Beitrag von Karl Grobe-Hagel (Dieser Beitrag wird (dann aktualisiert) im Friedensforum 5/2019 [September-Oktober] erscheinen.)

Zug um Zug haben sich die üblichen Verdächtigen in die Anklagefront gegen Iran einsortíert, nachdem im Juni im Golf von Oman zwei Tanker in Brand geraten waren. Zuerst verwies US-Außenminister Michael R. Pompeo auf geheimdienstliche Informationen, Dann wusste sein Präsident es genauer, aber eben nicht genau genug: Iran war schuld. Es folgte unvermeidlich dessen Berater, John Bolton, sodann der Außenminister des Noch-EU-Mitglieds Großbritannien, darauf der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. Beweise lieferten die Ankläger nicht. Nachdem die iranischen Revolutionsgarden eine US-Drohne - ein Hunderte Millionen teures Spionagegerät - abgeschossen hatten, sprangen auch die drei westeuropäischen Atomvertragspartner auf den amerikanischen Zug. Doch der verlangsamte unverhofft die Fahrt: Präsident Trump pfiff (nach eigenen Angaben) eine bereits angelaufene "Strafaktion" in letzter Minute ab. Damit war jedoch nichts für die Entspannung des Konflikts gewonnen.

Einhellig ist die Schuldzuweisung an Iran. Insgesamt kommen sie dem elenden Niveau jener Dia-Show nahe, die der damalige US-Außenminister Colin Powell  im März 2003 den Vereinten Nationen vorgelegt hat, um zu beweisen, dass Irak über Massenvernichtungswaffen verfüge. Das „Narrativ“, das sein Ansehen und das der USA tief erschüttert hat, wurde später zurückgenommen, der Krieg und die Vernichtung des Staates Irak nicht.

Die mögliche Verlogenheit der Anklagen ändert nichts an der Tatsache, dass die USA und ihre regionalen Partner einerseits und Iran andererseits in immer schärfere Konfrontation geraten sind. Um das Atom-Abkommen geht es längst nicht mehr, übrigens hat die zu gründlicher Überwachung befugte internationale Atombehörde IAEO  keine iranischen Verstöße gefunden. Lediglich die USA haben den Vertrag verletzt, indem sie willkürlich und einseitig aufkündigten.

Das war das Vorspiel. Der Abschuss einer „Global Hawk“-Drohne am 20. Juni durch iranische Revolutionsgarden hob die Kriegsgefahr eine Stufe höher, gleich ob die Spionagemaschine über iranischem Festland oder Seegebiet oder auch über internationalem Gewässer getroffen wurde. Spionierende (wahrscheinlich über die US-Basis in Ramstein gelenkte) Drohnen sind über iranischem Territorium seit langem unterwegs.

Auf einen bewaffneten Konflikt zwischen den USA und einigen Vasallen einerseits und dem Iran andererseits deutet einiges hin. US-Präsident Donald Trump hat das Atomabkommen (JCPOA) nie respektiert, das die USA unter Barack Obama mit VertreterInnen der anderen vier ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder sowie Deutschland auf der einen und Iran auf der anderen Seite getroffen hatten. Das Abkommen verpflichtete u.a. Iran, auf jegliche nukleare Bewaffnung zu verzichten, legte Höchstgrenzen für die Erzeugung spaltbaren Materials fest, sicherte gründliche internationale Überwachung und versprach im Gegenzug die Aufhebung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen (Sanktionen) gegen Iran.

Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen: Die Hoffnung der iranischen Reformer (und Befürchtung der Hardliner), Kreditgeschäfte, Import, Export und Investitionen würden alsbald in Schwung kommen, trog. Denn die weitaus meisten Sanktionen sind einseitig von den USA verhängt worden und können nur Stück für Stück vom Congress zurückgenommen werden. Dafür bestand aber schon in den letzten beiden Amtsjahren Obamas keine Mehrheit. Und um die Sanktionen zurückzunehmen, die von den UN verhängt worden sind, muss der Sicherheitsrat zustimmen (und die fünf Großmächte insgesamt, wozu die USA unter Trump ganz gewiss nicht bereit sind). Vielmehr wurden die Sanktionen noch verschärft, um Iran ökonomisch zu strangulieren. Die Sanktionen sind Waffen in einem Wirtschaftskrieg der USA, und sie zwingen jeden anderen Staat in ein Blockade-Bündnis gegen Iran.

