Menschen nach dem Terroranschlag am 11. September wie gebannt auf die Reaktion der US-amerikanischen Politiker warteten, macht sich seit den Militärschlägen gegen die Taliban auch Angst vor einer Eskalation der Ereignisse breit. In dieser beunruhigenden Lage suchen mehr Menschen als sonst Antworten in der Kirche und deren Friedensgruppen. "Uns erreichen weitaus mehr Anrufe und E-Mails als noch vor diesen Ereignissen", bestätigt Stefan Schneider, Geschäftsführer der Pax-Christi-Bistumsstelle Rottenburg-Stuttgart. Mittlerweile hat sich bei Heidenheim eine neue Gruppe gebildet.

Einen Beschluss der Mitgliederversammlung, der in Württemberg 600 Menschen angehören, gebe es noch nicht, allerdings eine Tendenz: "Wir lehnen mehrheitlich die Angriffe der USA ab." Selbst der Sekretär von Pax Christi in den USA, der mitgliederstärksten Bewegung, habe sich, so Schneider, "gegen Militärschläge ausgesprochen".

Das Etikett des Antiamerikanismus will sich niemand anheften lassen. "Wir fordern vielmehr polizeiliche und rechtsstaatliche Mittel gegen den Terrorismus statt eines Krieges", sagt Paul Russmann, Sprecher der ökumenischen Aktion Ohne Rüstung Leben. Auch an sein Aktionsbüro wenden sich seit dem 11. September wieder mehr Menschen, "die Besonnenheit fordern und erschrocken darüber sind, dass man den USA gegenüber eine gewisse Vasallenhaltung einnimmt". Das Argument, dass man mit diplomatischen, politischen Mitteln im Konflikt mit den Taliban wenig erreichen würde, setzt der Diplom-Theologe entgegen: "Wenn man nicht mehr an die Kompromissfähigkeit anderer glaubt, gibt man sich selbst auf. Wir sollten keine Schlacht, sondern Menschen gewinnen."

Beunruhigend findet Russmann den Umstand, "dass man heute entweder für Militärschläge oder Terrorist ist", mithin als Friedensbewegter dem extremen politischen Lager zugerechnet wird. In dieser angespannten Stimmungslage stärkt der Stuttgarter Prälat Martin Klumpp der Friedensdemonstration den Rücken, und zwar als Redner der Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz gegen 13.30 Uhr. Sein Motto lautet: "Krieg darf um Gottes willen nicht sein."



Quelle: Tagesspiegel 14.10.2001 - lokales

Friedensdemonstration:

Ein Ausflug gegen den Krieg

Bei der Demo in Mitte erinnerte vieles an den Protest gegen die Nachrüstung zu Beginn der achtziger Jahre

Christoph Stollowsky

Rund 20.000 Menschen haben gestern in Berlin friedlich gegen die US-Luftangriffe auf Afghanistan demonstriert. Der von 140 Organisationen unterstützte Umzug begann am Roten Rathaus und endete mit einer Kundgebung am Gendarmenmarkt. Befürchtete Auseinandersetzungen zwischen Rechtsradikalen und linken Protestlern blieben aus. Die NPD hatte in den vergangenen Tagen antiamerikanische Töne angeschlagen und verkündet, sie wolle sich in die Demonstration einreihen. Dagegen verwahrten sich die Veranstalter der Friedensdemo energisch.

Die Begrüßung am Gendarmenmarkt hätte auch gut zu einem Jazz- oder Folkfestival im Herzen der Stadt gepasst. "Liebe Leute, wir freuen uns, dass ihr an diesem wunderschönen Tag so zahlreich gekommen seid". Rappelvoll war der Platz gegen 14.30 Uhr, Tausende drängelten sich in den Straßen drumherum, in Scharen stiegen die Friedenstauben auf blauen Ballons in einen Spätsommerhimmel, den nur der Polizeihubschrauber, aber keine einzige Wolke durchquerte. Ganz vorne, gegenüber dem Schauspielhaus, die Bühne - mit schwarzem Tuch ausgekleidet, mit riesigen Buchstaben beschriftet: "Kein Krieg". Spätestens bei diesem Anblick wurde auch den Touristen im Getümmel klar, dass es auf dem schönsten Platz Berlins um ein ernstes Thema ging.

