Antikriegstag 2007


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Antikriegstag 2007

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Ansprache zur Verleihung des Aachener Friedenspreises am 1. September 2007 in der Aula Carolina, Aachen

Liebe Nohelia Tuberquia,
lieber Gildardo Tuberquia,
lieber Jupp Steinbusch,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe FriedensfreundInnen

Otmar Steinbicker (in Aachen)

- Es gilt das gesprochene Wort! -

- Sperrfrist: 01.09.2007, 19 Uhr -

ich darf Sie heute herzlich zu einer Jubiläumsveranstaltung begrüßen. Zum 20. Mal verleihen wir den Aachener Friedenspreis und würdigen damit Frauen, Männer und Gruppen, die von "unten her" dazu beigetragen haben, der Verständigung der Völker und der Menschen untereinander zu dienen sowie Feindbilder ab- und Vertrauen aufzubauen.

Zivilcourage, Gewaltlosigkeit sowie ein unerschrockenes Engagement für Frieden und Menschenrechte zeichnen die Aachener Friedenspreisträgerinnen und Friedenspreisträger aus.

Der 1. September, der weltweite Antikriegstag und daher auch der Tag der Verleihung des Aachener Friedenspreises, ist für uns alljährlich ein Tag der Freude, den wir hier in der Aula Carolina mit unseren Preisträgern erleben dürfen.

Wir verleihen heute den Aachener Friedenspreis an die Friedensgemeinde San José de Apartadó in Kolumbien und an Jupp Steinbusch, den Begründer des Aachener Kinderzirkus Pinocchio.

Beide Preisträger setzen sich auf ihre jeweils eigene, sehr unterschiedliche Weise vorbildlich "von unten" her für den Frieden und konkret für vom Krieg bedrohte beziehungsweise traumatisierte Menschen ein. Gemeinsam ist beiden die Erkenntnis, dass mit Waffengewalt kein Frieden geschaffen werden kann. Was dazu beitragen kann, Frieden zu schaffen, das sind sehr viele kleine und große, auch nach Zeit und Ort sehr unterschiedliche Schritte, um Alternativen ziviler Konfliktbearbeitung voranzutreiben und Vertrauen zwischen Menschen unterschiedlicher Ethnien und Gruppen zu schaffen.

Jupp Steinbusch zieht seit 1996 Jahr für Jahr in den Sommerferien mit seinem Kinderzirkus "Pinocchio" und wechselnden ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern für sechs Wochen durch die ehemaligen Kriegsgebiete in Bosnien, Kroatien und Serbien unter dem Motto "Tränen, die du lachst, brauchst du nicht zu weinen".

Inzwischen fährt Jupp Steinbusch nicht mehr ausschließlich auf den Balkan, sondern auch nach St. Petersburg, wo er durch die Vermittlung der Soldatenmütter (Aachener Friedenspreisträgerinnen 2004) in einem riesigen Kinderheim mit ca. 3000 Kindern seinen Zirkus "gastieren" lässt. Und auch im ehemals bürgerkriegsgezeichneten Belfast schlägt Jupp Steinbusch sein Zelt auf.

Mit Jupp Steinbusch ehren wir einen Menschen aus der Städteregion Aachen, der mit riesigem Engagement seinen ureigenen Ansatz zur Friedenspädagogik in die Tat umsetzt. Wenn wir in den großen Friedensdemonstrationen der achtziger Jahre den Spruch skandiert haben "Frieden ist machbar, Herr Nachbar", dann ist Jupp Steinbusch für uns die Personifizierung dieser Losung. Er ist der Nachbar, der durch sein eigenes Engagement Frieden machbar macht.

