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...und viele gehen hin. Dann sollten die unbedingt von uns ausgebildet sein, oder?
Stellt Euch vor, es ist Krieg ...
vonWahrscheinlich haben Sie schon von den Ideen gehört, in Kriegsgebiete, z.B. nach Bosnien-Herzegovina, gewaltfreie Einsatzgruppen statt Soldaten zu schicken. Eine schöne Idee, werden die meisten vermutlich geseufzt haben, um sie dann schnell wieder zu vergessen. Denn wie soll so etwas realisierbar sein angesichts der heutigen militärischen Renaissance? Wer soll von wem mit welchem Ziel geschickt werden? Fragen und Ratlosigkeit. Meist endet das Nachdenken an diesem Punkt. Eine solche Perspektive ist nicht nur neu und ungewohnt. Wir trauen ihr auch nicht viel politische Überzeugungskraft zu.
Doch vielleicht hat sich die Situation bereits grundlegend geändert. Es wird weitergedacht und diskutiert. Konzepte für gewaltfreie Friedensdienste entstehen zurzeit an vielen Orten und unabhängig voneinander. In Schweden entwickelt man einen 'Global Peace Service'. In den europäischen Kirchen ist von 'Schalom-Diensten' die Rede und die kirchlichen Basisgruppen in der BRD arbeiten an einer Initiative 'Ökumenischer Dienst im Konzilaren Prozess'. Zudem gibt es die klassischen Friedens- und Versöhnungsdienste im Ausland, (Aktion Sühnezeichen u.a.), und kleine, aber verdienstvolle Initiativen aus der Friedensbewegung, wie die 'Peace Brigades International'.
Alle diese Initiativen leisten wichtige Beiträge für die Entwicklung einer Zivilen Gesellschaft und einer Kultur der Gewaltfreiheit. Aber reichen sie schon aus, um eine Antwort auf die oben gestellten Fragen zu geben? Sind dies schon die Friedensdienste, die den Aufbau politikfähiger Alternativen zum Militär bedeuten? Die überhaupt erst gewaltfreie Handlungsoptionen in Konflikten eröffnen, angesichts einer bisher konkurrenzlosen, überentwickelten militärischen Option?
Erfahrungen nutzen
Es scheint, daß ein weitergehender Ansatz notwendig ist, der speziell die Entwicklung von gewaltfreien Mitteln zur Krisenintervention zum Ziel hat. Dabei können Kirchen und Friedensbewegung auf wichtige Erfahrungen in Friedensdiensten, Gewaltfreien Aktionen, ja sogar Kriseneinsätzen zurückgreifen. Beispiele:
* Vor dem 2.Golfkrieg fanden sich 300 Menschen aus vielen Ländern spontan zum Gulf-Peace-Team zusammen. Sie versuchten, durch eine 'lebende Mauer' zwischen den Fronten den Krieg zu verhindern. Wir wissen, daß 300 Menschen nicht ausreichten, um die Kriegsmaschinerie zu stoppen. Was aber wäre gewesen, wenn es 3000 oder gar 300.000 gewesen wären?
* Die am 11.Januar 1990 vom litauischen Parlament verkündete Unabhängigkeit wird von der Sowjetunion nicht anerkannt. Eine militärische Intervention droht. Kurz nach Mitternacht des 13.Januar stürmen sowjetische Soldaten die Rundfunk- und Fernsehstation in Vilnius, der zweitgrößten Stadt Litauens. Hunderttausende von Bürgern haben die Station schützend umringt. Soldaten schießen in die wehrlose Menge und überrollen mit ihren Panzern unbewaffnete Demonstranten. Es gibt Tote und Verletzte, die Litauer müssen aufgeben. Dennoch versammeln sich in der nächsten Nacht erneut 150.000 Menschen, nunmehr vor dem Parlament. Diesmal ist der gewaltfreie Widerstand erfolgreich: Die Panzer ziehen ab. Das Parlament kann weiterhin in seinem Gebäude arbeiten, der Präsident bleibt unverletzt. In der Folge weigern sich mehr als 90% aller Wehrpflichtigen, den Wehrdienst in der sowjetischen Armee zu leisten.
