ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Wedel am 11. April 2020

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Ostern 2020 ist so ganz anders als in den 60 Jahren, seitdem die Ostermärsche stattfinden. Nicht nur das die Planung der Teilnahme an den Märschen Samstag in Wedel und Montag in Hamburg, entfällt. Es fehlt auch die direkte Planung und Arbeit zur Organisation, zu der auch immer die politische Einstimmung auf die Kerninhalte des jeweiligen Ostermarsches gehört.

Ein Virus beherrscht die Gesellschaft und zwingt uns sein unerbittliches Diktat auf. Das wird nicht nur Ostern 2020 prägen , sondern darüber hinaus gesellschaftliche Debatten und Verhältnisse in der Zukunft beeinflussen. Dieser Einschnitt kann nachhaltige Wirkungen haben. Ich hoffe auf Veränderungen, die positiver Art sind, auf mehr Einsichten, wie wertvoll z. B. eine friedliche Zukunftsentwicklung ist, wie notwendig es ist, die sozialen und ökologischen Verhältnisse in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der Menschen, mit der Natur und allen Lebewesen zu gestalten. Ich hoffe auf mehr Einsichten, wie wichtig demokratische Rechte und Freiheiten sind, die immer wieder erstritten werden müssen, und welche Bedeutung Humanismus und Solidarität im Zusammenleben aller Menschen haben muss. Ich hoffe auf eine Debatte über die Verfasstheit der Gesellschaft und über die Notwendigkeit den neoliberalen Kapitalismus zu überwinden.

Dabei können wir in der Friedensbewegung , an unser aktives jahrzehntelanges Wirken anknüpfen. Unsere Forderungen warben immer auch für eine andere Welt, die nötig und möglich ist!

Im Kampf um Frieden und Abrüstung bekämpften wir die Aufrüstung, den Waffenhandel und die Militarisierung der Gesellschaft , wir werben für Rüstungskonversion, Aber natürlich für die Forderung, aktuell stattfindenden Kriege zu beenden. Wir diskutierten und warben für eine politische Wende hin zur Schaffung von friedlichen Verhältnissen.

Diese Auseinandersetzungen waren für viele Aktivistinnen und Aktivisten auch mit dem Kampf für eine andere Weltordnung verbunden, in der vor allem Frieden unabdingbar die politischen Verhältnisse bestimmt. Nur im Frieden können alte und neue Herausforderungen vielfältigster Art gelöst werden. Als aktuelles Beispiel bietet sich an, wie die Abwehr von Pandemien und neuen Krankheiten optimal bekämpft werden kann.

Aber neben diesen Hoffnungen sehe ich auch neue von der Pandemie ausgehende mögliche Gefahren besonders eine weitere Rechtsentwicklung. Manches an Äußerungen, Maßnahmen und politischen Entscheidungen hat einen erschreckend reaktionären Charakter: z. B.die fehlenden Behandlungsmöglichkeiten in unserem Gesundheitssystem und noch mehr weltweit, und ihre Folgen auch für Leben und Tod vieler Menschen, der Hang zur Reglementierung aller Verhältnisse mit restriktiven Strafandrohungen verbunden, ohne gleichzeitig notwendige Maßnahmen hinreichend zu begründen und wo nötig auch öffentlich zu diskutieren, Schuldzuweisungen gegen vermeintliche Verursacher wie Trump es in Richtung China macht, um von den katastrophalen Entwicklungen in den USA abzulenken. Rechte, reaktionäre Kräfte hoffen weltweit und auch bei uns auf ihre Chance jetzt. Die Berichte über neonazistische Kräfte ,die sich auf bewaffnete Aktionen vorbereiten sind beunruhigend!

Die aktuelle bedrückende Erfahrung müssen wir diskutieren und wenn möglich hin zu einer öffentlichen gesellschaftlichen Debatte entwickeln. Dazu ist das Anknüpfen an naheliegende Erfahrungen und Erkenntnisse unabdingbar.

Gerade in der notwendigen Auseinandersetzung um Zukunftsfragen wie der Forderung nach einer Weltordnung in Frieden und Solidarität gibt es viele Verbündete z. b. In der Gewerkschaftsbewegung, in Sozialverbänden , in der Ökologiebewegung , bei Fridays for Future, in der Flüchtlings- und Antifabewegung, unter Wissenschaftler, in Teilen der Kirchen und Parteien des linken,kommunistischen, sozialdemokratischen und bürgerlich-liberalen Spektrums.
 
