Antikriegstag 2007


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Antikriegstag 2007

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Ansprache zum Antikriegstag am 1.September 2007 in Schwerte, 11 Uhr am Kreuz der Kreuze, Rathaus

Liebe Schwerter Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Gerlinde Heinrichs (in Schwerte)

Wenn ich drei Wünsche frei hätte - so wie viele Märchenfiguren -, dann wünschte ich mir u.a., dass unser jährliches Treffen am Kreuz der Kreuze am Antikriegstag überflüssig würde, weil die Welt eine friedliche geworden wäre. Wir träfen uns höchstens zu einem Glas Wein bei einem fröhlichen Fest.

Leider befinden wir uns nicht in der Märchenwelt, sondern in der Realität von 2007, die alles andere als friedlich ist.

Zwar hat seit 62 Jahren kein Krieg mehr auf deutschem Boden stattgefunden, aber deutsche Soldaten befinden sich in Auslandseinsätzen. Zwar ist die Mehrheit der Deutschen gegen kriegerische Auseinandersetzungen und zunehmend auch gegen die Auslandseinsätze, aber unsere Regierung richtet sich nicht danach.

Im Jahr 2007 beteiligt sich Deutschland mit ungefähr 8.000 Soldaten an Einsätzen im Ausland. Neben kleineren Einsätzen im Sudan oder in Georgien mit jeweils unter 100 Soldaten beträgt die Zahl der Soldaten am Horn von Afrika zwischen 250 und 300. Die großen Einsätze finden im Libanon, im Kosowo, in Bosnien-Herzegowina und in Afghanistan statt. Sie sind unter der Führung der NATO (Kosowo und Afghanistan), der EU (Bosnien-Herzegowina) oder UNO (Libanon) eingesetzt.

Wir lehnen diese Auslandseinsätze ab!

Warum?



1.Wegen der fragwürdigen Mandate,



2.wegen der immensen Kosten,



3.weil sie den Frieden nicht schaffen, sondern eher verhindern,



4.weil sie nur wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen dienen.


1.

Der gemeinsame Nenner aller Mandate - bei aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen - ist das Verhindern oder Reduzieren von Gewalt und das Schaffen von Voraussetzungen für Sicherheit und zivilen Aufbau, wobei der "zivile Aufbau" mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Verbindung gebracht wird. Das klingt gut, ist aber meistens realitätsfern. Auch wenn einzelne Projekte sicher erfolgreich umgesetzt werden konnten und der persönliche Einsatz von Soldaten und Soldatinnen hier nicht in Frage gestellt werden soll, so konnte doch nirgendwo Gewalt verhindert und Sicherheit der Zivilbevölkerung gewährleistet werden. Und mit welcher Arroganz wollen wir/der Westen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie anderen Völkern mit anderer Identität bringen, wo es doch bei uns mit der Umsetzung auch noch "hapert" ?!

Fragwürdig sind die Mandate zunehmend auch im Hinblick auf die Entwicklung der Bundeswehr. Wenn der Verteidigungsminister den Libanon-Einsatz als "robust, aber nicht offensiv" bezeichnet, wenn deutsche Tornados in Afghanistan Teil der Kriegsführung sind, wenn deutsche Soldaten der KSK (Kommando SpezialKräfte) im Einsatz sind, dann sind wir längst in aktive Kriegshandlungen eingebunden und haben uns von der Bundeswehr als Verteidigungsarmee mit Bürgern in Uniform meilenweit entfernt.

2.

Gegen Auslandseinsätze sprechen aber nicht nur fragwürdige Mandate, sondern auch die immensen Kosten.

Unter Berücksichtigung der geplanten Mandatsverlängerungen sind im Haushalt 2007 für Auslandseinsätze 642 Millionen Euro bewilligt. Der Gesamtbetrag wird aber voraussichtlich um ca. 1/3 höher liegen, Fachleute gehen von 994 Millionen Euro aus. Damit sind die Kosten für Auslandseinsätze stetig gestiegen, 1998 - vor 9 Jahren - betrugen sie noch 182,6 Millionen Euro, ca. 1/5 der heutigen Summe. Wir haben eine Armee im weltweiten Einsatz und die gibt es schließlich nicht zum Nulltarif!

