...und viele gehen hin. Dann sollten die unbedingt von uns ausgebildet sein, oder?

Stellt Euch vor, es ist Krieg ...

von Heinz Wagner
Schwerpunkt
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Wahrscheinlich haben Sie schon von den Ideen gehört, in Kriegsge­biete, z.B. nach Bosnien-Herzegovina, gewaltfreie Einsatzgruppen statt Soldaten zu schicken. Eine schöne Idee, werden die meisten vermutlich geseufzt haben, um sie dann schnell wieder zu vergessen. Denn wie soll so etwas realisierbar sein angesichts der heutigen militärischen Renaissance? Wer soll von wem mit welchem Ziel geschickt werden? Fragen und Ratlosigkeit. Meist endet das Nachdenken an diesem Punkt. Eine solche Perspektive ist nicht nur neu und ungewohnt. Wir trauen ihr auch nicht viel politische Überzeugungskraft zu.

Doch vielleicht hat sich die Situation bereits grundlegend geändert. Es wird weitergedacht und diskutiert. Konzepte für gewaltfreie Friedensdienste entste­hen zurzeit an vielen Orten und unab­hängig voneinander. In Schweden ent­wickelt man einen 'Global Peace Ser­vice'. In den europäischen Kirchen ist von 'Schalom-Diensten' die Rede und die kirchlichen Basisgruppen in der BRD arbeiten an einer Initiative 'Öku­menischer Dienst im Konzilaren Prozess'. Zudem gibt es die klassischen Friedens- und Versöhnungsdienste im Ausland, (Aktion Sühnezeichen u.a.), und kleine, aber verdienstvolle Initiati­ven aus der Friedensbewegung, wie die 'Peace Brigades International'.

Alle diese Initiativen leisten wichtige Beiträge für die Entwicklung einer Zi­vilen Gesellschaft und einer Kultur der Gewaltfreiheit. Aber reichen sie schon aus, um eine Antwort auf die oben ge­stellten Fragen zu geben? Sind dies schon die Friedensdienste, die den Auf­bau politikfähiger Alternativen zum Militär bedeuten? Die überhaupt erst gewaltfreie Handlungsoptionen in Kon­flikten eröffnen, angesichts einer bisher konkurrenzlosen, überentwickelten mi­litärischen Option?

Erfahrungen nutzen

Es scheint, daß ein weitergehender An­satz notwendig ist, der speziell die Ent­wicklung von gewaltfreien Mitteln zur Krisenintervention zum Ziel hat. Dabei können Kirchen und Friedensbewegung auf wichtige Erfahrungen in Friedens­diensten, Gewaltfreien Aktionen, ja so­gar Kriseneinsätzen zurückgreifen. Bei­spiele:

*     Vor dem 2.Golfkrieg fanden sich 300 Menschen aus vielen Ländern spon­tan zum Gulf-Peace-Team zusam­men. Sie versuchten, durch eine 'lebende Mauer' zwischen den Fron­ten den Krieg zu verhindern. Wir wissen, daß 300 Menschen nicht aus­reichten, um die Kriegsmaschinerie zu stoppen. Was aber wäre gewesen, wenn es 3000 oder gar 300.000 ge­wesen wären?

*     Die am 11.Januar 1990 vom litau­ischen Parlament verkündete Unab­hängigkeit wird von der Sowjetunion nicht anerkannt. Eine militärische Intervention droht. Kurz nach Mitter­nacht des 13.Januar stürmen sowjeti­sche Soldaten die Rundfunk- und Fernsehstation in Vilnius, der zweit­größten Stadt Litauens. Hunderttau­sende von Bürgern haben die Station schützend umringt. Soldaten schießen in die wehrlose Menge und überrol­len mit ihren Panzern unbewaffnete Demonstranten. Es gibt Tote und Verletzte, die Litauer müssen aufge­ben. Dennoch versammeln sich in der nächsten Nacht erneut 150.000 Men­schen, nunmehr vor dem Parlament. Diesmal ist der gewaltfreie Wider­stand erfolgreich: Die Panzer ziehen ab. Das Parlament kann weiterhin in seinem Gebäude arbeiten, der Präsi­dent bleibt unverletzt. In der Folge weigern sich mehr als 90% aller Wehrpflichtigen, den Wehrdienst in der sowjetischen Armee zu leisten.

