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03.09.2009


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Antikriegstag 2009

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede zum Antikriegstag 2009 in der Steinwache Dortmund am 1. September

Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde des Friedens!

Bernhard Nolz (in Dortmund)



- Es gilt das gesprochene Wort -



Frieden mit friedlichen Mitteln

Wir neigen dazu, den so genannten runden Gedenktagen eine besondere Bedeutung zu geben. Vielleicht versprechen wir uns von solchen Jahrestagen einleuchtende Einsichten, nachhaltige Erkenntnisse oder Leitfäden für zukünftiges Handeln.

Unser Leitfaden im Siegener Zentrum für Friedenskultur ist die Arbeit am Frieden. Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung hat bisher am besten formuliert, was uns an der Friedensarbeit fasziniert:

"Frieden ist eine revolutionäre Idee; dass der Frieden mit friedlichen Mitteln erreicht werden soll, definiert diese Revolution als gewaltfrei. Sie findet immer statt; unsere Aufgabe ist es, ihren Umfang und ihr Gebiet zu vergrößern."

Geschichte des Antikriegstages

Als Friedenspädagoge kenne ich meinen Auftrag und weiß, dass ich jedes Jahr wieder neu vom Antikriegstag anfangen muss. Jedes Jahr wird wieder erklärt, dass der Antikriegstag an den Beginn des 2. Weltkrieges mit dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 erinnert. Die Initiative für diesen Gedenktag ging vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) aus, der erstmals am 1. September 1957 unter dem Motto "Nie wieder Krieg" zu Aktionen aufrief. Auf dem Bundeskongress des DGB im Jahre 1966 wurde ein Antrag angenommen, der dazu auffordert, "alles Erdenkliche zu unternehmen, damit des 1. September in würdiger Form als eines Tages des Bekenntnisses für den Frieden und gegen den Krieg gedacht wird." In der DDR wurde der 1. September als "Weltfriedenstag" gefeiert.

In falsch verstandener Solidarität unterdrückt der Friedenspädagoge, der auch Gewerkschaftsmitglied ist, am 1. September die Kritik daran, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund die Friedensforderung der Arbeiterbewegung in den beiden letzten Jahrzehnten - von wenigen Ausnahmen abgesehen - ziemlich vernachlässigt hat. Manchmal scheint in Gewerkschaftskreisen vergessen, dass die Arbeiterbewegung von Anfang an, also seit über 120 Jahren, am 1. Mai - dem Tag der Arbeit - ihre Forderungen nach mehr Lohn und nach besseren Arbeitsbedingungen immer mit der Forderung nach Frieden verbunden hat.

Vor 70 Jahren entfesselten die Nationalsozialisten mit dem Angriff auf Polen den 2. Weltkrieg. 70 Jahre lang haben Pazifistinnen und Pazifisten in aller Welt diesem und allen anderen Kriegsverbrechen das "Nein zum Krieg" entgegen gehalten. Für dieses einfache, klare "Nein zum Krieg" gab es in all den Jahren seit dem 1. September 1939 immer wieder neue kriegerischer Anlässe, die uns immer weiter von einem Frieden mit friedlichen Mitteln entfernt haben.

Hinter mir toben sozusagen 37 aktuelle kriegerische Konflikte, in denen sich mindestens zwei Parteien mit Waffengewalt auseinander setzen. Es kommen neue hinzu, ohne dass die alten Kriege beendet wären. Und so würde ich auch das, was ich heute am 70. Jahrestag des Beginns des 2. Weltkrieges sage, zum 71. Jahrestag in derselben Form gar nicht mehr sagen können.

