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 Hintergrund-Informationen

Quelle: ver.di Publik 03 (März 2005), S. 24

Der Widerständige

Luitgard Koch

Ein Leben gegen den Faschismus. Für seine Verdineste im Kampf gegen Rechts erhielt der KZ-Überlebende Martin Löwenberg die Carl-von-Ossietzky-Medaille. Zu Besuch bei einem Gewerkschafter der ersten Stunde

Martin Löwenberg rückt seine beige Schirmmütze zurecht und grient. "Das ist meine Parteimütze", sagt der 79-Jährige in seiner Wohnung im 13. Stock eines Hochhauses in München. "Auf die pass` ich besonders auf", schickt einen Blick zu seiner Frau Josephine, "damit ich sie auf keiner Veranstaltung vergesse." Ein Scherz, mit Parteien machte Martin Löwenberg in seinem Leben nicht die besten Erfahrungen.

Wenn es darum geht, Provokationen von Neonazis entgegenzutreten, steht er immer noch in der ersten Reihe. Mit seinem Ziel einer gewaltfreien und freiheitlichen Gesellschaftsordnung eckte Martin Löwenberg bereits in der jungen Bundesrepublik an. Das Gründungsmitglied des VVN, dem Zusammenschluss der Verfolgten des Naziregimes, sollte sich von seinen Gefährten trennen. In der Atmosphäre des "Kalten Krieges" galt der VVN als "Kommunistische Gefahr", die Adenauer-Regierung wollte die Vereinigung verbieten. Bis heute steht der VVN in jedem Verfassungsschutzbericht. Ein Unvereinbarkeitsbeschluss sollte den Genossen Löwenberg, der 1945 in die bayerische SPD eintrat, überzeugen. Aber der wollte sich nicht auseinanderdividieren lassen. Die Folge: Rauswurf bei der SPD. Für den einstigen Widerstandskämpfer, für den Solidarität keine Floskel bedeutet, sondern im NS-Lageralltag überlebensnotwendig war, besonders schmerzhaft. Soll er sich etwa von seiner eigenen Geschichte distanzieren?

Martin Löwenbergs Vater war Jude, seine Welt nicht das orthodoxe Judentum, sondern viel mehr die der Sozialdemokratie und Gewerkschaften. Auch Mutter Käthe war SPD-Mitglied. Selbst hochschwanger ließ sie keinen Parteiabend aus. Obwohl Vater Julian früh starb, änderte sich nichts am politischen Geist des Elternhauses. Immer wieder war es in der Zeit des aufkeimenden Nationalsozialismus vor allem Löwenbergs Mutter, die klarstellte: "Mit Nazis wollen wir nichts zu tun haben." Geschickt verhinderte sie, dass ihr sportbegeisterter Sohn sich von der Hitler-Jugend einfangen ließ. "Die hatten Fußbälle aus Leder", erinnert sich Martin Löwenberg. Aber als auch der Martin von seiner Mutter einen Lederball bekam, machte das die Runde.

Doch die gnadenlose Ausgrenzung begann bereits. 1936, am Anfang des neuen Schuljahres, schickte ihn der Rektor beim Fahnenappell zurück ins Klassenzimmer. "Du gehörst nicht zur germanischen, sondern zur jüdischen, minderwertigen Rasse", verkündete der NS-Pädagoge vor allen Mitschülern. Weinend lief der Junge nach Hause. Seine Mutter tröstete ihn. Noch konnte der Jugendliche seinen geliebten Boxclub besuchen. Er galt als gefürchteter "Linksausleger". Weil er nicht mit der Rechten, sondern mit der Linken zuschlug, irritierte er seine Gegner.

Die fand er bald in der Hitler-Jugend. Als Hitler-Pimpfe einen Jungen kahl schoren, vermöbelte er zusammen mit seinen Freunden aus dem Boxclub die Bande. "Möchtest du nicht lieber was Vernünftiges tun, als nur zuschlagen", fragte ihn sein älterer Bruder Fred. Also unterstützte Martin seinen Bruder dabei, Brotmarken an Fremdarbeiter zu verteilen. Die Nazis erwischten ihn und er landete mit 18 Jahren zunächst im KZ Flossenbürg, danach in den Außenlagern und unterirdischen Rüstungsbetrieben Longwy-Villerupt und Leitmeritz zur Zwangsarbeit.

"Besonders Fred war es, der oft Weichen in meinem Leben gestellt hat", erzählt Martin Löwenberg. Fred starb vergangenes Jahr. Er fehlt ihm. "Er war mein Bruder, im wahrsten Sinne", sagt Martin Löwenberg bei der Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille im Dezember. Doch Martin Löwenberg hat noch seine Josephine, die immer mehr war als nur Ehefrau. "Meine liebe Frau und Kampfgefährtin hat mich gebremst", würdigt er sie bei der Preisverleihung, "wenn ich mit dem Kopf durch die Wand wollte."

Vor allem wegen der Wiederbewaffnung gerät der überzeugte Pazifist mit den Genossen über Kreuz. Sein Engagement in der "Sozialistischen Aktion", die als Tarnorganisation der bereits verbotenen KPD gilt, bringt ihm 1954 zehn Monate Einzelhaft im Münchner Gefängnis Stadelheim. Damals ist seine Tochter gerade zwei Jahre alt. Ein weiterer Schlag, nachdem zwei Jahre zuvor der junge Münchner Gewerkschafter Philipp Müller ermordet wurde. Als Teilnehmer der Jugendkarawane gegen Wiederaufrüstung demonstriert der 20-jährige Schlosser Seite an Seite mit Löwenberg am Pfingstsonntag 1952 in Essen. Zwei Kugeln der Polizei treffen Philipp Müller, eine davon sein Herz. "Das war einer der schwersten Augenblicke", erzählt Martin Löwenberg immer noch sichtlich bewegt, "seiner Mutter gegenüberzustehen und ihr den Tod ihres Sohnes mitteilen zu müssen."

Nach seiner Haft engagiert sich Martin Löwenberg als Betriebsrat beim Nähmaschinenbauer Pfaff. Die gewerkschaftliche Arbeit zieht sich wie ein roter Faden durch seine Biografie, etliche Urkunden zeugen davon. "Wir können und wollen auf die weitere Hilfe der Mitgründer unserer Gewerkschaft nicht verzichten", schreibt dem Gewerkschafter der ersten Stunde zum 1. Mai 1974 der Hauptvorstand der Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Keramik. Noch immer ist Martin Löwenberg bei ver.di im Arbeitskreis gegen Rechts aktiv.

Nur seine Partei-Karriere kommt nicht voran. Sein bisher letzter Versuch, doch noch eine politische Heimat zu finden, waren die Grünen. In den 90ern verlässt er sie. Er will "kein linkes Feigenblatt für eine immer rechter werdende Partei sein".

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