Feindbildproduktion:

Der Islam und sein Zerrbild in den Medien

von Gernot Rotter
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Es ist inzwischen oft gesagt worden: Mit dem Zusammenbruch des Ost-West-Gegensatzes ist uns ein, ja das Feindbild abhandengekommen, das bislang zur Legitimierung der militärischen Rüstung diente. Um weiterhin eine Politik der Hochrüstung und den Erhalt zwar kleinerer, aber effizienterer und mobilerer Armeen zu rechtfertigen, vielleicht aber auch nur um einen menschlichen Hang nach einem bipolaren Freund-Feind-Denken zu befriedigen, wurde ein neues Feindbild gemalt. Inso­fern kam Saddam Husseins Überfall auf Kuwait wie gerufen. In den Me­dien mußte er nur noch "richtig" gezeichnet und das Bild mit arabischer Irrationalität und islamischer Rückständigkeit eingerahmt werden. Fertig!

Doch Saddam Hussein war nur ein Highlight für die antiarabische und noch pauschaler: für die anti-islamische Me­dienkampagne vor allem seit dem zwei­ten Golfkrieg. Präsent ist dabei immer noch der Geist Khomeinis in Gestalt sei­nes Fluches gegen Salman Rushdie, in den mehrheitlich von Muslimen be­wohnten ehemaligen Sowjet-Republi­ken wähnt man bereits die "Khomso­molzen des Propheten" am Werk, allent­halben wimmelt es in der islamischen Welt an terroristischen "Fundamen­ta­listen", Mi­litärs warnen weiter vor "islamischen" A-Bomben und Kadhafi gab schon immer eine ideale Schießbudenfigur für westliche Medien ab.

Was an den meisten Medienäußerungen der jüngsten Zeit über die islamische Welt im allgemeinen und über den Na­hen Osten im Besonderen so bedenklich stimmt, ist zunächst einmal ihre bis zur Unkenntlichkeit simplifizierend-undiffe­renzierte Darstellung von in Wirklich­keit äußerst komplexen gesellschaftli­chen, ethnischen, religiösen, histori­schen und kulturellen Gegebenheiten, wie sie nun einmal auch die islamische Welt kennzeichnen.

Als verhängnisvoll, jedoch für die Aus­gestaltung eines entsprechenden Feind­bildes förderlich, erweist sich zum einen der Umstand, daß aufgrund unseres streng europazentristischen Bildungs­wesens die landläufigen Kenntnisse über den Orient im allgemeinen und über den Islam im Besonderen äußerst gering sind, weshalb beim Rezipienten kaum Möglichkeiten zur Korrektur der in den Medien gebotenen Informationen bestehen; wer weiß bei uns schon, daß sich z.B. im schiitischen Islam irani­scher Prägung ein hierarchisch struktu­rierter Klerus herausgebildet hat (was eine politische Machtübernahme we­sentlich vereinfacht), während der sun­nitische Islam eine solche Hierarchie, ja im Grunde überhaupt keinen Klerus kennt? Wer bei uns hat z.B. je den Me­dien entnehmen können, daß es vielen reformatorischen und islamistischen (so­genannten "fundamentalistischen") Kreisen gerade nicht, wie hierzulande immer wieder dargestellt, um eine Rückkehr ins Mittelalter, sondern um ei­ne Neuinterpetation der heiligen Texte geht, die darauf zielt, den wirtschaftli­chen und gesellschaftspolitischen An­forderungen der Moderne gerecht zu werden? Zum anderen fällt gerade in Deutschland auf, daß z.B. jene, die in Nahost-Fragen nicht nur den Sachbuch­markt beherrschen, sondern auch die Berichterstattung im ZDF bzw. in der ARD viele Jahre dominierten und wohl auch kontrollierten, in Sachen Islam Laien sind, keine arabischen (geschwei­ge denn persische oder türkische) Zei­tungen lesen können und von einer kaum zu verhehlenden rassistischen Weltsicht geprägt sind. Das heißt, die Unkenntnisse und die Vorurteile des Normalbürgers setzen sich bei den ver­meintlichen Experten fort, ja scheinen sich bei ihnen zuweilen geradezu zu potenzieren, wodurch ihre Aussagen beim Normalbürger auf besonders fruchtbaren Boden fallen, weil sie ja kaum etwas enthalten, was dieser in sei­nem Fundus an Vorurteilen und Feind­bildern nicht ohnehin schon parat hat.

Zuweilen drängt sich dabei auch der Verdacht auf, daß die eigentliche Stoß­richtung des Feindbildes gar nicht die islamische Welt im allgemeinen und der Nahe Osten im Besonderen ist, sondern die islamische Welt unter uns, d.h. jene Muslime, die - sei es als türkische und nordafrikanische Arbeiter oder als irani­sche und libanesische Flüchtlinge - bei uns leben und auch künftig bei uns Auf­nahme suchen werden, allein in Westeu­ropa immerhin zwischen fünf und zehn Millionen Menschen.

