Antikriegstag 2007


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Antikriegstag 2007

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Beitrag zum Antikriegstag 2007 in Villingen-Schwenningen am 1. September

Liebe Freundinnen und Freunde,

Ernst-Ludwig Iskenius (in Villingen -Schwenningen)

Unter dem Schock eines Krieges, der vor 62 Jahren in einer materiellen, geistigen und seelischen Verwüstung Europas endete, hieß es: Nie wieder Krieg.

Heute befinden wir uns wieder im Krieg. Nur, wir wollen es, wie unsere Großväter und Väter 1914 und 1939, noch nicht wahrhaben. Von der Regierung heißt es dazu offiziell beschönigend friedenssichernder Auslandseinsatz. Es wird so getan, als ob die Bundeswehr nur zivile Aufbau- und Entwicklungsarbeit in Afghanistan leisten würde, Demokratie fördern und den Frieden dort sichern würde. Tatsache ist, dass die ISAF -Truppen längst in einen nicht zu gewinnenden Krieg mit Aufständischen verwickelt sind.

Wie vor über 60 Jahren die Städte und Ortschaften Europas Ziel von Bombenflugzeugen waren, sind jetzt afghanische Dörfer und Siedlungen erneut Zielscheiben für Zerstörung geworden, die vorher durch deutsche Tornados ausgespäht worden sind. "Jedes Ziel ist ein Zuhause" wird auch in diesem Krieg deutlich missachtet.

Die Lehren aus Vietnam, Irak und vielen anderen Interventionskriegen wurden bisher nicht gezogen.

Nüchtern müssen wir nach 5 Jahren Krieg und sukzessive Besetzung Afghanistans mit 20 000 Soldaten, davon 2 800 deutsche Soldaten, im Rahmen des NATO -geführten Einsatzes feststellen,



dass die Zahl der Anschläge und Selbstmordattentate auf militärische und zivile Ziele in Afghanistan jedes Jahr steigen, im letzten Jahr auf über 5800, in diesem Jahr bis Juli schon mehr als 3000.



dass die Sicherheitslage seit Ende 2005 enorm sich verschärft hat



dass bis 2006 über 4000 Zivilpersonen durch militärische Auseinandersetzungen in Afghanistan umgekommen sind,



dass 2006 allein 158 Soldaten ausländischer Armeen und etwa 1500 afghanische Soldaten ihr Leben lassen mussten



dass bis Juli 2007 21 deutsche Soldaten in Afghanistan umgekommen sind



dass 70% der afghanischen Bevölkerung " besonders in den umkämpften Gebieten des Südens unterernährt sind



dass 25 % der Bevölkerung kein Zugang zu sauberen Trinkwasser haben



dass über 90% über keinen elektrischen Strom verfügen



dass 85 Milliarden Dollar bisher für den militärischen Einsatz ausgegeben wurden



dass allerdings nur 7,3 Milliarden Dollar im gleichen Zeitraum für den zivilen Aufbau ausgegeben wurde.( darin eingeschlossen sind die Kosten zum Aufbau von Polizei und anderen Sicherheitsdiensten)



dass jedes Jahr der militärische Afghanistaneinsatz Deutschland allein 500 Millionen Euro kostet



dass das Vertrauen der Bevölkerung in die ausländischen Militärs zunehmend schwindet und selbst hochrangige Militärs in Fachkreisen mittlerweile von der Bekämpfung eines Aufstandes gegen die Besatzungstruppen sprechen.



Dass die korrupten Strukturen erhalten und das westliche Demokratiemodell durch Warlords und Drogenbarone weitgehend okkupiert worden ist


Weder die angestrebten Ziele von Friedenssicherung, Eindämmung des Terrorismus, Etablierung demokratischer Strukturen, Stabilitätsexport, noch die Verbesserung der soziale, wirtschaftliche und menschenrechtliche Situation für die Masse der Bevölkerung wurde mit dem Einsatz von Militär erreicht, im Gegenteil, selbst zivile Helfer von NGO`s werden wegen ihrer offenen Verbindungen zu den ausländischen Militärs zunehmend als Gegner angesehen und bleiben so unwirksam für die notleidende Bevölkerung.

Diese wie jede andere Militärintervention ist grundlegend falsch und wird in eine friedenspolitische und moralische Sackgasse führen.

Was 2002 erst eine kleine Minderheit, hauptsächlich außerhalb des Parlamentes, gesehen hat, dämmert nun einer größeren Zahl von Entscheidungsträgern im Deutschen Bundestag:

Eine militärgestützte Politik ist längerfristig zum Scheitern verurteilt und führt nur immer tiefer in den Sumpf eines nicht zu gewinnenden Krieges.