Die Rüstungsausgaben insgesamt steigen, die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung sieht für den Verteidigungshaushalt entsprechende Steigerungen vor. Gegenwärtig (2007) verfügt er über einen Etat von 28,4 Milliarden Euro! Den Anstieg der Rüstungsausgaben hat unsere Kanzlerin, Frau Merkel, schon 2006 angekündigt und ihn mit der "politischen Dimension der Verantwortung Deutschlands" und den damit verbundenen "militärischen Notwendigkeiten" begründet.

Unter der "politischen Dimension der Verantwortung Deutschlands" ist eine geplante Ausweitung der Auslandseinsätze zu verstehen. Hierfür sind 35.000 Bundeswehrsoldaten, die so genannte Schnelle Eingreiftruppe der NATO und der EU vorgesehen. Das neue Weißbuch der Bundeswehr - erschienen vor knapp einem Jahr - nennt darüber hinaus 2 neue Truppenkategorien, die aufgebaut werden sollen: die "Stabilisierungskräfte" und die "Unterstützungskräfte", 70.000 Mann. Sie sind für längerfristige Einsätze vorgesehen (wie z.B. im Kosowo oder in Afghanistan), ganz im Sinne der geplanten EU-Verfassung.

Das alles ist natürlich nur mit entsprechenden High - Tech - Waffen möglich, entsprechende Rüstungsaufträge sind teilweise schon seit Jahren vergeben. Diese meinte Frau Merkel wohl mit dem Begriff "militärische Notwendigkeiten." Darunter sind Waffensysteme und Ausrüstungen zu verstehen, die geplant oder schon eingeführt sind: Satelliten-Kommunikation, Transporthubschrauber, Kampfhubschrauber, Eurofighter, Luftverteidigungssystem, Airbus, Fregatten, Korvetten etc. Im Juli dieses Jahres ist z.B. die Korvette "Oldenburg" bei Blohm und Voss in Hamburg getauft worden. Sie ist ein hochmodernes Kriegsschiff, das so konzipiert ist, dass Kriegsführung gleichzeitig unter und über Wasser, in der Luft und zu Lande möglich ist, geeignet für unbegrenzte Kriegsführung in weltweiten militärischen Einsätzen! Die Kosten für die genannten militärischen Beschaffungen des Bundeshaushalts belaufen sich für 2007 auf 4,27 Milliarden Euro und sollen in den nächsten 5 Jahren um ca. 40 % ansteigen.

Und wer bezahlt das alles? Wir! Wir mit unseren Steuern - gefragt werden wir nicht! Und wer profitiert von den militärischen Beschaffungen? Einzig und allein die Rüstungsindustrie in Deutschland und Europa: EADS, Rheinmetall und Krauss-Maffei, Rüstungskonzerne in Frankreich und Großbritannien etc. Seit 2 Jahren sind Europas Verteidigungsaktien im Aufwind, und EADS will seinen Umsatz 2007 von 7,7 Milliarden auf 10 Milliarden Euro steigern. Wen wundert`s!?

Wundern muss man sich nur darüber, dass gleichzeitig über die geplante Einrichtung von Krippenplätzen für Kleinkinder monatelang gestritten werden musste, dass so viele Menschen von Hartz IV leben müssen, dass immer mehr Menschen zwar Arbeit haben, aber von dieser Arbeit nicht leben können und dass die Tafeln für Bedürftige immer länger werden - auch in Schwerte.

Die Kosten für die Aufrüstung im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen stehen in einem Missverhältnis zur sozialen Lebenssituation vieler Menschen. Und wenn man von der in Wirtschaftskreisen üblichen Kosten - Nutzen - Rechnung ausgeht, stehen die Kosten auch in einem enormen Missverhältnis zum "Nutzen": An keinem der genannten Krisenherde ist der Frieden gesichert, die Konflikte schwelen weiter.

3.

Auslandseinsätze lehnen wir also auch deshalb ab, weil sie den Frieden nicht schaffen, sondern eher verhindern.