* Am 20.Januar 1993 kehrten die ersten guatemaltekischen Flüchtlinge aus Mexiko in ihre Heimat zurück. Mit gewaltsamen Übergriffen und erneuten Verschleppungen seitens der Todesschwadronen mußte gerechnet werden. 2880 Menschen wurden auf dem Transport von 75 internationalen BeobachterInnen begleitet. Es waren Frauen und Männer aus Europa und Amerika, die sich freiwillig zu diesem Dienst gemeldet und sich einer speziellen Ausbildung unterzogen hatten. Durch ihre Anwesenheit konnten sie sicherstellen, daß die Flüchtlingsbusse die Zielorte auch tatsächlich erreichten.
Die Beispiele zeigen, um was es geht und wie groß die Herausforderung ist. Weder die Kirchen noch die Friedensbewegung haben einen Milliardenapparat zur Verfügung. Anders als beim Militär forschen, entwickeln, üben und funktionieren für die Idee gewaltfreier Friedenssicherung nicht Hunderttausende von Menschen. Auf diese Aufgabe sind wir bislang nur unzureichend vorbereitet. Es fehlen Strukturen und Institutionen, die diesen Impulsen zu einer breiten Wirksamkeit verhelfen können. Es fehlt Geld und es fehlen Rahmengesetze.
Neue Perspektive: Ein Ziviler
Friedensdienst (ZFD)
Aber die Zeit für eine Idee ist gekommen, und die Idee zieht Kreise. Im Oktober 91 beschließt die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (EKiBB) "einen kräftigen Anstoß" (Bischof Kruse) für einen Zivilen Friedensdienst zu geben. Im Frühjahr 1992 werden Friedensbewegung und Gemeinden von Bischof Kruse gebeten, zu einem ersten Entwurf Stellung zu nehmen. Mehr als 40 Briefe gehen daraufhin ein, auch von 'Ohne Rüstung leben', 'Internationalem Versöhnungsbund' und Pax Christi. (Einige Stellungnahmen sind dokumentiert in: Gewaltfreie Aktion Nr.93/94) Die Aufarbeitung der Reaktionen führt am 23.10.92 zu einem Beschluß der Kirchenleitung, der von der Landessynode, mit der Bitte um beschleunigte Entwicklung des ZFD, zustimmend aufgenommen wird. Der 'Bund für Soziale Verteidigung' entwickelt in einer Arbeitsgruppe konkrete Vorschläge für die Ausgestaltung des Dienstes und sucht das Gespräch mit der EKiBB. Es findet am 26.März 93 mit VertreterInnen des BSV, des Versöhnungsbundes, den Quäkern und Pax Christi statt. Die Friedensgruppen legen eine umfangreiche Expertise zum gegenwärtigen Diskussionsstand vor. Vorschläge für die Weiterentwicklung des Konzeptes werden zusammengetragen. Die Kirchenleitung sieht die Notwendigkeit, das Konzept nun offensiv in der Öffentlichkeit zu vertreten. Die Entwicklung einer Gesetzesinitiative und die Planung eines Pilotprojektes kommen in den Blick. Kirchenleitung und Friedensgruppen verabreden, im Gespräch zu bleiben.
Bausteine eines Zivilen Friedensdienstes
Wie könnte nach der bisherigen Diskussion ein solcher Ziviler Friedensdienst konkret aussehen, organisiert werden? Wesentliche Elemente und strittige Fragen sollen kurz vorgestellt werden.
