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Kein Weg zurück?
INF-Vertrag
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Der Vertrag über den Abzug atomarer Mittelstreckenraketen aus Europa (Intermediate Range Nuclear Forces, kurz INF) war der letzte Rüstungskontrollvertrag, der in der Zeit des Kalten Kriegs geschlossen wurde. Fast auf den Tag genau vier Jahre, nachdem er von dem Präsidenten der USA, Ronald Reagan, und dem Staatschef der Sowjetunion, Michael Gorbatschow, am 8. Dezember 1987 in Washington unterzeichnet worden war, löste sich eine der Vertragsparteien, die Sowjetunion, auf. 1991 meinte man, damit sei auch die Konfrontation zwischen Ost und West beendet und würde einer neuen Zeit kooperativer Beziehungen Platz machen.
Heute wissen wir es besser – die Russische Föderation trat nicht nur völkerrechtlich die Nachfolge der Sowjetunion an, sondern die Ost-West-Konfrontation setzte sich, wenngleich nicht mehr unter konkurrierenden Modellen der Volkswirtschaft, fort. 2019 wurde der INF-Vertrag von den USA unter Präsident Trump und danach auch von Russland unter Putin aufgekündigt, und neue Generationen von Atomwaffen und deren Trägersysteme drohen die „Lücke“, die die Verschrottung von SS-20, Pershing II und Cruise Missiles hinterlassen hatte, zu füllen.
Der INF-Vertrag schrieb den Abzug und die Zerstörung aller US-amerikanischen und sowjetischen landgestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern fest und sah die gegenseitige Kontrolle vor Ort vor. Diese Vereinbarungen wurden bis 2001 vollständig umgesetzt. (1)
Wie es zum INF-Vertrag kam
1979 hatte die NATO angekündigt, auf die Stationierung sowjetischer nuklearer Mittelstreckenraketen (der SS-20, einer Rakete mit Mehrfachsprengkopf, die seit 1977 in Osteuropa stationiert wurde) mit der Stationierung eigener atomarer Mittelstreckenraketen in Europa zu reagieren, sofern die Sowjetunion einer Abrüstung der SS-20 nicht zustimme. In der Bundesrepublik war es Kanzler Helmut Schmidt (SPD), der sich vehement für den „Nachrüstungsbeschluss“ eingesetzt hatte. Präsident Carters Nachfolger, Präsident Ronald Reagan, der seit 1981 in den USA regierte, eskalierte die Spannungen weiter, sprach davon, die Sowjetunion „totrüsten“ zu können und spekulierte über einen Atomkrieg in Europa.
Für diejenigen, die diese Zeit des Kalten Kriegs nicht miterlebt haben, muss vielleicht die Brisanz dieser Mittelstreckenraketen erklärt werden. In den 25 Jahren zuvor galt zwischen NATO und Warschauer Pakt die Doktrin der „flexiblen Vergeltung“ mit Atomwaffen. Im Kern: Zwar sollten konventionelle Waffen Vorrang haben, aber letztlich: Wer zuerst Atomwaffen einsetzte, konnte sicher sein, als zweiter zu sterben, da der Gegner genügend Zeit für einen Gegenschlag haben würde. Diese Vorwarnzeit wurde durch diese Waffen mit einer Reichweite von maximal 5.500 km drastisch reduziert, was zwar nicht die USA gefährdete, aber alle Länder in Europa. Die INF-Waffen konnten Moskau als Zentrum einer Supermacht treffen, nicht aber Washington auf der anderen Seite. Ein Dritter Weltkrieg drohte, führbar zu werden. Die bellizistische Rhetorik vor allem aus den USA unterfütterte diese Angst.
