Antikriegstag 2007


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Antikriegstag 2007

 Demonstration 15.9.2007 Berlin

Redebeitrag bei der Auftaktkundgebung der Demonstration "Frieden für Afghanistan - keine Verlängerung der Bundeswehreinsätze" in Berlin 15.9.2

Für ein abenteuerliches Kriegs- und Sicherheitsversprechen kann die Demokratie nicht geschliffen werden - für mehr zivilen Ungehorsam!

Peter Grottian

- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 15.09.07, Redebeginn, ca: 12.30 Uhr -

Wenn hier ein Vertreter der sozialen Bewegungen, sozialer Protestbewegungen und Bürgerrechtsorganisationen sprechen darf, so deshalb, weil es einen strukturellen Zusammenhang von hegemonialem Macht- und Kriegswahn und der Zurichtung der inneren Verfassung einer Demokratie gibt. Die sich dynamisierende militärische Intervention in Verbindung mit einem hysterisierten Terrorismus erzeugt die Voraussetzung dafür, die Grundrechte zu Tode zu schützen, erzeugt die allumfassende Angst, dass gegen den Terrorismus fast alle Mittel rechtens sind, auch wenn die Demokratie in Teilen liquidiert zu werden droht. Deshalb muss der Kampf gegen den Krieg auch immer ein Kampf für Grund - und Menschenrechte, für soziale und globale Rechte sein. Deshalb ist es eine Aufgabe der Zukunft globalisierungskritische Bewegungen, Friedensbewegung, Ökologiebewegung, soziale Bewegungen und andere so zusammenzubinden, dass unsere universellen menschrechtlichen Ansprüche eingelöst werden. Wenn die Friedensbewegung hoffentlich bald zu Blockaden von kriegsbedingten Produktionen, der massenhaften Verweigerung von Soldaten oder zu Air-Base-Belagerungen aufruft, dann müssen das Proteste aller sozialen Bewegung werden. Und wenn wir Abgeordnete der Partei Die Linke und Kollegen und Kolleginnen aus den Gewerkschaften zum zivilen Ungehorsam gewinnen können, umso besser. Es ist lang her, dass wir mit Oskar Lafontaine und Heinrich Böll die Raketen von Mutlangen blockierten. Es muss verändert und unter veränderten Bedingungen erneut geschehen.

Aber diesen Kampf muss ein Kampf um soziale Grund- und Menschenrechte nach innen korrespondieren. Wenn diese Kriegsinterventionen und hochgelogenen Terrorismus - Abwehrmaßnahmen sich weiter dynamisieren, wird der Schäublesche Sicherheitswahnsinn die doppelte Enteignung der Bürger durch feinmaschige Kontrolle und Entrechtlichung bewerkstelligen.

Wie schreibt der unermüdlich fechtende Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung sinngemäß: Hinter der Terrorismuswolke geschieht der Abbau von Grundrechten so rapide und werde fast alles im Namen des Anti-Terrorkampfes zugelassen, dass Grundrechts schon nicht mehr geschützt werden könnten. Er liegt mit seinen Befürchtungen wohl richtig, wie wir selbst in den letzten Monaten erfahren durften:



das Demonstrationsrecht wurde in Rostock und Heiligendamm so eingeschränkt und pervertiert, dass der Eindruck erzeugt werden sollte, hier demonstrierten die geballten Terroristenvereinigungen;



die Bundesluftwaffen - Einsätze markierten die vorgezogene Schäuble-Vision des innenpolitischen Militäreinsatzes der Bundeswehr - absolut grundgesetzwidrig;



die Umgestaltung des § 129a zum Großscheunentor des terroristischen Vor-Vor-Verdachts, eröffnete alle augenmaßlosen Durchsuchungen, Festnahmen und anderen Zwangsmaßnahmen. Nichts aber auch Nichts, konnte die völlig entfesselte Bundesanwaltschaft vor Rostock vorweisen. Und in den letzten Wochen wurde die Bildung einer terroristischen Vereinigung schon an Hand von wissenschaftlichen Stichworten wie "gentrification" bei Stadtforscher diagnostiziert. Die Beispiele zeigen wie eine Bundesanwaltschaft die Gefahren hochlügt. Man darf als kritischer Wissenschaftler wohl sagen: Glaubt der Bundesanwaltschaft vorerst kein Wort mehr, so hat sie sich willfährig vor den Karren der Terroristenhysterie spannen lassen. Auch bei den jüngsten, angeblich in letzter Minute vereitelten Terroranschlägen ist höchste Skepsis angebracht - es stinkt nach einer künstlich hochgezogenen Terroristenwolke.



