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Antikriegstag 2005

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Stichwortzwettel zur Veranstaltungen am Antikriegstag 2005 "Gräben zwischen Arm und Reich" in Ratingen.

Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf die Betroffenen:

Brigitte Jäger (in Ratingen)

hierzu möchte ich drei Problemkreise ansprechen, die sich nicht nur auf die Betroffenen sondern auf die gesamte Gesellschaft in der Bundesrepublik beziehen:

A) Medienpolitik:

Spätestens seit Beginn der Diskussionen um die sog. Hartz- Reformen ist mir eine Medienpolitik aufgefallen, die nach meiner Meinung nur als gezielte Desinformation bzw. Falschinformation bezeichnet werden kann.

Hierzu zwei Beispiele:



1.Umsetzung von Hartz IV zu Beginn des Jahres 2005: sicherlich erinnern Sie sich noch an die Berichte in den Medien, alle mit der gleichen Tendenz: es entstehen angeblich Mehrbelastung in Millionenhöhe, weil das Arbeitslosengeld II schon im Januar 2005 ausgezahlt werden soll. Der " Standpunkt " in WDR II war hier sehr eindeutig: " Wenn man die Tragweite der gesamten Hartz IV-Reform betrachtet, dann ging es gestern Abend um Lappalien. Der frühere Auszahlungstermin für das neue Arbeitslosengeld II bringt viele Langzeitarbeitslose nunmehr in die vergleichsweise angenehme Lage, dass der Staat ihnen gleich zweimal innerhalb weniger Tage Unterhalt überweist- Ende Dezember nach altem Recht und Anfang Januar noch einmal nach Hartz IV- in der Praxis also zwei Zahlungen für denselben Zeitraum" (Der Tag, Standpunkt von Lothar Lenz in WDR II am 12.August 2004)



Keine Erwähnung fand der wirkliche Skandal der sich hinter dieser Tatsache verbarg: die Bundesregierung hatte geplant, den Arbeitslosen nur für 11 Monate Unterstützungsleistung für das Jahr 2005 zu zahlen, also auf Kosten der ohnehin schon Armen nochmals Gelder einzusparen.



Hintergrund war die Umstellung der Zahlung von Arbeitslosenhilfe auf Arbeitslosengeld II (Alg.II) Arbeitslosenhilfe wurde immer am Ende des Monats für den vergangenen Monat gezahlt- also Ende Dezember 2004 für Dezember 2004, Alg.II wird aber- genauso wie Sozialhilfe am Anfang des Monats für den beginnenden Monat, also Anfang Januar 2005 für Januar 2005 gezahlt. In keinem einzigen Medium, das ich gelesen oder gehört habe, wurde diese geplante unsoziale Einsparung zulasten der Arbeitslosen auch nur erwähnt geschweige denn kritisiert. Ich bin mir recht sicher, dass ein ähnliches Ansinnen, z.B. den Rentnern/innen nur 11 mal Rente in 2005 zu zahlen zu massiven Protesten und Diskussionen in sämtlichen Medien geführt hätte.



2." Leben mit Hartz IV" in der ARD am 24.8.2005: in dieser Sendung wurden ausschließlich negative Beispiele gebracht von Arbeitslosen, die nicht arbeiten wollten und die Sozialsysteme missbrauchten. Nur in einer kleinen Randbemerkung wurde erwähnt, dass es auch ehrliche Arbeitslose gebe, die vergeblich nach einer Arbeitsstelle suchen würden, ein Interview mit dieser Personengruppe war aber nicht vorgesehen. Ganz offensichtlich war das Ziel dieser Sendung eine massive Verstärkung der Missbrauchsdebatte.


Hier sehe ich ein erhebliches Problem auf eine objektive Informationspolitik auf uns zukommen, wenn eine weitere Konzentration von Medien erfolgt- wie ja bereits beschlossen ist: hier wird einer Meinungsmanipulation Tür und Tor geöffnet- welchen Medien kann man noch trauen, wenn bereits jetzt die öffentlich -rechtlichen Anstalten nicht mehr ihrem Auftrag nach einer objektiven Berichterstattung nachkommen.

Und wie muss eine solche gezielte Informationspolitik auf die Betroffenen wirken, die ohne Differenzierung alle " über einen Kamm" als Menschen dargestellt werden, die auf Kosten der Allgemeinheit den Staat ausnutzen??

