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vom:
Oktober 2001


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Sudan:

"Es ist kein Religionskrieg" - Interview mit Gerhart Baum

ai-Journal

Anfang dieses Jahres wurde der Politiker Gerhart Baum, 69, zum UNO-Sonderberichterstatter für den Sudan ernannt. Im Gespräch mit dem ai-JOURNAL schildert der frühere Bundesinnenminister (1978-1982) und langjährige Leiter der deutschen Delegation bei der UNO-Menschenrechtskommission (1993-1998) seine Erfahrungen im und mit dem afrikanischen Land.


ai-JOURNAL: Im Frühjahr haben Sie dem ai-JOURNAL gesagt, die sudanesische Regierung sei kooperationsbereit und die Lage habe sich etwas gebessert. Sind Sie noch genauso optimistisch?

Gerhart Baum: Nein. Aber die Kooperationsbereitschaft dauert an. Ich stehe im ständigen Dialog und interveniere wegen einzelner Personen oder Ereignisse. Ich kann mich im Land frei bewegen und konnte - mit Ausnahmen der Gruppe Turabi - alle Menschen treffen, die ich sehen wollte. Es waren etwa 200 Personen.

Frage: Sie konnten auch in Gefängnisse?

Gerhart Baum: Ja, ich konnte auch mit politischen Gefangenen sprechen. Das ist Teil des Dialogs, den andere Sonderberichterstatter - wie meine Kollegen zu Kuba oder dem Irak - gar nicht führen können, weil sie nicht ins Land dürfen.

Frage: Ist die Kooperation ernsthaft oder eher taktischer Natur?

Gerhart Baum: Sie ist natürlich taktisch, aber sicher vermischt mit ernsthaften Elementen. Es gibt unterschiedliche Strömungen in Regierung und Gesellschaft. Ich treffe immer wieder Menschen, die erfreut sind, dass ich Menschenrechte im Sudan zum Thema mache und Folter beim Namen nenne.

Frage: Trotzdem ist Ihr Optimismus heute getrübt. Warum?

Gerhart Baum: Die Menschenrechtslage hat sich seit Ende des vergangenen Jahres verschlechtert. Der Sudan hatte 1998 und 1999 begonnen, einen Weg zu beschreiten, der Hoffnung machte. So gab es eine neue Verfassung und einen Verfassungsgerichtshof. Doch jetzt hat sich der Bürgerkrieg, unter dem die Zivilbevölkerung leidet, vor allem durch Angriffe der Rebellen noch einmal verschärft. Es gibt eine zunehmende Zahl von Entführungen von Frauen und Kindern vor allem durch Milizen der Regierung. Die Notstandsgesetzgebung wurde verlängert, die menschenrechtsfeindliche Gesetzgebung über die Haft ohne Kontakt zur Außenwelt ist nicht nur verlängert, sondern auch verschärft worden. Die Pressefreiheit ist eingeschränkt, die Opposition wird behindert. Die Sicherheitspolizei ist immer einflussreicher geworden. Sie hält sich oft nicht an die Verfassung und ist ein Staat im Staate. Für die Bürger entsteht die typische Situation, dass er nicht weiß, wenn es an der Tür klopft: Ist es jemand, der die Milch bringt oder ist es die Sicherheitspolizei, die dich festnimmt? Die Bevölkerung ist der Willkür dieser Sicherheitspolizei ausgesetzt.

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Frage: Sie schreiben gerade einen ausführlichen Bericht für die Vereinten Nationen. Mit welchem Tenor?

Gerhart Baum: Ich setze die Verschlechterung in Beziehung zu den Anfängen einer Verbesserung. So möchte ich diejenigen ermutigen, die mal auf einem anderen Weg waren und die Veränderungen wünschen. Diese Menschen brauche ich für meine Arbeit. Das Land muss von innen her die Kraft zur Veränderung aufbringen.

Frage: Gibt es denn eine Zivilgesellschaft oder Menschenrechtsgremien im Land, die gestärkt werden sollten?

Gerhart Baum: Es gibt sehr gute Journalisten im Land, eine reiche Zeitungslandschaft in Khartum und eine relative Pressefreiheit. Und es gibt Menschenrechtler, die unter nicht immer einfachen Bedingungen arbeiten. Diese Menschen versuche ich zu ermutigen und zu schützen und in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken. Außerdem habe ich die Einrichtung eines Menschenrechtsgremiums vorgeschlagen. Dieses würde zwar zunächst sicherlich von der Regierung besetzt, aber ich weiß aus anderen Teilen der Welt, dass solche Gremien oft eine Eigendynamik entwickeln.

Frage: Wie werden die Gefangenen behandelt?

Gerhart Baum: Ich habe Folter und Misshandlungen recherchiert. So sind die Bedingungen in der Einzelhaft extrem schlecht, auch wenn mir einige Häftlinge berichteten, dass vor meinem Besuch Verbesserungen vorgenommen wurden.