Streng haben die Organisatoren deshalb ihr Gefolge schon beim Abmarsch aufgereiht. "Jetzt nehmen bitte alle Schüler Aufstellung hinter dem Leittransparent!" Klar, die Schüler sollten an der Spitze marschieren, weil sie zuerst in Berlin protestiert hatten und auch gestern eifrig dabei waren. Wie Cora und Miriam. Rasta-Locken, Jeans und T-Shirt voller Buttons im Stil der einstigen "Atomkraft - Nein Danke"-Bewegung. Warum sie gekommen sind? "Wir sind gegen Krieg und solche Schweinereien."

Der zackige Abmarsch passte allerdings nicht so recht zum Weltbild junger Leute. "Wir sind doch nicht auf der 1.-Mai-Demo mit Honecker". Doch der Unmut ist kurz, eine Latino-Gruppe schmettert das Lied "d`el Commandante Che Guevara", Frauen wippen im Merengue-Schritt, Hunde bellen, Mütter steuern Kinderwagen durch die Menge, Babyclubs auf Protestkurs mit Windeln und Smartie-Tüte, im Geleit der etwas ältere Nachwuchs. Jungen und Mädchen halten Tauben auf Pappschildern hoch. Abenteuer Friedensdemo.

Fürwahr ein "friedliches, familiäres Bild", freuen sich jene, die schon 1981 losgezogen sind, als die Friedensbewegung im Westen gegen den NATO-Doppelbeschluss auf die Straßen ging und zusammen mit den "BOTS" dieser legendären holländischen Gruppe, das Lied vom weichen Wasser sang, das Steine bricht. Haben die Alt-Demonstranten gestern wieder ihre Heimat gefunden?

"Vielleicht ein kleines bisschen", sagt die Psychotherapeutin Angelika Schau aus Wilmersdorf. Doch damals erschien ihr alles noch viel familiärer. "Wir charterten einen Bus zur Großdemo nach Bonn, kamen in WGs unter, und alle Kollegen und Kinderladen-Leute machten mit." Heute geht das Kollegium eher im Grunewald spazieren, weshalb sie vergeblich nach Bekannten ausschaut. Doch auch bei ihr hat sich einiges verändert. Keine Öko-Schuhe von "Roots", keine Flattergewänder. Sie zieht im ockerfarbenen Blazer los, mit rotem Kurzhaarschnitt, und sie will dem Kanzler zeigen, "dass auch Deutsche keine Bomben wollen."

Die 68er Generation und all jene, die später in Westdeutschland gegen den Rüstungswettlauf aufstanden, sind bei dieser Demo klar in der Minderheit. Wer hier über Vierzig ist, wohnt meist im Osten der Stadt und hält häufig ein PDS-Plakat in der Hand. Doch es gibt auch Einzelgänger wie Elli Köhn aus Mitte. Zwei Weltkriege hat sie mitgemacht, als Hitler in Polen einmarschierte, saß ihr Mann als Widerständler in Haft. Heute ist sie 91 und sagt: "Ich will einfach keinen Krieg mehr."

Das beschert ihr wohlwollende Blicke. Auch von Beamten, die mit blauem Basecap - Aufschrift: Polizei - umherbummeln. Ein dienstlicher Spaziergang, Teil der "Deeskalations-Strategie" der Polizei, die ihre Wasserwerfer in Nebenstraßen versteckt, als hätte sie eingesehen, dass sie nicht so recht zu solchen Bildern passen.

Auf dieser Friedensdemo müssen die Beamten niemanden zur Friedsamkeit ermahnen. Nur einmal lässt sich ein Rechtsradikaler am Gendarmenmarkt sehen und entrollt ein Transparent - das ihm flugs entrissen wird. Und auch schwarzgewandete Autonome sind kaum vertreten. Alle Kräfte haben aber die linken Grüppchen mobilisiert; MLPD, www.linksruck.de, Rebell, DKP. Ein Sammelsurium, das Trillerpfeifen aus Bauchläden verkauft und die vertrauten Lieder singt. Von bösen Konzernen und Politikern.

Hilde van P., die Frau mit Schnullermädchen im Buggy, ist eher wegen ihrer Gefühlslage losgezogen. Weil sie sich hilflos vorkommt. "Auf der Demo", sagt sie, "hab` ich wenigstens etwas getan." Sie ist ihren Unmut gegen den Gegenschlag losgeworden. Eines allerdings hat kaum jemand auf die vielen Plakate gebracht. Den Zorn auf die Terroristen.