Diese Gemeinsamkeiten wachsen,wenn auch zu langsam, auch in internationalen Zusammenhängen.

Wir müssen aus dieser Corona-Krise lernen vor allen Dingen die Schlussfolgerung ziehen, den Kampf um Frieden und Abrüstung als unbedingte Voraussetzung zur Lösung vieler Probleme zu begreifen.

Für die aktuelle Diskussion im Zusammenhang mit der Corona Pandemie sind aus meiner Sicht folgende Forderungen wesentlich:

Mittel die zur Unterstützung der Großkonzerne und Banken freigestellt wurden sollten für diese Herausforderung , der Bekämpfung der Coronakriese eingesetzt werden.

  • Die Rüstungsausgaben müssen öffentlich diskutiert werden, und zwar nachhaltig und nicht nur als Möglichkeit, Finanzmittel zu generieren, die für die Bekämpfung der Corona - Krise weltweit zur Verfügung gestellt werden. Aktuell muss Geld, das für die Versorgung von Kranken und für die Beschäftigten im Gesundheitswesen dringend nötig ist, auch international benötigt wird, muss aus dem Rüstungshaushalt entnommen werden.
  • Alle medizinischen, infrastrukturellen und organisatorischen Möglichkeiten, die der Bundeswehr zur Verfügung stehen, müssen eingesetzt werden, um die Krise und deren Folgen wirkungsvoll zu bekämpfen. Eine Voraussetzung dafür ist die Unterstellung aller Einrichtungen, Techniken, Forschungen und medizinische Komponenten der Bundeswehr unter ziviler öffentliche gesellschaftlicher Kontrolle. Zur Bekämpfung der Pandemie auch weltweit und besonders in den Flüchtlingslagern sind der UN sofort ausreichend Mittel aus dem Bundeswehrmitteln und beständen zur Verfügung zu stellen.
  • Rüstungskonversion ist jetzt gefordert. Die Rüstungsindustrie sollte medizinische Geräte und Ausrüstungen produzieren sowie Fahrzeuge für Krankentransporte und den Bau von Kliniken und Forschungseinrichtungen für den weltweiten Gebrauch herstellen.
  • Der Aufruf des UN – Generalsekretärs zum sofortigen Waffenstillstand ist durchzusetzen. Das erfordert auch die sofortige Einstellung aller Lieferungen von Waffen und sonstiger zur Kriegsführung produzierter Güter. Die Infrastruktur zur Kriegsführung darf nicht länger vorgehalten werden. Das betrifft auch die Forderung nach sofortigem Abzug aller US-amerikanischen Atomwaffen aus Büchel und die Auflösung der US Drohnensteuerungszentrale in Rammstein. Jetzt ist der praktische Beweis gefordert, ob es ernst gemeint ist mit Humanismus und Solidarität angesichts der dramatischen Krisensituation!
  • Wo notwendig müssen Rüstungskonzerne enteignet werden, um sie auf eine Produktion umzustellen, die hilft, den riesigen Herausforderungen gerecht zu werden, denen sich die Menschheit stellen muss.
  • Das Virus hat etwas geschafft, was wir wohl nicht erreicht hätten. Das NATO – Manöver Defender 2020 ist zunächst gestoppt worden. Aber ohne internationale Solidarität von Bewegungen wird diese gefährliche Eskalationspolitik der NATO nicht überwunden werden.Die Auflösung der Nato wäre jetzt ein angemessener Schritt zur Schaffung von Voraussetzungen für eine neue, eine bessere Zukunft.

Ostern 2020 ist auch ein Zeitpunkt zum Innehalten, Nachdenken und zum neuen Justieren politisch notwendiger Gedanken und von Forderungen. Regen wir auch unsere Mitmenschen dazu an und zeigen wir: auch ohne Demonstrationen bleiben wir in vielen Formen kreativ und auch öffentlichkeitswirksam .

Frieden ist nicht alles aber ohne Frieden ist alles nichts!

 

Heinz Stehr ist aktiv beim Friedensnetzwerk Kreis Pinneberg

 

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