Ich weiß, es ist Jupp Steinbusch`s Traum, auch einmal den Kindern von San José de Apartadó Tränen des Lachens in die Augen zu zaubern. Es ist natürlich nicht ganz so einfach zu realisieren, dass der Aachener Kinderzirkus "Pinocchio" in San José gastiert, aber wir werden morgen nachmittag hier in der Aula Carolina einen Benefizauftritt des Kinderzirkus "Pinocchio" erleben mit Jupp Steinbusch und den Kindern der Gemeinschaftsgrundschule Bardenberg. Wir werden diese Zirkusvorstellung aufzeichnen und Nohelia und Gildardo Tuberquia als DVD mitgeben. Und ich bin mir sicher, dass die Kinder von San José Tränen lachen werden und ich würde mich freuen, wenn Sie, meine Damen und Herren, morgen nachmittag mit dabei sind und Ihre Grüße an die Kinder von San José in die Kamera winken und so wie heute Abend zeigen: Hier steht eine Friedensstadt Aachen an der Seite der Friedensgemeinde San José de Apartadó.

Die Gründung dieser Friedensgemeinde San José de Apartadó vor zehn Jahren war ein Akt des Widerstandes der Bauern gegen Vertreibung und Flucht. Trotz der Zahl von mittlerweile 170 ermordeten Einwohnern bleibt San José ein zukunftsträchtiges Entwicklungsmodell, das den Bewohnern zumindest eine gewisse Überlebenschance gibt, das aber auch der kolumbianischen Regierung eine Exit-Möglichkeit aus dem Bürgerkriegszustand bietet.

Die Idee der Friedensgemeinde, sich dem Bürgerkrieg zwischen Armee und Guerilla, Paramilitärs und kriminellen Drogenbanden zu entziehen und unbewaffnete Inseln des Friedens zu schaffen, hat in Kolumbien Schule gemacht. Auf rund 50 ist die Zahl der Friedensgemeinden bis heute angewachsen. Und wenn wir den Aachener Friedenspreis 2007 an die Gemeinde San José de Apartadó verleihen, dann tun wir dieses stellvertretend für alle Friedensgemeinden.

In diesem Jahr, meine Damen und Herren, mischt sich in unsere Freude über unsere heutige Preisverleihung aber auch tiefe Trauer und Zorn.

Wir hatten mit unserer Preisvergabe an die Friedensgemeinde San José die Hoffnung verbunden, unseren bescheidenen Beitrag zu leisten, um die Serie von mittlerweile mehr 170 Morden beenden zu helfen. Das ist uns bisher nicht gelungen.

Am 14. Mai, wenige Tage nachdem die kolumbianischen Radiostationen gemeldet hatten, dass die Friedensgemeinde den diesjährigen Aachener Friedenspreis erhält, erschossen Paramilitärs den Bauern-Sprecher der Gemeinde San José, Francisco Puerta, in der Provinzstadt Apartadó auf offener Straße. Am 13. Juli erschossen Paramilitärs den Koordinator der Friedensgemeinde, Dairo Torres, an einer Straßensperre.

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, sich zu erheben für einen Moment des Gedenkens an unsere ermordeten Aachener Friedenspreisträger 2007, Francisco Puerta und Dairo Torres. Wir empfinden Trauer und Wut, aber es ist keine ohnmächtige Trauer, keine hilflose Wut. Ich danke Ihnen.

Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, liebe Mitglieder, Freundinnen und Freunde des Aachener Friedenspreises und auch Ihnen, verehrte Vertreterinnen und Vertreter der Medien. Sie alle haben unsere Bürgerinitiative - den Aachener Friedenspreis - so stark gemacht, dass wir gehört werden und mittlerweile zumindest mit ein wenig Wirkung helfen können. So wurde unsere Bitte an Außenminister Frank-Walter Steinmeier, bei der kolumbianischen Regierung wegen der Ermordung unserer Aachener Friedenspreisträger zu protestieren, erfüllt und erstmalig wurden unsere Preisträger ins Auswärtige Amt eingeladen.

Wir werden mit Nohelia und Gildardo Tuberquia nach Berlin fahren und sie werden im Auswärtigen Amt Gelegenheit haben, der Bundesregierung ausführlich die Sorgen und Probleme ihrer Friedensgemeinde San José de Apartadó, aber auch die Zukunftsfähigkeit der Konzeption der Friedensgemeinden für eine Beendigung des Bürgerkrieges in Kolumbien darlegen. Ich werde in diesem Gespräch darauf drängen, dass die Friedensgemeinde für Notfälle Telefonnummern des Auswärtigen Amtes und der Deutschen Botschaft in Bogotá erhält. Wenn das Auswärtige Amt mit seiner Einladung dankenswerterweise die Friedensgemeinde de facto diplomatisch anerkennt, dann braucht San José auch ein "rotes Telefon".