Die Vergangenheit neu "erkennen"

Das hängt auch damit zusammen, dass die Vergangenheit immer wieder neu "erkannt" werden muss. Dann kann sie Bedeutung für die Gegenwart erlangen. Bei der alltäglichen Gestaltung der Welt können wir in den vergangenen Ereignissen immer wieder Anregungen entdecken, unsere gegenwärtigen Vorstellungen zu verändern. Eine ein für allemal verordnete Erinnerung, gar als Staatsräson überhöht, wie sie für Deutschland im Zusammenhang mit dem Holocaust und den Kriegsverbrechen Israels im Gazastreifen beschworen wurde, kann es in einer Demokratie nicht geben. Die Demokratie lebt von der Vielfalt der Meinungen, und die Menschenrechte sind ihr Maßstab. Das gerade lehrt uns die Erinnerung an die nationalsozialistische Diktatur und an die Verbrechen des 2. Weltkriegs: Wir müssen den Menschenrechten immer wieder aufs Neue und mit aller Kraft Geltung verschaffen.

Probleme gerecht lösen

Mir sind zwei Beispiele dafür eingefallen, wie die Erinnerung an die Vergangenheit zur Lösung von Problemen der Gegenwart beitragen und eine Perspektive zum Aufbau von Gerechtigkeit und Frieden eröffnen kann:

Ein bekannter deutscher Sportwagenhersteller, der sich gerade in den VWKonzern eingliedert, um ihn besser beherrschen zu können, ist in Familienbesitz. Dieser Besitzstand beruht zu einem gewissen Teil auf der Enteignung gewerkschaftlichem Eigentums während der Nazi-Diktatur. Es erscheint gerecht, wenn die beteiligten P-Familien jetzt 20 Prozent ihrer Anteile den Beschäftigten des Konzerns und ihren Interessenvertretungen zurück übereigneten.

Viele Konzerne und Großunternehmen in Deutschland sind aus Arisierungen, d.h. aus der Aneignung jüdischen Eigentums während der nationalsozialistischen Diktatur hervor gegangen. Diese Unternehmen sollten in Zusammenarbeit mit den deutschen Banken einen gemeinschaftlichen "Solidaritätsfond Palästina" einrichten, der die Aufbauarbeit im Gaza-Streifen und im Westjordanland fördert, solange sich Israel und Deutschland ihrer politischen und humanitären Verpflichtungen für die Menschen in Palästina entziehen.

Frieden mit friedlichen Mitteln heißt, auf Versöhnung hin zu arbeiten. Rassismus und Feindbilder sind Quellen der Kriegsbereitschaft.

Mahnmal Steinwache

Die Steinwache ist ein Mahnmal gegen die faschistische Diktatur, die aus Menschen Feinde und Untermenschen machte und der Vernichtung Preis gab. Die Steinwache ist der richtige Ort der Erinnerung an die Nazi-Barbarei und an die Ungeheurlichkeit der staatlichen Vernichtung von Menschen. Fassungslos müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Vergeltungsmaßnahmen der deutschen Wehrmacht in den eroberten Ländern eine Nachahmung in der US-amerikanischen und der israelischen Armee gefunden haben, die durch gezielte Tötungen Menschen vernichten. Es sind lebendige Menschen gewesen mit unveräußerlichen Menschenrechten, die auf Befehl von Politikern liquidiert wurden.

Widerständlerin Martha Hadinsky

Ich will jetzt vom Schicksal von Martha Hadinsky berichten, die in diesen Tagen von der Gewerkschaft ver.di in Mülheim/Ruhr postum geehrt wurde. Martha Hadinsky war 1936 wegen ihres aktiven Engagements in einer antifaschistischen Jugendgruppe verhaftet worden. Ein Sondergericht verurteilte sie im Duisburger "Jugendprozess" zu acht Jahren Zuchthaus. Im Frauenzuchthaus Ziegenhain bei Kassel erkrankte sie an einer lebensgefährlichen Lungentuberkulose. Nach ihrer Entlassung nahm sie illegale Kontakte zu politischen Häftlingen auf.

1945 endete die erste Verfolgung der Kommunistin Martha Hadinsky. Der neue Staat gestand ihr für die Jahre in faschistischer Haft eine monatliche Rente von 93 DM zu.

