Logo Friedenskooperative


Erstellt:
September 1998


 nächster
 Artikel

 siehe auch:

 FF 1/98 -
 Schwerpunkt
 Kurdistan


FriedensForum 5/1998


Kurdische Flüchtlinge zwischen Krieg und Abschiebung

Ekrem Yildiz

In den letzten Jahren hat sich der rechtliche und politische Druck der Bundesregierung und ihrer lokalen Behörden auf die kurdischen Flüchtlinge und ihren Familien verstärkt. Ungeachtet der gegenwärtigen Situation der Kurden in ihrer Heimatregion und im Westen der Türkei werden sie rücksichtslos abgeschoben. Verhaftungen und Folter der abgeschobenen Asylbewerber bei ihrer Ankunft in der Türkei bleiben ebenfalls unberücksichtigt. Anders umgegangen wird auch nicht mit den kurdischen Flüchtlingsfamilien, die z.T. seit vielen Jahren mit ihren hier geborenen Kindern in Deutschland leben und deren Asylantrag abgelehnt wurde. So sind viele kurdische Flüchtlinge gezwungen, in Kirchen Schutz zu suchen oder in die Illegalität abzutauchen.

Immer wieder wird von Kurden berichtet, aus welchen Gemeinden kurdische Familien abgeschoben wurden, welche von Abschiebung bedroht sind und in welchen Gemeinden eine Familie untergetaucht ist. Täglich schildern uns von Abschiebung bedrohte Familien ihre Angst, in einer Nacht oder im Morgengrauen von der Polizei abgeholt und zwangsweise in die Türkei abgeschoben zu werden, denn das ist die häufige Praxis.

Viele Bürger in der Bundesrepublik Deutschland nehmen nicht zur Kenntnis, was Kurden in der Türkei zur Flucht zwingt und was eine Abschiebung aus Deutschland für abgelehnte kurdische Flüchtlinge und Asylbewerber, insbesondere für Kinder und Familien bedeutet.

Fluchtursache: Krieg und politische Verfolgung

 zum AnfangIn der Kurdenregion führen die türkischen Sicherheitskräfte seit 14 Jahren gegen PKK-Guerillaeinheiten Krieg, mit dem Ziel, dem "Terrorismus" möglichst schnell ein Ende zu bereiten. Die Bevölkerung in den Dörfern, die in Verdacht steht, "Terroristen" logistische Unterstützung zu geben, wird aus ihren Dörfern vertrieben. Die verlassenen Dörfer werden zerstört. Auch einzelne Kurden, die politisch engagiert sind und in Verdacht stehen, "Terroristen" politisch zu unterstützen, werden verfolgt oder ermordet. In diesem mit aller Brutalität andauernden Krieg sind bis heute 35.000 Menschen, die meisten von ihnen Zivilisten, getötet und mehr als Zehntausend verletzt worden. Mehr als 3200 kurdische Dörfer wurden zerstört. Drei bis vier Millionen Kurden sind aus ihrer Heimat geflüchtet. Diese gezielte Verfolgungs- und Vertreibungspolitik der türkischen Regierungen, der Krieg zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK-Einheiten sind die Hauptursachen für die Flucht der Kurden aus ihrer angestammten Heimat in die benachbarten Orte der Region und in den Westen der Türkei. Da die Verfolgung bzw. der Konflikt sich in den Zufluchtsorten fortsetzt z.T. sogar zuspitzt und zusätzlich ihr Leben von Armut bedroht wird, ist die Flucht aus der Türkei in europäische Länder, darunter die Bundesrepublik Deutschland, die einzige Alternative.

Fluchtursache Armut

Seitdem der Krieg in Kurdistan das Leben bestimmt, ist die Wirtschaft in der Region zum größten Teil ruiniert. Neben der politischen Verfolgung hat die Armut in der Kurdenregion dramatisch zugenommen. In dem unterentwickelten und von der Industrialisierung ausgeschlossenen Kurdistan wurden viele Betriebe aus Sicherheitsgründen stillgelegt. In der Region finden kaum private und staatliche Investitionen statt. Die Landwirtschaft und Viehzucht, von der viele Kurden leben, kann auch aus Sicherheitsgründen nicht mehr betrieben werden. Die Bauern erhalten keine Erlaubnis, sich auf ihren Feldern und Weiden frei zu bewegen und ihre Subsistenswirtschaft zu betreiben. In einigen ländlichen Gebieten existierten Weideverbot, das dem nomadischen Leben ein Ende bereitete, indem ihnen die Arbeit und Lebensgrundlage entzogen wurde. In einigen Orten und Kreisstädten ist die Bewegungsfreiheit der Menschen eingeschränkt (u.a. Ausgangssperren). Ohne Sondergenehmigung wird den Menschen dort nicht erlaubt nach 17.00 Uhr ihre Häuser zu verlassen (Ein Beispiel hierfür ist die kurdische Stadt Lice, in der seit 1993 eine Ausgangssperre existiert).