B: Leben unter den Bedingungen von Hartz IV

Mit der Einführung von Arbeitslosengeld II zum 1.1.2005 wurde eine bedarfsabhängige Sozialleistung für arbeitsfähige Menschen im Rahmen des SGB II eingeführt, das die bisherigen Leistungen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenfasst.

Ein erwachsener, erwerbsfähiger Mensch erhält in den alten Bundesländern 345, in den neuen Bundesländern 331 pro Monat, plus Übernahme der Miete für eine " angemessene Wohnung". Hierdurch wird die unterschiedliche Behandlung zwischen den alten und neuen Bundesländern weiter festschreibt, ohne sachliche Notwendigkeit. Die einzige plausible Erklärung für eine unterschiedliche Summe wäre die Miethöhe- diese ist jedoch nicht Bestandteil des Regelsatzes.

Grundlage für die Berechnung ist nicht das zuvor erzielte Einkommen, sondern eine Regelsatzpauschale. Diese Regelsatzpauschale basiert auf der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ( EVS ) aus dem Jahr 1998, anhand derer untersucht wurde, was in den unteren Einkommensschichten für den täglichen Bedarf ausgegeben wird.

Erstaunlicherweise kam bei diesen Berechnungen durch eine Arbeitsgruppe des BMGS exakt die Summe heraus, die zum 1. Juli 2003 als gültigen Regelsatz für die Sozialhilfe ausgerechnet worden war und den Summen, die bei den ersten Entwürfen zu Hartz IV benannt worden waren. Besonders erstaunlich fand der Paritätische Wohlfahrtsverband in seiner Studie: " Zum leben zu wenig" die Tatsache, dass im Juli 2003 bestimmte Kosten noch gar nicht vorhanden waren, wie z.B. die Zuzahlung von Medikamenten, die Praxisgebühr; dementsprechend hätte die Pauschale zum Alg.II höher ausfallen müssen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband kommt somit zu dem Urteil: " Die zusätzlichen Kosten, die durch das Gesundheitssystem in der veranschlagten Höhe von etwas über 6 Euro entstanden sind, wurden durch Kürzungen an anderer Stelle in voller Höhe kompensiert. Dieses Verfahren ist ganz offensichtlich weniger sachlichen und Bedarfsgesichtspunkten als einer ausgabeorientierten Perspektive geschuldet" " " Das sog. Statistikmodell zur Errechnung der Höhe des Regelsatzes in der Sozialhilfe oder beim Arbeitslosengeld II täuscht eine empirische Objektivität vor, wo es sich in Wirklichkeit im Wesentlichen um willkürliche Festlegungen handelt" ( Der Paritätische Wohlfahrtsverband: "zum Leben zu wenig...für eine offene Diskussion über das Existenzminimum beim Arbeitslosengeld II und in der Sozialhilfe"

ngeblich, laut verschiedener Rechtssprechungen, entspricht ein Leben mit 345 EUR im Monat den Anforderungen an ein menschenwürdiges Leben, und in einem Leserbrief vor ca. 3 Monaten schrieb eine Frau, dass sie nicht verstehen könnte, warum ein Alg.II- Bezieher mit dieser Summe nicht auskommen könne- sie habe für sich und ihre zwei Kinder auch nur ca. 300 im Monat für Lebensmittel und käme damit gut zurecht.

Auch hier zeigt sich wieder, dass es die Medien nicht geschafft haben, die wirklichen Tatsachen von Hartz IV korrekt zu vermitteln:

diese 345 monatlich für einen Alleinlebenden decken eben nicht nur die Lebensmittelkosten ab, hiermit müssen sämtliche anstehenden Kosten bestritten werden: hierzu eine kleine Übersicht:



von den 345 EUR müssen- rein theoretisch " da gesetzestechnisch vorgesehen- 50 EUR für Großanschaffungen zurückgelegt werden, da z. B. Reparaturen oder Neubeschaffung von defekten Elektrogeräten ( Wachmaschine, Herd, Kühlschrank..) nicht mehr wie bisher bezahlt/ bewilligt werden, sondern in den 345 berücksichtig sind. In Ausnahmefällen kann hierfür ein Darlehn bewilligt werden, dieses muss aber in monatlichen Raten ( bis zu 5% des Eckregelsatzes) zurückgezahlt werden und mindert die zur Verfügung stehende Summe: 295 könnten somit im Monat ausgegeben werden