Drei Jahre nach dem Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1956 stand Martha Hadinsky wieder vor einem politischen Sondergericht, dieses Mal vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund. Angeklagt war sie wegen ihres Eintretens gegen die Aufrüstung und die Wiederkehr der alten Nazis in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens der BRD. Die Martha Hadinsky angelasteten "Vergehen und Verbrechen", begangen durch die Fortsetzung der Tätigkeit für die verbotene KPD, habe die Angeklagte, so urteilten die Richter, "in verfassungsfeindlicher Absicht begangen." Die Strafe (ein Jahr und drei Monate) sei geeignet, ihre kommunistische Wühlarbeit einzudämmen, zumal die Angeklagte noch heute von der Rechtmäßigkeit ihres Tuns überzeugt sei und sich insoweit grundsätzlich rechtsfeindlich erwiesen habe. Da war es dann nur konsequent, dass die zuständige Landesrentenbehörde die Zahlung der Entschädigungsrente an die unbelehrbare "Rechtsfeindin" einstellte und die bereits gezahlten 3205 DM aus der erhaltenen "Wiedergutmachung" zurückverlangte. Martha Hadinsky nahm sich das Leben. (Diese Informationen stammen aus einem Bericht der Tageszeitung "junge Welt".)

Rehabilitation für Kriegsverräter und Totalverweigerer

Die Justizgeschichte nach 1949 in der BRD ist dadurch gekennzeichnet, dass die Justiz die meisten Nazi-Täter unbehelligt ließ, während sie gegenüber Kommunistinnen und Kommunisten eine besinnungslose Verurteilungswut praktizierte, ohne ein Gefühl dafür zu haben, dass sie Menschen aburteilte, die sich durch zivilgesellschaftliches demokratisches Engagement ausgezeichnet hatten.

Wir nehmen den heutigen Jahrestag zum Anlass, alle die zu ehren, die sich dem Krieg verweigert haben, die Widerstand geleistet haben und die Anderen in der Not geholfen haben.

Es ist ein Akt nachträglicher Gerechtigkeit, dass nun endlich auch die sogenannten Kriegsverräter aus dem 2. Weltkrieg rehabilitiert werden. Kriegsverrat lag beispielsweise vor, wenn die Kampfkraft durch pazifistische Propaganda, durch Erregung öffentlicher Unruhen und Störung des Wirtschaftslebens geschwächt wurde. Im 2. Weltkrieg wurden 30.000 Todesurteile wegen Kriegsverrats vollstreckt und Zehntausende von Zuchthausstrafen verhängt.

Der 70. Jahrestag des Beginns des 2. Weltkrieges wäre der richtige Tag gewesen für die Abschaffung der Wehrpflicht. Sofort müsste der Wehrdienst solange ausgesetzt werden, wie die Bundeswehr Grundgesetz widrige Kriege führt. Für die Wehrpflichtigen ist es unzumutbar, in einer militärischen Formation, die Gesetz und Recht missachtet, zwangsweise Dienst tun zu müssen. Im Hinblick auf die vom Grundgesetz geschützte Gewissensfreiheit halte ich eine totale Straffreiheit für so genannte Totalverweigerer für angebracht, die als Amnestie auf alle bisherigen Totalverweigerer ausgedehnt werden müsste. Die Amnestie ist das bessere Mittel nachträglicher Gerechtigkeit, weil es den Lebenden die Würde zurückgibt.

Aus der Geschichte den Frieden lernen

Es gilt, hatte ich gesagt, die Vergangenheit immer wieder neu zu erkennen, um aus ihr lernen zu können. Aus der Geschichte zu lernen kann auch schief gehen, wie Joschka Fischer erfahren musste, der im Jahre 1999 als Außenminister aus Auschwitz gelernt zu haben vorgab. Für seinen Kriegs- und Tötungsbefehl für Serbien bemühte Fischer einen einfachen Propagandaapparat, der das Kriegerische in das allzu Menschliche übertragen sollte, damit es für jeden begreifbar werden könnte. Fischer argumentierte faschistisch, indem er die aus seiner Sicht Schuldigen ausgrenzte und sie für "vogelfrei" erklärte, d.h. ihnen ihre Würde und das Recht auf Leben nahm. Seine Botschaft war: Wir handeln in Notwehr und töten die, die andere töten wollen. Das ist eine "humanitäre Intervention".