Frage: Bleibt das nach Ihrer Abreise so?

Gerhart Baum: Wahrscheinlich nicht. Ich habe angeregt, dass auch die westlichen Botschafter regelmäßige Besuche machen. Es gibt auch Gerichte, die Haftprüfungen angeordnet haben, wenn die Inhaftierten ohne Prozess und ohne Vorlage stichhaltiger Beweise lange hinter Gittern sind.

Frage: Ist öffentlicher Druck besser, oder bringen diplomatische Gespräche mehr für die Inhaftierten?

Gerhart Baum: Man muss selbstverständlich beides machen.

Frage: Wie reagieren die Behörden auf Ihre Arbeit? Ist die Kooperationsbereitschaft in Gefahr?

Gerhart Baum: Das muss ich in Kauf nehmen. Anfang Oktober werde ich das Land wieder bereisen: Khartum, die Ölfelder, aber auch den Süden.

Frage: Gibt es überhaupt Hoffnung für das Land, in dem seit über 40 Jahren fast ununterbrochen Bürgerkrieg herrscht?

Gerhart Baum: Ich meine schon. Wir müssen verhindern, dass es zu einem vergessenen Krieg wird. Die Welt fokussiert sich auf andere Konfliktherde, zum Beispiel den Nahen Osten, weil sie von dort täglich Berichte in den Medien sieht. Im Sudan sterben und leiden sehr viele Menschen. Die Welt scheint sich daran zu gewöhnen - das ist ein ganz gefährlicher Zustand.

Frage: In den westlichen Medien wird häufig vom Krieg des islamistischen Nordens gegen den christlichen Süden gesprochen. Trifft das die Realität?

Gerhart Baum: Das trifft die Realität überhaupt nicht. Der Krieg ist ein Machtkampf - im Norden wie im Süden. Es geht um Einfluss und um den Zugang zu Ressourcen. Die christliche Religion wird sicherlich immer wieder diskriminiert, und es gibt auch Bestrebungen zur Zwangsislamisierung. Aber es handelt sich nicht um einen Religionskrieg. Es gibt eine eindrucksvolle Stellungnahme der Comboni-Missionare, die im Süden des Landes agieren. Sie sagen: Die Religion wird missbraucht in diesem Konflikt, sie ist nicht die Ursache. Ein Problem ist, dass fundamentalistische christliche Gruppen in Amerika einen anderen Eindruck erwecken, mit viel Geld ihre Version des Religionskrieges verbreiten und damit den Frieden nicht fördern.

Frage: Es ist auffällig, dass dort, wo Öl gefördert wird, besonders häufig Übergriffe stattfinden.

Gerhart Baum: Es ist jetzt auch noch ein Krieg um Öl geworden. Bildhaft gesprochen: Das Öl ist Öl im Feuer des Krieges. Ich habe mit den Ölkonzernen gesprochen. Ich gestehe den Firmen zu, dass sie die negativen Auswirkungen nicht wollen und ihnen entgegenzuwirken versuchen. Aber sie können machen, was sie wollen: Sie sind Teil des Krieges.

Frage: Gibt es in den - sich gelegentlich auch untereinander bekämpfenden - Rebellengruppen so etwas wie ein Menschenrechtsbewusstsein?

Gerhart Baum: Nur in Ansätzen. Es sind militärisch organisierte Machtgruppierungen, die nach dem Motto agieren: Wer die Waffe hat, hat Recht. Und manchmal kämpft jeder gegen jeden. Vor allem aber vermisse ich, dass im Süden Ansätze zur Zivilgesellschaft weiter ausgebaut werden, zum Beispiel in den Regionen, in denen seit Jahren Frieden herrscht. Wer Autonomie will, wie der Süden, muss entsprechende Strukturen schaffen. Die Gesellschaft im Norden hat Gerichte, Presse, eine Verfassung, auch wenn diese unzureichend sind. Im Süden gibt es das nicht.

Frage: Ich stelle es mir frustrierend vor, zu einem Land zu arbeiten, in dem wohl nur übergroße Optimisten eine echte Friedensperspektive sehen.

Gerhart Baum: Ich fühle mich nicht frustriert. Ich möchte daran mitwirken, dass dieses wunderbare Land eine Chance bekommt. Vielleicht richtet das Öl jetzt mehr Aufmerksamkeit der Staatengemeinschaft auf den Sudan. Die USA hätten Einfluss auf den Norden und den Süden. Gemeinsam mit den Europäern und den Nachbarländern müssen sie ihn geltend machen. Denn aus eigener Kraft wird das Land nicht zum Frieden kommen.

aus: ai-Journal September 2001, S. 8-9


Interview: Harald Gesterkamp ist Redakteur des Mitgliedermagazins von amnesty international "ai-Journal"

E-Mail:   ai-de@amnesty.de
Internet: http://www.amnesty.de
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