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01.09.2011


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Antikriegstag 2011

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung in Aalen am 1. September 2011

Liebe Kolleginnen und Kollegen,sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde und Bekannte,

Philipp Jacks (in Aalen)



- Sperrfrist: 1. September 2011, Redebeginn, ca. 17 Uhr -

- Es gilt das gesprochen Wort -



im Namen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der acht DGB-Mitgliedsgewerkschaften möchte ich Sie alle zum diesjährigen Antikriegstag willkommen heißen und Euch danken, dass ihr hier auf den Aalener Marktplatz gekommen seid.

Oft hört man die Frage, wozu man heute noch einen Antikriegstag braucht. Man hört, dass Deutschland doch nun schon seit fast 70 Jahren im Frieden leben würde.

Dass sich die Bundeswehr seit zwei Jahrzehnten fast durchgehend in Kampfeinsätzen befindet - das fühlt sich weit weg an!

Wir haben uns schon fast daran gewöhnt, dass in den Nachrichten immer wieder tote deutsche Soldaten gemeldet werden. Dabei werden die Toten der anderen Kriegsparteien und die zivilen Opfer nur selten gemeldet.

Deutschland versucht wieder mitzuspielen in der globalen Machtpolitik und will sich durch Kampfbeteiligungen Mitspracherecht erkaufen - aktuell auch in Libyen: jetzt, wo es darum geht die dortigen Pfründe aufzuteilen, soll auch die Bundeswehr wieder mitkämpfen.

Wir sollten uns aber von den Meldungen über ein Kriegsende nicht täuschen lassen: Dass die Eroberung der Hauptstadt noch längst keinen Frieden bedeutet, sollten wir aus Afghanistan und dem Irak gelernt haben! Dort wird immer noch gekämpft, obwohl der Krieg schon vor Jahren für gewonnen erklärt wurde!

Waffen können die Probleme offensichtlich nicht lösen, die Zivilgesellschaft dort braucht Unterstützung!

Wir haben uns schon fast daran gewöhnt, dass unsere Verteidigungsarmee, die Bundeswehr, nun tausende Kilometer entfernt im Einsatz ist.

Das im Grundgesetz festgeschrieben Prinzip der Verteidigung wurde kurzerhand umdefiniert: nicht die Landesgrenzen sollen nun verteidigt werden, sondern unsere Wirtschaftsinteressen.

Das hat sogar Ex-Bundespräsident Horst Köhler richtig erkannt. Er sagte im Mai letzten Jahres wörtlich, dass "militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege".

Dafür, dass er diese längst gängige Praxis beim Namen genannt hat, musste er zurücktreten. Ist das nicht absurd, dass heutzutage ein Präsident zurücktreten muss, weil er die Wahrheit sagt?

Vor dreieinhalb Monaten nun hat der neue Verteidigungsminister Thomas de Maiziere die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien erlassen. Diese Richtlinien sind die verbindliche konzeptionelle Grundlage für die deutsche Verteidigungspolitik. Sie werden alle fünf bis fünfzehn Jahre neu überarbeitet.

In dieser neusten Fassung nun wird wie selbstverständlich erklärt, dass es eine wesentliche Aufgabe der Bundeswehr sei, Zitat: "einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen."

Lassen wir uns das noch mal auf der Zunge zergehen: Die Bundeswehr soll freien Zugang zu natürlichen Ressourcen ermöglichen!

Mit dem Grundgesetz und dem Völkerrecht hat das nichts mehr zu tun! Diese Richtlinien erlauben und rechtfertigen jeden Wirtschaftskrieg! Es muss klar sein: Wir lehnen den Umbau der Bundeswehr zu einer international operierenden Interventionsarmee ab.

Was die Welt und die betroffenen Menschen brauchen, sind Abrüstung, soziale Gerechtigkeit, zivile Hilfe, Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse, Demokratie und Menschenrechte für alle - aber keine Waffen, keine Soldaten und keinen Krieg.

