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Antikriegstag 2005

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Ansprache bei der Kundgebung zum Antikriegstag, 01.09.2005 in Reutlingen

Liebe Freundinnen und Freunde auf dem Weg des Friedens,

Jochen Vollmer (in Reutlingen)

60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in dem 55 Millionen Menschen ums Leben gekommen sind, 60 Jahre nach dem Abwurf der Atombomben auf die Zivilbevölkerungen von Hiroshima und Nagasaki mit über 200 000 Soforttoten und ungezählten Menschen, die an den Folgen dieser Barbarei qualvoll starben, zu leiden hatten und noch immer leiden müssen.

Haben wir etwas gelernt?

Krieg ist noch immer die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, Krieg tritt an die Stelle von Politik. Der Irakkrieg war von vornherein gewollt und sollte mit der Lüge der Massenvernich-tungswaffen legitimiert werden. Die Option eines Krieges gegen den Iran wird ausdrücklich betont.

Ein Krieg gegen Nordkorea ist deswegen nicht im Blick, weil Nordkorea über Atomwaffen verfügt.

Die militärische Aufrüstung Europas soll Verfassungsrang erhalten. Zum Glück haben sich die Bevölkerungen Frankreichs und der Niederlande dagegen verwahrt.Wir wurden nicht einmal gefragt.

Die EU will sich als militärische Gegenmacht zu den USA profilieren und hat die historische Chance vertan, eine zukunftsfähige Gesellschaft zu bilden, die auf Gerechtigkeit gründet und nicht auf militärischer Macht.

Militärische Macht und Kriege sind notwendig zur Aufrechterhaltung ungerechter Besitzverhältnisse,

zur räuberischen Aufteilung der Erde und ihrer Güter, zur Sicherung von Rohstoffen, Öl, Wasser, zur Sicherung des verschwenderischen Lebensstils der so genannten freien westlichen Welt.

Deutschland hat sich zwar nicht direkt am Irakkrieg beteiligt, hat aber den Irakkrieg aktiv und umfassend unterstützt, indem ein Großteil der Operationen und Transporte für diesen Krieg über die in Deutschland befindlichen Militärbasen und Seehäfen abgewickelt wurde. Wir sind an dem heute noch andauernden Irakkrieg, in dem täglich bis zu einhundert und mehr Menschen ums Leben kommen, unter Bruch des Völkerrechts und des Grundgesetzes beteiligt.

Der jahrelange Völkermord im Sudan hat weder die USA noch Staaten der EU zum Eingreifen veranlasst, weil im Sudan unsere so genannten vitalen Interessen auf dem Spiel stehen, weil es im Sudan nichts zu rauben gibt.

Militär und Kriege sind notwendig zur Verteidigung von Ungerechtigkeit und Raub. Eine gerechte Welt brauchte kein Militär und keine Kriege. Mit militärischer Gewalt kann man weder die Hydra des Terrorismus bekämpfen noch Menschen für die Demokratie gewinnen.

Der Krieg gegen den Irak kostet die USA jeden Tag über 130 Mio Dollar. Weltweit wurden im Jahr 2004 844 Mrd Euro für Militär und Kriege ausgegeben, das sind 132 Euro pro Erdbewohner. Im Jahr 2004 starben an Unterernährung und ihren Folgen nach allgemeinen Schätzungen 30 Mio Menschen; damit kamen auf einen Hungertoten im Jahr 2004 28.000 Euro Rüstungsausgaben,

kommen bezogen auf die täglichen Kosten allein des Irakkrieges 1.500 Dollar auf einen Hungertoten.

Ich weiß, diese Rechnungen sind makaber, sie zeigen, dass wir von allen guten Geistern verlassen sind. Militärische Rüstung in diesem wahnsinnigen Ausmaß gehört in die Zuständigkeit der medizinischen Pathologie. Militärische Rüstung tötet, auch wenn sie nicht zur Anwendung käme.

Sie kommt aber zur Anwendung. 2004 zählte das internationale Konversionszentrum Bonn 25 Kriege und 17 bewaffnete Konflikte, ein Drittel im Zusammenhang mit der Sicherung von Rohstoffen.

Kapitalistische Ökonomien, in die wir alle weniger und mehr verstrickt sind, kapitalistische Ökonomien mit ihrem Streben nach Profit um jeden Preis, schrecken vor nichts zurück, auch nicht vor Kriegen.

