Antikriegstag 2008


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Redebeitrag zur Antikriegstagskundgebung am 1. September 2008 in Esslingen

Der Krieg in Afghanistan

Helmut Maier (in Esslingen)

Meine sehr geehrten Zuhörerinnen und Zuhörer, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

der Krieg in Afghanistan ist auch angesichts des Georgienkriegs und fortdauernden Georgienkonflikts eine entscheidende Schicksalsfrage dieser Jahre, nicht nur für Deutschland, sondern auch für die ganze Welt. Dabei haben manche Nato-Partner Deutschlands aus ihrer Sicht durchaus Recht, wenn sie die Haltung unseres Landes kritisieren: Deutschland steht nicht wirklich hinter der Politik der USA in Afghanistan. Der Job, den die Deutschen im Norden des Landes tun, ist nicht ganz das, was sich die Amerikaner … la Bush gewünscht haben: nämlich die totale Unterstützung der Kreuzzugspolitik der USA, die nicht frei ist von Gedanken der Rache für die zweifellos schrecklichen Terroranschläge des 11. September 2001.

Es handelt sich bei dem militärischen Einsatz in Afghanistan leider zuallererst um diesen Krieg der USA und der Verbündeten in der NATO - und Deutschland wollte sich ganz offensichtlich in die Verstrickung in diesen Krieg, genannt Operation Enduring Freedom, so wenig wie möglich hineinziehen lassen. Es hat sich vorwiegend auf diejenigen militärischen Operationen eingelassen, die man für den Wiederaufbau des schon in der Herrschaft der Taliban und dann im Krieg der USA in jeder Hinsicht verwüsteten Landes als notwendig erachtet hat: die ursprünglich losgelöst vom amerikanischen Krieg Enduring Freedom durch die UN veranstaltete, aber seit 2003 nur noch Nato-geführte ISAF:

International Security Assistance Force:

Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan.

Ursprünglich waren dies zwei völlig verschiedene Ansätze. Heute fließen die zwei Beteiligungen der Bundeswehr immer mehr ineinander. Dies ist weniger auf die fast schon totale Einbindung in die NATO zurückzuführen, sondern viel mehr darauf, dass die verantwortlichen Politiker nicht auf konsequente Gewaltfreiheit vertrauen mögen. Sie glauben nicht, was die AG Friedensforschung an der Uni Kassel 2005 in einer ihrer 60 Thesen für eine europäische Friedenspolitik folgendermaßen ausgedrückt hat:

"Der "Kampf gegen den Terror", wie er von Seiten der USA und der meisten westeuropäischen Staaten seit dem 11.9. geführt wird, muss entmilitarisiert werden. Terroristen und deren Aktivitäten sind nicht mit Krieg zu bekämpfen."

Und tatsächlich stellt sich die Frage, ob es nichtmilitärische Möglichkeiten gibt, den Frieden in Afghanistan zu erreichen. Denn natürlich kann man nach der Zeit, in der man sich militärisch in Afghanistan eingemischt hat, das Land nicht plötzlich sich selber überlassen, vor allem deshalb, weil durch das militärische Eingreifen der Glaube an den guten Willen der Alliierten und der von ihr gestützten afghanischen Regierung in der afghanischen Bevölkerung gründlich gelitten hat, was den Taliban in die Hände gespielt hat und immer noch spielt.

Es ist höchste Zeit etwas zu tun. Die Lage in Afghanistan ist verzweifelt. Das zeigt sich auch an der immer schwieriger werdenden Sicherheitslage selbst in dem unter deutscher militärischer Verantwortung stehenden Norden. Aber es gilt auch dies: (Ich zitiere:)

"Unter den Augen von 50.000 internationalen Soldaten ist halb Afghanistan zu einem einzigen riesigen Mohnfeld geworden. Die Opiumproduktion hat sich seit dem Sturz der Taliban verzehnfacht. 90% des Opiums der Welt kommt aus Afghanistan." (So z.B. die Einleitung eines bestürzt machenden Films auf Arte.)

Die Opiumproduktion aber, die wegen der Verstrickung der gesamten Gesellschaft in den illegalen Schmuggel als das größte Hindernis gilt, staatliche Gewalt im ganzen Land durchzusetzen und damit den geordneten Wiederaufbau voranzutreiben und abzusichern, ist mit militärischer Gewalt im gegenwärtigen Ausmaß nicht zu stoppen. Das sieht auch der renommierte Senlis Council, eine internationale Denkfabrik, so.

Im Gegenteil, möchte ich sagen: Je länger und damit mehr die militärische Gewalt der USA und ihrer Verbündeten im Kampf gegen die Taliban (die nicht für den Mohnanbau verantwortlich sind, wohl aber auch an ihm verdienen) zivile Opfer fordert, desto mehr wird der westliche Kampf gegen den Mohnanbau nur als feindliche Einmischung angesehen, was die Rolle der Taliban als angebliche Verteidiger der afghanischen Identität stärkt.