Andere Lügen von Scharping und Schröder kamen hinzu, so dass die "humanitäre Intervention" auch international zur Verschleierung von Kriegshandlungen bald ausgedient hatte.

Zur Aufklärung über die Nato-Kriegsverbrechen im Kosovo haben viele Menschen und Organisationen der Friedens- und Menschenrechtsbewegung beigetragen. Aber schon ist am Horizont eine neue Nato-Strategie des Krieges mit Menschen verachtenden Dimensionen aufgetaucht. Sie heißt "Responsibility to protect", was ich mit "Verpflichtung zum Helfen und Schützen" übersetze. Dabei werden allerdings keine friedlichen Mittel eingesetzt, sondern es kommt zu purer Gewalteskalation mit konzentrierten Militärschlägen gegen Menschen und Infrastruktur.

Der Destruktivität der Kriegspolitik halten wir unsere Friedenslogik entgegen. Es gilt, die Politikerinnen und Politiker davon zu überzeugen, dass Frieden mit friedlichen Mittel der einzig mögliche Weg ist, staatliche und menschliche Sicherheit zu schaffen. Dazu muss sich in einer Staatenwelt, die von Kapitalinteressen beherrscht wird, eine neue Politik des gegenseitigen Respekts und der Kooperation etablieren.

In Dortmund: Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!

Am Antikriegstag 2009 kann man in Dortmund nicht über den Frieden sprechen, ohne darauf einzugehen, dass die Autonomen Nationalisten europaweit für den 5. September zu einem "nationalen Antikriegstag" nach Dortmund mobilisieren und dass das Bündnis "Dortmund stellt sich quer!" zu einer Gegendemonstration aufruft.

Seit Jahren ist die Situation in Dortmund durch extreme Gewalt der Neofaschisten gekennzeichnet. Ihr wird von mehreren Seiten mit Gegengewalt in unterschiedlichen Abstufungen geantwortet.

Diese Spirale der Gewalt, die von Feindbildern gespeist wird, gilt es zu beenden. Man kann davon ausgehen, dass dazu bei den Neofaschisten keine Bereitschaft besteht. Aus diesem Grund sollten die anderen Beteiligten Maßnahmen zur Deeskalation der Gesamtsituation ergreifen, um in einem nächsten Schritt den Gewaltkonflikt in eine friedliche Lösung transformieren zu können.

Zu aller erst wäre zu versuchen, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln ein Demonstrationsverbot zu erreichen. Die Aussichten dafür sind m.E. gut. PoIitik und Verwaltung dürfen nicht der Verlockung erliegen, die neofaschistische Gewalt für ihre Zwecke instrumentalisieren zu wollen. Ihr demokratischer Auftrag lautet neofaschistische Gewalt zu verhindern.

Ein Demonstrationsverbot für die Neofaschisten dürfte auch im Interesse des Bündnisses "Dortmund stellt sich quer!" sein. Für den Frieden in der Gesellschaft ist es gewinnbringender, wenn Friedensfeste gefeiert und Aufklärungs- und Solidaritätsveranstaltungen durchgeführt werden. Von direkten Gegendemonstrationen gegen faschistische Auftritte ist aber auch grundsätzlich abzuraten, weil im Zustand der andauernden Konfrontation zu leicht der gegenseitige Respekt verloren geht und die Gewalt zu eskalieren droht.

In Gewaltabbau und Deeskalation muss auch die Polizei mit einbezogen werden. Sie hat in den letzten Jahren ständig aufgerüstet und eine selbstständige Polizei-,Politik" betrieben. Wenn die Polizeiführung schwer bewaffnete Polizistinnen und Polizisten in martialischer Rüstung öffentliche Demonstrationen begleiten lässt, lässt sie die Ausübung eines demokratischen Grundrechts als gewalthaltige Veranstaltung erscheinen. Das überspannt den polizeilichen Auftrag. Die Konsequenz heißt zum Einen Abrüstung bei Beamten, Waffen und Gerät. Zum Anderen sollte die Dortmunder Polizei zukünftig ohne Schlagstock und Tränengas vorgehen und Methoden und Mittel der Zivilen Konfliktbearbeitung (ZKB) in die polizeiliche Praxis einbeziehen.