Zielperspektive: Es soll ein Dienst entwickelt werden, der an Stelle von bewaffneten Einsätzen Frieden stiften und Bedrohten helfen soll. Im Umfang sollte er in der Breitenwirkung einer herkömmlichen Armee von Berufssoldaten, Wehrpflichtigen und Reservisten vergleichbar sein. Ein solcher Dienst schließt auch gefahrvolle Einsätze ein.
Voraussetzungen: Die Teilnahme ist freiwillig. Männer und Frauen jeden Alters können sich beteiligen. Berufliche Qualifikationen und Lebenserfahrung sind angesichts der schweren Aufgabe wertvoll. In einer zweiten Phase sollen auch Wehrpflichtige beteiligt werden. Vorausgesetzt wird, daß diese sich ohne formales KDV-Verfahren für den ZFD entscheiden können und nicht zum Wehr- oder Ersatzdienst herangezogen werden. Eine breite Unterstützung in gesellschaftlich wichtigen Gruppen (Kirchen, Gewerkschaften z.B.) ist für den Aufbau des ZFD notwendig. Erforderlich ist daher eine Alphabetisierung der Bevölkerung in gewaltfreier Konfliktaustragung. Darüberhinaus sind gesetzliche Rahmenregelungen unverzichtbar.
Organisation: In einer Pilotphase sollen kleinere Gruppen mit einem Kern von hauptamtlichen Männern und Frauen eingesetzt werden. Sie sollen aus Freiwilligen ("Einjährige" und sich länger Verpflichtende) bestehen. Später sollen Wehrpflichtige hinzukommen. Für die Teilnehmer besteht nach der Ausbildung eine Verpflichtung zu Fortbildungskursen und Einsätzen.
Ausbildung: Theoretische und psychologische Arbeit an den Grundfragen der Gewaltfreiheit gehören ebenso zur Ausbildung, wie das Einüben praktischer Methoden der Gewaltfreien Aktion und Sozialen Verteidigung. In Konfliktszenarien und Planspielen werden die TeilnehmerInnen auf die Extremsituation der direkten Konfrontation mit Gewalttätern vorbereitet. Die Ausbildung soll zu vielfältigen Einsätzen befähigen, 'Dienstpflichtige' und 'Einjährigen' werden in der Regel für Inlandseinsätze ausgebildet.
Einsätze: Abwehr von Gewaltbedrohungen im Alltag, z.B. Schutz von Flüchtlingen oder Asylantenwohnheimen, soll ebenso Aufgabe sein wie Soziale Verteidigung in Putschsituationen. Auslandseinsätze werden für Krisengebiete geplant, in denen mit bewaffneten Zusammenstößen und Terroranschlägen (z.B. gegen Bürgerrechtsorganisationen) zu rechnen ist.
Kann ein staatlicher Dienst überhaupt gewaltfrei sein?
In dieser Frage gibt es die größten Differenzen zwischen Friedensgruppen und der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Soll der Dienst eine staatliche Einrichtung werden, sollen Freie Träger die Dienste organisieren oder kann es ein Nebeneinander von staatlicher und freier Trägerschaft geben? Welcher politischen Instanz soll der ZFD unterstellt werden? Welche Rolle können die Kirchen dabei übernehmen?
Um es klar zu sagen, die Friedensorganisationen halten die Einrichtung Gewaltfreier Einsatzgruppen für eine Aufgabe, die sich nicht an Staaten delegieren läßt. Sie glauben, daß gemeinsames gewaltfreies Handeln nur möglich ist im Rahmen von Gruppen oder Organisationen, die selber gewaltfrei organisiert sind. Staaten dagegen sind hierarchisch aufgebaut und wenden in vielen Bereichen Gewalt an. Staatliche Zwangsdienste werden nicht unterstützt, gefordert wird, ähnlich wie im Sozialbereich, Subsidiarität auch in der Sicherheitspolitik! Freie Träger, wie zum Beispiel die Organisationen der Friedensbewegung, sollen in die Lage versetzt werden, den Zivilen Friedensdienst aufzubauen.