Die Unterscheidung zwischen amerikanischer Kriegsführung und der militärischen Absicherung des Wiederaufbaus wird von der afghanischen Bevölkerung immer weniger gemacht, so dass dann die deutschen Soldaten der Isaf genau so als Feinde Afghanistans erscheinen wie die Amerikaner. Das jüngste Beispiel des Kriegs gegen Zivilisten, in den auch die Deutschen hineinschlittern, hatte ja ganz offensichtlich auch mit einer Kontrollmaßnahme gegen Drogenschmuggel zu tun.

Der Senlis Concil macht zur Bewältigung der Drogenproblematik einen einfachen, wenn auch überraschenden Vorschlag: Der Drogenanbau in Afghanistan solle nicht bekämpft, sondern staatlich kontrolliert werden.

Das Opium solle dem illegalen Drogenmarkt entzogen und stattdessen zur Herstellung der Schmerzmittel Morphium und Kodein auch für die Entwicklungsländer verwendet werden. Vorbilder für den Plan sind Länder wie Indien und die Türkei, wo lizenzierte Bauern seit Jahren Opium für medizinische Zwecke herstellen.

Die Existenzgrundlage der rund zwei Millionen afghanischen Bauern, die vom Drogenanbau leben, bliebe erhalten, argumentiert der Senlis Council. Zugleich würden schädliche Begleiterscheinungen der Drogenökonomie wie Korruption und Gewalt eingedämmt.

Emmanuel Reinert, der Direktor des Senlis Council, präsentierte den Vorschlag Ende September 2007 in Kabul. In einer Presseerklärung begrüßte die afghanische Regierung das Vorhaben, die Möglichkeiten einer lizenzierten Opiumproduktion auszuloten. Sie hat aber auch deutlich gemacht, dass Afghanistan noch nicht reif sei für diesen Vorschlag, weil sie derzeit nicht in der Lage sei, eine solche Lösung abzusichern.

Es habe aber auch eine inoffizielle Reaktion gegeben, berichtet Reinert:

Die afghanische Regierung müsse vorsichtig sein. Sie müsse die Meinung der wichtigen Geberländer berücksichtigen, allen voran der Vereinigten Staaten und Großbritanniens.

Beide Länder verfolgten eine Politik, bei der die Vernichtung der Drogen im Mittelpunkt stehe, macht der Senlis Council deutlich. Er dagegen betrachte das Problem aus einer ganz anderen Perspektive.

Bei der Idee, den Opiumanbau zu lizenzieren, gehe es um Entwicklung und wirtschaftlichen Wiederaufbau in Afghanistan. Wenn in einem Land der Anbau einer Pflanze 60 Prozent des Bruttosozialprodukts ausmache, dann gehe es nicht mehr nur um Drogen.

Reinert wörtlich: "Dann gibt es vielmehr ein wirtschaftliches Problem, das nicht durch repressive Politik und militärische Drogenbekämpfung bearbeitet werden kann."

Reinert betont, dass es weltweit dringenden Bedarf an Schmerzmitteln gibt.

Achtzig Prozent aller Länder hätten Zugang zu lediglich sieben Prozent des weltweit hergestellten Morphiums und Kodeins. Allein die sieben reichsten Länder verbrauchten 80 Prozent. Es gebe kein Morphium oder Kodein in Lateinamerika, Asien und Afrika; selbst in Westeuropa gebe es immer wieder Engpässe. Zurzeit sei der Weltmarkt so organisiert, dass das Angebot den tatsächlichen Bedarf nicht decke.

Wenn sie die Wahl hätten, würden sich die afghanischen Bauern in Umfragen für eine Lizenzierung des Opiumanbaus als legale Variante gegenüber dem Verkauf auf dem illegalen Markt entscheiden.

Dabei könnten lokal verankerte Mechanismen sozialer Kontrolle genutzt werden. So der Senlis Council auch in neuesten Informationen. Es herrsche keine Anarchie im ländlichen Afghanistan. Es gebe eine funktionierende soziale Organisation, zum Beispiel in Form von lokalen Versammlungen wie Shuras oder Jirgas beziehungsweise Ältestenräten.

((Erste Untersuchungen zur Wertschöpfung in einer lizenzierten Opiumwirtschaft zeigten, dass das Nettoeinkommen der Bauern mindestens so hoch wäre wie bisher. Es würden ja auch einige Kosten wegfallen, die der illegale Markt mitbringe.

Das gelte sogar für die lokalen Händler und Kriegsfürsten. Auch sie könnten in einem Lizenzsystem eine Rolle und ein Auskommen für sich finden.))