In Afghanistan z.B. hat sich die Lage seit Beginn des Militäreinsatzes 2002 eindeutig verschlechtert: Die Taliban sind erstarkt, War Lords und Drogenbarone gewinnen an Macht, der Mohnanbau hat sich in wenigen Jahren um 60 % erweitert

und die Frauen tragen verstärkt die Burka. Viele tote Zivilisten durch fortgesetzte Luftangriffe, das Ausbleiben einer verbesserten Lebenssituation und fehlende politische Stabilität bewirken eine "Irakisierung" des Krieges: Guerilla-Taktik, Entführungen, Selbstmordattentate.

In den letzten Monaten starben auch deutsche Soldaten, eine Geisel wurde getötet, ebenso 3 Polizisten, ein deutscher Bauingenieur ist noch immer entführt. Wer Krieg führt, kann nicht gleichzeitig Frieden schaffen und von der Bevölkerung akzeptiert werden wollen. Auch deutsche Soldaten, zunächst geachtet und akzeptiert, sind inzwischen Soldaten wie alle anderen und werden nicht als Beschützer, sondern als Besatzer empfunden.

Die Bundeswehr - Soldaten bleiben weitgehend in ihren Camps, Unterstützungsarbeit und Aufbauhilfe ist nicht möglich, das eigentliche Mandat kann nicht wahrgenommen werden. "Wir haben wenig bis gar nichts erreicht", sagt ein Offizier. "Wir sind dort erfolgreich", behauptet unser Verteidigungsminister. Und Herr Schäuble ergänzt einen seiner stereotypen Sätze: "Wir müssen unsere Verantwortung wahrnehmen - geduldig, beharrlich."

"Unsere Verantwortung wahrnehmen" heißt für uns Rückzug! Der deutsche Bundestag darf im Oktober dieses Jahres das Bundeswehr-Mandat für Afghanistan nicht verlängern! (Eine entsprechende Petition kann hier unterschrieben werden). Statt dessen sollten wir friedensfördernde zivile Entwicklungsprojekte unterstützen in Absprache mit den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den verschiedenen Regionen - Projekte, die diese als wünschenswert erachten.

Naiv? Nein, langfristig als einzige Chance realistisch, wenn man eine friedlichere Welt möchte, in der sich unterschiedliche Partner/innen auf Augenhöhe begegnen und sich respektieren.

Doch genau darum geht es nicht!!

4.

Wir lehnen die Auslandseinsätze der Bundeswehr in besonderem Maße deshalb ab, weil sie Teil weltweiter Kriege sind, die nur der Sicherung von Machtmonopolen und dem ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt dienen. Um den Wohlstand eines Teils der Welt zu sichern, wird der andere ausgebeutet. Eine Welt, die sich in Herrschende und Beherrschte aufteilt, kann aber keine friedliche sein. Das ganze Moral-, Demokratie- und Menschenrechte Geschwätz als Rechtfertigung der Kriege macht in seiner Verlogenheit permanent wütend. Es ging im Irak- Krieg nicht um den bösen Saddam Hussein, es geht im Afghanistan- Krieg weder um die Taliban, noch um Al Kaida, noch um die unterdrückten Frauen. Es geht um Gas, Öl, wirtschaftliche Vorteile, Macht. Es geht um moderne Kolonialpolitik, bei deren Umsetzung völkerrechtliche Begriffe wie Angriffs- und Verteidigungskrieg " passend" interpretiert oder durch Begriffe wie "Präventivschlag" oder "Globale Selbstverteidigung" ersetzt werden. Eine solche Politik lehnen wir ab!

Wir lassen uns nicht mehr verdummen und fordern das Beenden der Auslandseinsätze und der militärischen Aufrüstung, statt dessen friedenspolitische Maßnahmen. Wir fordern die Bekämpfung der Armut bei uns und weltweit (dann gäbe es bei uns weniger NPD - Wähler und im Irak und in Afghanistan weniger Selbstmordattentäter!), und wir fordern eine gerechtere Verteilung der Güter dieser Erde ohne Ausbeutung!

Lasst uns dafür weiterhin friedlich kämpfen!



E-Mail: kgs (Punkt) schwerte (at) gmx (Punkt) de
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