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Antikriegstag 2005

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Ansprache zur Verleihung des Aachener Friedenspreises am 1. September 2005 in der Aula Carolina, Aachen

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Otmar Steinbicker (in Aachen)

zum 18. Male verleihen wir heute den Aachener Friedenspreis.

Mit dieser Auszeichnung würdigen wir in jedem Jahr am 1. September - dem weltweiten Antikriegstag - Frauen, Männer oder Gruppen, die von "unten her" dazu beigetragen haben, der Verständigung der Völker und der Menschen untereinander zu dienen sowie Feindbilder ab- und Vertrauen aufzubauen. Zivilcourage, Gewaltlosigkeit sowie ein unerschrockenes Engagement für Frieden und Menschenrechte zeichnen die Aachener Friedenspreisträgerinnen und Friedenspreisträger aus.

Heute verleihen wir den internationalen Aachener Friedenspreis an Pater Roy Bourgeois aus den USA.

Ihm ist es nicht an der Wiege gesungen worden, einmal diesen Preis zu erhalten - verlief doch seine Entwicklung anfangs in eine andere, eher gegensätzliche Richtung. Roy Bourgeois wählte nach seinem Collegeabschluss die militärische Laufbahn, wurde Berufsof?zier bei den Marines, diente auf NATO-Basen - auch in Europa, und meldete sich freiwillig nach Vietnam, als dieser Krieg eskalierte.

Dass es dann doch noch ganz anders kam, liegt an der bei Roy Bourgeois selten gut ausgeprägten Fähigkeit, zuhören und über Gehörtes nachdenken zu können. Es waren die Fragen der vietnamesischen Kinder - "Warum bombardiert ihr Amerikaner uns?" - die ihn bewegten, seine Uniform an den Nagel zu hängen, den Priesterberuf zu studieren, die Soutane überzuwerfen und nach Lateinamerika zu gehen. Und es waren dort die Fragen der Armen, die ihn über die Ursachen von Armut und Reichtum nachdenken und zu politischem Engagement ?nden ließen.

Hinzu kommt bei Roy Bourgeois eine weitere bemerkenswerte Stärke: Die Konsequenz, mit der er einmal für richtig Erkanntes ver?cht. Sicherlich: Sein starkes Engagement für die Schließung der militärischen Ausbildungsstätte "School of the Americas" gründet sich nicht nur auf abstrakte politische Erkenntnis, sondern auch auf bittere persönliche Erfahrungen.

Es waren Menschen, die er kennen und schätzen lernte, denen er sich verbunden fühlte - seine Mitschwestern, die durch Absolventen dieser Folterschule grausam ermordet wurden.

Mehr als 20 Jahre führt Roy Bourgeois seinen Kampf für Frieden und Gerechtigkeit zugespitzt gegen diese berüchtigte Militärschule. Vier Jahre hat er für seine gewaltfreien Protestaktionen im Gefängnis verbracht. Andere sind ihm gefolgt. Zwei seiner Mitstreiterinnen sitzen auch an diesem heutigen Abend der Aachener Preisverleihung in ihren Gefängniszellen in Danbury im Bundesstaat Connecticut.

Es sind die 48jährige Alice Gerard und die 63jährige Ordensschwester Lil Mattingly, die zuvor 26 Jahre als Missionsschwester in Bolivien gearbeitet hat. Beide wurden wegen ihrer Protestaktionen zu jeweils sechs Monaten Haft verurteilt.

Lieber Roy Bourgeois, bitte überbringen Sie den beiden Häftlingen die herzlichsten Grüße der Festgäste hier im Saal, grüßen Sie sie von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Aachen. Sagen Sie ihnen: Wir stehen an ihrer Seite! Bringen Sie ihnen etwas von der Wärme der Solidarität, die Sie, lieber Roy, heute hier in Aachen erfahren, mit in die architektonische und emotionale Kälte der Gefängniszellen in Danbury.

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

unser Blick richtet sich heute aber nicht nur in die Welt, in andere Länder. Er geht auch ins eigene Land.

Wir verleihen in diesem Jahr - 60 Jahre nach der Befreiung von Krieg und Faschismus - den nationalen Aachener Friedenspreis an die unermüdliche und oft auch unbequeme Mahnerin Hanne Hiob.

Sie steht als Überlebende des Holocaust, als Tochter des großen Dichters und Nazigegners Bert Brecht, aber auch und vor allem mit ihrem eigenen Wirken und ihren fantasievollen Straßentheateraktionen für das andere Deutschland



das Deutschland des Widerstands gegen die Nazis und



das Deutschland, das aus bitterer Erfahrung heraus endgültig Nein sagt zu Militarismus und Krieg.


Viele von uns sehen noch die Bilder des "Anachronistischen Zuges" vor Augen, mit dem Hanne Hiob - und mit ihr viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter - Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre durch die Bundesrepublik Deutschland zogen um in szenischer Aufführung der "Legende vom toten Soldaten" - leider vergeblich - davor zu warnen, dass mit Karl Carstens ein ehemaliges Mitglied der Nazipartei Bundespräsident wurde, oder - erfolgreich - dazu beizutragen die Kandidatur eines Franz Josef Strauß zum Bundeskanzler in die Wahlniederlage zu treiben.

Als Hanne Hiob anlässlich der deutschen Wiedervereinigung vor neuen Gefahren warnte, dass - entgegen allen früheren Beteuerungen - doch wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen könnte, da wollten auch viele von uns ihr nicht glauben. Stärkte doch das Ende des Kalten Krieges so offensichtlich die Hoffnung auf eine Lösung internationaler Kon?ikte durch ernsthafte Verhandlungen.

Doch leider sollte Hanne Hiob mit ihrer Warnung Recht behalten. Kaum war die Tinte unter dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur Deutschen Einheit trocken, da waren es maßgeblich deutsche Politiker, die dazu beitrugen, mit Feuer am alten Pulverfass des Balkans zu hantieren. Und es war die deutsche Bundesregierung, die im Frühjahr 1999 unter ?agranter Verletzung des im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Verbots eines Angriffskrieges und unter Umgehung des UNO-Sicherheitsrates zum zweiten Mal in einem Jahrhundert Bomben?ugzeuge mit ihrer tödlichen Fracht nach Jugoslawien schickte. - Da war er endgültig wieder auferstanden und ins Leben zurückgekehrt - jener "tote Soldat" aus Bert Brechts mahnender Legende.

Die weitere Entwicklung über den KSK-Einsatz in Afghanistan bis hin zu den Verteidigungspolitischen Richtlinien im Jahre 2003 und den militärischen Implikationen der - dank des klaren NON des französischen Volkes - gescheiterten EUVerfassung ist ein Weg, die Bundeswehr umzubauen, weg von der verfassungsmäßig gebotenen Landesverteidigung hin zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee.

Der letzte Großversuch in eine solchen Richtung endete in Deutschland vor 60 Jahren mit Tod und Vernichtung.

Liebe Hanne Hiob,

liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

wir bleiben bei den beiden Bestandteilen der Mahnung der Überlebenden:

Nie wieder Faschismus
und nie wieder Krieg!



Otmar Steinbicker ist Vorsitzender des Aachener Friedenspreis.

E-Mail: steinbicker@aachener-friedenspreis.de

Website: www.aachener-friedenspreis.de
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