Bis zum 5. September sind allerdings keine Wunder zu erwarten.

An der Heimatfront

Der Krieg in der Ferne findet seine Ergänzung an der Heimatfront. Die hiesigen Akteure versuchen ihr militärisches Feld mit aller Kraft zu erweitern. Noch ist die Zivilgesellschaft stark genug, das zu verhindern. Zwei Drittel der Bevölkerung ist gegen die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan. Fast ebenso viele lehnen den Einsatz der Bundeswehr im Innern ab. Eine Mehrheit ist gegen die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer hat schwindelnde Höhen erreicht, und noch nie zuvor haben so wenige junge Männer eines Jahrgangs den Wehrdienst absolviert. Die Zivilgesellschaft ist antimilitaristisch eingestellt und lehnt die in Afghanistan zutage tretende Politik von Eroberung und Zerstörung ab.

Dagegen versuchen Staat und Wirtschaft den Gürtel der Gewalt immer enger um die Zivilgesellschaft zu ziehen. Der Bereich der Wirtschaft und der Arbeitswelt weist die größten Defizite auf, wenn es um demokratische Mitbestimmungsrechte geht. Die Wirtschaft beutet die Ressourcen aus und sorgt für die Zerstörung von Menschen, Sachwerten und Natur. Dem Sozialstaat droht die Abschaffung. Der Staat treibt gegen sich selbst die Privatisierung voran und übereignet das Vermögen, das dem Volk gehört, privaten Profiteuren zur Gewinnmaximierung. Gleichzeitig werden der Militärapparat, der Gefängniskomplex und die Polizeipräsenz mit horrenden Summen ausgebaut, die bei Bildung und Gesundheit fehlen. Neoliberalismus bedeutet: Umbau des Staates in einem autoritären und antidemokratischen Sinn.

Zivil-Militärische Zusammenarbeit als Heimatschutz

Während die Zivilgesellschaft dabei ist, alternative Entwürfe eines solidarischen Zusammenlebens zu praktizieren, z.B. im Wendland, schleicht sich eine neue Form des Militarismus in die Gesellschaft ein: der Heimatschutz, der Zivil-Militärische Zusammenarbeit genannt wird. Sie will die strikte Trennung von militärischer und ziviler Organisation in der Sicherheitsvorsorge aufheben. Dazu sollen Heimatschutzkommandos in den Landkreisen und kreisfreien Städten gebildet und in die kommunalen Netzwerke der Katastrophenhilfe eingebunden und mit Reservisten der Bundeswehr besetzt werden. Man wird sehen, ob das gut geht!

Bis 2010 soll ein Militärsystem im zivilen Bereich geschaffen werden, das flächendeckend bis in den hintersten Winkel der Bundesrepublik reicht. Das alles ohne verfassungsrechtliche Grundlage, denn das Grundgesetz (Art. 35, Abs. 2) sieht einen Einsatz der Bundeswehr im Innern nur zur "Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall" vor. Die Erfahrungen in Afghanistan belegen das Scheitern der ZivilMilitärischen Zusammenarbeit. Im Schatten des Militärs kann ziviles Leben nicht gedeihen.

Menschliche Sicherheit als Schutz vor bedrohungen

Mit dem Konzept der "Menschlichen Sicherheit" der Vereinten Nationen soll erreicht werden, dass jeder Mensch in "Freiheit von Furcht" und in "Freiheit von Mangel" leben kann. Frieden in einer Region kann nur dann erreicht werden, wenn die Menschen frei von Bedrohungen leben können. Ein Blick auf die gravierendsten Bedrohungen der Menschheit zeigt, dass hier mit einer Armee nichts auszurichten ist, weil von ihr die Bedrohung ausgeht, die beseitigt werden soll.