Quelle: FAZ Sonntags 14.10.01

Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet - 15.000 Teilnehmer in Berlin:

Berlin - Rund 25.000 Menschen haben am Samstag in Berlin und Stuttgart gegen die amerikanischen Luftangriffe auf Afghanistan demonstriert. Zu den Veranstaltungen hatten 36 Gewerkschaften, Friedensinitiativen, kirchliche und andere Organisationen aus dem ganzen Bundesgebiet aufgerufen. Sie wurden von 100 weiteren Gruppen unterstützt. Von einem "breiten Bündnis gegen den Krieg" sprach der Organisator der Berliner Kundgebung, Reiner Braun, von der Initiative "Wissenschaftler für den Frieden".

Die Kriegsgegner warnten vor einer Eskalation der Gewalt in der Krisenregion. Sie forderten eine bessere Entwicklungspolitik, um dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen. Mariam Notten vom afghanischen Kulturzentrum sagte auf der Abschlusskundgebung auf dem Berliner Gendarmenmarkt: "Aus den Städten wie Kandahar sind die Taliban längst in die Berge verschwunden. Opfer der Militärschläge in diesen Gebieten werden die Schwächsten: Frauen, Alte und Kinder, die nicht fliehen können." Allein in der Hauptstadt versammelten sich nach Polizeiangaben 15.000 Demonstranten. 2.000 Polizisten waren im Einsatz.

Die Demonstranten kritisierten auch die Einschränkung von Grundrechten im Zuge der angespannten Sicherheitslage in Deutschland. In Stuttgart, wo 10.000 Menschen auf die Straße gingen, sagte die ver.di-Landesvorsitzende Sybille Stamm: "Was der Sicherheitsstaat ausgibt, wird dem Sozialstaat genommen." Die Gewerkschafterin sprach sich für eine "gerechtere Weltwirtschaftsordnung" aus. "Wir dürfen uns nicht mit Lohndumping und Sozialabbau auf eine weltweite Standortkonkurrenz einlassen, bei der die ärmsten Länder keinen Platz mehr haben."

Vor der Kundgebung in der Stuttgarter Innenstadt beteiligten sich nach Angaben der Polizei rund 80 Personen an einer Mahnwache in der Nähe der Kommandozentrale der US-Streitkräfte in Europa im Stadtteil Vaihingen. Die Aktion verlief friedlich. Das EUCOM ist seit den Luftangriffen auf Afghanistan weiträumig abgesperrt.

Kleinere Kundgebungen in vielen Städten

Auch in anderen Städten Deutschlands fanden am Samstag nach Angaben der Polizei Friedenskundgebungen statt. An einer Veranstaltung der Ärzte gegen den Atomkrieg in Bonn nahmen am Mittag etwa 350 Teilnehmer teil; dem Aufruf des Bündnisses gegen Militarismus und Krieg zu einer Demonstration gegen die US-Angriffe auf Afghanistan folgten etwa 200 Menschen. Jeweils etwa 100 Personen beteiligten sich an Veranstaltungen in München und Gera. In Jena wurde vor der Stadtkirche eine Mahnwache mit 25 Menschen organisiert.



Quelle: Berliner Morgenpost, 14.10.01

Gegen den Gegenschlag

Rund 30.000 demonstrierten gestern in der Innenstadt gegen Militäreinsatz der USA

Von Regina Köhler

Eicke Bünsow ist heute zum Schutz der Friedensdemonstranten eingeteilt. Der 26-jährige Berliner Polizist steht am Straßenrand und schaut beruhigend in die Runde. Dass bereits seit Wochen Überstunden seinen Dienstplan bestimmen, merkt man ihm nicht an. «Bei der angespannten Weltlage ist das nötig. Das ist mein Beruf», sagt der junge Mann und geht davon aus, dass das auch in nächster Zeit so bleiben wird. Die Friedensbewegten haben durchaus seine Symphatie. «Jeder hat ein Recht, seine Meinung zu äußern. Unsere Aufgabe ist es, dieses Recht zu schützen.»

Die 24-jährige Berliner Studentin Laura sitzt indes auf einer Bank am Neptunbrunnen. Hier soll die Friedens-Demonstration beginnen. Laura ist unter den vielen Zuschauern. Gucken wollen sie und noch ein wenig die endlich wärmende Herbstsonne genießen.