*     Am 20.Januar 1993 kehrten die er­sten guatemaltekischen Flüchtlinge aus Mexiko in ihre Heimat zurück. Mit gewaltsamen Übergriffen und er­neuten Verschleppungen seitens der Todesschwadronen mußte gerechnet werden. 2880 Menschen wurden auf dem Transport von 75 internationalen BeobachterInnen begleitet. Es waren Frauen und Männer aus Europa und Amerika, die sich freiwillig zu die­sem Dienst gemeldet und sich einer speziellen Ausbildung unterzogen hatten. Durch ihre Anwesenheit konnten sie sicherstellen, daß die Flüchtlingsbusse die Zielorte auch tatsächlich erreichten.

Die Beispiele zeigen, um was es geht und wie groß die  Herausforderung ist. Weder die Kirchen noch die Friedens­bewegung haben einen Milliardenappa­rat zur Verfügung. Anders als beim Mi­litär forschen, entwickeln, üben und funktionieren für die Idee gewaltfreier Friedenssicherung nicht Hunderttau­sende von Menschen. Auf diese Auf­gabe sind wir bislang nur unzureichend vorbereitet. Es fehlen Strukturen und In­stitutionen, die diesen Impulsen zu einer breiten Wirksamkeit verhelfen können. Es fehlt Geld und es fehlen Rahmenge­setze.

Neue Perspektive: Ein Ziviler
Friedensdienst (ZFD)

Aber die Zeit für eine Idee ist gekom­men, und die Idee zieht Kreise. Im Ok­tober 91 beschließt die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (EKiBB) "einen kräftigen Anstoß" (Bischof Kruse) für einen Zi­vilen Friedensdienst zu geben. Im Frühjahr 1992 werden Friedensbewe­gung und Gemeinden von Bischof Kruse gebeten, zu einem ersten Entwurf Stellung zu nehmen. Mehr als 40 Briefe gehen daraufhin ein, auch von 'Ohne Rüstung leben', 'Internationalem Ver­söhnungsbund'  und Pax Christi. (Einige Stellungnahmen sind dokumentiert in: Gewaltfreie Aktion Nr.93/94) Die Auf­arbeitung der Reaktionen führt am 23.10.92 zu einem Beschluß der Kir­chenleitung, der von der Landessynode, mit der Bitte um beschleunigte Ent­wicklung des ZFD, zustimmend aufge­nommen wird. Der 'Bund für Soziale Verteidigung' entwickelt in einer Ar­beitsgruppe konkrete Vorschläge für die Ausgestaltung des Dienstes und sucht das Gespräch mit der EKiBB. Es findet am 26.März 93 mit VertreterInnen des BSV, des Versöhnungsbundes, den Quäkern und Pax Christi statt. Die Frie­densgruppen legen eine umfangreiche Expertise zum gegenwärtigen Diskussi­onsstand vor. Vorschläge für die Wei­terentwicklung des Konzeptes werden zusammengetragen. Die Kirchenleitung sieht die Notwendigkeit, das Konzept nun offensiv in der Öffentlichkeit zu vertreten. Die Entwicklung einer Geset­zesinitiative und die Planung eines Pi­lotprojektes kommen in den Blick. Kir­chenleitung und Friedensgruppen verab­reden, im Gespräch zu bleiben.

Bausteine eines Zivilen Friedens­dienstes

Wie könnte nach der bisherigen Diskus­sion ein solcher Ziviler Friedensdienst konkret aussehen, organisiert werden? Wesentliche Elemente und strittige Fra­gen sollen kurz vorgestellt werden.