Durch entsprechende Maßnahmen müssen vor allem vier Bedrohungs-szenarien gemeistert werden: die Bedrohung der Umweltsicherheit, die Bedrohung der Ernährungssicherheit, die Bedrohung der sozialen und wirtschaftlichen Sicherheit und die Bedrohung der politische Sicherheit, womit der Schutz vor Krieg gemeint ist.

Die Charta der Vereinten Nationen verlangt den Vorrang ziviler Mittel zur Erreichung von Sicherheit und Frieden. Deshalb muss der Staat die Organisationen der Zivilgesellschaft und die Teile der Wirtschaft unterstützen, die an einem friedlichen Austausch von Ideen, Produkten und Dienstleistungen im Sinne der menschlichen Sicherheit interessiert sind.

Friedenserziehung in der Schule

Etwas kleinlaut musste die nordrheinwestfälische Schulministerin Sommer gegenüber der Deutschen Vereinigung für politische Bildung einräumen, dass nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die Vertreterinnen und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen in die Schulen eingeladen werden und Fortbildungbildungsangebote anbieten können.

Ministerin Sommer hatte im Rahmen einer gesonderten Vereinbarung der Bundeswehr vorrangigen Zutritt zu allen Schulen in NRW verschaffen wollen. Friedenserziehung im Sinne einer Wehr- oder Kriegserziehung erscheint weiterhin in Deutschland undenkbar. Die Erinnerung an die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen steht dem entgegen.

Landesverfassungen und Schulgesetze räumen der Friedenserziehung oberste Priorität ein. Trotzdem wird kräftig für die gesellschaftliche Anerkennung des Kriegshandwerks von den Politikern geworben. Es liegt Pädagoginnen und Pädagogen fern, im Rahmen der Vermittlung von Bildung und Erziehung aus Soldatinnen und Soldaten Vorbilder machen zu wollen. Vielmehr haben sich alle über den Erfolg der Bürgerinitiative FREIeHEIDe gefreut. Im Juli dieses Jahres erklärte Kriegsminister Jung den endgültigen Verzicht der Bundeswehr auf den Truppenübungsplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide. FREIeHEIDe ist inzwischen zu einem Symbol geworden für einen kreativen und friedlichen Protest gegen den Militarismus und für den Schutz von Menschen und Natur. In 17 Jahren haben an 112 Protestveranstaltungen über 350 000 Menschen aus nah und fern teilgenommen. Nun gilt es noch, das "Bombodrom" von den militärischen Altlasten zu befreien. Es bleibt zu hoffen, dass die zivilgesellschaftlichen Initiativen an anderen Militärstandorten bald ähnliche Erfolge erzielen können.

Frieden in Afghanistan

Zum Antikriegstag 2009 fordert die Friedensbewegung die Bundesregierung zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan auf. Die achtjährige Kriegsmission mit über 50.000 Toten ist gescheitert. Die Bundesregierung muss sich auf eine Friedenspolitik besinnen, die in Zusammenarbeit mit der afghanischen Bevölkerung entwickelt wird. Ziele wären ein starkes afghanisches Volk, das seine Grundbedürfnisse ohne Krieg erfüllen und zu einer religiösen und sprachlichen Identität zurückkehren kann; eine Zentralregierung, die in ein föderales System eingebettet ist, und der Aufbau einer Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Zentral-Süd-Asien.

Wenn der Krieg in Afghanistan beendet ist, können Zivile Friedensdienste dazu beitragen, die Konflikte vor Ort konstruktiv und gewaltfrei zu transformieren.

Friedensarbeit will nicht nur Konflikte lösen, sondern auch ein Fundament für einen dauerhaften Frieden legen, der sich auf Dialog, Lernen und Üben gründet.

