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Rezension
Kirche unter den Soldaten
vonWaffensegnende Geistliche gibt es heute nicht mehr. Wohl aber über 300 Seelsorger der Katholischen und Evangelischen Kirche, die als Bundesbeamte auf Zeit den Waffendienst rechtfertigen. Die Ev. Militärseelsorge ist durch den anstehenden Zusammenschluß der Ev. Kirchen in Ost- und Westdeutschland wieder in die Diskussion gekommen.
Obwohl christliche Friedensgruppen Mitte der achtziger Jahre die Militärseelsorge (MS) heftig kritisiert hatten, fand eine Reform damals keine Mehrheit. Kritisiert wurde die MS wegen ihrer staatlichen Einbindung, der Nichtaufnahme der in der Gesamtkirche erarbeiteten Abschreckungskritik und der mangelnden Kritikfähigkeit gegenüber dem Militär. Ähnliche Kritik kommt heute aus dem Bund der Ev. Kirchen der ehemaligen DDR. Er hat auf seiner Synode im September d.J. in Leipzig beschlossen, den Militärseelsorgevertrag aus dem Jahre 1957 für das Gebiet seiner Landeskirchen nicht zu Übernehmen.
Der Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit der Ev. Kirche in Deutschland (EKD) regelt die Grundlagen der Seelsorge für Soldaten: da· die Geistlichen Bundesbeamte auf Zeit werden, da· für sie eine eigene dienstrechtliche Hierarchie geschaffen wird mit dem Ev. Kirchenamt für die Bundeswehr an der Spitze, da· der Staat alle Kosten der MS Übernimmt und anderes mehr. über die Entstehung, Entwicklung und Probleme der Ev. Militärseelsorge gibt es wenig brauchbare, kritische Publikationen.
Diese Lücke hat jetzt Jens Müller-Kent mit seiner Dissertation geschlossen, die als Buch unter dem Titel "Militärseelsorge im Spannungsfeld zwischen kirchlichem Auftrag und militärischer Einbindung" erschienen ist. (Band 1 der Hamburger Theologischen Studien im Verlag Steinmann & Steinmann, 456 Seiten, 56,- DM.) Sein Werk bekommt deshalb aktuelle Brisanz, weil Kritikern aus dem Kirchenbund von westlichen Befürwortern regelmäßig vorgeworfen wird, die Praxis der MS unzureichend zu kennen. Müller-Kent hat für die Arbeit gründliche Archivstudien betrieben und Gespräche mit Betroffenen und Beteiligten geführt, darunter auch ehemalige Militärpfarrer.
Bezugnehmend auf die Barmer Theologische Erklärung von 1934, in deren Tradition sich die EKD gestellt hat, kommt Müller-Kent zu der Schlußfolgerung: "Die Regelungen des Militärseelsorgevertrages, insbesondere die Schaffung des Evangelischen Kirchenamtes für die Bundeswehr und der staatliche Beamtenstatus der Militärpfarrer, die zahlreichen formellen und informellen Bindungen der Geistlichen an das Militär sowie die damit einhergehende Instrumentalisierung der Religion für militärische Zwecke sind Indizien der Gefangenschaft der Kirche in den 'gottlosen Bindungen dieser Welt'." Ähnliche, durch Müller-Kent ausführlich belegte Bedenken kommen aus dem Kirchenbund-Ost.
Die jüngste Synode der EKD im November in Travemünde hat beschlossen, daß es vorläufig in den alten und neuen Bundesländern unterschiedliche Regelungen der MS geben soll. In drei Jahren soll es dann eine Überprüfung des Militärseelsorgevertrages geben. Angestrebt wird dann eine einheitliche Regelung der MS in der ganzen Bundesrepublik. Unverkennbar ist, daß führende EKD-Vertreter - allen voran der Militärbischof Binder - den Vertrag möglichst unverändert erhalten wollen. Dennoch haben Reformbemühungen Erfolgschancen wie noch nie. Für eine kritische Auseinandersetzung mit der MS hat Müller-Kent eine übersichtlich gegliederte, faktenreiche und verständliche Grundlage geliefert. Sein Werk ist deshalb für friedenspolitisch engagierte Christen eine Fundgrube. Wie der Streit um die MS ausgeht, ist wegen der ideologischen Rechtfertigung von Armee und Soldatendienst durch die Kirche für alle Friedensbewegte von Bedeutung. Deshalb lohnt es sich auch für Nicht-Christen, das Buch aufmerksam zu lesen.