Der größte Teil der Kurden, die ihre Region verlassen, fliehen in westtürkische Großstädte, wo sie bei oder durch Hilfe von Verwandten Unterkunft finden. Mit der Flucht der Kriegsflüchtlinge entstanden am Rand mehrerer türkischer Großstadt kurdische Stadtviertel. Die türkische Regierung und ihre lokalen Behörden betreiben für die geflohenen Kurden weder eine Flüchtlingspolitik noch eine Rückkehrförderungspolitik. In ihrer Situation allein gelassen sind die Flüchtlinge der Polizei- und den Sicherheitskräften überlassen.

 zum AnfangWie behandeln deutsche Gerichte und die Asyl- und Ausländerbehörden kurdische Flüchtlinge?

Die kurdische Gruppenzugehörigkeit und der Krieg in ihrer Region reichen nicht aus, um von den Gerichten als politisch Verfolgte oder Kriegsflüchtlinge anerkannt zu werden. Immer wieder fragen Richter nach dem persönlichen Schicksal und verlangen Verfolgungsbeweismaterial, das von den einzelnen Flüchtlingen dokumentiert und vorgelegt werden muß. In einem für die Richter glaubwürdigen Fall gehen die Gerichte dann von einer Binnenfluchtmöglichkeit innerhalb der Türkei aus. Die Richter lehnen aus diesem Grund eine Anerkennung ab. Gegenüber einer solchen Gerichtspraxis und Behandlung sind viele kurdische Flüchtlinge machtlos.

Heute hat kaum ein Kurde aus der Türkei noch die Chance, daß seine Asylgründe akzeptiert und der Asylantrag anerkannt wird. Die Anerkennungsquote liegt 1997 bei 13,5% ( 11% als Asylberechtigte, 2,38% Abschiebeschutz nach  51 des Ausländergesetzes).

Kirchenasyl als letzte Notalternative gegen eine sofortige Abschiebung durch Polizeigewalt

Die Zuflucht der von Abschiebung bedrohten kurdischen Flüchtlinge in Kirchen nimmt seit 1997 zu. Der Zweck der Asylsuche in der Kirche besteht darin, sich bzw. die Familie vor einer sofortigen Zwangsabschiebung zu schützen. Wann und wie ein Kirchenasyl zum Abschluß kommt, ist am Anfang nicht abzuschätzen. In den meisten Fällen wird von den betroffenen Flüchtlingen und Kirchenmitarbeitern viel Geduld abverlangt. In vielen Fällen findet das Kirchenasyl dadurch ein Ende, daß der Schutzraum Kirche nicht mehr von der Staatsgewalt geachtet wird und Flüchtlinge aus der Kirche mit polizeilicher Gewalt herausgeholt und in die Türkei abgeschoben werden.

Kirchenasyl wurde auch häufig abgebrochen, weil die Flüchtlinge keine Perspektive mehr darin sehen. Nur einigen Flüchtlingen gelingt es, während der Zeit des Kirchenasyls neue Beweismittel zu beschaffen, um einen neuen Asylantrag stellen zu können. "1997 fanden 334 Menschen Zuflucht in Kirchengemeinden und Klöstern, das sind 40 mehr als im Vorjahr. Die Zahl der neu eröffneten Kirchenasyle stieg von 43 auf 59. Vor einer Abschiebung bewahrt wurden 119 der Flüchtlinge" schreibt die Frankfurter Rundschau am 2. 3. 1998, unter Berufung auf einen Bericht der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) "Asyl in der Kirche".

Was passiert mit den kurdischen Flüchtlingen, die in die Türkei abgeschoben werden?

Fast jeder Kurde, der in der BRD Asyl beantragt hatte und von der Ausländerbehörde abgeschoben wird, wird bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in der Türkei festgehalten und verhört. In einem ersten Schritt wird versucht herauszufinden, ob abgeschobene Kurden in der Bundesrepublik mit kurdischen Aktivitäten bzw. kurdischen Organisationen in Kontakt standen. In einigen Fällen wird sogar im Heimatort nachgeforscht, ob etwas Verdächtiges gegen die Abgeschobenen vorliegt. Die Nachforschungen können über eine Woche dauern. Während dieser Zeit bleibt der Abgeschobene in türkischer Haft. Sobald sich herausstellt, daß der abgeschobene Kurde politisch aktiv war und Informationen über seine Aktivitäten im Ausland vorliegen, wird er zusammengeschlagen und gefoltert. Nach stundenlangen bis mehrtägigen Verhören und Mißhandlungen werden sie schließlich freigelassen. Von ihnen wird ein schnelles "Verschwinden" verlangt und daß sie nie wieder irgendwo auffällig werden.