davon abzuziehen sind Telefongebühren, Versicherungen- Haftpflicht, Hausrat, Unfall: ca. 50: 245 EUR - Restsumme



da aber auch Arbeitslose mobil sein müssen, um sich zu bewerben, eine Arbeit aufnehmen zu können, entstehen Fahrtkosten, oder Kosten für Benzin: ca. 25: 220 EUR - Rest ( bei der Umstellung von Sozialhilfe auf ALg.II war häufig in den Medien zu lesen, dass es nun die ehemaligen Sozialhilfeempfänger/innen besser als früher hätten, da ihnen nun der Besitz eines Autos zugestanden würde. Das ist richtig- nur in der Berechnungsgrundlage für Alg.II ist ein Posten für Benzinkosten, KFZ -Steuer usw. nicht vorgesehen)



ca. 7,50 pro Tag bleiben somit übrig, um sich zu ernähren, soziale Kontakte zu erhalten, Praxisgebühren, Medikamente zu bezahlen. Die Notwendigkeit einer neuen Brille, einer Zahnbehandlung kann dann rasch zu einer Katastrophe werden. Eine Tageszeitung, ein Friseurbesuch, Urlaub, ein Essen oder ein Kneipenbesuch mit Freunden werden zum unbezahlbaren Luxus.



Die Kolleginnen und Kollegen aus den Arbeitslosenberatungsstellen berichten, dass die Menschen, die zu ihnen kommen, zunehmend verzweifelt, mutlos hoffungslos sind, Depressionen nehmen massiv zu. Hinzukommt die Tatsache, dass viele Zuständigkeiten bei den Arbeitsgemeinschaften noch nicht geklärt, sind, die Arbeitslosen von einer Ansprechperson zur nächsten geschickt werden, teilweise unterschiedliche Auskünfte erhalten, die Leistungsbescheide zu einem hohen Prozentsatz falsch sind und die Menschen in "der Luft hängen" . Insbesondere bei der Frage der Mietübernahme ist die Situation absolut unübersichtlich, jede Arbeitsgemeinschaft, jede Optionskommune scheint nach eigenen Regelungen zu handeln. Teilweise werden Arbeitslose aufgefordert, sich eine kleinere, preiswertere Wohnung zu suchen, selbst wenn die tatsächliche Miethöhe, Wohnungsgröße nur unwesentlich zu teuer, zu groß ist. In vielen Städten gibt es zudem nicht ausreichenden Wohnraum, der als zumutbar für Alg-II-Bezieher gilt. Als zumutbar gelten auch Wohnungen ohne Badezimmer, mit Toiletten im Treppenhaus, ohne Heizung- Wohnungen also, die in vielen Städten überwiegend von Ausländern bewohnt werden und/oder in sozialen Brennpunkten liegen. Sich mit einer solchen Anschrift als arbeitssuchend zu bewerben verbessert sicherlich nicht die Chancen auf eine neue Arbeitsstelle. Auch wird somit eine Gettoisierung gefördert, die in Zukunft sicherlich noch massiven sozialen Sprengsatz hervorrufen wird. Aber selbst wenn eine kleinere Wohnung zu einer geringeren Miete bezogen wird- was passiert mit den Möbeln, die z.B. für eine größere Wohnung gekauft wurde, was z.B. mit einer Einbauküche. Kolleginnen und Kollegen aus den Arbeitslosenberatungsstellen berichten von Problemen von Frauen, die aus einem Frauenhaus kommend eine Wohnungseinrichtung beantragen und dieses abgelehnt wird mit der Begründung, nur eine Erstausstattung könne bewilligt werden, sie hätten aber bereits zusammen mit dem Ehemann eine Ausstattung gehabt und diese Frauen nun von ihrem Ehemann, /Partner, vor dem sie ggf. ins Frauenhaus geflüchtet sind, die Herausgabe von Möbeln verlangen sollen.