"Krieg" - das ist für die meisten von uns ein abstrakter Begriff - kaum einer hier hat je einen Krieg miterlebt. Wie viel bestialische Gewalt und unmenschliches Leid sich hinter diesen fünf Buchstaben verbirgt, wird in den Medien meistens nicht transportiert.

Vorletzte Woche habe ich einen längeren Radiobericht über den Bürgerkrieg im Kongo gehört. Was den Menschen dort angetan wurde, insbesondere den Frauen, möchte ich hier nicht wiederholen, aber es ist abscheulich. Mit Menschenwürde hat das überhaupt nichts zu tun.

Und auch dort hatte Deutschland seine Hände im Spiel, einerseits zur Unterstützung der UN-Friedensmission, aber andererseits als Waffenlieferant. Die deutschen Soldaten sahen sich also deutschen Waffen gegenüber.

Mit keiner Waffe der Welt sind so viele Menschen getötet worden, wie mit dem G3-Gewehr der baden-württembergischen Firma Heckler & Koch, auch in Afrika ist sie weit verbreitet.

Und jetzt gerade wird in Saudi Arabien eine Produktionsanlage von Heckler & Koch gebaut: zur Zeiten der rot-grünen Bundesregierung wurde die Erlaubnis für diese Lizenzproduktion des Sturmgewehres G36 erteilt. Von dort können die Waffen dann fast ungehindert in andere Unrechtsregime verkauft werden, denn bundesdeutsche Exporteinschränkungen gelten für Lizenzproduktionen nicht!

Gerade gestern stand in der Zeitung, dass deutsche Gewehre in der Hand libyscher Rebellen seien. Die Aufständischen sind dabei gesehen und fotografiert worden, wie sie bündelweise hochmoderne G36-Gewehre aus dem Palast geschleppt haben. Wie kommen diese Gewehre in den Palast des libyschen Diktators? Heckler & Koch sowie auch die Bundesregierung weisen jede Verantwortung von sich.

Durchschnittlich stirbt alle 14 Minuten ein Mensch an einer Kugel aus einer deutschen Waffe! Während wir hier stehen sind es also zwei Menschen. Erschossen, Gestorben, vermutlich nach einem Todeskampf, der minutenlang wenn nicht sogar stundenlang qualvoll ein Leben beendet hat. Das wird in den Medien nicht gezeigt.

Dass gleichzeitig alle drei Sekunden ein Mensch verhungert, wegen unserer verfehlten Nahrungs- und Entwicklungspolitik möchte ich hier aber auch nicht unerwähnt lassen:

In Ostafrika passiert derzeit eine der größten Hungerkatastrophen der Geschichte, während in Deutschland, insbesondere in den Supermärkten, die Hälfte der Lebensmitten in den Müll wandert. Obst und Gemüse das zwar noch gut essbar, aber nicht mehr hübsch ist, und auch tonnenweise andere Lebensmittel die überproduziert wurden!

Wir stellen aus Lebensmitteln sogar Benzin und Diesel her, während anderswo Leute verhungern. Von dem Mais, der für die Herstellung einer einzigen Tankfüllung Biosprit verbraucht wird, könnte sich ein Mensch ein Jahr lang ernähren!

Dieses System ist menschenverachtend!

Doch schauen wir zurück: es gab in Deutschland vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls ein menschenverachtendes System, von dem viele Zeitzeugen sagen, sie hätte von nichts gewusst - das erscheint uns heute kaum vorstellbar.

Aber vielleicht werden auch unsere Enkel uns fragen, wie wir in Zeiten des Internets und des freien Journalismus nichts von den eben genannten Praktiken unserer Konzerne und unserer Regierungen gewusst haben können!

Und damit zurück zum Thema: Genau heute vor 72 Jahren schallte der folgende Satz aus den deutschen Radioapparaten: "seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen".

Mit diesen Worten wurde der deutschen Bevölkerung weisgemacht, dass Polen den Krieg begonnen hätte. Die deutsche Bevölkerung sollte glauben, dass sie ihre Leben, und die Leben ihrer Familien und Freunde, nun verteidigen müsste.

