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Feindbildproduktion:
Der Islam und sein Zerrbild in den Medien
von
Es ist inzwischen oft gesagt worden: Mit dem Zusammenbruch des Ost-West-Gegensatzes ist uns ein, ja das Feindbild abhandengekommen, das bislang zur Legitimierung der militärischen Rüstung diente. Um weiterhin eine Politik der Hochrüstung und den Erhalt zwar kleinerer, aber effizienterer und mobilerer Armeen zu rechtfertigen, vielleicht aber auch nur um einen menschlichen Hang nach einem bipolaren Freund-Feind-Denken zu befriedigen, wurde ein neues Feindbild gemalt. Insofern kam Saddam Husseins Überfall auf Kuwait wie gerufen. In den Medien mußte er nur noch "richtig" gezeichnet und das Bild mit arabischer Irrationalität und islamischer Rückständigkeit eingerahmt werden. Fertig!
Doch Saddam Hussein war nur ein Highlight für die antiarabische und noch pauschaler: für die anti-islamische Medienkampagne vor allem seit dem zweiten Golfkrieg. Präsent ist dabei immer noch der Geist Khomeinis in Gestalt seines Fluches gegen Salman Rushdie, in den mehrheitlich von Muslimen bewohnten ehemaligen Sowjet-Republiken wähnt man bereits die "Khomsomolzen des Propheten" am Werk, allenthalben wimmelt es in der islamischen Welt an terroristischen "Fundamentalisten", Militärs warnen weiter vor "islamischen" A-Bomben und Kadhafi gab schon immer eine ideale Schießbudenfigur für westliche Medien ab.
Was an den meisten Medienäußerungen der jüngsten Zeit über die islamische Welt im allgemeinen und über den Nahen Osten im Besonderen so bedenklich stimmt, ist zunächst einmal ihre bis zur Unkenntlichkeit simplifizierend-undifferenzierte Darstellung von in Wirklichkeit äußerst komplexen gesellschaftlichen, ethnischen, religiösen, historischen und kulturellen Gegebenheiten, wie sie nun einmal auch die islamische Welt kennzeichnen.
Als verhängnisvoll, jedoch für die Ausgestaltung eines entsprechenden Feindbildes förderlich, erweist sich zum einen der Umstand, daß aufgrund unseres streng europazentristischen Bildungswesens die landläufigen Kenntnisse über den Orient im allgemeinen und über den Islam im Besonderen äußerst gering sind, weshalb beim Rezipienten kaum Möglichkeiten zur Korrektur der in den Medien gebotenen Informationen bestehen; wer weiß bei uns schon, daß sich z.B. im schiitischen Islam iranischer Prägung ein hierarchisch strukturierter Klerus herausgebildet hat (was eine politische Machtübernahme wesentlich vereinfacht), während der sunnitische Islam eine solche Hierarchie, ja im Grunde überhaupt keinen Klerus kennt? Wer bei uns hat z.B. je den Medien entnehmen können, daß es vielen reformatorischen und islamistischen (sogenannten "fundamentalistischen") Kreisen gerade nicht, wie hierzulande immer wieder dargestellt, um eine Rückkehr ins Mittelalter, sondern um eine Neuinterpetation der heiligen Texte geht, die darauf zielt, den wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Anforderungen der Moderne gerecht zu werden? Zum anderen fällt gerade in Deutschland auf, daß z.B. jene, die in Nahost-Fragen nicht nur den Sachbuchmarkt beherrschen, sondern auch die Berichterstattung im ZDF bzw. in der ARD viele Jahre dominierten und wohl auch kontrollierten, in Sachen Islam Laien sind, keine arabischen (geschweige denn persische oder türkische) Zeitungen lesen können und von einer kaum zu verhehlenden rassistischen Weltsicht geprägt sind. Das heißt, die Unkenntnisse und die Vorurteile des Normalbürgers setzen sich bei den vermeintlichen Experten fort, ja scheinen sich bei ihnen zuweilen geradezu zu potenzieren, wodurch ihre Aussagen beim Normalbürger auf besonders fruchtbaren Boden fallen, weil sie ja kaum etwas enthalten, was dieser in seinem Fundus an Vorurteilen und Feindbildern nicht ohnehin schon parat hat.
Zuweilen drängt sich dabei auch der Verdacht auf, daß die eigentliche Stoßrichtung des Feindbildes gar nicht die islamische Welt im allgemeinen und der Nahe Osten im Besonderen ist, sondern die islamische Welt unter uns, d.h. jene Muslime, die - sei es als türkische und nordafrikanische Arbeiter oder als iranische und libanesische Flüchtlinge - bei uns leben und auch künftig bei uns Aufnahme suchen werden, allein in Westeuropa immerhin zwischen fünf und zehn Millionen Menschen.