Krieg geht den Politikerinnen und Politikern auch deshalb so leicht von der Hand, weil er der Bruder des Kapitalismus ist. Vereint versuchen sie als Neoliberalismus alle Bereiche von Staat und Gesellschaft zu beherrschen. Das Verfolgen des eigenen Vorteils mit Gewalt nach innen und außen hält die kleine Gruppe der Mächtigen aus Politik und Wirtschaft für den einzigen Weg, auf dem ihre Interessen garantiert werden können. Das ist rassistisch - und es ergibt sich die bedrückende Gemeinsamkeit einer Übereinstimmung mit den Sicherheitsdogmen und Gruppenschutzideologien, mit denen die jüdischen Gemeinden von den Nazis ausgerottet wurden.

Eine Politik ohne Rassismus und ohne Gewaltträchtigkeit kann am besten durch mitfühlende Erziehung, durch Politikreformen, durch die Garantie von Minderheitenrechten und durch Dialoge zwischen Völkern und Gemeinschaften erreicht werden, so dass Feindbilder und Vorurteile sowie das Klischee von Gut und Böse abgebaut werden.

Investitionsprogramm Friedenskultur

Unter diesen Gesichtspunkten wäre ein bundesweites Investitionsprogramm zum Ausbau, Neuaufbau und dauerhaftem Betrieb von Einrichtungen zur Förderung von Friedensarbeit und Ziviler Konfliktbearbeitung notwendig. Der Umfang der personellen und sachlichen Ausstattung durch den Staat müsste so zugeschnitten sein, dass ein professioneller Betrieb mit hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möglich wird. Träger könnten Vereine, Stiftungen, Genossenschaften und andere gemeinnützige Einrichtungen sein, so dass auch Ehrenamtliche in die Arbeit eingebunden werden.

Friedenszentren würden sich als nachhaltige Zukunftsinvestitionen des Staates erweisen, die lokale und globale Arbeit am Frieden verbinden. Als Staatsziels ist der Frieden grundgesetzlich verankert. Friedenszentren sollten unabhängig und nicht Gewinn orientiert arbeiten können, weil sie auf die Stärkung des Friedensvermögens einer Gesellschaft angelegt sind.

Zentrum für Friedenskultur Siegen

Ein Modell für eine solche Einrichtung könnte das Zentrum für Friedenskultur (ZFK) in Siegen darstellen. Es ist ein Bildungs- und Kommunikationszentrum und als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt. Es wird von zivilgesellschaftlichen Organisationen getragen.

Hier wird die notwendige Kraft entwickelt, den Dynamiken und Strukturen der Gewalt zu begegnen und sie in eine Friedenskultur zu transformieren. Maßstab für eine Friedenskultur ist ihre Fähigkeit, Konflikte konstruktiv und gewaltfrei zu lösen. Ein Konfliktfeld sind die unterschiedlichen Jugendkulturen.

Im Zentrum für Friedenskultur wurde "Jugend interkulturell" entwickelt, ein Projekt zur Integration von unterschiedlichen Jugendkulturen und zum interkulturellen Dialog zwischen den Generationen. Es gehört zu den Eigenarten der nordrhein-westfälischen Förderpraxis, dass das Projekt "Jugend interkulturell", dessen Qualität von allen Seiten gelobt wurde, nach drei Jahren nicht mehr gefördert wird.

Das Nachfolgeprojekt "Licht im Dunkeln" wird gar nicht gefördert, weil für "Besondere Maßnahmen, innovative Projekte und Experimente aus dem Kinder- und Jugendförderplan NRW im Jahr 2009 gar keine Landesmittel zur Verfügung gestellt wurden. Die Bankensanierung hat Vorrang. Das Projekt "Licht im Dunkeln" sollte stattfinden im einzigen Dunkelcafé, einem Café ohne Licht, das Friedenserziehung mit Behindertenarbeit verbindet und ein Lernort gegen Rassismus und Gewalt ist, für das eine spezielle "Lichtlos-Pädagogik" entwickelt wurde.

Aachener Friedenspreis

Am Ende meiner Rede möchte ich Sie nach Aachen entführen - natürlich nur gedanklich. Dort wird alljährlich am 1. September der Aachener Friedenspreis verliehen, den ich im Jahr 2002 bekommen habe.