Pünktlich um 13 Uhr beginnt die Kundgebung, zu der zahlreiche Gewerkschaften, Friedensinitiativen, kirchliche und andere Organisationen aufgerufen hatten. Unter dem Motto «Kein Krieg! Aufstehen für den Frieden!» will man gegen die amerikanischen Luftangriffe auf Afghanistan protestieren. Es ist eine bunte Mischung, die sich versammelt hat. Während die Veranstalter mehr als 30 000 Menschen zählen, spricht die Polizei von gut 15 000. Transparente der traditionellen Friedensbewegung stehen neben Plakaten kommunistischer Gruppen. Die Teilnehmer warnen vor einer Eskalation der Gewalt in der Krisenregion und appellieren an Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), sich für ein Ende der Gewalt einzusetzen.

Laura will sich den Demonstranten nicht anschließen. «Der Gegenschlag der Amerikaner ist einfach nötig», meint sie. Singen helfe nicht, das Problem des Terrorismus aus der Welt zu schaffen. Die amerikanischen Aktionen seien nicht gegen den Islam gerichtet, sondern einzig und allein gegen den Terrorismus. Das begrüße sie. Allerdings habe in einer Demokratie jeder das Recht, seine Meinung zu äußern, räumt die junge Frau ein. Wenn Menschen meinten, auf diese Weise demonstrieren zu müssen und das friedlich täten, dann sei das in Ordnung. «Für viele scheint das ein Weg zu sein, mit ihrer Angst umzugehen», mutmaßt sie.

«Stellen sie sich doch mal vor, wie erfreut bin Laden gewesen wäre, wenn die Amerikaner nicht reagiert hätten», kommt es von einer anderen Bank. Dort sitzt eine 82-jährige Berlinerin und schüttelt mit dem Kopf. Diplomatische Verhandlungen hätten den Terroristen nur Zucker gegeben, fügt sie hinzu.

Auch Sandra aus Lichtenberg gehört nicht zur Friedensbewegung. Trotzdem will sie mitdemonstrieren. «Ich muss einfach etwas gegen meine Angst tun», sagt die Schülerin. Außerdem wolle sie deutlich machen, dass ihrer Meinung nach Konflikte gewaltfrei gelöst werden müssten. «Das trifft auf alle Länder zu. Da mache ich keine Unterschiede.» Sandra gehört zu jenen Demonstranten, die ohne Plakate und schweigend durch die Innenstadt ziehen. «Wir sind eben gegen jede Form von Krieg und Gewalt», erklärt auch ein Mann aus Tempelhof die Tatsache, dass er hier samt seiner Familie dabei ist.

Klaus Keese, Gesamteinsatzleiter der Berliner Polizei, hat ein gutes Gefühl. «Das läuft ganz ruhig hier und wird hoffentlich so bleiben.» Die Menschen sollten auf jeden Fall ihre demokratischen Rechte wahrnehmen und ihre Meinung äußern können, meint er im Hinblick auf die Demonstration. «Wir werden dafür sorgen, dass alles friedlich ablaufen kann.» Persönlich hält Keese die amerikanischen Reaktionen für angemessen. Es gelte, einen weltweiten Terrorismus abzuwehren, betont er.

Peter Werth aus Neukölln sieht die Sache etwas anders. Der 65-Jährige gehört zum Urgestein der Berliner Friedensbewegung und ist bis heute bei jedem Ostermarsch dabei. Seiner Meinung nach seien die Geheimdienste gefragt, diese müssten die Terroristen ausschalten. Bomben und Gewalt hingegen seinen keine Lösung. Werth ist froh, dass viele junge Menschen zur Demonstration gekommen sind. «Wir Alten haben schon gedacht, dass nichts mehr passieren wird, wenn wir mal nicht mehr da sind. Das scheint zum Glück nicht der Fall zu sein.»

In aller Ruhe marschieren die Teilnehmer in Richtung Gendarmenmarkt. Dort wird die Abschlusskundgebung stattfinden. Für Buh-Rufe sorgt schließlich nur ein einzelner Mann, der ein Transparent mit zwei NPD-Logos am Französischen Dom befestigt. Einer der Friedensdemonstranten reißt es eine Viertelstunde später wieder herunter.



E-Mail: friekoop@bonn.comlink.org

Website: www.friedenskooperative.de
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