Der als sog. “Doppelbeschluss“ oder „Nachrüstungsbeschluss“ bekannt gewordene Plan rief deshalb in Westeuropa eine bis dahin von Größe und Vielfalt ungekannte Friedensbewegung hervor, und auch in den USA gab es eine zahlenmäßig starke Bewegung für das Einfrieren der Atomrüstung („Freeze“). Die Bewegung konnte allerdings eine Stationierung der amerikanischen Pershing II und Marschflugkörper (Cruise Missiles) in Europa ab 1982/83 nicht verhindern. Die NATO stationierte 108 Pershing II-Raketen in der Bundesrepublik Deutschland (u. a. in Mutlangen) und 464 Cruise Missiles in Großbritannien (160), Italien (112), BR Deutschland (96), Belgien (48) und den Niederlanden. (2)
1985 kam in der Sowjetunion Michail Gorbatschow an die Macht. Er löste Konstantin Tschernenko ab, der nur ein Jahr an der Spitze der KPdSU gestanden hatte. Unter Gorbatschows’ Führung nahm der Warschauer Pakt 1986 Verhandlungen mit der NATO über die Abrüstung der atomaren Mittelstreckenraketen auf. Sie führten 1987 zum INF-Vertrag.
Atomwaffen in Europa heute
Es wäre ein Irrtum, zu meinen, dass mit der Abrüstung der Mittelstreckenraketen alle Atomwaffen aus Europa verschwunden wären. Erstens waren, wie erwähnt, Frankreich und Großbritannien nicht Vertragspartner und haben ihre eigene atomare Rüstung ungehindert weiter entwickelt; Frankreich auch mit landgestützten Raketen, Großbritannien setzt ausschließlich auf U-Boote. Und zweitens haben die USA nach 1991 ein Arsenal von rund 150 Atomsprengköpfen in Europa behalten, stationiert in Italien, der Türkei, Belgien, den Niederlande und Deutschland (Büchel). Diese werden allerdings nicht mit Raketen und Marschflugkörpern, sondern von Kampfflugzeugen transportiert, derzeit noch vorwiegend vom Tornado. Es sind neue Trägersysteme in Entwicklung, die F-22 Raptor und die F-35 Lightning II. Was die russische atomare Rüstung angeht, so unterhält Russland heute das größte Kernwaffenarsenal mit 6.255 Sprengköpfen. Die USA folgen mit 5.550. (3) Zum russischen Arsenal gehört auch ein System namens 9M729 - von der NATO SSC-8 genannt – das die NATO als Mittelstreckenwaffe ansieht, die atomar bewaffnet werden kann. Russland behauptet, seine Reichweite liege unter 500 Kilometern. Doch ob Rakete, Marschflugkörper oder Flugzeug: Solange der Atomwaffenverbotsvertrag nicht von den Atomwaffenstaaten unterzeichnet wird, bleibt die Gefahr eines Atomkrieges. Die gegenüber den 1980er Jahren deutlich weiterentwickelte und verfeinerte Technik (Stealth, Zielgenauigkeit, Fähigkeit, Bunker zu durchdringen) erhöht die Gefahr, dass eine oder mehrere Seiten, seien es die USA, Russland oder China, sich einer Dynamik schnell verschlechternder Beziehungen ergeben, die mit einem Krieg endet.einem Krieg, in dem gewiss dann nicht auf Atomwaffen verzichtet würde.
Anmerkungen
1 https://www.atomwaffena-z.info/geschichte/ruestungskontrolle/inf-vertrag...
2 Frey, Ulrich (2010b) Welche Rolle spielte die Friedensbewegung für den Fall der Mauer 1989 und das Ende der Blockkonfrontation? http://www.frieden-schaffen.de/fix/dokumente/Welche%20Rolle%20spielte%20... [21.3.2013]
3 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/36401/umfrage/anzahl-der-... Die USA selbst gaben die Zahl im Oktober 2021 mit lediglich 3.750 Sprengköpfen an, plus 2.000 „ausgemusterten“, siehe https://www.tagesschau.de/ausland/atomsprengkoepfe-usa-101.html