Antikriegstag 2007


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Antikriegstag 2007

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebitrag am Antikriegstag, 1.September 2007, in Cham

Sehr geehrte Damen und Herren,

Franz Schindler (in Cham)

Herzlichen Dank allen, die auch heuer wieder zum Friedhof in Cham gekommen sind, um an den Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939, vor mittlerweile 68 Jahren zu erinnern.

Herzlichen Dank auch der Friedensinitiative Cham, dass sie nicht locker lässt und in jedem Jahr eine der mehr als 180 Veranstaltungen, die in diesen Tagen in der Bundesrepublik stattfinden, organisiert. Da könnten sich andere, auch in größeren Städten, ein Beispiel nehmen.

Viele fragen sich, ob es noch zeitgemäß ist, an den Beginn des Zweiten Weltkrieges zu erinnern und was das denn soll. Reicht der Volkstrauertag und die Pflege der sog. Kriegerdenkmäler nicht aus ? Muss daneben immer noch und immer wieder bei einem Antikriegstag an den Beginn des Zweiten Weltkriegs erinnert und längst Vergessenes wieder aufgewühlt werden ?

Es werden immer weniger, die den 1. September 1939 noch persönlich miterlebt haben. Die sog. Erlebnisgeneration stirbt allmählich aus und mit ihr sowohl Täter als auch Opfer. Nur die Älteren wissen, was dieser Krieg für den einzelnen bedeutet hat, wie groß das Leiden und die Not nicht nur der Kriegsteilnehmer, sondern auch der Familien, der Alten und der Kinder und natürlich der Opfer der nationalsozialistischen Massenvernichtung in den Konzentrationslagern war. Beispielsweise meine Eltern sind 1925 bzw. 1926 geboren, waren bei Beginn der Hitler-Diktatur noch kleine Kinder, bei Beginn des Krieges 13 und 14 Jahre alt. Die Zeit des Erwachsenwerdens fand inmitten einer Welt voller Gewalt und Angst statt, das Erwachsensein begann in den Schützengräben oder als kleines Rädchen in der Kriegsproduktion, inmitten verschleppter Zwangsarbeiter und dann in bitterster Not und konfrontiert mit millionenfachem Leid, nicht nur der im Krieg Getöteten, Verwundeten und Gefangenen und Vermißten, sondern auch der Millionen, die in den Konzentrationslagern industriell vernichtet und ganz zum Schluss noch aus Flossenbürg kommend durch die Dörfer der Oberpfalz getrieben worden sind.

Das ist fast 70 Jahre her.

Ist es also noch zeitgemäß, daran zu erinnern oder nicht längst Zeit, endlich damit aufzuhören und nach vorne zu schauen ? Schließlich waren nicht alle Deutschen "Täter", gibt es keine Kollektivschuld, haben viele unserer Eltern und Großeltern ein Leben lang unter dem Krieg und seinen Folgen gelitten, wird das Land mittlerweile von der Nachkriegsgeneration geführt, leben wir seit 62 Jahren in Frieden und hat es seither an anderen Stellen der Welt weitere Kriege mit neuem millionenfachen Leid gegeben ?

Thomas Mann hat in diesem Zusammenhang einmal die Frage gestellt: "Darf man nicht wissen wollen?" und die Frage mit einem entschiedenen "Nein" selbst beantwortet. Dieses "Nein" gilt bis heute für alle Demokraten. Daran müssen wir festhalten. Auch 68 Jahre nach dem Beginn und 62 Jahre nach dem Ende des bisher schrecklichsten aller Kriege gibt es kein Recht darauf, nichts mehr davon hören zu müssen und nichts davon wissen zu wollen und zwar aus mehreren Gründen:

Der Zweite Weltkrieg war nicht die einzig logische Konsequenz des Ersten Weltkrieges, ist nicht wie ein Schicksal in der Nacht über das Land gekommen, sondern jahrelang systematisch vorbereitet worden. Nicht nur durch den Aufbau einer gigantischen Rüstungsindustrie, sondern auch und genauso wichtig, durch eine Propaganda und Ideologie, die die Gegner zu Feinden erklärt, ausgeschaltet, zum Teil sogar liquidiert und die Mehrheit reif für den Krieg gemacht hat. Es gab viele, ja viel zu viele, die bereit waren, in die Kriegspropaganda einzustimmen, der Herrenrassenideologie zu folgen oder sich jedenfalls nicht dagegen gewehrt haben, wenn sie es denn noch konnten. Das darf nie wieder passieren, deshalb sollte jeder wissen müssen, wie der Zweite Weltkrieg in den Köpfen vorbereitet worden ist.

Unmittelbar nach dem Krieg, nachdem das millionenfache Leid erkannt und ermessen werden konnte, gab es in unserem Land --zumindest offiziell -- große Übereinstimmung darüber, dass so etwas nie wieder passieren dürfe und die Bereitschaft, aus den Fehlern der Vergangenheit für die Zukunft Lehren zu ziehen. Das prägnanteste Beispiel hierfür ist die Präambel der Bayerischen Verfassung von 1946, in der es heißt:

"Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschluss, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechts dauernd zu sichern, gibt sich das Bayerische Volk ... nachstehende demokratische Verfassung...".

Besser kann man es nicht sagen und Verantwortung zum Ausdruck bringen. Diese Verantwortung ruht jetzt auf unseren Schultern.

Auch nach Jahrzehnten ist es nicht möglich, alles zu verstehen oder gar zu erklären. Das muss auch nicht sein. Hannah Arendt hat es auf den Punkt gebracht:

"Das Höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist und dann zu sehen, was sich daraus für heute ergibt".