Doch gerade auf die Rücknahme der Handelsbeschränkungen hatten Irans Präsident Hassan Ruhani und die weltoffenere iranische Zivilgesellschaft gehofft. Aber eine informelle Koalition von schiitischen Fundamentalisten, Antidemokraten und Teilen der Revolutionsgarden (Pasdaran) lehnt freiere Wirtschaftsbeziehungen ab – aus ideologischen Gründen oder aus materiellem Interesse: Die Pasdaran haben sich über dem Umweg via religiöser Stiftungen die ökonomische Vorherrschaft verschafft. Die Stiftungen wiederum gingen auf Enteignungen privater Kapitalgruppen, darunter sehr vieler ausländischer Investoren aus der Schah-Zeit, zurück.

Je stärker die Sanktionen die iranische Wirtschaft schädigen und die Lebenshaltung der gesamten Bevölkerung beeinträchtigen, desto mehr verliert die im Rahmen der Mullah-Herrschaft gemäßigte Strömung (die „Reformer“) an Rückhalt. Das – und nicht die Einhaltung des Atomabkommens – ist ein Ziel der Trump-Regierung. Sie will „regime change“ in Teheran. Dem dienen ebenso die Militärmanöver, die Verlegung von Flugzeugträgern in den Golf, die Aufstockung der Truppenstärke, die – über Ramstein koordinierten – Einsätze von Spionagedrohnen.

Ein besonderes Kapitel ist die elektronische Kriegführung („Cyberwar“). Schon um 2012 schleusten die USA (und wohl auch Israel) den „Flame“-Virus in die Computernetze der zivilen Atomwirtschaft und die Erdöl-Fördertechnik Irans ein. Banken und Fahrpläne waren weitere Ziele. Die Wirkung solcher Hacker-Angriffe auf vernetzte Systeme (etwa Krankenhäuser, Stromnetze und Wasserkraftwerke) ist kaum auszumalen. Freilich, auf dieser Front kann auch Iran vernichtend zuschlagen.

Dem Regimewechsel in Teheran haben sich auch einige exiliranische Organisationen verschrieben. Unter diesen sind die Volksmujahedin (MEK) ein besonderer Fall. Die einstige marxistisch-islamische revolutionäre Studentenorganisation führte Terrorakte gegen die Regierung durch, schuf im französischen Exil eine Art Volksfront mit liberalen Exilpolitikern, mutierte dann zur streng zentralisierten und disziplinierten Kadertruppe. Von 2001 bis 2009 standen die MEK auf der Terrorliste der EU, von 1997 bis 2012 auf der des US-Außenministeriums. Gleichzeitig führten sie aber im Auftrag der CIA und mit Hilfe anderer Geheimdienste „verdeckte Operationen“ gegen Iran aus, so die Ermordung iranischer Nuklearwissenschaftler auf offener Straße in Teheran.

Dabei sind die USA nur der mächtigste, aber nicht der einzige „westliche“ Faktor der Eskalation. Iranische Minister fassen mit der Abkürzung BBB (für Benjamin Netanyahu, Mohammed Bin Salman und John Bolton) gern polemisch die drei Staaten Israel, Saudi-Arabien und USA zusammen. Der saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman ist nicht nur aus Teheraner Perspektive eine dubiose Figur der Zeitgeschichte. Er sucht sich als Modernisierer darzustellen, der sogar Frauen das Autofahren gestattet. Kraft der Verfügungsgewalt über reiche Erdölvorkommen, die außerdem auch mit geringem Aufwand zu fördern sind, tritt er als Kunstmäzen auf, kauft das Königshaus nicht ohne die nötige Korruption der zuständigen Verbände wie Fußballclubs und verschafft sich das Ansehen von Zeitgenossen, denen die Welt gehört. Mohammed Bin Salman ist andererseits offenbar der Drahtzieher politischer Morde, so im Fall des in Ankara umgebrachten Dschamal Kaschoggi (nicht seine persönliche Verantwortung für die Mordtat, aber die des von ihm geführten staatlichen Apparats gibt die Regierung zu).