die jüngste Forderung nach einer Konvertitendatei markiert einen fundamentalen Rassismus. Migranten, Asylsuchende, Flüchtlinge werden zum Freiwild der Terrorabwehr - und anschließend alle Bürgerinnen und Bürger.



die Disziplinierungs- und Diskriminierungsstruktur bildet als alltägliche Diskriminierung die Brücke die Hartz IV. Wer Deutschland am Hindukusch verteidigt muss nicht nur die Militärausgaben ausweiten, sondern durch die Verbreitung von sozialen Ängsten eine terrorismustrotzende und sozial Akzeptanz herstellen. Oder anders: Hegemonialer Smog militärischen Denkens erzeugt auch tendenziell die soziale Disziplinierung nach Hartz IV - mit Leistungen, die kein menschenwürdiges Leben zulässt, mit hundertausendfachen Zwangsumzügen und privatesten Beschnüffelungsmaßnahmen. 7,4 Millionen Menschen sind betroffen. 2,6 Millionen Kinder sind verarmt. Krieg und sozialer Krieg haben ein gebrochenes, nicht kausales aber strukturelles Entsprechungsverhältnis. Für ein abenteuerliches Kriegs- und Sicherheitsversprechen kann die Demokratie nicht vor die Hunde gehen!


Aber die spannende Frage an uns ist: warum lassen wir die Herrschenden soweit kommen, wo ist unser Widerstand, wo unser ziviler Ungehorsam, wo unser Widerstand, der den Herrschenden weh tut? Sicherlich, die heutige Demo ist ein respektabler Anfang. Aber dabei darf es nicht bleiben. Die terrorismusgespickte Einschüchterung darf keine großkoalitionäre Erfolgsstory werden.

Rostock und Heiligendamm sind ein Fanal auch einer jungen Protestgeneration der 16 bis 30 Jährigen, aber sie muss sich jetzt mehr artikulieren, sichtbarer, sprachmächtiger und aktionsmächtiger werden sowie selbst neue Strategien ausloten.

Die strategische Allianz von der Partei Die Linke, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen muss mehr gedacht, erprobt und wechselseitige Dynamik übersetzt werden. Es geht mehr, wenn wir es wirklich, wirklich wollen.

Der Schlüssel liegt darin, ob wir uns zutrauen plurale Formen des zivilen Ungehorsams, des gewaltlosen Widerstands mehr zu praktizieren: Rüstungsproduktionen empfindlich stören, Rüstungsimages von Firmen systematisch beschädigen, Sozialproteste in den Reichtumszonen organisieren, Kinder- und Elternproteste in Kitas und Schulen vom Zaun brechen. Wir müssen den Herrschenden wehtun - darunter geht es nicht. Demos sind gut - zivilgesellschaftliche Widerstände sind unsere Herausforderung. Aus manchem Demofrust soll Ungehorsamslust werden.

Darüber lasst uns auf dem Sozialforum in Deutschland vom 18. - 21.10.2007 in Cottbus reden und lasst uns den Global Action Day am 26. Januar 2008 dazu ausbauen, dass Widerstandsformen gegen den Krieg und für soziale Menschenrechte eine Einheit von zivilgesellschaftlichen Widerständen bilden. Mehr Mut zur Wut und für eine neue Courage des zivilen Ungehorsams! Lasst uns das wirklich, wirklich machen.



Prof. Dr. Peter Grottian ist emeritierter Hochschullehrer für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Vita siehe hier

E-Mail: pgrottia (at) zedat (Punkt) fu-berlin (Punkt) de
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