Wir freuen uns ebenso, dass die EU-Kommission unsere Initiative aufgegriffen und unsere Preisträger eingeladen hat.

Wir werden schon am Montag mit Nohelia und Gildardo Tuberquia nach Brüssel fahren, um auch die EU aufzufordern, alles zu tun, um die Friedensgemeinde San José de Apartadó zu schützen.

Wir wären nicht der Aachener Friedenspreis, meine Damen und Herren, wenn wir unseren Blick nicht auch auf das eigene Land richten würden. Die Erkenntnis unserer Preisträger, dass Frieden nicht mit militärischen Mitteln zu schaffen ist, muss sich auch in Deutschland erst noch durchsetzen.

In diesem Herbst stehen im Bundestag die drei Mandate des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan zur Verlängerung an:



die Beteiligung am NATO-Kriegseinsatz, der so genannten "Operation Enduring Freedom"



die Beteiligung am UNO-mandatierten ISAF-Einsatz



und der Einsatz der Tornado-Aufklärungsflugzeuge.


Wir haben als Aachener Friedenspreis die Beteiligung an diesen Einsätzen von Anfang an abgelehnt. Wir haben uns auch im zurückliegenden Jahr mehrfach deutlich kritisch geäußert:



mit der Veröffentlichung der Einbeziehung Aachener Bundeswehreinrichtungen in den Afghanistan-Krieg



mit unserer - in den Medien deutlich wahrgenommenen - Aufforderung an die Abgeordneten des Deutschen


Bundestages, dem Tornado-Einsatz in Afghanistan nicht zuzustimmen.

Heute gehören wir zu den Mitinitiatoren einer bundesweiten Kampagne der deutschen Friedensbewegung für einenRückzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

Wir brauchen eine solche Kampagne, um in unserem Land Nachdenklichkeit zu erzeugen und um die gesellschaftliche Diskussion darüber zu führen, wie in Afghanistan Frieden geschaffen werden kann. Da reicht es nicht aus, einfach nur zu fordern "Bundeswehr raus". Da muss es eine komplexe Debatte mit vielen Facetten geben, in die wir gerne auch die Erfahrungen unserer Preisträger in San José de Apartadó einbringen. Wir wissen, dass der Krieg in Afghanistan militärisch nicht gewonnen werden kann - von der NATO so wenig wie 20 Jahre zuvor von der Sowjetunion. Das wird allmählich auch den Militärs bewusst, eher noch als manchen Politikern.

Aber, wer weiß, dass der Krieg nicht gewonnen werden kann, der darf jetzt nicht zuschauen und schweigen. Jeder tote Afghane, jeder tote deutsche Polizist und jeder tote deutsche Soldat ist ein Toter zuviel. Wir brauchen daher eine Alternative zum Krieg. Wir brauchen eine Exit-Strategie für die Bundeswehr und eine Strategie humanitärer und ziviler Hilfeleistung für Afghanistan. Über die Wege dorthin wird die deutsche Friedensbewegung in den nächsten Monaten in zahlreichen Veranstaltungen und Konferenzen in den Dialog eintreten. Und wir werden in Aachen nach unseren Kräften dabei sein.

Und wir werden auch dabei sein, wenn die deutsche Friedensbewegung am 15. September in Berlin als Auftakt zu dieser Kampagne demonstriert unter der Losung "Frieden für Afghanistan - Keine Verlängerung der Bundeswehreinsätze!"

Und ich freue mich darauf, viele von Ihnen am übernächsten Samstag in Berlin wiederzusehen.

Ich danke Ihnen



Otmar Steinbicker ist Vorsitzender des Aachener Friedenspreis e.V.

E-Mail: steinbicker (at) aachener-friedenspreis (Punkt) de

Website: www.aachener-friedenspreis.de
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