Kein Land der Erde, nicht einmal die USA mit ihren Haushaltsdefiziten von über 400 Mrd Dollar in den Jahren 2004 und 2005 kann sich noch die Sicherung von geraubtem Wohlstand und Verschwen-dung auf Kosten anderer, die Verteidigung von Raub und ökologischer Zerstörung durch Rüstung und Militär leisten.

Im Prozess der Globalisierung ist die sicherste Investition in Sicherheit und gegen den Terrorismus die Investition in soziale Gerechtigkeit, die Investition in eine für alle Menschen bewohnbare Erde,

in ein menschenwürdiges Auskommen für alle Menschen, im Irak, in Afrika, im Nahen Osten und wo auch immer.

Das Geld, das in Rüstung verschwendet wird, wird dringend gebraucht im Kampf gegen Hunger, für Bildung und ausreichende medizinische Versorgung, für den Klimaschutz und zur Vorbeugung gegen die verheerenden Folgen von Naturkatastrophen wie jetzt in New Orleans.

Es geht um die einfache Frage: Wem gehört die Erde? Die Erde gehört nicht der Hegemonialmacht USA, die sich als Lehrmeisterin in Sachen Demokratie aufspielt und die Menschenrechte in Guantanamo Bay und das Völkerrecht mit Füßen tritt, die Erde gehört auch nicht der Europäischen Union und den aufstrebenden Wirtschaftszentren China und Indien, die Erde gehört nicht den Global Players, die in einem brutalen Wettbewerb um die geringsten Löhne, die inhumansten Arbeitsbedin-gungen und die niedrigsten ökologischen Standards sich gegenseitig das Wasser abgraben, die Erde gehört nicht dem Kapital und nicht den transnational agierenden Wirtschaftsmächten, die Erde gehört nach dem biblischen Glauben, dem ich mich verpflichtet weiß, Gott - und das heißt: die Erde ist uns Menschen anvertraut und geliehen, damit wir ihre Schönheiten und ihre Gaben dankbar genießen, ihre Güter und Rohstoffe gebrauchen und miteinander teilen und sie gemeinsam bewahren für die Generationen nach uns.

Wir haben die 60 Jahre seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und seit Hiroshima und Nagasaki vertan, wir haben die stummen Schreie der Opfer, wir haben ihr beschwörendes "nie wieder" nicht gehört, wir haben die Zeit nicht genutzt, eine humane Gesellschaft auf der Erde zu errichten, in der Gerechtigkeit und Friede wohnen, in der wir unsere Konflikte ohne Gewalt und Kriege austragen, in der die unantastbare Würde eines jeden Menschen geachtet wird und ein jeder und eine jede sein und ihr Auskommen hat, Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen und kulturellen Gütern, frei von Fremdbestimmung und Unterdrückung, Angst und Gewalt.

Die Zeit, die wir noch vor uns haben, wird von Tag zu Tag knapper, die Zeit, einzusehen, dass unsere Sicherheit nicht am Hindukusch verteidigt wird, die Zeit, in der wir auf unseren Irrwegen umkehren können zu einer Welt ohne Waffen und ohne Kriege, die Zeit, in der wir in soziale Gerechtigkeit, in Zukunft und Frieden investieren können, diese Zeit läuft ab.

Wir sind Minderheit, aber wir sind nicht allein. Die Zahl der Sehenden und Einsichtigen wird täglich größer, die Zahl der Menschen, die erkennen, dass Kriege und ihre Vorbereitung durch eine wahnwitzige Rüstung keine Lösung sind, dass wir uns Rüstung und Militär nicht mehr leisten können, weil sie unbezahlbar sind angesichts der Herausforderungen, die wir zu bestehen haben.

Rüstung ist nicht mehr finanzierbar, führt unweigerlich in den Bankrott.

Wir wollen uns zu einem einfacheren Lebensstil verpflichten, damit alle Menschen auf der Erde einfach leben können. Wir wollen dazu beitragen, dass die Güter der Erde gerecht aufgeteilt werden,

ihr Raub nicht durch militärische Macht und durch Kriege gesichert werden muss. Wir lehnen es ab, dass unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird.

Wem gehört die Erde? Die Erde gehört den starken Sanftmütigen, denen, die nicht auf militärische Macht vertrauen und keine Gewalt gebrauchen; sie allein werden die Erde in Zukunft bewohnen und bewohnbar erhalten.



Dr. Jochen Vollmer ist Pfarrer in Ruhestand und elbt in Reutlingen.
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