Gewiss, es besteht nicht die Gefahr, dass von deutschem Boden erneut Krieg ausgeht, wenngleich nicht verschwiegen werden kann, dass von unserem Land aus Waffen und Rüstungsgüter in fast alle Welt verkauft werden und dass Soldaten der Bundeswehr ganz aktuell an Auslandseinsätzen beteiligt sind. Verschwiegen werden darf auch nicht, dass die Demokratie und der Rechtsstaat in unserem Land schon einmal mehr Anhänger hatten als in diesen Jahren. Immer noch und schon wieder gibt es Stimmen und es werden immer mehr, die nichts wissen wollen und die gleichen furchtbaren Rezepte wie in den dreissiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts propagieren. Es wird zwar kein Angriffskrieg gefordert, aber es wird -wie zu Beginn der Nazi-Diktatur- wieder versucht, die Hirne der Menschen, insbesondere der jungen, zu infiltrieren, sie empfänglich für Fremdenhass, falsche Schuldzuweisungen, für angeblich ganz einfache Lösungen schwieriger Probleme und die ganze braune Nazi-Ideologie zu machen. Es ist deshalb gut, dass vor zwei Jahren Tausende von Bürgerinnen und Bürgern in Cham gegen Rechtsextremismus demonstriert haben und dass sich überall dort, wo die NPD und andere aufmarschieren wollen, Gegenbewegungen organisieren und sich breiter Widerstand regt.

Aber: Das Problem ist, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass wieder Widerstand erforderlich ist gegen rechtsextremistische Umtriebe aller Arten ? Natürlich ist es eine Schande, wie sich in unserem Land arm und reich auseinanderentwickeln, dass wieder Schulspeisungen eingeführt werden müssen, weil die Kinderarmut alarmierende Maße angenommen hat und dass junge Leute aussortiert anstatt gefördert werden. Alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte sind aufgefordert, diese Missstände zu bekämpfen. Genauso wichtig ist es aber, die nachwachsenden Generationen im klassischen und altmodischen Sinne zu erziehen und zwar zu kritischen mündigen Bürgern, die ihren eigenen Kopf gebrauchen können, um nicht auf Rattenfänger hereinzufallen. Und ist es erforderlich, viel stärker als in den letzten Jahrzehnten, den Wert der Demokratie, den Wert des Rechtsstaats, den Wert der Freiheit eines jeden einzelnen, ob jung oder alt, ob Deutscher oder sog. Ausländer, schlicht die Würde des einzelnen in den Familien, in den Schulen, am Arbeitsplatz, im Wirtshaus zu verdeutlichen, zu beachten, vorzuleben und auch im Kleinen zu verteidigen. Hierzu braucht es keine Helden, es genügt oft schon ein bisschen Anstand und das Wissen darüber, wie und warum unser Land -von Menschen gemacht- vor 68 Jahren in die Barbarei zurückgefallen und eine Katastrophe über die halbe Welt gebracht hat.

Es gibt also kein Recht, nichts wissen zu wollen.

Anrede

Am Antikriegstag 2007 gibt es zwar Frieden in Europa, doch weltweit eine Vielzahl kriegerischer Konflikte, insbesondere im Irak, in Afghanistan und in Afrika. So unterschiedlich die jeweiligen Ursachen auch sind, gibt es doch auch Gemeinsamkeiten: Jeweils geht es um Macht und Einfluss und um wirtschaftliche Interessen und meistens liegen Ideologien zugrunde, die den einzelnen nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe oder Religion, nicht aber nach seiner individuellen Würde bewerten. Es kann hier kein Rezept für die Lösung aller Konflikte gegeben werden, aber sicher ist, dass der Einsatz militärischer Mittel noch nie geeignet war, um wirklich Frieden zu stiften und dass einzig die Völkergemeinschaft das Recht hat, zur Sicherung des Friedens und der Freiheit des einzelnen einzugreifen, nicht aber eine Weltmacht, so mächtig sie auch sein mag, zur Sicherung ihrer Einflusssphären, z.B im Irak "präventiv" und gegen die Regeln des Völkerrechts einen Krieg zu beginnen. Sicher ist auch, dass der Kampf gegen den Terror weder mit militärischen Mitteln noch mit innenpolitischer Aufrüstung zu gewinnen ist, sondern nur durch eine vorsorgende und langfristig angelegte globale Friedenspolitik und eine gerechte Wirtschaftsordnung. Damit verträgt es sich z.B. nicht, den Einsatz der Bundeswehr im Innern zu fordern und den Einsatz in Afghanistan verlängern und ausweiten zu wollen.

Anrede

Solange militärische Mittel als normale Handlungsmöglichkeit zur Fortsetzung einer gescheiterten Politik mit anderen Mitteln angesehen und eingesetzt werden, wird es erforderlich sein, Antikriegstage zu begehen. Nicht nur zu dem Zweck, die grundsätzliche Ablehnung von Krieg und Gewalt zu verdeutlichen und an die Verantwortlichen in den Regierungen zu appellieren, sondern auch um die Ursachen zu benennen und an die Verantwortung eines jeden einzelnen für eine friedliche Welt zu erinnern.



Franz Schindler ist Mitglied des Bayrischen Landtages für die SPD.

E-Mail: franz (Punkt) schindler (at) bayernspd-landtag (Punkt) de

Website: www.bayernspd-landtag.de
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