Das Klischee: Aggressiv, irrational und sexistisch
In der Friedensbewegung weit verbreitet ist die Auffassung, daß das alte Feindbild "kommunistischer Ostblock" nun ersetzt wird durch ein neues Feindbild "Dritte Welt" bzw. daß sich der alte Ost-West-Gegensatz in einen Nord-Süd-Gegensatz wandelt, wobei der Nahe Osten gegenwärtig nur die Funktion eines pars pro toto innehabe. Eine solche Sichtweise läßt jedoch einen wichtigen historischen Aspekt außer Acht, nämlich den Umstand, daß der Nahe Osten für viele Jahrhunderte - zunächst in Gestalt der "Sarazenen", anschließend in der der osmanischen Türken - dem "christlichen Abendland" als der Feind schlechthin, Mohammed als der Antichrist, der Islam als "eine düstere Religionshülle" (Goethe) galten. Auch was heute den meisten deutschen Schulabsolventen an Grundwissen über die historischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Religionen bzw. Kulturkreisen präsent ist, reduziert sich meist darauf, daß Karl Martell das christliche Abendland vor den angreifenden Sarazenen im Westen und Prinz Eugen "der edle Ritter", vor den die Stadt Wien belagernden Türken im Osten gerettet habe.
Auf diesem "Grundwissen", d.h. auf der Vorstellung und dem Vorurteil, daß das christliche Abendland seit jeher vom Islam eingekreist und bedroht ist und vor ihm gerettet werden mußte und muß, bauen nun vielfach die Medienberichterstatter und die - meist mit ihnen identischen - Sachbuchautoren (von wenigen rühmlichen Ausnahmen wie z.B. Arnold Hottinger einmal abgesehen) auf. Schon 1986 war in einem Klappentext zu einem sogenannten Sachbuch Gerhard Konzelmanns zu lesen: "Für 130 Mio. Araber ist in ihrem politischen Kampf der islamische Glauben die Ideologie ihres Handelns. Für die Erreichung dieses Ideals sind sie bereit, zu `Märtyrern` und Mördern zu werden." Brutale Aggressivtät, Despotismus und Intoleranz bilden denn auch die wichtigste Facette dieses neuen/alten Feindbildes in den Medien. Sachbuch- bzw. Filmtitel wie "Allahs Schwert", "Das Schwert des Islam", "Das grüne Schwert", "Den Gottlosen die Hölle" u.ä.m. werden offensichtlich bewusst gewählt, um an ohnehin vorhandene Vorurteile über die Ausbreitung des Islams "mit Feuer und Schwert" zu rühren. Speziell Scholl-Latour, der in der islamischen Welt allenthalben "kriegerische Rassen", "düstere Mienen", "verschleierte Blicke der eifernden Muselmanen" etc. entdeckt, suggeriert förmlich die Vorstellung, daß ein Angriff muslimischer Völkerschaft gegen die westlich-christliche Kultur unmittelbar bevorstehe und wir uns auf einen neuen Kreuzzug (defensiv, versteht sich) einzurichten hätten. "Der neue Tartarensturm" ist denn auch eine Folge seiner Fernseh-Serie "Mit Feuer und Schwert", wobei das Klischee von der Bedrohung durch den Islam offensichtlich noch durch das Bild von gen Westen reitenden kriegerischen türkischen und mongolischen Nomadenhorden verstärkt werden sollte.
Auch der im Verlaufe des zweiten Golf-Krieges populäre Vergleich von Saddam Hussein mit Adolf Hitler wurzelt wohl zunächst einmal in der Vorstellung von der islamischen bzw. arabischen Welt als einem Hort der Barbarei. Noch einen Schritt weiter ging ein Karikaturist (in der Quick vom 07.02.91), der in einer "Monster-Weltrangliste 1991" Saddam Hussein den ersten Platz einräumt, indem er ihn auf das höchste aus Totenschädeln gebildete Siegerpodest stellte, während er Hitler nur den zweiten Platz und Stalin den dritten Rang verlieh. Aufschlussreich an dieser Karikatur war auch die Symbolik: Während Stalin den roten Stern des Kommunismus auf der Brust hat und Hitler eine Armbinde mit dem Hakenkreuz des Nationalsozialismus trägt, hält Saddam Hussein eine Fahnenstange in der Hand, an deren Ende der Halbmond als Zeichen des Islam prangt.
Der Islam wird so zu einer Ideologie degradiert, die zudem in ihrer Menschenverachtung noch Nationalsozialismus und Stalinismus übertrifft. Daß Saddam Hussein mit islamischen Wertvorstellungen nie etwas im Sinne hatte und die Religion zu bestimmten Gelegenheiten lediglich für seine Ziele zu instrumentalisieren versuchte, kam in den deutschen Medien kaum zum Ausdruck - im Gegensatz zu zahlreichen arabischen Medien verschiedener Provenienz, die entsprechenden Feststellungen islamischer Theologen erhebliche Beachtung schenkten.