Der Aachener Friedenspreis würdigt "Frauen, Männer und Gruppen, die "von unten her" dazu beigetragen haben, der Verständigung der Völker und der Menschen untereinander zu dienen, sowie Feindbilder ab- und Vertrauen aufzubauen."

Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich unmittelbar nach unserer Gedenkveranstaltung nach Aachen aufbreche, weil ich den diesjährigen Preisträgern und Preisträgerinnen gerne persönlich gratulieren möchte. Den internationalen Aachener Friedenspreis erhält Zdravko Marjanovic, ein 68 Jahre alter bosnischer Serbe, der sich seit 16 Jahren für Frieden und Versöhnung im ehemaligen Jugoslawien einsetzt.

Nationaler Preisträger ist die Theatergruppe Berliner Compagnie. Seit 1982 spielt die Berliner Compagnie Theater. Sie bringt selbst geschriebene Stücke zur Aufführung, die sie als Mittel der friedens und entwicklungspolitischen ?Öffentlichkeitsarbeit einsetzt. Ihr neuestes Stück "Die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch" hat die Berliner Compagnie der Kooperation für den Frieden gewidmet, einem Zusammenschluss von 50 deutschen Friedensorganisationen. Im Hindukusch-Theaterstück kann man erfahren, was lebendiges Theater ist und wie es wirkt, vor allem aber, wie man mit künstlerischen Mitteln für den Frieden arbeiten kann.

Es wäre gut, wenn wir dieses Theatererlebnis auch Dortmunder Jugendlichen ermöglichen könnten.

Um Ihnen einen Eindruck von der Wirkungskraft der Theateraufführung zu vermitteln, möchte ich einen kurzen Textauszug aus Die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch vortragen:

H: In der Loya Jirga aber, vor 400 Männern im Saal und der gesamten Weltöffentlichkeit, attackiert eine junge Frau mit dem Namen Malalai Joya die anwesenden Abgeordneten:

MALALAI: Von den Frauen in der RAWA ist niemand für diesen Krieg. Im Krieg werden die Rechte der Frauen mit Füßen getreten. Und obwohl wir es waren, die die Menschenrechtsverletzungen der Taleban dokumentiert und angeprangert haben, wurde RAWA nicht nach Deutschland auf den Petersberg eingeladen. Die westlichen Medien sprechen von Demokratie und der Befreiung Afghanistans, stattdessen sind die USA und ihre Verbündeten damit beschäftigt, unser verwundetes Afghanistan in ein Land der Kriegsherren, der Drogenbarone und Verbrecher zu verwandeln. Und die sitzen hier im Parlament.

DIVERSE ABGEORDNETE: Verleumdung! Raus! Hure! Holt sie euch! Vergewaltigt sie! ANDERE: Bravo ... gut gesprochen ... so ist es!

MALALAI in den Tumult hinein: Afghanistan würde bald eine Demokratie sein, wenn das Ausland unsere Demokraten unterstützen würde.

H: Die Frau entkommt mit Glück vier Mordanschlägen.

Den Schlusskommentar meiner Rede lasse ich den Friedensforscher Johan Galtung sprechen: "Menschen, die in einer demokratischen Kultur aufwachsen - dort, wo sie nicht nur wählen, sondern auch häufig ihre Ideen und Sorgen ausdrücken können und gehört werden, wo die Regierungen wirklich die Ziele ihrer Bevölkerungen repräsentieren - solche Menschen nehmen nur selten ihre Zuflucht zu Gewalt."

Ich wünsche mir, dass zukünftig in Dortmund weiter darüber beratschlagt wird, wie hier und überall auf der Welt der Frieden mit friedlichen Mitteln und in solidarischer Gemeinschaft verwirklicht werden kann.



Bernhard Nolz (Jg. 1944), Lehrer i.R., Aachener Friedenspreisträger und Geschäftsführer des Zentrums für Friedenskultur (ZFK) Siegen.

E-Mail: info (at) zfk-siegen (Punkt) net

Website: www.friedenskultur.de
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