Wir alle wissen heute, dass nicht Polen, sondern Deutschland den Zweiten Weltkrieg begonnen hat.

Aber auch heute sind Propagandalügen üblich, um die Bevölkerung für einen Krieg zu gewinnen und um Kriege zu rechtfertigen.

Beim zweiten Golfkrieg 1990 war es die sogenannte Brutkastenlüge. Sie beeinflusste die die politischen Entscheidungsträger, sowie auch die öffentliche Meinung maßgeblich.

Ein Mädchen berichtete von irakischen Soldaten, die angeblich in einem kuwaitischen Krankenhaus Babys aus den Brutkästen geholt hätten und auf dem Boden hätten sterben lassen. Diese Nachricht ging um die Welt, das moralische Entsetzen war groß.

Im Nachhinein stellte sich heraus, dass eine PR-Agentur die Geschichte erfunden hatte, um die Öffentlichkeit für die Invasion zu gewinnen.

Und beim Kosovo-Krieg? Begründet wurde der Angriff mit dem sogenannten "Hufeisenplan": angeblich plante die serbische Regierung mit Hilfe einer Hufeisenstrategie, die albanische Minderheit systematisch aus dem Kosovo zu vertreiben. Im Nachhinein stellte sich allerdings heraus, dass die angeblichen Beweise für den Hufeisenplan vom deutschen Auslandsgeheimdienst, dem BND, gefälscht waren.

Weiter ins Jahr 2001: für die Anschläge auf das World Trade Center in New York wird die Al Kaida und Osama Bin Laden verantwortlich gemacht. Der von den USA geführte Angriff auf Afghanistan beginnt nur einen Monat später. Die Begründung: das Taliban-Regime würde Osama Bin Laden decken.

Was in der damaligen Panik nicht auffiel: bis heute sind der Öffentlichkeit keinerlei Beweise vorgelegt worden, dass Osama Bin Laden an den Anschlägen auf das World Trade Center wirklich beteiligt war!

Und der Krieg in Afghanistan läuft heute immer noch, zehn Jahre später! Er hat viele Opfer gefordert und es zeigt sich, dass er mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen ist!

Wir fordern die Bundesregierung und das Parlament auf, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan schnellstmöglich zu beenden!

Stattdessen müssen wir in Afghanistan den Aufbau einer Zivilgesellschaft unterstützen - denn ohne Frieden gibt es auch keinen sozialen Fortschritt!

Zurück ins Jahr 2003: vor dem dritten Irakkrieg behauptet die US-Administration unter Präsident Bush Junior, dass im Irak Massenvernichtungswaffen hergestellt werden würden. Darum beginnt man einen erneuten Krieg und stürzt die Regierung. Massenvernichtungswaffen wurden allerdings nie gefunden.

Wir sehen also: es gibt kaum einen Krieg, der nicht mit einer Lüge rechtfertigt wurde. Ein Sprichwort lautet: "Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit" - aber das sagt nur die halbe Wahrheit.

Das Sprichwort lenkt nämlich davon ab, dass die Wahrheit schon vor dem Krieg verdreht wird. Wenn dies nicht geschähe, würde es oft gar nicht zum Krieg kommen. Die Wahrheit tritt aber auch nach dem Krieg nicht unbedingt ans Tageslicht, denn der Krieg soll gerechtfertigt werden. Er soll zu einem erfolgreichen und gerechten Krieg erklärt werden.

Und heute? Im Frühjahr entstand in den arabischen Staaten eine große Protestwelle für Demokratie und Rechtstaatlichkeit. Der arabische Frühling hat viele Hoffnungen geweckt. Leider zeigt sich inzwischen, dass es noch ein weiter Weg ist zu Demokratie und Rechtstaatlichkeit. Hier sollte die Bundesregierung den Demokratisierungsprozess unterstützen - auch finanziell!