 zum AnfangDie abgeschobenen Kurden, ob es sich um eine Familie handelt oder um einzelne Personen, kehren nicht in ihre ursprünglichen Heimatorte in der Kurdenregion zurück. Auf sie wartet dort keine Existenz und die dort herrschende Situation bietet ihnen keine Sicherheit und keinen Schutz. Für viele Flüchtlinge existieren die Heimatdörfer nicht mehr, sie sind vernichtet worden. Die Flüchtlinge müssen häufig in der Westtürkei bleiben, die für sie auch ein fremdes Land ohne Hoffnung darstellt. Sowohl von staatlicher Seite als auch von Seiten türkischer rechtsradikaler Gruppen werden Kurden in der Westtürkei angegriffen und Ziel rassistischer Propaganda.

In unterschiedlichen Gutachten, Stellungnahmen und Pressemeldungen wird von regelmäßigen Razzien, Festnahmen und sonstigen Übergriffen in den kurdischen Wohnvierteln und von staatlichen Stellen auf die kurdische Bevölkerung berichtet. Davon wird seit 1993 auch in der türkischen Presse berichtet.

Außerdem bedroht der zunehmende Nationalismus und die anti-kurdische Haltung unter der türkischen Bevölkerung die Kurden im Westen der Türkei. Im Vergleich zu früheren Jahren ist ein friedliches Zusammenleben gefährdet. Nicht selten erleben Kurden Angriffe auf ihre Geschäfte und Diskriminierungen bei der Wohnungs- und Arbeitsuche.

Wiederholt gab es in den letzten Jahren Demonstrationen und Übergriffe auf die kurdische Bevölkerung. In mehreren Orten und kleinen Städten der Westtürkei mobilisierten die Mitglieder und Sympathisanten der Nationalen Bewegungspartei (MHP) türkische Bewohner gegen die dort lebenden Kurden. Dabei wurden kurdische Läden und Geschäfte zerstört und geplündert. In Malkara, der Kreisstadt von Canakkale ging die türkische Bevölkerung auf die Straßen und forderte, daß die Kurden die Stadt verlassen sollten. Dabei wurden Parolen gerufen, wie: "Entweder liebst du die Türkei oder verschwindest". Die Häuser von Kurden wurden mit Farbe für jeden ersichtlich gekennzeichnet. Das erinnert an den Judenstern während des Nationalsozialismus in Deutschland.

Welche Alternativen bieten sich an, den kurdischen Flüchtlingen politisch und menschlich gerecht zu werden?

1) Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt die
   Türkei im Krieg gegen die Kurden. Durch ihre
   Waffenlieferungen und weitere Unterstützungen in
   Form von Geld und Material ist die Bundesregierung
   mitverantwortlich für die Kurdenflucht. Allein aus
   diesem Grund sollte die Bundesrepublik sich
   verpflichten, kurdische Flüchtlinge aufzunehmen,
   ihnen Asylrecht zu gewähren und sie in ihrem Land
   menschlich zu behandeln.

2) Die Bundesrepublik unterhält mit der Türkei gute
   wirtschaftliche und politische Beziehungen, die
   einflußreich sind. Sie könnte die Initiative
   ergreifen und Druck auf den Natopartner Türkei
   ausüben, um den Krieg zu beenden und die
   Kurdenfrage politisch zu lösen. Dies wäre ein
   richtiger und wichtiger Schritt, zu verhindern,
   daß weiterhin Menschen aus Kurdistan fliehen
   müssen. Gegenwärtig zwingt die Kurdenpolitik der
   Türkei die Menschen zur Flucht.

3) Die Bundesregierung sollte für die sich hier
   befindlichen kurdischen Flüchtlinge einen
   Abschiebestop verhängen und sich dafür einsetzen,
   daß verfolgte Kurden von den Gerichten als
   Asylberechtigte anerkannt werden.

 zum Anfang

Ekrem Yildiz ist kurdisch-türkischer Herkunft und lebt in Osnabrück
 zum Anfang

 nächster
 Artikel

Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) zum Thema

Türkei/Kurdistan:
Frieden für Türkei/Kurdistan
zu Günter Grass Friedenspreisrede
FF 1/98 - Lockerungsübung für Dialog
FF 1/98 - Aufhebung des PKK-Verbots
FF 1/98 - Türkei: Mehr Opfer als je zuvor
FF 1/98 - Kurden: Flüchtlingselend made in Germany
FF 1/98 - zum Schwerpunkt
Kurden flüchten
Attentat auf Akin Birdal
Türkei: Der Krieg...
Memorandum der Generäle