Wie zur Zeit des kalten Krieges, als zum Beispiel 1986 meine Organisation, die IPPNW als gutmeinende Spinner oder als 5. Kolonne Moskaus von Regierungsmitgliedern heftig angegriffen wurde, weil sie den Abbau von Feindbildern und das Gespräch über die Blockgrenzen hinweg propagierten und praktizierten, werden die Vorschläge der Friedensbewegung fast schon bösartig als Unterstützung des Terrorismus (so Verteidigungsminister Jung) bezeichnet.

In einigen Jahren, wenn wir konsequent, ja fast stur dran bleiben, werden allerdings diese Vorschläge mit Sicherheit in politisches Handeln übernommen werden müssen, weil es dazu sonst keine Alternative zur gescheiterten militärgestützten Politik gibt. Es wird dann nur noch schwieriger sein.

Die Vorschläge der Friedensbewegung bezüglich Afghanistan umfassen:



1.Deutschland soll, nicht zuletzt im eigenen Interesse, einen eigenen Beitrag zur zivilen und friedlichen Konfliktlösung entwickeln, auch wenn dieser einen politischen Konflikt mit den USA auslösen und Druck von den NATO -Partnern provozieren wird.



2.Die bisherige militärische Interventionspolitik sollte durch Verweigerung einer Mandatsverlängerung durch den deutschen Bundestag aufgegeben werden. Damit würde ein deutliches Signal zur Neuorientierung der Afghanistan Politik gesetzt.



3.Gleichzeitig sollte die Bundesrepublik die finanzielle Hilfe für Afghanistan um den Betrag aufstocken, der durch den Abzug der Truppen frei würde. Diese Mittel stünden für Entwicklungsprojekte in Afghanistan zur Verfügung, die von Orten und Regionen gemeinschaftlich für wünschenswert und unterstützungswürdig gehalten werden. Dabei geht es auch um die örtliche und regionale Zustimmung derjenigen bisher verteufelten Kräfte, die den Taliban nahe stehen und damit einen Dialog und vertrauensfördernde Maßnahmen verschiedener Kräfte vor Ort in Gang gebracht werden. Nur damit kann die Sicherheit der Projekte verbessert werden.



4.Die Bundesregierung fördert die Ausbildung von Personal und Organisationen zur Implementierung ziviler und friedensfördernder Projekte.



5.Die Projekte müssen strikt von einer militärischen Kriegsführung getrennt werden



6.Die Bundesregierung wirbt bei ihren EU -Partnern für den Anschluss an dieses Projekt.


Fügen wir dem Sag Nein von Wolfgang Borchert noch unsere positiven zivilen Vorschläge unbeirrt hinzu. Wir sind nämlich davon überzeugt, dass sie langfristig der vernünftigere und rationalere Weg sind.

Was heute noch als Utopie erscheint, kann morgen durch unser beharrliches Eintreten zur sogenannten Realpolitik werden.

Nur: wir müssen alle zusammen davon überzeugt sein, dass Friedenspolitik nichts, aber auch gar nichts mit gewalteinsetzender Militärpolitik zu tun hat. Sie ist auch nicht als kleineres Übel. Friedenspolitik ist brückenschlagende Dialogbereitschaft, verbunden mit ausgleichender Gerechtigkeit, das ganze ist nur ohne militärische Gewalt möglich.

Ich möchte mit einem nachdenklichen Wort von Hannah Arendt enden:

"Es gab im Dritten Reich nur wenige Menschen, die die späteren Verbrechern des Regimes aus vollem Herzen bejahten, dafür aber eine große Zahl, die absolut bereit waren, sie dennoch auszuführen. Bei ihrer moralischen Rechtfertigung hat vornehmlich das Argument des kleineren Übels eine Rolle gespielt. Wenn man mit zwei Übeln konfrontiert werde, so lautet das Argument, dann sei man verpflichtet, das kleinere von beiden zu wählen, wo hingegen es unverantwortlich sei, die Wahl rundweg abzulehnen. Die Schwäche dieses Argumentes bestand schon immer darin, dass diejenigen, die das kleinere Übel wählen, rasch vergessen, dass sie sich für ein Übel entscheiden. Die Hinnahme des kleineren Übels wird bewusst dazu benutzt, die Bevölkerung im allgemeinen daran zu gewöhnen, das Übel an sich zu akzeptieren."

Die Friedensbewegung ruft für den 15.9., also in 14 Tagen nach Berlin zu einer Demonstration gegen die Mandatsverlängerung im Afghanistaneinsatz der Bundeswehr auf.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.



Ernst-Ludwig Iskenius ist bei der Regionalgruppe der IPPNW aktiv.

E-Mail: refugio (Punkt) vs (at) t-online (Punkt) de
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