Der Krieg im Jemen ist Mohammed Bin Salmans Werk. Es ist kein Krieg „der Schiiten – der Houthi – gegen die Sunniten“, in dem die Houthi von Iran unterstützt werden. Für eine Teheraner Einmischung gibt es kein belastbares Indiz, von politischen Kommentaren abgesehen. Die saudische, von Mohammed Bin Salman so gewollte Intervention ist ein Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung Nord-Jemens. Die Küsten Jemens werden von Kriegsschiffen blockiert, die von Deutschland geliefert wurden.

Saudi-Arabien gibt jährlich an die 14 Prozent des Brutto-Nationaleinkommens für Waffen aus. Es ist nach USA, China und Russland der viertgrößte Waffenkäufer weltweit. Das von der Großen Koalition angebahnte Panzer-Geschäft (270 Leopard-Panzer) kam zwar letztlich nicht zustande, doch blieb Saudi-Arabien einer der besten Kunden der deutschen Rüstungsindustrie. Zwischen dem 1. Januar und dem 5. Juni dieses Jahres erteilte die Bundesregierung für die am Jemen-Krieg beteiligten Staaten  122 Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 1,1 Milliarden Euro. Weil das Regime in Riad den Vernichtungskrieg in Jemen seit fast einem Jahrzehnt betreibt, ist der  Hinweis auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen (Peene-Werft) ein ebenso schwaches Argument wie die angebliche stabilisierende Rolle Saudi-Arabiens in der Region. Die Bewaffnung dieses Regimes ist so wenig zu rechtfertigen wie die Drohnen-Steuerung aus Ramstein. Deutschland ist Mittäter.

Das alles macht das iranische Regime nicht zur verfolgten Unschuld. Die Mittäterschaft der Quds-Brigaden an vielen kleinen Scharmützeln, großen Kommando-Aktionen und als terroristisch bezeichneten Aktionen in Syrien und Libanon  wird nicht nur von interessierten Diensten behauptet. Bagdad hat ärgere Einmischungen erlebt. Doch die schwerste Hypothek ist das Regime selbst. Der autoritäre Charakter des Mullah-Regimes lastet auf der Gesellschaft. Langjähriger Hausarrest gegen Politiker, die sich gesetzeskonform um Staatsämter beworben haben, die nur sehr langsam zurückgehende Präsenz der Denk- und Kleidungskontrolle durch die Bassij-Milizen, Zensur von Informationsmedien und künstlerischen Veranstaltungen aller Art – wenn auch nie vollkommen wirksam und von mutigen Personen umgangen – und die erschreckend hohe Zahl von Todesurteilen (meist gegen Drogenschmuggler, doch auch gegen Oppositionelle) sind kaum erträglich. Dass kein anderes Regime in der Nachbarschaft in dieser Hinsicht besser dasteht, ist weder eine beschönigende Ausrede noch ein Kriegsgrund.

Wenn es zutrifft, dass eine kleine Allianz ungleich mächtiger Staaten – oder eine kleine Schar radikaler Kriegstreiber unterhalb der obersten Führungsebene – diesen Krieg will, ist die Frage berechtigt, wer diesen Krieg verhindern kann. Auf die JCPOA-Mitunterzeichner China und Russland kann sich Teheran eher verlassen als auf die Europäer (Deutschland, Frankreich und Großbritannien). Mystisch anmutende Bündnistreue („westliche Werte“) ist nichts anderes als eine Deck-Bezeichnung für ökonomische Interessen, militärische und politische Abhängigkeit. Wenn diese überwunden werden, ist dauerhafter Frieden möglich.

 

Karl Grobe-Hagel ist Journalist und Historiker. Er war Außenpolitik-Redakteur der Frankfurter Rundschau. Er schrieb zum Thema: Irakistan. Der Krieg gegen den Irak und der "Kreuzzug" der USA. Köln (isp) 2003.

 

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