Das Klischee: Aggressiv, irrational und sexistisch

In der Friedensbewegung weit verbreitet ist die Auffassung, daß das alte Feind­bild "kommunistischer Ostblock" nun ersetzt wird durch ein neues Feindbild "Dritte Welt" bzw. daß sich der alte Ost-West-Gegensatz in einen Nord-Süd-Ge­gensatz wandelt, wobei der Nahe Osten gegenwärtig nur die Funktion eines pars pro toto innehabe. Eine solche Sicht­wei­se läßt jedoch einen wichtigen histo­ri­schen Aspekt außer Acht, nämlich den Umstand, daß der Nahe Osten für viele Jahrhunderte - zunächst in Gestalt der "Sarazenen", anschließend in der der os­manischen Türken - dem "christlichen Abendland" als der Feind schlechthin, Mohammed als der Antichrist, der Islam als "eine düstere Religionshülle" (Goethe) galten. Auch was heute den meisten deutschen Schulabsolventen an Grundwissen über die historischen Aus­einandersetzungen zwischen den beiden Religionen bzw. Kulturkreisen präsent ist, reduziert sich meist darauf, daß Karl Martell das christliche Abendland vor den angreifenden Sarazenen im Westen und Prinz Eugen "der edle Ritter", vor den die Stadt Wien belagernden Türken im Osten gerettet habe.

Auf diesem "Grundwissen", d.h. auf der Vorstellung und dem Vorurteil, daß das christliche Abendland seit jeher vom Islam eingekreist und bedroht ist und vor ihm gerettet werden mußte und muß, bauen nun vielfach die Medienbe­richterstatter und die - meist mit ihnen identischen - Sachbuchautoren (von we­nigen rühmlichen Ausnahmen wie z.B. Arnold Hottinger einmal abgesehen) auf. Schon 1986 war in einem Klap­pen­text zu einem sogenannten Sachbuch Gerhard Konzelmanns zu lesen: "Für 130 Mio. Araber ist in ihrem politischen Kampf der islamische Glauben die Ideo­logie ihres Handelns. Für die Errei­chung dieses Ideals sind sie bereit, zu `Märty­rern` und Mördern zu werden." Brutale Aggressivtät, Despotismus und Intole­ranz bilden denn auch die wichtig­ste Fa­cette dieses neuen/alten Feindbil­des in den Medien. Sachbuch- bzw. Filmtitel wie "Allahs Schwert", "Das Schwert des Islam", "Das grüne Schwert", "Den Gottlosen die Hölle" u.ä.m. werden of­fensichtlich bewusst gewählt, um an oh­nehin vorhandene Vorurteile über die Ausbreitung des Is­lams "mit Feuer und Schwert" zu rüh­ren. Speziell Scholl-La­tour, der in der islamischen Welt allent­halben "kriegerische Rassen", "düstere Mienen", "verschleierte Blicke der ei­fernden Muselmanen" etc. entdeckt, suggeriert förmlich die Vorstellung, daß ein An­griff muslimischer Völkerschaft gegen die westlich-christliche Kultur unmittelbar bevorstehe und wir uns auf einen neuen Kreuzzug (defensiv, ver­steht sich) einzurichten hätten. "Der neue Tartarensturm" ist denn auch eine Folge seiner Fernseh-Serie "Mit Feuer und Schwert", wobei das Klischee von der Bedrohung durch den Islam offen­sichtlich noch durch das Bild von gen Westen reitenden kriegerischen türki­schen und mongolischen Nomadenhor­den verstärkt werden sollte.

Auch der im Verlaufe des zweiten Golf-Krieges populäre Vergleich von Saddam Hussein mit Adolf Hitler wurzelt wohl zunächst einmal in der Vorstellung von der islamischen bzw. arabischen Welt als einem Hort der Barbarei. Noch einen Schritt weiter ging ein Karikaturist (in der Quick vom 07.02.91), der in einer "Monster-Weltrangliste 1991" Saddam Hussein den ersten Platz einräumt, in­dem er ihn auf das höchste aus Toten­schädeln gebildete Siegerpodest stellte, während er Hitler nur den zweiten Platz und Stalin den dritten Rang verlieh. Aufschlussreich an dieser Karikatur war auch die Symbolik: Während Stalin den roten Stern des Kommunismus auf der Brust hat und Hitler eine Armbinde mit dem Hakenkreuz des Nationalsozialis­mus trägt, hält Saddam Hussein eine Fahnenstange in der Hand, an deren En­de der Halbmond als Zeichen des Is­lam prangt.

Der Islam wird so zu einer Ideologie de­gradiert, die zudem in ihrer Menschen­verachtung noch Nationalsozialismus und Stalinismus übertrifft. Daß Saddam Hussein mit islamischen Wertvorstel­lungen nie etwas im Sinne hatte und die Religion zu bestimmten Gele­genheiten lediglich für seine Ziele zu instrumenta­lisieren versuchte, kam in den deutschen Medien kaum zum Ausdruck - im Ge­gensatz zu zahlreichen arabi­schen Me­dien verschiedener Proveni­enz, die ent­sprechenden Feststellungen islamischer Theologen erhebliche Be­achtung schenkten.