Zielperspektive: Es soll ein Dienst ent­wickelt werden, der an Stelle von be­waffneten Einsätzen Frieden stiften und Bedrohten helfen soll. Im Umfang sollte er in der Breitenwirkung einer her­kömmlichen Armee von Berufssoldaten, Wehrpflichtigen und Reservisten ver­gleichbar sein. Ein solcher Dienst schließt auch gefahrvolle Einsätze ein.

Voraussetzungen: Die Teilnahme ist freiwillig. Männer und Frauen jeden Alters können sich beteiligen. Berufli­che Qualifikationen und Lebenserfah­rung sind angesichts der schweren Auf­gabe wertvoll. In einer zweiten Phase sollen auch Wehrpflichtige beteiligt werden. Vorausgesetzt wird, daß diese sich ohne formales KDV-Verfahren für den ZFD entscheiden können und nicht zum Wehr- oder Ersatzdienst herange­zogen werden. Eine breite Unterstüt­zung in gesellschaftlich wichtigen Gruppen (Kirchen, Gewerkschaften z.B.) ist für den Aufbau des ZFD not­wendig. Erforderlich ist daher eine Al­phabetisierung der Bevölkerung in ge­waltfreier Konfliktaustragung. Darüber­hinaus sind gesetzliche Rahmenregelun­gen unverzichtbar.

Organisation: In einer Pilotphase sollen kleinere Gruppen mit einem Kern von hauptamtlichen Männern und Frauen eingesetzt werden. Sie sollen aus Frei­willigen ("Einjährige" und sich länger Verpflichtende) bestehen. Später sollen Wehrpflichtige hinzukommen. Für die Teilnehmer besteht nach der Ausbildung eine Verpflichtung zu Fortbildungskur­sen und Einsätzen.

Ausbildung: Theoretische und psycho­logische Arbeit an den Grundfragen der Gewaltfreiheit gehören ebenso zur Aus­bildung, wie das Einüben praktischer Methoden der Gewaltfreien Aktion und Sozialen Verteidigung. In Konflikts­zenarien und Planspielen werden die TeilnehmerInnen auf die Extremsitua­tion der direkten Konfrontation mit Ge­walttätern vorbereitet. Die Ausbildung soll zu vielfältigen Einsätzen befähigen, 'Dienstpflichtige' und 'Einjährigen' wer­den in der Regel für Inlandseinsätze ausgebildet.

Einsätze: Abwehr von Gewaltbedrohun­gen im Alltag, z.B. Schutz von Flücht­lingen oder Asylantenwohnheimen, soll ebenso Aufgabe sein wie Soziale Ver­teidigung in Putschsituationen. Aus­landseinsätze werden für Krisengebiete geplant, in denen mit bewaffneten Zu­sammenstößen und Terroranschlägen (z.B. gegen Bürgerrechtsorganisationen) zu rechnen ist.

Kann ein staatlicher Dienst über­haupt gewaltfrei sein?

In dieser Frage gibt es die größten Dif­ferenzen zwischen Friedensgruppen und der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Soll der Dienst eine staat­liche Einrichtung werden, sollen Freie Träger die Dienste organisieren oder kann es ein Nebeneinander von staatli­cher und freier Trägerschaft geben?  Welcher politischen Instanz soll der ZFD unterstellt werden? Welche Rolle können die Kirchen dabei übernehmen?

Um es klar zu sagen, die Friedensorga­nisationen halten die Einrichtung Ge­waltfreier Einsatzgruppen für eine Auf­gabe, die sich nicht an Staaten delegie­ren läßt. Sie glauben, daß gemeinsames gewaltfreies Handeln nur möglich ist im Rahmen von Gruppen oder Organisatio­nen, die selber gewaltfrei organisiert sind. Staaten dagegen sind hierarchisch aufgebaut und wenden in vielen Berei­chen Gewalt an. Staatliche Zwangs­dienste werden nicht unterstützt, gefor­dert wird, ähnlich wie im Sozialbereich, Subsidiarität auch in der Sicherheitspo­litik! Freie Träger, wie zum Beispiel die Organisationen der Friedensbewegung, sollen in die Lage versetzt werden, den Zivilen Friedensdienst aufzubauen.

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