Ein großer Vorteil des Lizenzsystems wäre, dass der Zentralstaat, dem so ein Vorgehen möglich würde, auf lokaler Ebene an Akzeptanz gewinnen könne, weil er nicht mehr die Lebensgrundlage der Bauern attackieren würde. Zurzeit laufe jede Initiative der Regierung zum Opiumanbau darauf hinaus, die Bauern anzugreifen, die nur sich und ihren Familien ein anständiges Leben ermöglichen wollen.

Die Lizenzierung dagegen würde die Lebensgrundlage der Bauern erhalten und zugleich den afghanischen Staat stärken.

Der Teufelskreis des illegalen Marktes könne in einen Kreislauf sich gegenseitig verstärkender Vorteile verwandelt werden.

Ich erinnere daran, dass Reinert betont, es handle sich um ein Problem, -Zitat!- "das nicht durch repressive Politik und militärische Drogenbekämpfung bearbeitet werden kann".

Umgekehrt kann man daraus schließen, dass eine nicht-militärische Lösung der Probleme Afghanistans möglich wäre. Jedenfalls verhindert der militärische Einsatz solche Modelle.

Allerdings:

Eine Nichtverlängerung auch nur eines Teils des Interventionspakets würde den Kriegstanker NATO auf Schlingerkurs bringen und auch die deutsche Außenpolitik würde mit der Aufgabe des militärischen Afghanistan-Einsatzes insgesamt in Frage gestellt werden: Das Diktum, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt, verlöre plötzlich seine Gültigkeit. Die Transformation der Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee geriete in Erklärungsnot.

Das jedoch wäre gut so!

Der Afghanistaneinsatz der Bundeswehr ist das in der Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg am deutlichsten gewordene Dilemma des Glaubens an die Macht des Militärischen:

- Erstens fehlt durch die Militärausgaben das Geld, das gebraucht würde, um wirklich glaubwürdig zu machen, dass es bei der bundesrepublikanischen Politik um partnerschaftliches Denken geht. Dass es nach der Wende vom kommunistischen Anspruch, mit gesellschaftlichen Zwangsmitteln eine bessere Welt zu schaffen, nicht darum geht, zum dominierenden System einer weltweiten Freiheit der Mächtigen zu kommen, das die Schicksale von einzelnen Menschen, ja, ganzen Gesellschaftsgruppen oder sogar Völkern zu vergessen droht.

- Zweitens trägt der tatsächlich oder wenigstens potentiell weltweit erfolgende Bundeswehreinsatz dazu bei, dass Ideen zur gewaltfreien Entwicklung der Welt und schon erste Ansätze zum Denken in eine wirklich humane Richtung von Politik ohne Vertrauen auf Drohgebärden im Keime erstickt zu werden drohen.

Kurz gesagt: Das Vertrauen in militärische Lösungen verhindert kreative und humane Weltpolitik. Sie aber muss entwickelt werden!

Wie der Krieg in Georgien zeigt, hat der Krieg in Afghanistan (bereits vorbereitet durch die Argumentation im Kosovokrieg) auch Russland die Option eröffnet, das Prinzip "humanitäre Intervention statt Nichteinmischung` ganz nach der westlichen Sprachregelung für eine militärisch ausgerichtete Interessenpolitik zu nutzen. Herfried Münkler sieht in einem Interview in der taz vom 14. August eine Kehrtwendung russischer Außenpolitik. Er zeigt, wie Russland folgendermaßen argumentiert:

"Dann verabschieden wir uns vom Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und greifen selbst zum Argument der humanitären Intervention."

Wir sind heute hier, um eine echte Wende zu fordern hin zu einer friedlichen Welt, ohne unser Gewissen und das der Politiker mit dem verhängnisvollen Vertrauen auf die Macht des Militärischen zu beruhigen.

Krieg ist nicht die Lösung der Probleme. Krieg schafft weitere Probleme. Diese Erkenntnis muss sich durchsetzen.

Heute, am 1. September 2008 wird der Aachener Friedenspreis an den kürzlich achtzig Jahre alt gewordenen Andreas Buro überreicht " einem, der sich um diese Kritik an militärischen Lösungsstrategien für Konflikte verdient gemacht hat und als Ideengeber für die deutsche Friedensbewegung unverzichtbar scheint. Wir gratulieren ihm von hier aus recht herzlich.

Wir stehen hier wie er im Vertrauen auf Gewaltfreiheit und ihre Kraft und willens, dieser Basis für eine bessere Welt den absoluten Vorrang einzuräumen. Ich hoffe auch auf Ihre Unterstützung für eine gewaltfreie Politik - zum Beispiel dadurch, dass Sie am 20. September in Stuttgart an der großen Demonstration gegen den Krieg in Afghanistan teilnehmen.

Also dann: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und spätestens bis zum Wiedersehen am 20. September in Stuttgart - oder Berlin.


E-Mail: maiergschwend (at) maier-lyrik (Punkt) de

Website: maiergschwend@t-online.de
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