Weit vorne unter den Facetten des Is­lam-Feindbildes rangiert in den Medien auch der Topos von der Unterdrückung der Frau in der islamischen Welt. Daß Betty Mahmoodys Buch und Film "Nicht ohne meine Tochter" gerade in Deutschland (viel weniger in Amerika!) und gerade zu diesem Zeitpunkt ein sol­cher Kassenschlager wurde, zeigt, auf welchen von Vorurteilen gedüngten Bo­den das vor Rassismus strotzende Mach­werk gefallen ist. Das in diesem Buch vermittelte Bild von dem seine Frau schlagenden und anderweitig unterdrückenden Muslim vermischt sich gern mit den westlichen Vorstellungen über den Harem, in dem sich die ganze frauen­feindliche Haltung des Islam manifestie­re. Daß in der islamischen Welt die Ein­ehe die Regel und die Mehrehe die Aus­nahme bildet, vermochte diese Vorstel­lungen ebenso wenig abzubauen, wie die Realität der Promiskuität und der Frau­enhäuser für geprügelte Ehe­gattinnen im christlichen Abendland sie relativieren konnte. Im Übrigen läßt sich die Exi­stenz auch dieses Aspektes un­seres Is­lam-Feindbildes bis ins Mittelal­ter zu­rückverfolgen. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Es geht mir nicht da­rum, patriarchalischen Struktu­ren in muslimischen Gesellschaften das Wort zu reden, sondern es geht darum, bewusst zu machen, daß die Instrumentali­sierung des Status der muslimischen Frau zum Feindbild-Klischee offen­sicht­lich meist den Zweck verfolgt, von ent­sprechenden eigenen Defiziten ab­zulen­ken.

Was es für die entsprechenden Autoren so einfach macht, mit diesen Schlag­wor­ten den gesamten islamischen Kul­tur­raum in Bausch und Bogen als be­drohli­che Quelle des Bösen zu präsentie­ren, ist der Umstand, daß vor allem seit den siebziger Jahren in die­sem Raum tat­sächlich eine Rückbesin­nung auf is­lami­sche Grundwerte einge­setzt hat, eine Er­scheinung, die man im Westen als "Isla­mischen Fundamentalismus" zu be­zeichnen sich angewöhnt hat; die soge­nannten "Fundamentalisten" selbst be­zeichnen sich als Islamisten (islamiyun), ein Begriff, den man zunächst einmal übernehmen sollte, da er nicht von vorn­herein negativ besetzt ist. Was in unse­ren Medien in der Regel aber über­haupt nicht zum Ausdruck kommt ist, daß es nicht die eine mono­lithische is­lamisti­sche Bewegung, son­dern Dut­zende von derartigen Strömun­gen, Gruppen und Grüppchen gibt, deren politische Vor­stellungen und Methoden äußerst diver­gieren. Pazifisti­sche, re­formistische, modernistische Strömun­gen sind ebenso vertreten wie traditio­nalistische und schließlich ge­walttätig aktivistische, wobei bezeichnenderweise den letzteren das Hauptinteresse unserer Medien gilt. Stellt man zusätzlich in Rechnung, daß es in der sogenannten "islamischen Welt" neben den Islamisten ja schließ­lich auch noch die große Anzahl der An­hänger säkula­ristischer Nationalstaats­modelle gibt - ganz zu schweigen von den zuweilen recht star­ken nichtislami­schen, meist christlichen Minderheiten - wird die Vorstellung von der Bedrohung durch den Islam haltlos. Angriffsziel der Islamisten ist zunächst auch nicht der Westen und noch weni­ger das Chri­sten­tum, sondern es sind die eigenen auto­ritären - vielfach gerade vom We­sten gestützten und unterstützten - Regie­rungen, denen man unislamische und undemokratische (!) Verhaltenswei­sen vorwirft, was in nicht wenigen Fäl­len ja auch zurecht ge­schieht. Die Annullie­rung der demokra­tischen Parla­ments­wahlen in Algerien, aus denen "die Isla­mische Heilsfront" (FIS) als eindeutiger Sieger hervorge­gangen war, und ihre anschließende massive Unter­drückung durch das Mi­litär können den islamisti­schen Demo­kratie-Anspruch nur bestäti­gen.

 

So wenig die islamistischen Bewegun­gen in den Medien einer differenzierten Betrachtungsweise unterzogen werden, so selten wird nach den Ursachen für die gegenwärtig verstärkte Hinwendung zur Religion in der islamischen Welt - und ja nicht nur dort - gefragt. Daß in erster Linie soziale und wirtschaftliche - nicht zuletzt auch vom Westen mitverursachte - Probleme bestimmte Bevölke­rungs­schichten für islamistische Parolen emp­fänglich machen und bei wachsen­dem Verlust anderer Perspektiven auch mili­tanten Gruppen in die Arme treiben, bleibt weitgehend unausgesprochen; Be­völkerungsschichten übrigens, die vor­mals vielfach mit "linken" sozialisti­schen Bewegungen sympathisierten.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Gernot Rotter ist Professor für Orientalistik.