C: Arbeitsmarkt-, Sozialpolitik

"Es ist eine nicht weg zu leugnende Tatsache, das wir eine nicht so erhebliche Zahl Arbeitsloser hätten, wenn die Unterstützungssätze geringer wären" Zitat aus: der Arbeitgeber 1929

"Die Tarife dürfen ferner die Löhne nicht uniformieren, sondern sie müssen ( unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse) die notwendige Differenzierung nach Leistung zulassen": aus: Deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik 1925

Diese Zitate aus der Weimarer Zeit sind auch heute topaktuell- Forderungen nach:



Deregulierung des Arbeitsmarktes,



Absenkung des Lohnniveaus,



Verlagerung der Tarifausgestaltung in die Betriebe,



Absenkung der Lohnersatzleistungen, da dieses die Motivation steigere, wieder eine Arbeit anzunehmen,



Zurückfahren der arbeitsmarktpolitischen Instrumentarien, die eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorsehen zugunsten der sog. 1-Euro- jobs,



"fördern und fordern"


sind täglich in den Medien zu hören und zu lesen.

Zunehmend mehr Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Frage, ob wir uns wieder Weimarer Verhältnissen nähern- zwar ist die Demokratie heute wesentlich gefestigter als zu Weimarer Zeiten, aber die Arbeitsmarkt und-, Sozialpolitik weist erschreckende Parallelen auf.

Auch in der Weimarer Zeit wurden die Lohnersatzleistungen bei wachsenden Arbeitslosenzahlen massiv abgesenkt, wurden Arbeitsmarktprogramme fast gegen Null gefahren, wuchs der Druck auf Arbeitslose, (fast) jede Arbeit annehmen zu müssen.

Die Armuts-, Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung und des Landes NRW belegen eine weitere Parallele: wachsende Armut immer größerer Bevölkerungsgruppen. Insbesondere durch das Hartz-IV- Gesetz werden nur wenige Menschen geringfügige Verbesserungen erfahren, für Hunderttausender vor allem langzeitarbeitsloser Menschen jedoch ein ( weiteres ) Abgleiten in Armut, Hoffnungslosigkeit, Resignation bedeuten. Die Sozialkassen werden noch weniger Einnahmen haben, durch die massive Einführung der 1-Euro- jobs und der Erodierung der Vollzeitarbeitsverhältnisse wird ein Niedriglohnsektor entstehen, wird der Druck auf Zustimmung zu Verschlechterungen bei den Arbeitskonditionen für die Beschäftigten zunehmen. Der Lebensstandard einer sehr großen Zahl von Menschen in der Bundesrepublik wird sich verschlechtern, auch wenn viele es noch nicht realisiert haben.

Es ist ein Paradigmenwechsel in der Gesellschaft festzustellen: die Opfer der Arbeitsmarktkrise werden zu Tätern umdefiniert: nicht mehr strukturelle und konjunkturelle Ursachen werden für die Massenarbeitslosigkeit genannt, sondern vorrangig angeblich Vermittlungs-, und Motivationsprobleme der Betroffenen; diese Argumentation rechtfertigt dann auch den Druck auf die Arbeitslosen, individualisiert das Problem und unterstützt die Missbrauchsdebatte. Das Postulat des Forderns und Förderns setzt voraus, dass die Menschen auch wirklich eine Chance haben, eigenverantwortlich für ihr Leben selber sorgen zu können: in Wirklichkeit werden jedoch zur Zeit die gesellschaftlichen Risiken wie Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit auf das Individuum verlagert, den Schwächsten wird mehr zugemutet als den Stärkeren, es findet eine gesellschaftliche Entsolidarisierung statt, die zu einem nicht unbedeutenden Teil durch die Medien verstärkt werden.

Problematisch erscheint daher die zunehmende Konzentration von Medien in einem Konzern- wer kontrolliert, wer mit welcher Motivation welche Nachrichten in die Öffentlichkeit bringt?

Wer kontrolliert, dass nicht schleichend wieder radikale Gruppen stark werden?

Man kann die Hartz-Gesetze bewerten wie man will: eines haben sie auf jeden Fall bewirkt: das Thema Arbeitslosigkeit ist wieder in der Öffentlichkeit und wird diskutiert .

Wenn Veranstaltungen wie die heutige betragen, sensibler auf die Probleme arbeitsloser Menschen zu reagieren und nicht alles zu glauben " was die Medien vorgeben, dann ist schon viel erreicht.



Brigitte Jäger ist Referentin im Amt für Sozialethik, Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) und Ökologie der Ev. Kirche im Rheinland (EKiR).

E-Mail: Brigitte.Jaeger@ekir-lka.de

Website: www.kda-ekd.de
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