Weit vorne unter den Facetten des Islam-Feindbildes rangiert in den Medien auch der Topos von der Unterdrückung der Frau in der islamischen Welt. Daß Betty Mahmoodys Buch und Film "Nicht ohne meine Tochter" gerade in Deutschland (viel weniger in Amerika!) und gerade zu diesem Zeitpunkt ein solcher Kassenschlager wurde, zeigt, auf welchen von Vorurteilen gedüngten Boden das vor Rassismus strotzende Machwerk gefallen ist. Das in diesem Buch vermittelte Bild von dem seine Frau schlagenden und anderweitig unterdrückenden Muslim vermischt sich gern mit den westlichen Vorstellungen über den Harem, in dem sich die ganze frauenfeindliche Haltung des Islam manifestiere. Daß in der islamischen Welt die Einehe die Regel und die Mehrehe die Ausnahme bildet, vermochte diese Vorstellungen ebenso wenig abzubauen, wie die Realität der Promiskuität und der Frauenhäuser für geprügelte Ehegattinnen im christlichen Abendland sie relativieren konnte. Im Übrigen läßt sich die Existenz auch dieses Aspektes unseres Islam-Feindbildes bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Es geht mir nicht darum, patriarchalischen Strukturen in muslimischen Gesellschaften das Wort zu reden, sondern es geht darum, bewusst zu machen, daß die Instrumentalisierung des Status der muslimischen Frau zum Feindbild-Klischee offensichtlich meist den Zweck verfolgt, von entsprechenden eigenen Defiziten abzulenken.
Was es für die entsprechenden Autoren so einfach macht, mit diesen Schlagworten den gesamten islamischen Kulturraum in Bausch und Bogen als bedrohliche Quelle des Bösen zu präsentieren, ist der Umstand, daß vor allem seit den siebziger Jahren in diesem Raum tatsächlich eine Rückbesinnung auf islamische Grundwerte eingesetzt hat, eine Erscheinung, die man im Westen als "Islamischen Fundamentalismus" zu bezeichnen sich angewöhnt hat; die sogenannten "Fundamentalisten" selbst bezeichnen sich als Islamisten (islamiyun), ein Begriff, den man zunächst einmal übernehmen sollte, da er nicht von vornherein negativ besetzt ist. Was in unseren Medien in der Regel aber überhaupt nicht zum Ausdruck kommt ist, daß es nicht die eine monolithische islamistische Bewegung, sondern Dutzende von derartigen Strömungen, Gruppen und Grüppchen gibt, deren politische Vorstellungen und Methoden äußerst divergieren. Pazifistische, reformistische, modernistische Strömungen sind ebenso vertreten wie traditionalistische und schließlich gewalttätig aktivistische, wobei bezeichnenderweise den letzteren das Hauptinteresse unserer Medien gilt. Stellt man zusätzlich in Rechnung, daß es in der sogenannten "islamischen Welt" neben den Islamisten ja schließlich auch noch die große Anzahl der Anhänger säkularistischer Nationalstaatsmodelle gibt - ganz zu schweigen von den zuweilen recht starken nichtislamischen, meist christlichen Minderheiten - wird die Vorstellung von der Bedrohung durch den Islam haltlos. Angriffsziel der Islamisten ist zunächst auch nicht der Westen und noch weniger das Christentum, sondern es sind die eigenen autoritären - vielfach gerade vom Westen gestützten und unterstützten - Regierungen, denen man unislamische und undemokratische (!) Verhaltensweisen vorwirft, was in nicht wenigen Fällen ja auch zurecht geschieht. Die Annullierung der demokratischen Parlamentswahlen in Algerien, aus denen "die Islamische Heilsfront" (FIS) als eindeutiger Sieger hervorgegangen war, und ihre anschließende massive Unterdrückung durch das Militär können den islamistischen Demokratie-Anspruch nur bestätigen.
So wenig die islamistischen Bewegungen in den Medien einer differenzierten Betrachtungsweise unterzogen werden, so selten wird nach den Ursachen für die gegenwärtig verstärkte Hinwendung zur Religion in der islamischen Welt - und ja nicht nur dort - gefragt. Daß in erster Linie soziale und wirtschaftliche - nicht zuletzt auch vom Westen mitverursachte - Probleme bestimmte Bevölkerungsschichten für islamistische Parolen empfänglich machen und bei wachsendem Verlust anderer Perspektiven auch militanten Gruppen in die Arme treiben, bleibt weitgehend unausgesprochen; Bevölkerungsschichten übrigens, die vormals vielfach mit "linken" sozialistischen Bewegungen sympathisierten.