Projekt „Friedensstadt Tübingen“

Der Frieden findet Stadt

von Henning Zierock
Initiativen
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Im Juni vergangenen Jahres wurde die Universitätsstadt Tübingen für eine Woche lang zur „Friedensstadt“. Den Impuls gab die „Gesellschaft Kultur des Friedens“ im Rahmen der Feierlichkeiten ihres 20jährigen Bestehens. Die 80.000 EinwohnerInnen zählende Universitätsstadt eignete sich dafür gut. War Tübingen doch bereits während des Krieges auf dem Balkan eine Solidaritätsverbindung mit der nordbosnischen Stadt Tuzla eingegangen und hat dort einen Friedenssender unterstützt. Zudem sind in Tübingen zahlreiche bekannte Friedensinstitutionen wie das Institut für Friedenspädagogik, das Projekt Weltethos, die Gesellschaft Kultur des Friedens, der Masterstudiengang Friedensforschung und Internationale Politik an der Uni Tübingen und die Informationsstelle Militarisierung (Imi) ansässig. Auch dieses Jahr wird es wieder verschiedene Veranstaltungen geben.

Im Rahmen der Friedensstadt sollten die „Friedenspotentiale“ einer Stadt nach innen und außen aufgezeigt und weiterentwickelt werden. Nach „außen“ z.B. in Form einer eigenen kommunalen Außenpolitik im Rahmen von Städtenetzwerken und Städtepartnerschaften. Nach „innen“ wurde die Friedensfähigkeit einer Kommune im Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten, im Umgang mit der Natur und mit Minderheiten, z.B. Flüchtlingen, diskutiert. Mehr als 20 Initiativen, Friedensgruppen, Musik- und Sportvereine etc. folgten der Idee und organisierten Veranstaltungen im Bereich Bildung, Ökologie, Sport, Kultur und Frieden. Einbezogen waren auch das Rathaus und Mitglieder des Gemeinderats, das Theater, die Universität und Schulen.

Internationale Gäste aus Kolumbien, Israel/Palästina, USA und Spanien stellten mögliche Städtekooperationen vor. So berichtete die von der Unesco als „Bürgermeisterin für den Frieden“ ausgezeichnete Gloria Cuartas von Friedensgemeinden im Nordosten Kolumbiens, die sich gegen Vertreibung von ihrem Land gewaltfrei zur Wehr setzen durch die Gründung von humanitären Zonen, die keinen bewaffneten Akteuren Zutritt gewähren. Die bekannteste Friedensgemeinde San José de Apartadó existiert bereits seit 1997 und konnte durch internationale Unterstützung überleben. In Tübingen warb Gloria Cuartas für konkreten Schutz durch eine politische Partnerschaft mit Tübingen, denn die Mitglieder der Gemeinde sind ständigen Drohungen und Übergriffen bis hin zu Mord durch paramilitärische Verbände und der kolumbianischen Armee ausgesetzt.

Der Palästinenser Ismail Khatib, Protagonist des Films „Das Herz von Jenin“, stellte ein Jugendkulturzentrum im Flüchtlingslager Jenin in der Westbank vor, das palästinensischen Jugendlichen einen Ausstieg aus der Spirale der Gewalt ermöglichen will, und Kontakte zu Schülerinnen und Schülern sucht. Tübingen kann durch eine Projektpartnerschaft mit Jenin solche Verbindungen mit Schulen herstellen.

Der ehemalige US-Soldat und erste Deserteur, der in Deutschland Asyl beantragt hat, André Shepherd, appellierte an die TeilnehmerInnen, Tübingen zu einer offenen Stadt für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure zu machen.

Aus Madrid kam eigens der ehemalige Generaldirektor der Unesco, Federico Mayor, angereist, um die Friedensidee zu würdigen und ein „Manifest des Friedens“ für das lokale und globale Zusammenleben der Menschen vorzustellen. Den passenden Rahmen dazu lieferte zum Abschluss der Veranstaltungswoche ein „Friedensmarkt“ mit zahlreichen Infoständen auf dem Marktplatz und ein Friedenskonzert mit Konstantin Wecker, das mehr als tausend TeilnehmerInnen in die Innenstadt lockte.

Das Manifest benennt sechs Punkte eines solidarischen und friedlichen Zusammenlebens: 1. Respekt gegenüber dem Leben, 2. Gewaltverzicht, 3. Mit Anderen teilen, 4. Zuhören, um zu verstehen, 5. Erhalt des Planeten und 6. Solidarität und Demokratie leben. Diese Prinzipien sind die Grundlage für das friedliche und solidarische Zusammenleben der Menschen in einer globalisierten Welt, die in Tübingen beispielhaft mit Leben gefüllt werden sollen.

Eindrücklich waren einzelne Veranstaltungen, z.B. eine Podiumsdiskussion zum Thema “Gewalt in der Schule“, an der sich auch das Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden beteiligte. Jugendliche müssen an gesellschaftlicher Veränderung beteiligt werden, im Bewusstsein: „Wer an den Problemen seiner Zeit nicht Anteil nimmt, wird mit der Zeit selbst zum Problem.“

Unter dem Motto „Fußball für den Frieden“ spielten in Tübingen lebende Flüchtlinge aus Afghanistan, Irak, Iran u.a. mit Tübinger Geschäftsleuten. Diese sportliche Begegnung war ein wichtiger Beitrag zur Verständigung, und brachte die Situation der bei uns lebenden Menschen aus Kriegsgebieten durch weitere Kontakte näher.

Wir wollen diese Erfahrungen weitergeben und werben für weitere „Friedensstädte“ in Deutschland und Europa. So hat bereits die italienische Partnerstadt Tübingens, Perugia, Interesse bekundet, diese Idee ebenfalls umzusetzen.

Nach diesem erfolgreichen Auftakt, soll die „ Friedensstadt Tübingen“ weiterentwickelt werden. Für 2010 gibt es bereits zahlreiche Projekte und Ideen, und im Juli werden diese mit verschiedenen Veranstaltungen fortgeführt.

Weitere Informationen unter www.kulturdesfriedens.de und www.friedensstadt.org  

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Henning Zierock ist Vorsitzender der Gesellschaft Kultur des Friedens und Initiator des Projektes Friedensstadt.