Deutschland ist auch dort an den Kampfhandlungen beteiligt, allerdings wieder eher auf der falschen Seite: Denn die Unrechtsregime wurden und werden allesamt mit deutschen Waffen beliefert.

Der ach so wichtige Wirtschaftspartner Saudi Arabien hat jüngst seine Rolle als Stabilisator der Region bewiesen, als er seine Soldaten nach Bahrain entsendet hat, um dort die Proteste niederzuschlagen.

Natürlich waren die saudischen Soldaten mit deutschen Waffen ausgestattet: Saudi Arabien ist seit Jahren ein wichtiger Importeur von deutschen Rüstungsgütern: die Auftragsvolumen haben sich in den letzten zehn Jahren von rund 26 Millionen Euro versiebenfacht auf knapp 170 Millionen Euro im Jahr.

Und gerade im Juli 2011 hat der Bundessicherheitsrat einem umfassenden Rüstungsexportpaket mit Saudi-Arabien und Algerien zugestimmt! Gerade Algerien, das kurz vorher seine Demokratiebewegung blutig niedergeschlagen hatte, soll im Laufe von zehn Jahren modernste Rüstungs- und Sicherheitstechnologie von Deutschland erhalten.

Und im März ist bekannt geworden, dass Rheinmetall zusammen mit MAN und indirekt auch Daimler eine Panzerfabrik in Algerien bauen will. Wie gesagt, von dort aus können die Panzer dann fast ungehindert in alle Welt verkauft werden.

Die Bundesregierung muss Waffengeschäfte mit solchen Regimes unterbinden und stattdessen die dortige Zivilgesellschaft und die Rechtstaatlichkeit fördern!

Es kann auch nicht sein, dass die Bundesregierung alle Fragen bezüglich der Geschäfte mit Saudi-Arabien mit dem Hinweis auf Geheimhaltung abbügelt.

Parlamentarische Kontrolle und Gewaltenteilung sind Kernbestandteile einer demokratischen Gesellschaft. Das Parlament ist kein Hindernis beim Regieren, sondern das Herzstück der Demokratie!

Wir dürfen unser Geschichtsbewusstsein nicht verlieren! Wie wichtig das ist, zeigt eine Nachricht, die mich heute von unseren Kolleginnen und Kollegen in Heilbronn erreicht hat:

In der dortigen Agentur für Arbeit ist ausgerechnet heute eine Wehrdienstberaterin einbestellt worden. Ausgerechnet heute, am Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, sollen junge Menschen rekrutiert werden, um deutsche Interessen in aller Welt mit Waffengewalt zu ermöglichen.

Wir begehen hier den Antikriegstag - und um die Ecke wird gleichzeitig jungen Leuten, die häufig beruflich keine große Auswahl haben, der Eintritt in die Bundeswehr empfohlen!

Auch die Beschwerden unserer DGB-Kollegen vor Ort brachte keine Einsicht: "Business as Usual" war die Antwort der Agentur.

Das ist "Werben fürs Sterben" und deshalb fordern wir: Bundeswehr raus aus unseren Schulen und Klassenzimmern und auch raus aus den Arbeitsagenturen!



Liebe Friedensfreundinnen und -freunde

- wir sehen: der Krieg ist ein dreckiges Geschäft, das leider sehr lukrativ ist. Er ist ein menschenverachtendes Instrument der Mächtigen, um ihre Macht auszubauen und zu erhalten.

Ich habe hier heute viel über Kriegsstrategien, Propagandalügen und Machtkämpfe gesprochen - die tatsächlichen Opfer dieser Kriege, die Menschen, die Familien, die Kinder, die Frauen, und die Menschlichkeit - ihnen sollten wir gedenken, und ihnen zu Ehren sollte unser Grundsatz immer lauten:

Nie wieder Krieg!



Philipp Jacks ist Regionssekretär der DGB Region Nordwürttemberg.

E-Mail: philipp (Punkt) jacks (at) dgb (Punkt) de

Website: nordwuerttemberg.dgb.de
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